Oberlandesgericht Hamm:
Beschluss vom 10. November 2005
Aktenzeichen: 2 (s) Sdb. VIII - 205/05

(OLG Hamm: Beschluss v. 10.11.2005, Az.: 2 (s) Sdb. VIII - 205/05)

Tenor

Rechtsanwalt D wird anstelle seiner gesetzlichen Gebühren in Höhe von 4.700 EURO eine Pauschvergütung in Höhe von 6.500 EURO (in Worten: sechstausendfünfhundert EURO) bewilligt.

Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.

Gründe

I.

Dem ehemaligen Angeklagten wurde im vorliegenden Verfahren ein Tötungsdelikt zur Last gelegt. Deswegen war bei der Jugendkammer des Landgerichts Arnsberg als Schwurgericht ein Verfahren gegen den Angeklagten anhängig. Gegen die Verurteilung des ehemaligen Angeklagten haben die Staatsanwaltschaft und der Nebenklägervertreter Revision eingelegt. Die Revisionen sind durch Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. August 2004 verworfen worden.

Der Antragsteller war dem ehemaligen Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet. Die Bestellung erfolgte am 22. September 2003. Der Antragsteller ist außerdem durch Beschluss des BGH vom 12. Juli 2004 für die Revisionshauptverhandlung zum Pflichtverteidiger bestellt worden. Der Antragsteller beantragt nunmehr für seine für den ehemaligen Angeklagten erbrachten Tätigkeiten die Gewährung einer Pauschvergütung, die er im Wesentlichen mit folgenden Tätigkeiten begründet:

Der Antragsteller ist für den ehemaligen Angeklagten bereits im Vorverfahren tätig gewesen. Er hat mehrere Schreiben und Anträge verfasst und Einsicht in die umfangreiche Strafakte genommen. Er hat außerdem an zwei richterlichen Vernehmungen vor dem Amtsgericht teilgenommen und seinen Mandanten - nach eigenen Angaben - zweimal in der Justizvollzugsanstalt besucht. Nähere zeitliche Angaben zu den Besuchen fehlen. Der Antragsteller musste sich außerdem mit mehreren Sachverständigengutachten auseinandersetzen.

Der Antragsteller hat außerdem an der Hauptverhandlung, die in der Zeit vom 17. September 2003 bis zum 12. Dezember 2003 an insgesamt 12 Hauptverhandlungstagen statt gefunden hat, teilgenommen. Zweimal waren in einer Kalenderwoche zwei, einmal drei Termine terminiert. Die durchschnittliche Dauer der Hauptverhandlungstermine hat rund 4 Stunden 30 Minuten betragen. Von den 12 Terminen haben einer mehr als 9 Stunden, einer mehr als 8 Stunden, einer fast 8 Stunden, zwei mehr als 5 Stunden, und die übrigen sieben Termine zwischen 1 Stunde 40 Minuten und 3 Stunden 5 Minuten gedauert. Von den 12 Terminen haben drei in den Nachmittagsstunden stattgefunden, zwei davon haben erst um 17.00 Uhr begonnen und bis 19.40 Uhr bzw. 19.20 Uhr gedauert. In der Beweisaufnahme sind 20 Zeugen und fünf Sachverständige vernommen worden. Das landgerichtliche Urteil umfasst 67 Seiten.

Der Antragsteller ist für seinen Mandanten auch im Revisionsverfahren tätig gewesen. Er hat vier Anträge verfasst und außerdem Einsicht in das Hauptverhandlungsprotokoll der ersten Instanz genommen.

Wegen des weiteren Umfangs der Inanspruchnahme und der von den Antragstellern für ihren Mandanten erbrachten Tätigkeiten wird auf die dem Antragsteller bekannt gemachte Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 vom 30. September 2005 Bezug genommen.

Die gesetzlichen (Pflichtverteidiger-)Gebühren des Antragstellers betragen 4.700 EURO. Der Vorsitzende des Schwurgerichts hat das Verfahren als "besonders schwierig" angesehen. Der Vertreter der Staatskasse hat dem nicht widersprochen. Er sieht das Verfahren allerdings nicht als besonders umfangreich an.

II.

Dem Antragsteller war nach § 99 BRAGO eine Pauschvergütung zu bewilligen.

1.

Auf das Verfahren ist die BRAGO anwendbar. Der Antragsteller ist dem ehemaligen Angeklagten am 22. September 2003 beigeordnet worden. Damit ist nach der Übergangsregelung in § 61 RVG und der dazu vorliegenden überwiegenden Meinung in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der Literatur die BRAGO anwendbar (vgl. dazu u.a. Senat in StraFo 2005, 130 = RVGreport 2005, 68 = NStZ-RR 2005, 127 (Ls.) = Rpfleger 2005, 214 = AGS 2005, 117).

Etwas anderes ergibt sich nicht aus der am 12. Juli 2004, also nach Inkrafttreten des RVG am 1. Juli 2004, erfolgten Beiordnung des Antragstellers zum Pflichtverteidiger für die Revisionshauptverhandlung beim BGH. Der Vertreter der Staatskasse weist insoweit zutreffend darauf hin, dass der Antragsteller schon zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des RVG mit der Prozessführung beauftragt und als Pflichtverteidiger beigeordnet war. Diese am 22. September 2003 erfolgte Pflichtverteidigerbeiordnung erstreckte sich grundsätzlich auch auf (alle) Tätigkeiten des Antragstellers im Revisionsverfahren, lediglich auf die Mitwirkung an der Revisionshauptverhandlung erstreckt sich die Beiordnung nicht. Diese hat gem. § 350 Abs. 3 StPO vom Vorsitzenden des Revisionsgerichts zu erfolgen. In dieser Bestellung liegt aber, worauf der Vertreter der Staatskasse ebenfalls zutreffend hingewiesen hat, keine erneute Beiordnung des Rechtsanwalts für die übrigen Verfahrensteile. Diese sind teilweise bereits abgeschlossen, soweit das noch nicht der Fall ist, wirkt die vom Vorsitzenden des Tatgerichts vorgenommene Beiordnung fort. Die Beiordnung des Vorsitzenden des Revisionsgerichts hat nur Auswirkungen für die Revisionshauptverhandlung. Insoweit handelt es sich um eine neue, die ursprüngliche Beiordnung praktisch erweiternde Beiordnung. Dies führt aber in der Frage, ob das RVG oder noch die BRAGO anzuwenden sind, nicht dazu, dass nunmehr, weil ggf. für die Revisionshauptverhandlung das RVG anwendbar ist, was allerdings nicht der Senat, sondern der Bundesgerichtshof zu entscheiden hat, insgesamt auf das Verfahren das RVG anzuwenden wäre. Die Beiordnung nach § 350 Abs. 3 StPO ist vielmehr - wie dargelegt - isoliert von der sonst erfolgten Beiordnung zu sehen.

2.

Entsprechend der Ansicht des Vorsitzenden der Jugendkammer, der der Vertreter der Staatskasse nicht widersprochen hat, war das Verfahren auch schon "besonders schwierig" im Sinne von § 99 Abs. 1 BRAGO. "Besonders schwierig" im Sinne des § 99 Abs. 1 BRAGO ist ein Verfahren, das aus besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen über das Normalmaß hinaus erheblich verwickelt ist (vgl. dazu Burhoff StraFo 1999, 261, 264). Das ist vorliegend nach Einschätzung des Senats schon der Fall. Insoweit schließt sich der Senat der Einschätzung des Vorsitzenden der Strafkammer an (vgl. dazu grundlegend dazu Senat in AnwBl. 1998, 416 = ZAP EN-Nr. 609/98 = AGS 1998, 104 und Senat in JurBüro 1999, 194 = AGS 1999, 104 = AnwBl. 2000, 56). Der Senat hat zwar bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass in Schwurgerichtsverfahren der Gesetzgeber dem besonderen, im Vergleich zu anderen Verfahren vor der Strafkammer in der Regel höheren, Schwierigkeitsgrad schon dadurch Rechnung getragen hat, dass der Verteidiger höhere (gesetzliche) Gebühren erhält als in "normalen" Strafkammerverfahren (vgl. dazu u.a. Senat in StraFo 2000, 286 = ZAP EN-Nr. 557/2000 = AnwBl. 2001, 246). Demgemäss führen Schwierigkeiten, die in anderen Verfahren zur Bejahung des Merkmals der "besonderen Schwierigkeit" herangezogen werden können, in diesen Verfahren nicht automatisch auch zur Bejahung dieses Merkmals (zur Einordnung eines Schwurgerichtsverfahrens als besonders schwierig siehe z.B. auch Senat in ZAP EN-Nr. 393/2002 = Rpfleger 2002, 480). Dennoch ist der Senat vorliegend der Auffassung, dass es sich auch unter Zugrundelegung dieses strengen Maßstabs schon um ein "besonders schwieriges" Verfahren im Sinne von § 99 Abs. 1 BRAGO gehandelt hat. Dies einzuschätzen, ist der Senat aufgrund seiner Erfahrung aus der Vielzahl von Pauschvergütungsverfahren, die bei ihm anhängig gewesen sind bzw. noch sind, in der Lage.

Vorliegend handelte es sich vor allem wegen der zahlreichen in Betracht kommenden Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründen um ein "besonders schwieriges" Verfahren. Zudem musste die umfangreiche Beweisaufnahme mehrsprachig erfolgen.

3.

Das Verfahren war für den Antragsteller auch schon "besonders umfangreich" im Sinne des § 99 Abs. 1 BRAGO.

Bei den insoweit zu berücksichtigenden Tätigkeiten hat der Senat neben der Teilnahme des Antragstellers an den beiden richterlichen Vernehmungen vor allem seine Teilnahme an den Hauptverhandlungsterminen berücksichtigt. Diese waren zwar mit einer durchschnittlichen Dauer von rund 4 Stunden 30 Minuten für ein Schwurgerichtsverfahren allenfalls durchschnittlich, wenn nicht leicht unterdurchschnittlich lang. Es kann jedoch nicht übersehen werden, dass vier der 12 Termine - teilweise erheblich - überdurchschnittlich lang (vgl. dazu Senat in ZAP EN-Nr. 34/2002 = AGS 2002, 37 = AnwBl. 2002, 433) und die Termine teilweise dicht terminiert waren. Entscheidend ist in dem Zusammenhang, dass von den 12 Terminen drei zu einer Zeit stattgefunden haben, in der üblicher Weise nicht terminiert wird (vgl. zur Berücksichtigung dieses Kriteriums Senat in AGS 2001, 154), wovon zwei Termine sogar erst um 17.00 Uhr begonnen und bis in die frühen Abendstunden gedauert haben.

4.

Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls hat der Senat auf die von ihm als angemessen angesehene Pauschvergütung von 6.500 EURO erkannt. Eine Pauschvergütung in dieser Höhe ist, insbesondere auch unter Berücksichtigung der von dem Antragsteller für die Fahrt von T, dem Sitz seiner Kanzlei, nach B, aufgewendeten Fahrtzeiten, angemessen. Bei der Bemessung der Pauschvergütung hat der Senat die Teilnahme des Antragstellers an der Revisionshauptverhandlung und deren Vorbereitung unberücksichtigt gelassen. Insoweit ist dem Antragsteller ggf. durch den zuständigen Strafsenat des BGH eine Pauschvergütung zu bewilligen (Senat in AGS 2002, 36 = JurBüro 2003, 24).

Der weitergehende, nach Auffassung des Senats maßlos übersetzte Antrag, mit dem eine Pauschgebühr von 16.000 € geltend gemacht worden ist, womit die so genannten Wahlverteidigerhöchstgebühren um rund 6.000 € überschritten worden wären, war abzulehnen. Gebühren in dieser Höhe wären angesichts des Umfangs der von dem Antragsteller erbrachten Tätigkeiten unangemessen. Dabei kann wegen der Höhe der geltend gemachten Gebühren dahinstehen, ob und inwieweit die bisherige Rechtsprechung des Senats zu dieser Frage Bestand hat (vgl. dazu Burhoff/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, § 51 Rn. 94). Gebühren in dieser übersetzten Höhe sind auf jeden Fall unangemessen und in keinem Fall gerechtfertigt.






OLG Hamm:
Beschluss v. 10.11.2005
Az: 2 (s) Sdb. VIII - 205/05


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