Niedersächsisches Finanzgericht:
Beschluss vom 18. Januar 2010
Aktenzeichen: 7 KO 5/08

(Niedersächsisches FG: Beschluss v. 18.01.2010, Az.: 7 KO 5/08)

Gründe

1) Der Urkundsbeamte hat in dem Beschluss über die Festsetzung der zu erstattenden Kosten die Verfahrensgebühr nach § 13 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und Nr. 3100 des Vergütungsverzeichnisses (VV, Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG) mit einem Satz von 1,3 angesetzt. Hierzu hat er auf den Beschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 27. April 2005 (6 KO 3/05, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2005, 1803) verwiesen.

2Dieser Ansatz der Verfahrensgebühr ist zu korrigieren. Die Verfahrensgebühr ist auch im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung vor dem Finanzgericht nach Nr. 3200 VV (Abschnitt 2 des dritten Teils der VV) mit dem Satz von 1,6 anzusetzen und nicht nach Nr. 3100 VV (Abschnitt 1 des dritten Teils der VV) mit dem Satz von 1,3.

Nach der Vorbemerkung 3.1 Abs. 1 zu Abschnitt 1 des dritten Teils des VV entstehen die Gebühren dieses Abschnitts "in allen Verfahren, für die in den folgenden Abschnitten dieses Teils keine Gebühren bestimmt sind." Nach Nr. 3100 VV (zu Abschnitt 1) ist die Verfahrensgebühr, soweit in Nr. 3102 nichts anderes bestimmt ist (betrifft Verfahren vor den Sozialgerichten), mit 1,3 anzusetzen.

Der folgende Abschnitt 2 des dritten Teils des VV bestimmt die Gebühren für "Berufung, Revision, bestimmte Beschwerden und Verfahren vor dem Finanzgericht" und bestimmt damit Gebühren für das finanzgerichtliche Verfahren abweichend von Abschnitt 1. Die Bestimmungen des 1. Abschnitts gelten deshalb nicht (unmittelbar) für Verfahren vor dem Finanzgericht. Nach Nr. 3200 VV (zu Abschnitt 2, Unterabschnitt 1) ist die Verfahrensgebühr, soweit in Nr. 3204 nichts anderes bestimmt ist (betrifft Verfahren vor den Landessozialgerichten), mit 1,6 anzusetzen.

Das Niedersächsische Finanzgericht hat sich in seiner Entscheidung vom 27. April 2005 (Aktenzeichen 6 KO 3/05 a.a.O.) auf die Regelung in der Vorbemerkung 3.2, Absatz 2 des zweiten Abschnitts des dritten Teils des VV bezogen; nach dieser Vorbemerkung seien in Verfahren über vorläufigen Rechtsschutz, in denen das Berufungsgericht das Gericht der Hauptsache ist, die Gebühren nach den Gebühren des Abschnitts 3.1 zu berechnen. Vorbemerkung 3.2.1 Abs. 1 Nr. 2 VV RVG vollziehe lediglich den Schritt der gebührenrechtlichen Gleichstellung der Finanzgerichte mit den übrigen Obergerichten. Nach dem Sinn und Zweck dieser Regelung sei jedoch nicht beabsichtigt, auch das Verfahren über vorläufigen Rechtsschutz im Verfahren vor dem Finanzgericht höher zu vergüten, als bei anderen Gerichten höherer Instanz. Entsprechend berechne sich daher die Gebühr für das Aussetzungsverfahren vor dem Finanzgericht gemäß Vorbemerkung 3.2 Abs. 2 VV nach den Gebühren des Abschnitts 3.1 VV.

Dieser Auffassung folgt das erkennende Gericht nicht. Für die entsprechende Anwendung des Abschnitts 3.1 des VV auf die Verfahrensgebühr im Aussetzungsverfahren fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Es liegt auch keine Regelungslücke vor, die eine entsprechende Anwendung des Abschnitts 3.1 des VV gebieten würde.

Der Vorbemerkung 3.2 Abs. 2 des Abschnitts 2 des dritten Teils des VV geht deren Abs. 1 voraus. Dieser bestimmt, dass Abschnitt 2 des dritten Teils des VV "auch in Verfahren vor dem Rechtsmittelgericht über die Zulassung des Rechtsmittels anzuwenden" ist. Der nachfolgende Abs. 2 lautet: "Wenn im Verfahren über einen Antrag auf Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung das Berufungsgericht als Gericht der Hauptsache anzusehen ist (§ 943 ZPO), bestimmen sich die Gebühren nach Abschnitt 1. Dies gilt entsprechend im Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, auf Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung oder Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts und in Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Satz 1 gilt ferner entsprechend in Verfahren über einen Antrag nach § 115 Abs. 2 Satz 2 und 3, § 118 Abs. 1 Satz 3 oder nach § 121 GWB."

Bereits aus Abs. 1 der Vorbemerkung 3.2 des Abschnitts 2 des dritten Teils des VV ergibt sich, dass der in Abs. 2 enthaltene Verweis auf die Anwendbarkeit des Abschnitts 1 nicht für Verfahren vor dem Finanzgericht gilt, denn das Finanzgericht ist kein Rechtsmittelgericht. Abs. 2 Satz 1 dieser Vorbemerkung betrifft nicht Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung, sondern andere (einstweilige) Verfahren. Abs. 2 Satz 2 der Vorbemerkung gilt u.a. für Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung und zwar ausdrücklich für Verfahren "vor den Gerichten der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit" und für die weiteren dort aufgeführten Verfahren. Angesichts dieser detaillierten, eindeutigen Regelung und der Bestimmung in Vorbemerkung 3.2.1 Abs. 1 Nr. 1 zu Unterabschnitt 1, dass dieser "in Verfahren vor dem Finanzgericht" anzuwenden ist - ohne dass dabei zwischen Hauptsacheverfahren und Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unterschieden wird -, liegen weder ein gesetzlicher Verweis noch eine Regelungslücke vor, die die entsprechende Anwendung des Abschnitts 1 des dritten Teils des VV rechtfertigen.

Das Gericht schließt sich der vom Finanzgericht Brandenburg vertretenen Auffassung an, dass "aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts" die Verfahrensgebühr im finanzgerichtlichen Verfahren einheitlich mit dem Satz von 1,6 anzusetzen ist (Beschluss vom 30. Mai 2006, 1 KO 541/06, EFG 2006, 1704, ebenso Finanzgericht Düsseldorf, Beschluss vom 29. Oktober 2008, 6 Ko 768/08 KF, EFG 2009, 217).

2) Die Erinnerungsführerin hatte gegen den €steuerbescheid Einspruch eingelegt und die Aussetzung der Vollziehung beantragt. Diesen Antrag hatte der Erinnerungsgegner abgelehnt. Der Prozessbevollmächtigte hatte unmittelbar nach Erhalt des Bescheides über die Ablehnung des Aussetzungsantrages und vor Stellung des Antrages bei Gericht die Sach- und Rechtslage mit dem zuständigen Bearbeiter des Erinnerungsgegners besprochen und dabei versucht, ihn davon zu überzeugen, dem Einspruch abzuhelfen, mindestens Aussetzung der Vollziehung zu gewähren. Nachdem der Erinnerungsgegner auf nochmaliges Schreiben hin die Vollziehung nicht ausgesetzt hatte, beantragte die Erinnerungsführerin wie angekündigt die Aussetzung der Vollziehung bei Gericht. Auf Hinweis des Gerichts hat der Erinnerungsgegner die Vollziehung ausgesetzt.

Die von der Erinnerungsführerin in ihrem Kostenfestsetzungsantrag geltend gemachte Terminsgebühr nach § 13 RVG, Nr. 3202 VV setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle nicht als erstattungsfähig fest. Sie sei nicht verdient worden, weil eine mündliche Verhandlung vor dem Senat nicht stattgefunden habe. Auch habe der Senat weder durch Urteil ohne mündliche Verhandlung noch durch als Urteil wirkenden Gerichtsbescheid entschieden. Nach VV Nr. 3202 Abs. 1 RVG, VV Nr. 3104 Abs. 1 RVG sei Voraussetzung einer Terminsgebühr auch im finanzgerichtlichen Verfahren, dass in dem betreffenden Verfahren grundsätzlich die mündliche Verhandlung vorgeschrieben und nicht nur freigestellt sei. Weil sowohl § 128 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) als auch § 90 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) die Entscheidung nach mündlicher Verhandlung als Regelfall vorsehen, setze die Entstehung der Terminsgebühr, die an die Stelle der bisherigen Verhandlungs- Erörterungs- und Beweisgebühr getreten sei, dem Regelfall entsprechend zunächst ein Verfahren voraus, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorsehe. Als Ausnahme zu dieser Regel sei für das finanzgerichtliche Verfahren in VV Nr. 3202 Abs. 2 RVG ausdrücklich geregelt, dass die Gebühr abweichend hiervon ebenfalls entstehe, wenn die Entscheidung nach § 79 a Abs. 2, § 90 a oder § 94 a FGO ergehe, d.h. ausnahmsweise im Hauptverfahren ohne mündliche Verhandlung erfolge.

Dieser Ansatz ist zu korrigieren. Die Terminsgebühr ist entstanden und daher erstattungsfähig. Die Gebühren u.a. in Verfahren vor dem Finanzgericht sind im dritten Teil des VV geregelt. Vorbemerkung 3 Abs. 3 dieses Teils, die u.a. für den Abschnitt 2, der in Unterabschnitt 1 im Einzelnen die Gebühren für Verfahren vor dem Finanzgericht regelt, bestimmt: "Die Terminsgebühr entsteht für die Vertretung in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin oder die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten Sachverständigen anberaumten Termins oder die Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen auch ohne Beteiligung des Gerichts; dies gilt nicht für Besprechungen mit dem Auftraggeber."

Im Streitfall hat der Prozessbevollmächtigte an einer "auf die Vermeidung des Verfahrens gerichteten" Besprechung (Telefonat vom €) teilgenommen; dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und wird durch den Schriftwechsel und die über das Telefonat gefertigten Vermerke bestätigt. Nach ständiger Rechtsprechung ist es für die Entstehung der Gebühr unerheblich, ob die Besprechung während einer persönlichen Anwesenheit oder telefonisch geführt wird. Dass die telefonische Besprechung vor Stellung des Antrages bei Gericht geführt wurde, steht der Entstehung der Terminsgebühr nicht entgegen. Die Erinnerungsführerin macht zu Recht geltend, dass die Vermeidung eines Verfahrens denknotwendig voraussetzt, dass das Verfahren gerade nicht anhängig ist. Voraussetzung ist lediglich ein entsprechender Verfahrensauftrag (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, Kommentar zum RVG, 18. Aufl. 2008, Teil 3, C, Rdz. 93, 94 Vorbemerkung 3 VV).

Die Erinnerungsführerin hat ferner zutreffend darauf hingewiesen, dass die von dem Erinnerungsgegner angeführten Entscheidungen zur BRAGO, damit zu einer anderen Rechtslage, ergangen sind; "mit der Verhandlungs-, Erörterungs- und Beweisgebühr der BRAGO hat die Terminsgebühr des RVG, die diese Gebühren ersetzt, nahezu nichts mehr gemeinsam" (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O., Rdz. 2 zu VV Nr. 3104, Rdz. 29 zu Vorbemerkung 3 VV).

Der Urkundsbeamte hat zur Begründung auf die Regelung in Anmerkung 1 zu Nr. 3104 VV, die gemäß Anmerkung 1 der für das finanzgerichtliche Verfahren geltenden Nr. 3202 VV entsprechend gilt, verwiesen. Danach entsteht die Terminsgebühr auch, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, ohne mündliche Verhandlung entschieden wird. Diese Regelung erweitert den Bereich der Vertretung, für den die Terminsgebühr entstehen kann; sie entspricht in ihrer Zielsetzung dem früheren § 117 BRAGO. Dem Rechtsanwalt steht in diesem Fall eine Terminsgebühr zu, obwohl er gerade nicht an einem Termin teilnimmt.

Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV führt drei Sachverhaltsvarianten auf, in denen eine Terminsgebühr entsteht. Diese sind alternativ, wie aus dem Wort "oder" folgt. Die Regelung in Anmerkung 1 zu Nr. 3104 VV erweitert die Entstehung einer Terminsgebühr für die erste der in Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV aufgeführten Varianten (Vertretung in einem gerichtlichen Termin) und schließt die Entstehung der Terminsgebühr durch die - alternativ aufgeführte - Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen nicht aus (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O., Rdz. 29, 92 Vorbemerkung 3 VV).

17Die Terminsgebühr ist gemäß Nr. 3202 VV mit dem Satz von 1,2 anzusetzen. Sie entfällt nicht bzw. wird nicht dadurch gemindert, dass das Telefonat sowohl das Einspruchsverfahren als auch die Aussetzung der Vollziehung betraf, denn das Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung ist gemäß § 17 Nr. 4 c RVG gegenüber dem Verfahren der Hauptsache eine verschiedene Angelegenheit. Der geringeren Bedeutung des Aussetzungsverfahrens wird bereits durch den Ansatz des Streitwertes mit 10 % des Streitwertes der Hauptsache Rechnung getragen.

Die zu erstattenden Kosten berechnen sich wie folgt:

- Streitwert im gerichtlichen Verfahren ...€ €1. Gerichtliches Verfahren - Verfahrensgebühr ....€ € § 13 RVG, Nr. 3200 VV RVG - Terminsgebühr ...€ € § 13 RVG, Nr. 3202 VV RVG - Pauschale f. Entgelte f. Post-/Telekommunikationsdienstl. .€ € § 13 RVG, Nr. 7002 VV RVG - Zwischensumme ...............€ €- 19 v. H. Umsatzsteuer ......................€ € § 13 RVG, Nr. 7008 VV RVG Gesamtbetrag - Gerichtliches Verfahren ........€ €2. Summe - Zusammen ..................€ €- davon zu Lasten des Antragsgegners (100 v. H.) ....€ €Die Kostenentscheidung folgt aus § 66 Abs. 8 des Gerichtskostengesetzes.






Niedersächsisches FG:
Beschluss v. 18.01.2010
Az: 7 KO 5/08


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