Bundespatentgericht:
Beschluss vom 28. Juni 2007
Aktenzeichen: 23 W (pat) 307/03
(BPatG: Beschluss v. 28.06.2007, Az.: 23 W (pat) 307/03)
Tenor
Das Patent wird widerrufen.
Gründe
I Das Patent 195 03 778 (Streitpatent) der Patentinhaberin wurde am 4. Februar 1995 beim Deutschen Patent- und Markenamt mit der Bezeichnung "Anordnung aus einem Gehäuse, einer Schaltungsträgerplatte und Zuleitungen" angemeldet. Die Prüfungsstelle für Klasse H 05 K des Deutschen Patent- und Markenamts hat unter Berücksichtigung des Standes der Technik gemäß den Druckschriften 1) DE 39 08 481 C2, 2) DE 38 43 972 A1, 3) DE 90 13 456 U1, 4) DE 91 00 962 U1, 5) DE 40 33 999 C2 und der von der Patentinhaberin selbst genannten PCT-Offenlegungsschrift 6) WO 92/20096 A1 das Streitpatent mit Beschluss vom 27. Mai 2002 erteilt. Die Patenterteilung wurde am 31. Oktober 2002 veröffentlicht.
Die C..., S...straße in N... hat am 29. Januar 2003 Einspruch erhoben und beantragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen, weil der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents gegenüber der Entgegenhaltung D1 DE 44 39 471 A1 nicht neu sei.
Sie stützt ihr Widerrufbegehren darüber hinaus auf die Druckschriften D2 Ralf Nolde "Einpresstechnik - Eine Praxisnahe Einführung", Leuze Verlag Saulgau/Württ. (1994) Seiten 42, 43 und 68, 69 und D3 DE 39 08 481 A1.
Die Einsprechende trägt mit ihrem Schriftsatz vom 24. Januar 2005 weiter vor, dass die Anordnung nach Patentanspruch 1 gegenüber der Druckschrift D1 nicht neu sei, zumindest aber im Hinblick auf die Druckschriften D2 und D3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe und dass weiterhin die Anordnungen nach den Patentansprüchen 2 bis 8 im Hinblick auf den von ihr genannten Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten.
Mit Zwischenverfügung vom 19. Juni 2007 hat der Senat eine vervollständigte Ablichtung aus der Druckschrift D2 von Ralf Nolde (a. a. O) mit Deckblatt, Copyright, Vorwort, Inhaltsverzeichnis (Seiten 7 bis 9), Abschnitt: "Einführung in die Einpresstechnik" (Seiten 11 bis 17), Seiten 41 bis 43 und Seiten 69 bis 70 den Beteiligten übersandt.
Mit Schriftsatz vom 27. Juni 2007 reichte die Patentinhaberin neue Unterlagen ein und beantragte, das Patent mit den Ansprüchen 1 bis 3 sowie einer abgeänderten Beschreibung gemäß Spalten 1 bis 4, beide eingegangen am 27. Juni 2007, sowie Zeichnung Figuren 1 bis 9b gemäß Patentschrift beschränkt aufrechtzuerhalten.
Beide ordnungsgemäß geladenen Beteiligten haben an der mündlichen Verhandlung am 28. Juni 2007 nicht teilgenommen.
Der geltende Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
"Anordnung aus einem Gehäuse (1) aus Kunststoff, aus einer im Gehäuse (1) fest angeordneten Schaltungsträgerplatte (9) und aus elektrischen Zuleitungen (3, 3a), welche eine Wand (2) des Gehäuses (1) durchqueren und frei in den Gehäuseinnenraum (8) ragen, wobei die Schaltungsträgerplatte (9) Löcher (10) hat in einer mit der Anordnung der in den Gehäuseinnenraum (8) ragenden Endabschnitte (6, 7) der Zuleitungen übereinstimmenden Anordnung, und die Löcher (10) von an der Schaltungsträgerplatte (9) angebrachten Kontaktstücken (11) umgeben sind, in welche die Endabschnitte (6, 7) der Zuleitungen (3, 3a) gesteckt sind, dadurch gekennzeichnet, dass die Enden (6, 7) der Zuleitungen (3, 3a) durch Einpressen in die Kontaktstücke (11) mit diesen kalt verschweißt sind, wodurch die Schaltungsträgerplatte (9) in einer Ausgleichsbewegungen zulassenden Weise auch mechanisch befestigt ist, dass die Schaltungsträgerplatte (9) im Gehäuse (1) allein durch die Zuleitungen (3, 3a) gehalten ist unddas Gehäuse (1) nicht berührt."
Bezüglich der geltenden Unteransprüche 2 und 3 wird auf die Patentschrift und hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II 1) Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für die Entscheidung über den Einspruch ergibt sich aus § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG in der bis einschließlich 30. Juni 2006 gültigen Fassung. Danach ist nicht das Patentamt, sondern das Patentgericht zuständig, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Einspruchsfrist nach dem 1. Januar 2002 zu laufen begonnen hat und der Einspruch vor dem 1. Juli 2006 eingelegt worden ist. Diese befristete Regelung ist nach Ablauf von insgesamt 4 Jahren und 6 Monaten zum 1. Juli 2006 ohne weitere Verlängerung ausgelaufen, so dass ab 1. Juli 2006 die Zuständigkeit für die Entscheidung in den Einspruchsverfahren wieder auf das Patentamt zurückverlagert wurde. Das Bundespatentgericht bleibt gleichwohl für die durch § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG zugewiesenen Einspruchsverfahren weiterhin zuständig, weil der Gesetzgeber eine anderweitige Zuständigkeit für diese Verfahren nicht ausdrücklich festgelegt hat und deshalb der in allen gerichtlichen Verfahren geltende Rechtsgrundsatz der "perpetuatio fori" (analog § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO und analog § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG) zum Tragen kommt, wonach eine einmal begründete Zuständigkeit bestehen bleibt. Die Aufhebung des § 147 Abs. 3 PatG durch das "Gesetz zur Änderung des patentrechtlichen Einspruchsverfahrens und des Patentkostengesetzes" (BGBl 2006, Teil I, Seite 1318) führt zu keiner anderen Beurteilung (vgl. Senat, GRUR 2007, 499 - Rundsteckverbinder / perpetuatio fori).
Die Rechtsauffassung, dass die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für die durch § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG zugewiesenen Einspruchsverfahren wegen der Streichung dieser Vorschrift zum 1. Juli 2006 entfallen sei (so die Entscheidung des 11. Senats des Bundespatentgerichts 11 W (pat) 383/06 vom 12. April 2007), kann nicht gefolgt werden (vgl die zur Veröffentlichung vorgesehene Senatsentscheidung 23 W (pat) 313/03 vom 10. Mai 2007; siehe dazu ferner die in die gleiche Richtung weisende ebenfalls zur Veröffentlichung vorgesehene Entscheidung des 19. Senats 19 W (pat) 344/04 vom 9. Mai 2007 - Einspruchszuständigkeit).
2) Die Zulässigkeit des Einspruchs ist zwar nicht angegriffen worden, jedoch ist diese vom Patentamt und Patentgericht in jedem Verfahrensstadium von Amts wegen zu prüfen, vgl. Schulte 7. Auflage § 59 Rdn. 22 und 145.
Der form- und fristgerecht erhobene Einspruch ist zulässig, weil ein Widerrufsgrund des § 21 PatG, insbesondere der der mangelnden Neuheit angegeben ist (§ 59 Abs. 1 Satz 3 PatG) und die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, im einzelnen angegeben sind (§ 59 Abs. 1 Satz 4 PatG); denn in der zugehörigen Begründung wird ein konkreter Bezug der einzelnen Merkmale a) bis g) des erteilten Patentanspruchs 1 gemäß der Merkmalsanalyse der Einsprechenden zum Stand der Technik gemäß der Druckschrift D1 hergestellt, um mangelnde Neuheit zu belegen.
3) Ausweislich der geltenden Beschreibungseinleitung betrifft das vorliegende Patent eine Anordnung gemäß dem Oberbegriff des erteilten Patentanspruchs 1, wie dieses in der Entgegenhaltung 1) offenbart ist (vgl. Abschnitt [0001] der geltenden Beschreibung).
Es handelt sich um eine Zentralelektrik für Kraftfahrzeuge mit einem zweiteiligen Gehäuse, zwischen dessen Oberteil und Unterteil eine Leiterplatte eingespannt ist. Im Boden und im Deckel des Gehäuses sind Zuleitungen in Gestalt von Kontaktstiften und Kontaktbuchsen befestigt, welche jeweils ein elastisches Schaftteil haben, das federnd in plattierte Löcher der Leiterplatte eingreift. Bei den unvermeidlichen Wärmespannungen können sich die federnden Schaftteile in den Löchern der Leiterplatte vor- und zurückbewegen und isolierende Deckschichten ausbilden, die die Stromleitung beeinträchtigen (vgl. Abschnitt [0001] der geltenden Beschreibung).
Da die Patentinhaberin das Bonden von Anschlüssen und das Löten von Zuleitungen (vgl. die Abschnitte [0002] und [0003] der geltenden Beschreibung) als aufwändig beurteilt, liegt der vorliegenden Erfindung als technisches Problem die Aufgabe zugrunde, einen Weg aufzuzeigen, wie Schaltungsträgerplatten, insbesondere solche, die einseitig kaschiert sind, mit geringerem Aufwand und ohne dass die elektrischen Verbindungen zwischen Zuleitungen und Schaltungsträgerplatte vibrationsempfindlich sind, eingebaut werden können (vgl. Abschnitt [0004] der geltenden Beschreibung).
Die Lösung ist durch die Merkmale des Patentanspruchs 1 im Einzelnen angegeben.
Dabei ist es wesentlich, dass die Enden der Zuleitungen durch Einpressen in die die Löcher der Schaltungsträgerplatte umgebenden Kontaktstücke mit diesen kalt verschweißt sind, wodurch die Schaltungsträgerplatte in einer Ausgleichsbewegungen zulassenden Weise auch mechanisch derart befestigt ist, dass die Schaltungsträgerplatte im Gehäuse allein durch die Zuleitungen gehalten ist, ohne das Gehäuse zu berühren (vgl. den kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1), so dass die Schaltungsträgerplatte weder durch Löten noch mittelbar durch gebondete Drähte mit den Zuleitungen verbunden werden muss (vgl. Abschnitt [0006] der geltenden Beschreibung des Streitpatents).
4) Der Einspruch ist auch begründet, denn nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 2007 erweist sich die Anordnung gemäß dem geltenden Patentanspruch 1 als nicht patentfähig.
Die Frage der ursprünglichen Offenbarung bzw. der Zulässigkeit der geltenden Patentansprüche sowie die Frage der gewerblichen Anwendbarkeit ihrer Lehren kann dahinstehen, weil - wie es sich aus den nachfolgenden Abschnitten ergibt - die Lehre des geltenden Patentanspruchs 1 des Streitpatents gegenüber dem Stand der Technik - hier insbesondere nach den Druckschriften D3 und D2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns beruht, vgl. BGH GRUR 1991, 120, 121 Abschnitt II.1. - "Elastische Bandage". Dieser ist hier als ein berufserfahrener, mit der Entwicklung von Leiterplatten, deren Bestückung und Anordnung in einem Gehäuse betrauter Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik mit Fachhochschulabschluss zu definieren, der auch Kenntnisse in der "Einpresstechnik" hat.
So offenbart die Druckschrift D3 eine Anordnung (elektrische Abzweigdose 10) aus einem Gehäuse (12, unteres Gehäuseteil 20, oberes Gehäuseteil 26) aus Kunststoff vor dem endgültigen Aushärten der Gehäuseteile 20, 26 / vgl Spalte 7, Z. 7 bis 9), aus einer im Gehäuse (10) fest angeordneten Schaltungsträgerplatte (Leiterplatte 14) und aus elektrischen Zuleitungen (Steckerstifte bzw. Buchsen 16, Steckerstifte 18 in der Wand des unteren Gehäuseteils 20, Steckerbuchsen 22 in der Wand des oberen Gehäuseteils 26), die eine Wand des Gehäuses (10) durchqueren und frei in den Gehäuseinnenraum ragen, wobei die Schaltungsträgerplatte (14) Löcher (plattierte Löcher 38) hat in einer mit der Anordnung der in den Gehäuseinnenraum ragenden Endabschnitte (Schaftteil 36 des elektrischen Steckerstifts 16, 18 bzw. der Buchse 16, 22) der Zuleitungen übereinstimmenden Anordnung, und die Löcher (38) von an der Schaltungsträgerplatte (14) angebrachten Kontaktstücken (Plattierung der plattierten Löcher 38) umgeben sind, in welche die Endabschnitte (36) der Zuleitungen (16, 18, 22) gesteckt sind, vgl. dort die Figuren 1, 2a und 2b mit zugehöriger Beschreibung). Somit offenbart die Druckschrift D3 die Merkmale des Oberbegriffs des geltenden Patentanspruchs 1.
Nach den Lehren der Gegenstandsansprüche 1 und 9 der Druckschrift D3 kommt es im Gegensatz zur Lehre des Verfahrensanspruchs 16 darüber hinaus auch nicht darauf an, dass die Schaltungsträgerplatte durch das Gehäuse gestützt wird, vielmehr kann die Schaltungsträgerplatte auch allein von den Zuleitungen getragen werden.
Nach dem Abschnitt 1.3 der Einführung in die Einpresstechnik der Druckschrift D2, Seite 15, hat die Einpresstechnik ein oft unterschätztes Plus gegenüber der Löttechnik aufgrund wirtschaftlicher Vorteile bei der Bestückung der der Leiterplatte. Studien haben ergeben, dass die durch Lötprobleme verursachten Kosten weit unterschätzt werden. Bei einer fundierten Wirtschaftlichkeitsrechnung schneidet die Einpresstechnik im Vergleich zur konventionellen Löttechnik im Regelfall günstiger ab, vgl. dort den Abschnitt 1.3, le. Abs..
Daher ist es für den Fachmann naheliegend, von der Löttechnik wegzugehen und bei der Anordnung gemäß Druckschrift D3 für die Endabschnitte der Zuleitungen einpressbare massive Steckstifte gemäß Seite 69 der D2, bei denen auch eine Kaltverschweißung erfolgt, vorzusehen.
Durch den naheliegenden Einsatz von mit Kontaktstücken der Schaltungsträgerplatte kalt verschweißten massiven Steckstiften bei der Schaltungsträgerplatte (14) gemäß der Druckschrift D3 ist diese Schaltungsträgerplatte (14) in einer Ausgleichsbewegungen zulassenden Weise auch mechanisch so befestigt, dass die Schaltungsträgerplatte (14) im Gehäuse allein durch die Zuleitungen (massive Steckstifte) gehalten ist, ohne das Gehäuse zu berühren.
Daher beruht die Anordnung gemäß geltendem Patentanspruch 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Fachmanns und ist somit nicht patentfähig. Mit dem Patentanspruch 1 fallen wegen der Antragsbindung auch die zugehörigen Unteransprüche 2 und 3, vgl. BGH GRUR 1997, 120 Leitsatz - "Elektronisches Speicherheizgerät".
5) Bei dieser Sachlage musste das Streitpatent widerrufen werden.
Dr. Tauchert Dr. Gottschalk Lokys Schramm Pr
BPatG:
Beschluss v. 28.06.2007
Az: 23 W (pat) 307/03
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