Landessozialgericht der Länder Berlin und Brandenburg:
Urteil vom 15. Mai 2013
Aktenzeichen: L 7 KA 112/12 KL
(LSG der Länder Berlin und Brandenburg: Urteil v. 15.05.2013, Az.: L 7 KA 112/12 KL)
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin vertreibt folgende Arzneimittel, deren Zulassungsinhaberin jeweils die NE Limited mit Sitz in H (Vereinigtes Königreich) ist, unter eigenem Namen:
ArzneimittelWirkstoffAnwendungsgebietGalvusVildagliptin€zur Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2:In einer oralen Zweifach-Kombinationstherapie mit- Metformin bei Patienten, deren Blutzucker trotz Monotherapie mit maximal verträglichen Dosen von Metformin unzureichend eingestellt ist,- einem Sulfonylharnstoff bei Patienten, deren Blutzucker trotz Monotherapie mit maximal verträglichen Dosen eines Sulfonylharnstoffs unzureichend eingestellt ist und bei denen Metformin wegen Kontraindikationen oder Unverträglichkeit ungeeignet ist,- einem Thiazolidindion bei Patienten mit ungenügender Blutzuckereinstellung, für die die Anwendung eines Thiazolidindions geeignet ist.€(Fachinformation, Stand Januar 2011)EucreasMetformin/Vildagliptin€Behandlung des Typ-2-Diabetes-mellitus bei Patienten €[], deren Blutzucker trotz Monotherapie mit der maximal verträglichen Dosis von Metformin alleine unzureichend eingestellt ist oder die bereits mit einer Kombination aus Vildagliptin und Metformin in separaten Tabletten behandelt werden.(Fachinformation, Stand Januar 2011)Jalra Vildagliptin€Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2:Als Monotherapie- bei Patienten, die durch Diät und Bewegung allein nicht ausreichend therapiert sind und für die Metformin aufgrund von Gegenanzeigen oder Unverträglichkeiten nicht geeignet ist.In einer oralen Zweifach-Kombinationstherapie mit- Metformin bei Patienten, deren Blutzucker trotz Monotherapie mit maximal verträglichen Dosen von Metformin unzureichend eingestellt ist,- einem Sulfonylharnstoff bei Patienten, deren Blutzucker trotz Monotherapie mit maximal verträglichen Dosen eines Sulfonylharnstoffs unzureichend eingestellt ist und bei denen Metformin wegen Kontraindikationen oder Unverträglichkeit ungeeignet ist,- einem Thiazolidindion bei Patienten mit ungenügender Blutzuckereinstellung, für die die Anwendung eines Thiazolidindions geeignet ist.In einer oralen Dreifach-Kombinationstherapie mit- einem Sulfonylharnstoff und Metformin, wenn Diät und Bewegung zusätzlich zu einer Zweifachtherapie mit diesen Arzneimitteln zu keiner adäquaten glykämischen Kontrolle führen.Vildagliptin ist auch für die Anwendung in Kombination mit Insulin indiziert (mit oder ohne Metformin), wenn Diät und Bewegung zusätzlich zu einer stabilen Insulindosis zu keiner adäquaten glykämischen Kontrolle führen.€(Fachinformation, Stand Oktober 2012)IcandraMetformin/Vildagliptin€Behandlung des Typ-2-Diabetes-mellitus bei Patienten €[], deren Blutzucker trotz Monotherapie mit der maximal verträglichen Dosis von Metformin alleine unzureichend eingestellt ist oder die bereits mit einer Kombination aus Vildagliptin und Metformin in separaten Tabletten behandelt werden.(Fachinformation, Stand Juni 2012)Alle diese Arzneimittel wurden erstmalig vor dem 1. Januar 2011 durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) zugelassen.
Seinen Beschluss vom 7. Juni 2012 (veröffentlicht nur im Internet), eine Nutzenbewertung für die Wirkstoffe Sitagliptin, Vildagliptin und Saxagliptin sowie für die Wirkstoffkombinationen Metformin/Sitagliptin und Metformin/Vildagliptin zu veranlassen, begründete der Beklagte, der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), damit, dass diese Wirkstoffe gemäß § 35a Abs. 6 Satz 2 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) im Wettbewerb stünden mit dem Wirkstoff Linagliptin, für den er am 29. März 2012 einen Beschluss über die Nutzenbewertung gefasst habe (Tragende Gründe zum Beschluss vom 7. Juni 2012, veröffentlicht ebenfalls nur im Internet). Mit zwei Schreiben vom 27. September 2012 forderte der Beklagte die Klägerin auf, spätestens bis zum 31. Dezember 2012 Dossiers zur Nutzenbewertung für Vildagliptin einerseits und die Wirkstoffkombination Vildagliptin/Metformin andererseits vorzulegen. Den Widerspruch der Klägerin hielt der Beklagte für unstatthaft. Darauf erhob die Klägerin am 5. Dezember 2012 Klage, welche der Senat mit Urteil vom 15. Mai 2013 (Az.: L 7 KA 105/12 KL) abwies.
Bereits am 20. September 2012 hatte die Klägerin von der EMA für das Arzneimittel Galvus eine sog. €positive opinion€ für ein weiteres Anwendungsgebiet erhalten. Unter Berufung auf § 3 der Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung (AM-NutzenVO) forderte der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 11. Oktober 2012 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) auf, €rechtzeitig, d.h. innerhalb von 4 Wochen nach der Zulassung des neuen Anwendungsgebietes oder der Unterrichtung über eine Genehmigung für eine Änderung des Typs 2 nach Anhang 2 Nummer 2 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 1234/2008, ein vollständiges Dossier für das neue Anwendungsgebiet€ einzureichen. Sofern €die Zulassung für das neue Anwendungsgebiet nach der Veranlassung und mindestens 4 Wochen vor Beginn des Bewertungsverfahrens für das Arzneimittel nach 5. Kapitel, § 16 VerfO des G-BA erteilt€ werde, sei das Dossier für das neue Anwendungsgebiet €zusammen mit dem Dossier nach 5. Kapitel, § 16 der VerfO des G-BA einzureichen€.
Der Beklagte hielt den von der Klägerin mit Schreiben vom 12. November 2012 eingelegten Widerspruch ebenfalls für unstatthaft (Schreiben vom 11. und 12. Dezember 2012). Hiergegen richtet sich die (hiesige) Klage vom 12. Dezember 2012.
Nachdem die Klägerin am 5. Dezember 2012 auch einstweiligen Rechtsschutz bezüglich beider Nutzenbewertungsverfahren begehrt hatte, verlängerte der Senat zunächst die ihr gesetzte Frist zur Dossiereinreichung bis zum 31. März 2013 (Beschluss vom 20. Dezember 2012), wies jedoch anschließend die Eilanträge der Klägerin ab (Beschluss vom 28. Februar 2013, Az.: L 7 KA 106/12 KL ER, veröffentlicht in Juris).
Zwischenzeitlich wurde die Zulassung für das Arzneimittel Galvus auf das oben erwähnte Anwendungsgebiet erweitert und die Klägerin reichte ein entsprechendes Dossier beim Beklagten ein.
Zur Begründung ihrer Klage führt die Klägerin aus: Ihr Rechtsschutzziel bestehe darin, die Durchführung eines Nutzenbewertungsverfahrens und insbesondere die Fassung und Veröffentlichung eines Nutzenbewertungsbeschlusses zu den von ihr vertriebenen Arzneimitteln zu verhindern, um der Schaffung vollendeter Tatsachen und irreparabler Schäden entgegenzuwirken, die ihr durch einen rechtswidrig gefassten und veröffentlichten Nutzenbewertungsbeschluss entstünden. Eine Nutzenbewertung wegen der Zulassungserweiterung für das Arzneimittel Galvus sei unzulässig, weil sie voraussetze, dass eine sog. Bestandsmarkt-Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 6 SGB V €veranlasst€ worden sei; dessen Durchführung sei jedoch rechtswidrig.
Der Beschluss vom 7. Juni 2012 stelle € wie sich bereits aus seiner Form ergebe € einen Verwaltungsakt dar, der eigenständig anfechtbar sei. Der Regelungsgehalt des Beschlusses sei darin zu erblicken, dass aus einer Vielzahl von Arzneimitteln, die potentiell für die Bestandsmarkt-Nutzenbewertung in Betracht kommen, gerade die DPP4-Hemmer (Gliptine) für die Nutzenbewertung ausgewählt worden seien. Damit entscheide bereits die Aufrufentscheidung rechtlich abschließend über das €Ob€ der Preisregulierung und mache aus der einstigen Preisregulierungsmöglichkeit eine Preisregulierungspflicht. Bereits die Aufrufentscheidung betreffe den pharmazeutischen Unternehmer unmittelbar in seiner Rechtsposition, denn sie setze eine unumkehrbare Kausalkette in Gang, die zwangsläufig in die Eingruppierung in eine Festbetragsgruppe oder in die Festlegung eines Erstattungsbetrages münde. Die der Aufrufentscheidung nachfolgenden Verfahrensschritte beträfen lediglich das €Wie€ der Preisregulierung. Die Pflicht zur Dossiervorlage folge schon aus der angegriffenen Aufrufentscheidung selbst, wovon auch der Beklagte ausweislich der Tragenden Gründe zu seinem Beschluss vom 7. Juni 2012 ausgehe. Es sei € trotz der gesetzlich angeordneten Rechtsfolge bei Nichteinreichung eines Dossiers € nicht ersichtlich, dass die Pflicht zur Dossiervorlage nicht mit den Mitteln des Verwaltungszwangs, primär Ersatzvornahme und Zwangsgeld, durchsetzbar sei. Unabhängig hiervon mache gerade die schwerwiegende und kraft Gesetzes eintretende Sanktion € Fiktion des fehlenden Zusatznutzens € aus der bloß vorbereitenden Verfahrenshandlung einen Verwaltungsakt. Weil es für den Betroffenen keinen Unterschied mache, ob eine Pflicht mit den Mitteln des Verwaltungszwangs oder im Wege gesetzlicher Druckmittel durchgesetzt werden könne, habe das Bundessozialgericht (BSG) die Aufforderung, einen Renten- bzw. einen Rehabilitationsantrag zu stellen, als Verwaltungsakt qualifiziert. Die rechtliche Situation weise Parallelen zum Verfahren der Freistellung nach § 35a Abs. 1a SGB V, Kapitel 5 § 15 VerfO GBA auf, in dem der Beklagte die Entscheidung über die Ablehnung einer beantragten Freistellung von der frühen Nutzenbewertung in Form eines mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Verwaltungsaktes erlasse, sowie andererseits zur Aufforderung des Beklagten an den pharmazeutischen Unternehmer nach § 92 Abs. 2a SGB V, innerhalb einer angemessenen Frist ergänzende versorgungsrelevante Studien zur Bewertung der Zweckmäßigkeit eines Arzneimittels vorzulegen. Aus § 44a Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) lasse sich für die Verwaltungsaktsqualität einer behördlichen Maßnahme nichts herleiten. Der angegriffene Beschluss sei auch nicht unselbständiger Teil eines Normsetzungsverfahrens, sondern habe einen eigenen Regelungsgegenstand, weil dadurch bereits rechtsverbindlich diejenigen Arzneitherapien ausgewählt würden, die der Nutzenbewertung zugeführt werden sollten. Daher handele es sich insoweit um ein eigenständiges Verwaltungsverfahren, das Teil eines zweistufig konzipierten Verfahrens sei und mit dem Beschluss gemäß Kapitel 5, § 15 VerfO G-BA seinen Abschluss in der Form des Verwaltungsaktes finde. In Abgrenzung zur abstrakt-generellen Regelung des späteren Beschlusses über die Nutzenbewertung konkretisiere der angegriffene Beschluss den geregelten Lebenssachverhalt und individualisiere die adressierten Personen. Statthafte Rechtsbehelfe gegen den Beschluss seien daher Widerspruch und Anfechtungsklage.
Der im Beschluss vom 27. Juni 2012 liegende Verwaltungsakt habe sich auch nicht durch die Vorlage des Dossiers erledigt i.S.v. § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), weil alle nachfolgenden Verfahrensschritte akzessorisch zu ihm seien.
Da § 35a Abs. 8 SGB V explizit die nicht gesondert mit Rechtsbehelfen angreifbaren Entscheidungen des Beklagten benenne, seien im Umkehrschluss gegen andere belastende Verwaltungsakte im Rahmen von § 35a SGB V die regulären Rechtsbehelfe statthaft. Eine (unbewusste) Regelungslücke sei im Hinblick auf den Ausschluss der Klagemöglichkeit nach § 92 Abs. 2a Satz 5 SGB V zu verneinen. Der Ausschluss von Rechtsmitteln stelle einen massiven Eingriff in das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz € GG) dar. Da die mit der Klage anfechtbare Schiedsstellen-Entscheidung erst 15 Monate nach dem Beginn der Nutzenbewertung ergehe (§ 35a Abs. 2 Satz 3, Abs. 3 Satz 1, § 130b Abs. 4 SGB V) und die Klage keine aufschiebende Wirkung entfalte (§ 130b Abs. 4 Satz 5 SGB V), sei in Anbetracht der sozialgerichtlichen Verfahrensdauer Rechtsschutz realistisch nicht vor Ablauf von 4 bis 6 Jahren nach Beginn der Nutzenbewertung erreichbar. Effektiver Rechtsschutz komme dann zu spät, weil im Fall einer frühen Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 1 SGB V dann bereits die Hälfte des über den Unterlagenschutz erreichten Konkurrenzschutzes eines patentgeschützten Arzneimittels verstrichen sei und im Fall einer Bestandsmarkt-Nutzenbewertung die betroffenen Arzneimittel dann bereits regelmäßig generischem Wettbewerb ausgesetzt seien. Wegen ihrer hohen Bedeutung dürfe die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) nur durch präzise und konkrete Festlegungen eingeschränkt werden. Ebenso wie bei den vorgelagerten Anordnungen der Bundesnetzagentur im Zusammenhang mit der Vergabe von Funkfrequenzen werde im Rahmen von § 35a SGB V nicht das Modell einer Rechtsschutzkonzentration verfolgt.
Aber auch wenn die angefochtene Aufrufentscheidung § 35a Abs. 8 SGB V unterfalle, sei sie im vorliegenden Fall gleichwohl gerichtlich überprüfbar. Denn ein hinreichend gewichtiger Sachgrund für die Freistellung der Rechtsanwendung von gerichtlicher Kontrolle € wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert € lasse sich den Gesetzgebungsmaterialien nicht entnehmen. Anders als bei der frühen Nutzenbewertung noch nicht in Verkehr gebrachter Arzneimittel hätten Bestandsmarktaufrufe schon für sich genommen prekäre Folgen für den pharmazeutischen Unternehmer. Im vorliegenden Fall sei eine besonders schwere Rechtsverletzung zu befürchten, weil die Veranlassung des Nutzenbewertungsverfahrens offensichtlich rechtswidrig sei. Die angegriffenen Maßnahmen verstießen gegen das Willkürverbot und verletzten daher den allgemeinen Gleichheitssatz und das Rechts auf faire Teilhabe am Wettbewerb (Art. 3 Abs. 1 GG), weil einerseits neben den Gliptinen weitere Wirkstoffe von einem Aufruf nach § 35a Abs. 6 Satz 1, 2. Alt. SGB V hätten erfasst sein können und andererseits das vom Beklagte angenommene Wettbewerbsverhältnis zum Wirkstoff Linagliptin € für den eine frühe Nutzenbewertung veranlasst worden sei € nach dessen Herausnahme aus dem deutschen Arzneimittelverkehr nicht mehr bestehe. Andere Gründe für einen Bestandsmarktaufruf, auf die sich der Beklagte hätte stützen können, dürften vom Gericht wegen des ihm € dem Beklagten € zustehenden Ermessensspielraums nicht geprüft werden.
Die Klage sei auch begründet, da die Voraussetzungen von § 35a Abs. 6 Satz 2 SGB V nicht vorlägen. Weder stünden die beschlussgegenständlichen Wirkstoffe mit dem Wirkstoff Linagliptin im Wettbewerb, noch rechtfertige die Versorgungsrelevanz dieser Wirkstoffe einen Bestandsmarktaufruf, auch wenn € wie die Klägerseite in der mündlichen Verhandlung ergänzend vorbringt € bei der Behandlung des Diabetes mellitus den Gliptine nach Berichten aus der Ärzteschaft sehr hohe Bedeutung zukomme. Da dem Beklagten bei der Auslegung dieser Tatbestandsmerkmale kein Beurteilungsspielraum zukomme, seien diese gerichtlich voll überprüfbar. Selbst wenn man dem Beklagten eine Einschätzungsprärogative zubilligen wollte, hätte er die Minimalvorgaben € vollständige und zutreffende Ermittlung des Sachverhalts, richtiges Verständnis der auszulegenden Gesetzesbegriffe, Einhaltung der allgemeingültigen Wertungsmaßstäbe € unbeachtet gelassen. Für den gesetzlich nicht definierten Begriff der Versorgungsrelevanz habe der Beklagte erst in seinem Beschluss vom 18. April 2013 die Entscheidungsgrundlagen bestimmt, sodass im Juni 2012 eine sachgerechte Auswahlentscheidung noch nicht möglich gewesen sei. Die Entscheidung des Beklagten, gerade Gliptine einer Bestandsmarkt-Nutzenbewertung zu unterziehen, sei nicht rational nicht begründbar, weil nicht erkennbar sei, warum nicht andere, jeweils relevantere Wirkstoffklassen einer solchen Bewertung zugeführt worden seien. Jedenfalls leide der Beschluss vom 7. Juni 2012 insoweit unter einem Begründungsmangel, der nicht durch das Nachschieben von Gründen seitens eines Einzelvertretungsberechtigten des Beklagten, etwa eines Prozessvertreters, geheilt werden könne. Alternative Steuerungselemente, wie die Bildung einer Festbetragsgruppe für Gliptine, habe der Beklagte ebenso wenig erwogen wie die Frage, inwieweit sich die Ungleichbehandlung von Wirkstoff(klass)en nachteilig auf die gewerbliche Betätigungsfreiheit des betroffenen pharmazeutischen Unternehmers auswirke. Auch die vom 1. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 6. Dezember 2011, Az.: L 1 KR 184/11 ER € €Escitalopram€) geforderte Prüfung, ob den ohne Nutzenbewertung zu erwartenden höheren Arzneimittelkosten Einsparungen bei der ambulanten oder stationären ärztlichen Behandlung gegenüberstehen, habe er unterlassen.
Der erste Hilfsantrag werde für den Fall gestellt, dass aus Sicht des Senats noch keine das Widerspruchsverfahren abschließende Sachentscheidung des Beklagten vorliege.
Der weitere hilfsweise gestellte vorbeugende Feststellungsantrag ziele auf Unterlassung der Nutzenbewertung und des Nutzenbewertungsbeschlusses. Ein entsprechendes Feststellungsinteresse stehe ihr € der Klägerin € zu, da spätestens ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung des Nutzenbewertungsbeschlusses ihre Absatzchancen dramatisch beeinflusst würden.
Bei allem dürften auch die immensen Kosten nicht unberücksichtigt bleiben: während der Gesetzgeber offensichtlich davon ausgegangen sei, für ein Dossier entstünden insgesamt Kosten i.H.v. ca. 5.000.- €, habe sie € die Klägerin € allein für die Übersetzung der weltweit veröffentlichten Studien 550.000.- € aufwenden müssen. Im Übrigen müsse ein pharmazeutischer Unternehmer schon Monate vor der möglichen Einleitung einer Bestandsmarkt-Nutzenbewertung durch den Beklagte mit der Dossiererstellung beginnen, weil die Frist von 3 Monaten viel zu kurz bemessen sei. Im konkreten Fall sei € umgerechnet € die Arbeitskraft von 6 Mitarbeitern für ein ganzes Jahr gebunden worden.
Der Bescheid vom 11. Oktober 2012 sei darüber hinaus auch deshalb rechtswidrig, weil der dort bestimmte Zeitpunkt für die Dossiereinreichung gegen die Regelungen der AM-NutzenVO verstoße. Nach der insoweit einschlägigen Vorschrift des § 4 Abs. 3 Nr. 2 AM-NutzenVO sei Voraussetzung, dass die Bestandsmarkt-Nutzenbewertung bereits durchgeführt worden sei. Der Hinweis des Beklagten auf § 3 Nr. 4 AM-NutzenVO gehe fehl, weil diese Regelunge nicht den Zeitpunkt der Dossiereinreichung betreffe.
Die Klägerin beantragt,
1. den Bescheid des Beklagten vom 11. Oktober 2012 in Gestalt der Widerspruchsentscheidungen vom 11. und 12. Dezember 2012 aufzuheben,
2. hilfsweise,
den Beklagten zu verurteilen, ihren am 12. November 2012 verfassten Widerspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden,
3. weiter hilfsweise,
festzustellen, dass der Beklagte nicht berechtigt ist, die durch den Bescheid vom 11. Oktober 2012 eingeleitete Nutzenbewertung für das neue Indikationsgebiet des Arzneimittels Galvus durchzuführen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält seine angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten L 7 KA 106/12 KL ER und L 7 KA 112/12 KL Bezug genommen.
Gründe
Die Klage hat weder mit dem Haupt- noch mit den Hilfsanträgen Erfolg.
I. Der Hauptantrag ist unzulässig, weil das angefochtene Schreiben des Beklagten vom 11. Oktober 2012 keinen Verwaltungsakt darstellt bzw. Rechtsschutz hiergegen gesetzlich ausgeschlossen ist.
1) Gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. SGG kann durch (Anfechtungs-)Klage die Aufhebung eines Verwaltungsakts begehrt werden. Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft (§ 31 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch € SGB X €).
2) Das Schreiben des Beklagten vom 11. Oktober 2012 ist kein Verwaltungsakt.
a) Dagegen spricht zunächst, dass der Beklagte mit diesem Schreiben und der darin enthaltenen Aufforderung an die Klägerin, ein Dossier einzureichen, ein von ihm durchzuführendes Verfahren eingeleitet hat, welches auf seiner Ebene mit dem Erlass einer Norm endet, wie sich aus § 35a und § 130b SGB V, jeweils in der seit dem 26. Oktober 2012 geltenden Fassung, ergibt.
aa) Nach § 35a SGB V (in der Fassung des zum 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung <Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz € AMNOG> vom 22. Dezember 2010) bewertet der GBA den Nutzen von erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen. Hierzu gehört insbesondere die Bewertung des Zusatznutzens gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie, des Ausmaßes des Zusatznutzens und seiner therapeutischen Bedeutung (Abs. 1 Sätze 1 und 2). Auch für bereits zugelassene und im Verkehr befindliche Arzneimittel kann der GBA eine Nutzenbewertung veranlassen. Vorrangig sind Arzneimittel zu bewerten, die für die Versorgung von Bedeutung sind oder mit Arzneimitteln im Wettbewerb stehen, für die ein Beschluss nach Absatz 3 vorliegt (Abs. 6 Sätze 1 und 2). Bei Zulassung eines neuen Anwendungsgebiets für ein Arzneimittel, für das der GBA eine Nutzenbewertung nach Satz 1 in Auftrag gegeben hat, reicht der pharmazeutische Unternehmer ein Dossier nach Absatz 1 spätestens zum Zeitpunkt der Zulassung ein (Abs. 6 Satz 4). Die Nutzenbewertung erfolgt auf Grund von Nachweisen des pharmazeutischen Unternehmers, die er einschließlich aller von ihm durchgeführten oder in Auftrag gegebenen klinischen Prüfungen spätestens zum Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens als auch der Zulassung neuer Anwendungsgebiete des Arzneimittels an den GBA elektronisch zu übermitteln hat, und die zahlreiche, gesetzlich näher bestimmte Angaben enthalten müssen (Abs. 1 Satz 3). Legt der pharmazeutische Unternehmer die erforderlichen Nachweise trotz Aufforderung durch den GBA nicht rechtzeitig oder nicht vollständig vor, gilt ein Zusatznutzen als nicht belegt (Abs. 1 Satz 5). Die (eingereichten) Nachweise prüft der GBA und entscheidet, ob er die Nutzenbewertung selbst durchführt oder hiermit das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen oder Dritte beauftragt. Die Nutzenbewertung ist spätestens innerhalb von drei Monaten nach dem nach Absatz 1 Satz 3 maßgeblichen Zeitpunkt für die Einreichung der Nachweise abzuschließen und im Internet zu veröffentlichen (Abs. 2 Sätze 1 und 3). Innerhalb von drei Monaten nach ihrer Veröffentlichung beschließt der GBA über die Nutzenbewertung. Mit dem Beschluss, der im Internet zu veröffentlichen ist und Teil der Richtlinie nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 SGB V (Arzneimittel-Richtlinie € AM-RL) ist, wird insbesondere der Zusatznutzen des Arzneimittels festgestellt (Abs. 3 Sätze 1, 3, 5 und 6). Wurde für ein Arzneimittel, das mit einem Festbetragsarzneimittel pharmakologisch-therapeutisch vergleichbar ist, keine therapeutische Verbesserung festgestellt, ist es in diesem Beschluss des GBA in die Festbetragsgruppe nach § 35 Absatz 1 SGB V mit pharmakologisch-therapeutisch vergleichbaren Arzneimitteln einzuordnen (Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 4).
Für Arzneimittel, die in dem Beschluss keiner Festbetragsgruppe zugeordnet werden, vereinbaren der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit pharmazeutischen Unternehmern im Benehmen mit dem Verband der privaten Krankenversicherung auf der Grundlage des Beschlusses Erstattungsbeträge mit Wirkung für alle Krankenkassen (§ 130b Abs. 1 Satz 1 SGB V). Für ein Arzneimittel, das nach dem Beschluss des GBA über die Nutzenbewertung keinen Zusatznutzen hat und keiner Festbetragsgruppe zugeordnet werden kann, ist ein Erstattungsbetrag nach Absatz 1 zu vereinbaren, der nicht zu höheren Jahrestherapiekosten führt als die nach § 35a Absatz 1 Satz 7 SGB V bestimmte zweckmäßige Vergleichstherapie (§ 130b Abs. 3 SGB V). Kommt eine Vereinbarung nach § 130b Absätze 1 oder 3 SGB V nicht innerhalb von sechs Monaten nach Veröffentlichung des Beschlusses über die Nutzenbewertung zustande, setzt die hierfür zu bildende Schiedsstelle den Vertragsinhalt innerhalb von drei Monaten fest (§ 130b Abs. 4 Satz 1 SGB V).
bb) Somit ist das Verfahren, soweit es in den Händen des Beklagten liegt, gemäß § 35a Abs. 3 SGB V mit dem Beschluss über die Nutzenbewertung beendet. Da dieser Beschluss Teil der AM-RL wird und diese € wie § 91 Abs. 6 SGB V belegt € eine untergesetzliche Norm darstellt (ständige Rechtsprechung des BSG seit BSGE 78, 70 € Methadon-Richtlinie € und BSGE 81, 73 € immuno-augmentative Therapie), ist der Schlusspunkt des Nutzenbewertungsverfahrens nach § 35a SGB V eine Normsetzung.Dann aber stellt sich das Schreiben des Beklagten vom 11. Oktober 2012 als Einleitung des Normsetzungsverfahrens, nicht jedoch als Verwaltungsakt dar. Auch sonstige Entscheidungen eines untergesetzlichen Normgebers, von einer parlamentsgesetzlichen Ermächtigung Gebrauch zu machen und ein Normsetzungsverfahren in Gang zu setzen, wurden bislang € soweit ersichtlich € nicht als Verwaltungsakte qualifiziert. Dies gilt beispielsweise für den Planaufstellungsbeschluss nach § 2 Baugesetzbuch (BauGB): durch ihn wird das Verfahren zur verbindlichen Bauleitplanung eingeleitet, welches mit dem Erlass des als Satzung zu beschließenden Bebauungsplans endet (§ 10 BauGB).
Diese Rechtsauffassung verwischt nicht die Grenzen zwischen konkret-individuellen und abstrakt-generellen Regelungen, d.h. zwischen Verwaltungsakt und Rechtsnorm (Engelmann, in: von Wulffen, SGB X, 7.A., § 31 Rd. 33). Denn eine Rechtsvorschrift verliert ihren rechtlichen Charakter nicht dadurch, dass (zunächst oder scheinbar) nur ein Normunterworfener betroffen ist. So ist auch im Bauplanungsrecht denkbar, dass von einem Bebauungsplan nur ein einziger Gründstückseigentümer betroffen ist (etwa wenn ein großes Industriegelände für Zwecke der Wohnbebauung erstmalig beplant oder anderen als den bisherigen Planungsvorgaben unterworfen werden soll; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 20. Oktober 1989, Az.: 4 B 155/89, veröffentlicht in Juris). Ebenso wenig wird ein Beschluss des Beklagten, ein Normsetzungsverfahren bezüglich eines bestimmten Wirkstoffs einzuleiten, deshalb zur Regelung eines Einzelfalls (und somit ggf. zu einem Verwaltungsakt), weil derzeit möglicherweise nur ein pharmazeutischer Unternehmer Arzneimittel mit diesem Wirkstoff herstellt und/oder vertreibt.
b) Hinzu kommt, dass sämtliche Entscheidungen im Rahmen von § 35a SGB V der Vorbereitung von Preisvereinbarungen nach § 130b SGB V oder Festbetragsentscheidungen nach § 35 SGB V (AMNOG-Entwurf, BT-Drs. 17/2413, S. 19) dienen. Reinen Vorbereitungshandlungen kommt typischerweise keine Verwaltungsaktsqualität zu (BSG SozR 3-4100 § 105a Nr. 4; Urteile vom 27. August 2011, Az.: B 4 AS 1/10 R, vom 13. April 2011, Az.: B 14 AS 101/10 R, und vom 20. Oktober 2005, Az.: B 7a AL 18/05 R, alle veröffentlicht in Juris; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7.A., § 35 Rd. 148 m.w.N.).
Dies gilt umso mehr, als die Anordnung des Beklagten keine selbständige, ggf. mit den Mittel des Verwaltungszwangs durchsetzbare (Rechts-)Pflicht begründet (wie z.B. eine auf § 3 Abs. 1 Satz 2 WehrpflG gestützte und nach § 44 Abs. 2 WehrpflG zwangsweise durchsetzbare Aufforderung der Wehrverwaltung), sondern lediglich eine Obliegenheit. Deren Missachtung führt € ebenso wie bei der nicht befolgten straßenverkehrsrechtlichen Anordnung, sich medizinisch-psychologisch untersuchen zu lassen (hierzu BVerwGE 34, 248) € lediglich dazu, dass sie das Ergebnis einer später zu treffenden Entscheidung maßgeblich beeinflussen kann oder kraft gesetzlicher Anordnung (hier: Fiktion des fehlenden Zusatznutzens gemäß § 35a Abs. 1 Satz 5 SGB V) präjudiziert. Mitwirkungsaufforderungen erfordern, um als Verwaltungsakt qualifiziert werden zu können, regelmäßig vielmehr eine bestandskraftfähige, der Vollstreckung durch unmittelbaren Zwang zugängliche Regelung (vgl. U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 7.A., § 35 Rd. 148 m.w.N.).
Auch im übrigen Sozialrecht sind Aufforderungen zur Mitwirkung nur ausnahmsweise wegen der mit ihr verbundenen faktischen Wirkungen als Verwaltungsakt eingestuft worden. So wurden nur die Aufforderung der Bundesanstalt für Arbeit an einen Arbeitslosenhilfe-Empfänger, einen Rentenantrag zu stellen (BSGE 87, 31) oder die Aufforderung einer Krankenkasse an einen Krankengeldbezieher, einen Rehabilitationsantrag zu stellen (BSGE 101, 86), als Verwaltungsakt gewertet, auf §§ 60ff. Sozialgesetzbuch/Erstes Buch (SGB I) gestützte reine Mitwirkungsverlangen hingegen nicht (BSG SozR 4100 § 132 Nr. 1). Die Aufforderung an einen Arbeitslosen zu Eigenbemühungen oder zur Vorlage bestimmter Nachweise wurden ebenso wie die Arbeits- und Weiterbildungsangebote eines Sozialleistungsträgers als bloße Vorbereitungshandlungen angesehen (BSGE 95, 176 m.w.N.).
Zu beachten ist ferner, dass die gesamte zitierte Rechtsprechung ausschließlich Mitwirkungshandlungen im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens betrifft und nicht auf die Aufforderung zur Dossiervorlage im Rahmen der Nutzenbewertung nach § 35a SGB V übertragbar ist, da diese Bestandteil eines Rechtssetzungsverfahrens ist. Um die Handlungsfähigkeit des Rechtssetzungsorgans zu gewährleisten, darf die Möglichkeit, einzelne Akte eines Rechtssetzungsverfahrens schon vor seinem Abschluss gerichtlich überprüfen zu lassen, im Vergleich zu Verwaltungsverfahren nur unter noch engeren Voraussetzungen eingeräumt werden. Der Senat steht daher auf dem Standpunkt, dass untergesetzliche Normgebungsverfahren vor ihrem Abschluss im Regelfall einer gerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich sind. Mitwirkungshandlungen nehmen daher an der abstrakt-generellen Natur des Rechtssetzungsverfahrens teil, was ihre Qualifizierung als Regelung eines Einzelfalls ausschließt.
c) Soweit die Klägerin in der Aufforderung zur Dossiereinreichung die erste Stufe eines zweistufigen Verfahrens sieht, welches auf jeder Stufe Rechtsschutz eröffne, überzeugt dies nicht. Unberücksichtigt bleibt klägerseitig hierbei der grundlegende Unterschied zwischen einem zweistufigen Verwaltungsverfahren (etwa im Denkmal- oder im Telekommunikationsrecht) und den Regelungen des § 35a SGB V, die zumindest auf der zweiten Stufe gerade kein Verwaltungs-, sondern ein Rechtssetzungsverfahrens beinhalten. Die zu zweistufigen Verwaltungsverfahren ergangene Rechtsprechung ist somit schon im Grundsatz nicht auf § 35a SGB V bzw. den Bestandsmarktaufruf nach dessen Abs. 6 übertragbar.
Selbst wenn man eine Vergleichbarkeit insoweit annähme, ist der Konzeption von § 35a SGB V keine Zweistufigkeit zu entnehmen. So hat das BVerwG in seinem von der Klägerin zitierten Urteil vom 1. September 2009 (Az.: 6 C 4.09, veröffentlicht in Juris) für das Recht der Vergabe und Zuteilung von Funkfrequenzen nach dem Telekommunikationsgesetz (TKG) entschieden, dass bestimmte Anordnungen der Bundesnetzagentur (über die Durchführung eines Vergabeverfahrens, über die Auswahl des Versteigerungsverfahrens und über die Festlegung von Vergabebedingungen) keine unanfechtbaren Verfahrenshandlungen i.S.v. § 44a VwGO sind, sondern eine eigene Verfahrensstufe bilden, für die schon vor Abschluss des Vergabeverfahrens Rechtsschutz zu gewähren sei. Zu diesem Ergebnis gelangte es, weil besondere Bestimmungen des TKG die Rechtsform des Verwaltungsakts für diese €Zwischen€-Entscheidungen ausdrücklich anordnen und die Durchführung des Vergabeverfahrens sowie die Modalitäten des Rechtsschutzes regeln. Insbesondere aber hat es den o.g. Entscheidungen materiell-rechtliche Wirkungen entnommen, die über die Förderung des Vergabeverfahrens hinausgehen, und hieraus geschlussfolgert, dass dem TKG nicht ein € § 44a VwGO entsprechendes € Modell der Rechtsschutzkonzentration zugrunde liege, sondern ein Modell des phasenweise gestuften Rechtsschutzes (BVerwG a.a.O.).
Solche Besonderheiten sind im Regelungssystem des § 35a SGB V in keiner Weise zu erkennen. Nicht nur fehlt es an der ausdrücklichen Qualifizierung der streitgegenständlichen Aufforderung als Verwaltungsakt. Es mangelt auch an jeglichem Hinweis, dass diese Aufforderung materiell-rechtliche Wirkungen jenseits der verfahrensbeendenden Entscheidung des Beklagten € den Beschluss über die Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 3 SGB V € zeitigen soll.
Darüber hinaus hat der Gesetzgeber bei der Konzeption der Nutzenbewertung nach § 35a SGB V € weitgehend ähnlich wie in § 35 Abs. 7 Satz 4, § 35b Abs. 4 Satz 1, § 35c Abs. 1 Satz 8, § 92 Abs. 2a Satz 5 und Abs. 3 Satz 4 SGB V € das Modell der Rechtsschutzkonzentration verfolgt, wie insbesondere § 35a Abs. 8 SGB V belegt. Nach dieser Vorschrift ist eine gesonderte Klage gegen die Nutzenbewertung nach Absatz 2, den Beschluss nach Absatz 3 und die Einbeziehung eines Arzneimittels in eine Festbetragsgruppe nach Absatz 4 unzulässig. § 35 Absatz 7 Satz 1 bis 3 SGB V gilt entsprechend. Zur Begründung dieses gesetzlichen Rechtsbehelfsausschlusses hat der Gesetzgeber darauf hingewiesen, dass €erst durch diese abschließende Entscheidung [€] der vom pharmazeutischen Unternehmer zunächst einseitig festgelegte Peis für das Arzneimittel in der gesetzlichen Krankenversicherung ersetzt€ werde und im Übrigen €eine Entscheidungsverzögerung zu Lasten der Arzneimittelausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung€ verhindert werden solle (BT-Drs. 17/2413 a.a.O.). Dass die in § 35a Abs. 8 SGB V enthaltene Rechtsschutzkonzentration schon immer gerade auch Klagen gegen die Aufforderung zur Dossiereinreichung umfasste, belegt der von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP in den Bundestag eingebrachte €Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften€ vom 16. April 2013 (BT-Drs. 17/13083). Nach dessen Art. 3 Ziff. 3 soll § 35a Abs. 6 Satz 3 SGB V zur Klarstellung folgenden Wortlaut erhalten:
€Die Absätze 1 bis 5a sowie 7 und 8 gelten entsprechend, wobei Absatz 8 mit der Maßgabe gilt, dass auch gegen die Veranlassung nach Satz 1 eine gesonderte Klage unzulässig ist.€
Dies sei €aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung und Verfahrenskonzentration geboten, denn die Entscheidung über die Einleitung eines Verfahrens zur Nutzenbewertung und die dabei getroffene Auswahl des aufzurufenden Arzneimittels des Bestandsmarktes sind unselbständige Vorentscheidungen für die nachfolgende Nutzenbewertung und dienen lediglich der Vorbereitung der daran anschließenden Festbetrags- oder Erstattungsbetragsentscheidung€ (a.a.O., S. 8). Darüber hinaus soll durch Art. 3 Ziff. 4 des o.g. Gesetzentwurfs § 35a Abs. 8 SGB V folgenden Wortlaut erhalten:
€Eine gesonderte Klage gegen die Aufforderung zur Übermittlung der Nachweise nach Absatz 1, die Nutzenbewertung nach Absatz 2, den Beschluss nach Absatz 3 und die Einbeziehung eines Arzneimittels in eine Festbetragsgruppe nach Absatz 4 ist unzulässig. § 35 Absatz 7 Satz 1 bis 3 gilt entsprechend.€
Damit ist klargestellt, dass Rechtsschutz unmittelbar gegen die Aufforderung zur Dossiereinreichung gesetzlich ausgeschlossen ist.
3) Selbst wenn man mit der Klägerin im Schreiben des Beklagten vom 11. Oktober 2012 einen Verwaltungsakt sähe, wäre eine hiergegen bzw. gegen die €Widerspruchsentscheidungen€ des Beklagten vom 11. und 12. Dezember 2012 gerichtete Klage unzulässig.
a) Insoweit ließe sich indes nicht einwenden, das nach § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG obligatorische Vor-/Widerspruchsverfahren sei mangels Widerspruchsbescheid noch nicht abgeschlossen. Denn ein Vorverfahren ist auch dann abgeschlossen, wenn die Behörde € wie hier € dem Widerspruchsführer mitteilt, ein Widerspruch sei nicht statthaft (BSG, Urteil vom 24. September 1996, Az.: 1 RK 26/95). Unabhängig hiervon sieht sich der Senat veranlasst, darauf hinzuweisen, dass der Beklagte über einen Widerspruch stets € von dem (hier nicht gegebenen) Fall des Rechtsmissbrauchs abgesehen € mittels Widerspruchsbescheid zu befinden hat, und zwar auch dann, wenn er den Widerspruch aus welchem Grund auch immer für unzulässig hält (BSG, Urteil vom 11. November 2003, Az.: B 2 U 36/02 R, zu einer sich für unzuständig haltenden Behörde; allgemein: LSG Hamburg, Urteil vom 18. Februar 2004, Az.: L 1 KR 71/03, m.w.N.; jeweils veröffentlicht in Juris). Es ist aus Sicht des Senats auch nicht nachvollziehbar, dass der Beklagte sich zwar einerseits der Mühe unterzieht, zu begründen, warum ein Widerspruch im konkreten Fall nicht statthaft sei (so in den o.g. Schreiben vom 11. und 12. Dezember 2012), andererseits aber offensichtlich nicht gewillt ist, solche Schreiben mit der Überschrift €Widerspruchsbescheid€ sowie einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen.
b) Offen lassen kann der Senat die Frage, ob sich in § 44a VwGO ein Rechtsgedanke verkörpert, der nicht nur ungeschrieben auch in anderen Prozessordnungen anzuwenden ist (s. hierzu: Senat, Beschluss vom 28. Februar 2013, Az.: L 7 KA 106/12 KL ER, veröffentlicht in Juris), sondern auch für die Verfahren untergesetzlicher Normgebung Bedeutung erfährt.
c) Denn jedenfalls ist eine isolierte Klage gegen die Aufforderung des Beklagten, ein Dossier binnen einer bestimmten Frist einzureichen, wegen des mit § 35a Abs. 8 SGB V verfolgten Konzepts der Rechtsschutzkonzentration (s.o.) ausgeschlossen.
4) Dieses Ergebnis verletzt nicht die grundrechtliche Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG.
a) Allerdings gewährt das Gesetz nach der Konzeption des in mehrere Phasen gegliederte Nutzenbewertungsverfahrens Rechtsschutz erst auf der letzten Stufe: Hat der Beklagte einen Zusatznutzen festgestellt und kommt keine Vereinbarung nach § 130b Abs. 1 SGB V zustande, ist eine Klage gemäß § 35a Abs. 8 und § 130b Abs. 4 SGB V erst gegen die Entscheidung der Schiedsstelle möglich, mithin spätestens 15 Monate nach der Dossiereinreichung. Gleiches gilt (vgl. § 130b Abs. 3 SGB V), falls kein Zusatznutzen festgestellt wurde und das Arzneimittel keiner Festbetragsgruppe zugeordnet werden kann. Wurde kein Zusatznutzen festgestellt, das Arzneimittel aber einer (schon bestehenden) Festbetragsgruppe zugeordnet, ist zwar gegen Letzteres eine Klage gemäß § 35 Abs. 7 Satz 4 SGB V ausgeschlossen. Dem pharmazeutischen Unternehmer steht hingegen die Möglichkeit offen, gegen die im Wege einer Allgemeinverfügung (§ 31 Satz 2 SGB X) erlassene Festbetragsfestsetzung Anfechtungsklage zu erheben oder € falls diese bereits bestandskräftig (§ 77 SGG) ist € eine Entscheidung nach § 44 SGB X durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen zu beantragen, ggf. hiergegen ohne Durchführung eines Vorverfahrens (§ 35 Abs. 7 Satz 3 SGB V) zu klagen und dann inzident die Festbetragsgruppenbildung und das Nutzenbewertungsverfahren gerichtlich überprüfen zu lassen. Hierdurch wird einem betroffenen pharmazeutischen Unternehmer gerichtlicher Rechtsschutz zwar zeitlich verlagert gewährt, aber nicht in verfassungswidriger Weise erschwert (vgl. allgemein: Schoch, in: Schoch/ Schneider/Bier, VwGO, 24.A., § 44a Rd. 3).
b) Dahin gestellt bleiben kann, ob angesichts der eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten ausnahmsweise und in Abweichung von § 35a Abs. 8 Satz 1 SGB V der Beschluss des GBA über die Nutzenbewertung (§ 35a Abs. 3 Satz 1 SGB V) dann einer gerichtlichen Kontrolle unterzogen werden könnte, wenn er sich als willkürlicher und deshalb unverhältnismäßiger Eingriff in die durch Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit erwiese. Denn willkürliches Verhalten des Beklagten ist im vorliegenden Fall nicht feststellbar.
5) Angesichts dessen kommt es im vorliegenden Fall nicht mehr darauf an, ob der Einleitung einer Nutzenbewertung nach § 35a Abs. 6 Satz 4 SGB V die mögliche Rechtswidrigkeit der auf der Grundlage von § 35a Abs. 6 Satz 1 SGB V veranlassten Bestandsmarkt-Nutzenbewertung entgegensteht. Auch die klägerseitig gerügte Fristbestimmung im Schreiben des Beklagten vom 11. Oktober 2012 ist wegen der Unzulässigkeit der Klage im hiesigen Rechtsstreit keiner gerichtlichen Prüfung zu unterziehen. Der Senat erlaubt sich insoweit allerdings den Hinweis, dass das Gesetz keine Ermächtigung an den Verordnungsgeber beinhaltet, von (parlaments-)gesetzlichen Vorgaben abzuweichen, und bei einem Widerspruch zwischen einem (Parla-ments-)Gesetz und einer auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsverordnung der verfassungsrechtliche Grundsatz der Vorrang des Gesetzes zum Tragen kommt. Indes hat der Gesetzgeber wegen der offenkundig widersprüchlichen Regelungen zur Einreichungsfrist zwischenzeitlich auch insoweit eine Klarstellung in die Wege geleitet (BT-Drs. 17/13083).
II) Der erste Hilfsantrag bleibt erfolglos, weil dem Hauptantrag nicht der Einwand des nicht abgeschlossenen Vorverfahrens entgegensteht.
III) Auch der zweite Hilfsantrag bleibt ohne Erfolg. Eine vorbeugende Feststellungsklage ist unzulässig. Diese besondere Klageart setzt u.a. voraus, dass aufgrund einer behördlichen Ankündigung eine den Kläger belastende Maßnahmen unmittelbar bevorsteht, und erfordert ein gerade auf Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Feststellungsinteresse (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 10.A., § 55 Rd. 8c m.w.N.). An letzterem fehlt es u.a. dann, wenn es dem Betroffenen zuzumuten ist, zunächst das behördliche Handeln abzuwarten (BSG, Urteil vom 7. November 1991, Az.: 12 RK 49/89, veröffentlicht in Juris). Im hiesigen Fall ist es der Klägerin zuzumuten, zunächst den Nutzenbewertungsbeschluss des Beklagten abzuwarten, da vor dessen Erlass noch nicht verbindlich feststeht, ob das Ergebnis der Nutzenbewertung überhaupt die Klägerin belastet. Aus welchen Gründen die Klägerseite wie selbstverständlich und ohne jede Begründung davon auszugehen scheint, das Ergebnis der Nutzenbewertung können nur die Feststellung eines fehlenden Nutzens sein, erschließt sich dem Senat nicht. Aus demselben Grund wäre, ginge man von einer entsprechenden Subsidiarität der vorbeugenden Feststellungsklage aus (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O.), auch eine vorbeugende Unterlassungsklage € eine hierauf bezogener Antrag dürfte wegen § 123 SGG vorliegen € unzulässig.
Angesichts dessen kann offen bleiben, unter welchen Voraussetzungen vorbeugende Feststellungs- oder Unterlassungsklagen zur Verhinderung untergesetzlicher Normen überhaupt in Betracht kommen (zur grundsätzlichen Zulässigkeit: BVerwGE 40, 323; vgl. auch Pietzcker, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 24.A., § 42 Rd. 169).
IV) Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
LSG der Länder Berlin und Brandenburg:
Urteil v. 15.05.2013
Az: L 7 KA 112/12 KL
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/c74177932ed5/LSG-der-Laender-Berlin-und-Brandenburg_Urteil_vom_15-Mai-2013_Az_L-7-KA-112-12-KL