Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 27. Mai 2008
Aktenzeichen: X ZB 31/06
(BGH: Beschluss v. 27.05.2008, Az.: X ZB 31/06)
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den am 5. Dezember 2006 an Verkündungs Statt zugestellten Beschluss des 15. Senats (Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Anmelderin zurückgewiesen.
Gründe
I. Die Rechtsvorgängerin der Zertifikatsanmelderin war Inhaberin des am 10. Juni 1985 angemeldeten, auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 166 287 (Grundpatent), das auf die Zertifikatsanmelderin umgeschrieben worden ist und "Dialkoxypyridine, Verfahren zu ihrer Herstellung, ihre Anwendung und sie enthaltende Arzneimittel" betraf. Sie hat die Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel beantragt und diesen Antrag zuletzt auf das Erzeugnis "Pantoprazol und seine Salze" gerichtet. Als Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Europäischen Gemeinschaft hat sie den 23. August 1994, den Tag der arzneimittelrechtlichen Zulassung in der Bundesrepublik Deutschland, angegeben. Bereits am 6. Mai 1994 ist, worauf in der Zertifikatsanmeldung hingewiesen wurde, eine arzneimittelrechtliche Zulassung im Königreich Schweden erfolgt. Das Zertifikat wurde unter Zugrundelegung der Genehmigung vom 23. August 1994, hilfsweise der Genehmigung vom 6. Mai 1994, beantragt. Das Deutsche Patent- und Markenamt hat unter Zurückweisung des weitergehenden Hauptantrags das Schutzzertifikat unter der Nummer 194 75 025 mit einer Laufzeit bis 6. Mai 2009 erteilt und dabei dessen Laufzeit von der Zulassung im Königreich Schweden an berechnet. Hiergegen hat die Anmelderin Beschwerde eingelegt, mit der sie ihr Begehren nach Hauptantrag weiterverfolgt hat, hilfsweise hierzu, die Genehmigung im Königreich Schweden nur mit Wirkung vom 1. Juli 1994 als erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft zu berücksichtigen. Die Beschwerde der Anmelderin ist erfolglos geblieben (Leitsatz der Entscheidung des Bundespatentgerichts veröffentlicht in BlPMZ 2007, 270 und Mitt. 2007, 70). Mit ihrer Rechtsbeschwerde macht die Zertifikatsanmelderin, die ihr Begehren aus den Vorinstanzen weiterverfolgt, auch geltend, dass die nach den nationalen Rechtsvorschriften eines EFTA-Staates erteilte Genehmigung erst mit Wirkung vom 1. Juli 1994 den Genehmigungen, die auf Grund gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen erfolgt sind, gleichgestellt worden seien und eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des EWR-Abkommens nicht vorgesehen sei.
II. Die statthafte (vgl. Sen.Beschl. v. 17.7.2001 - X ZB 21/00, GRUR 2001, 47 - Idarubicin III, juris-Tz. 21) und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg. Im Ergebnis zu Recht haben die Vorinstanzen die arzneimittelrechtliche Zulassung im Königreich Schweden als die relevante "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" im Sinn des Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates vom 18.6.1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel (ABl. EG 1992 Nr. L 182/1; nachfolgend: VO (EWG) Nr. 1768/92) behandelt. Der Senat sieht die richtige Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts hierzu als so offenkundig an, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bleibt (vgl. EuGH, Rs. 283/81, Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257, 1258 - C.I.L.F.I.T.; BGHZ 153, 82, 92; BGH, Urt. v. 19.1.2006 - I ZR 151/02, GRUR 2006, 346 - Jeans II) und deshalb eine Vorlage an den Gerichtshof der Gemeinschaften nach Art. 234 Abs. 1 EG zu unterbleiben hat. Die vom Bundespatentgericht gefundene Auslegung der VO (EWG) Nr. 1768/92 entspricht nach dem vom Bundespatentgericht wiedergegebenen Vortrag der Zertifikatsanmelderin auch der Praxis in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Dass das italienische Patentamt (Ufficio Italiano Brevetti e Marchi) mit seiner nicht näher begründeten, zur Beschwerdeakte (Bl. 42/43) gereichten Entscheidung vom 23. Januar 1997 abweichend entschieden hat, ändert hieran nichts, denn dieser Entscheidung ist schon nicht zu entnehmen, dass dem italienischen Patentamt bei seiner Entscheidung die Genehmigung im Königreich Schweden bekannt war.
1. Die am 6. Mai 1994 im Königreich Schweden erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen stellte im Sinn des Art. 13 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1768/92 die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft dar und ist deshalb für die Berechnung der Laufzeit des Zertifikats maßgeblich.
a) Allerdings war das Königreich Schweden zum Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung noch nicht Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften. Sein Beitritt ist vielmehr erst mit Wirkung vom 1. Januar 1995 erfolgt.
b) Jedoch ergibt sich aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 21. April 2005 (C-207/03 und C-252/03, Slg. 2005 I 3209 = GRUR Int. 2005, 581, 583 - Novartis, Tz. 26), dass für die Berechnung der Laufzeit des Schutzzertifikats die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen im Hoheitsgebiet eines der Staaten des EWR-Abkommens, zu denen vor dem 1. Januar 1995 und zum Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung in Schweden auch das Königreich Schweden gehörte, maßgeblich ist. Die Entscheidung ist zwar zu der für die Genehmigung im Fürstentum Liechtenstein geltenden Rechtslage ergangen, die auf Grund der Anbindung der dortigen Genehmigung an die in der nicht dem Europäischen Wirtschaftsraum beigetretenen Schweizerischen Eidgenossenschaft einige Besonderheiten aufweist; sie ist aber in der vom Bundespatentgericht herangezogenen Aussage auch auf die anderen Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums und damit auch auf das Königreich Schweden anwendbar. Dies hat bereits das Bundespatentgericht richtig gesehen, auf dessen zutreffende Ausführungen ergänzend verwiesen werden kann. Zudem spricht der bereits vom Bundespatentgericht herangezogene, vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seiner Entscheidung vom 13. Juli 1995 zur Rechtssache C-350/92 (Slg. 1995 I 1985 = GRUR Int. 1995, 906 - Arzneimittelzertifikat; insbes. Tz. 36) in Anlehnung an die Erwägungsgründe der VO (EWG) Nr. 1768/92 formulierte und gleichermaßen für den Europäischen Wirtschaftsraum geltende Gedanke, dass ein unterschiedlicher Schutz desselben Arzneimittels in der Gemeinschaft zu einer Aufspaltung der Märkte führen würde, dafür, die erste Anmeldung in einem EWR-Staat wie eine erste Anmeldung in der Gemeinschaft zu behandeln. Dies entspricht zudem der im Schrifttum einhellig vertreten Auffassung (vgl. Schennen, Die Verlängerung der Patentlaufzeit für Arzneimittel im Gemeinsamen Markt, 1993, S. 73, unter 5.; Hacker in Busse, PatG, 6. Aufl. 2003, Rdn. 76 Anh. § 16a a.E., der jede Genehmigung, die im Zeitpunkt der Anmeldung erteilt war, berücksichtigt, und damit auch eine Genehmigung in den Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums; Grabinski in Benkard, PatG GebrMG, 10. Aufl. 2006, Rdn. 8 zu § 16a PatG, nach dem die örtlichen Bezugnahmen in der VO (EWG) Nr. 1768/92 seit Inkrafttreten des EWR-Abkommens am 1. Januar 1994 so zu lesen sind, dass sie das in Art. 126 des EWR-Abkommens definierte Gebiet der Vertragsstaaten betreffen). Daraus folgt zugleich, dass entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde die frühere nationale Genehmigung nicht nur in dem jeweiligen (früheren) EFTA-Staat, sondern gemeinschaftsweit zu berücksichtigen ist. Auch der Einwand der Rechtsbeschwerde, dass die VO (EWG) Nr. 1768/92 von dem Gebiet der seinerzeitigen Mitgliedstaaten als Gemeinschaftsgebiet ausgehe, greift angesichts der Einbeziehung der EWR-Staaten schon im Ansatz nicht durch.
c) Auch die von der Rechtsbeschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren unter Hinweis auf die "Aclofenac"-Entscheidung des Bundespatentgerichts (Beschl. v. 18.7.2006 - 14 W (pat) 42/04, GRUR 2006, 1046 = BlPMZ 2007, 80) geäußerte Ansicht, dass nur eine Genehmigung nach der Richtlinie 65/65/EWG als erste Genehmigung im Sinn des Art. 13 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1768/92 in Betracht komme, ist wegen der Regelung in Anhang 15 zum Beschluss des Gemeinsamen EWR-Ausschusses Nr. 7/94 vom 21. März 1994 zur Änderung des Protokolls 47 und bestimmter Anhänge des EWR-Abkommens (ABl. EG 1994 L 160, 1, 138; hierzu unter 2.) nicht zutreffend, denn dort werden bereits erteilte Genehmigungen in den EFTA-Staaten den Genehmigungen in der Gemeinschaft gleichgesetzt. Das gilt jedenfalls dann, wenn sie dem Anforderungsprofil des Gemeinschaftsrechts entsprechen (hierzu Hacker in Busse, aaO Rdn. 96), woran der festgestellte Sachverhalt und das Rechtsbeschwerdevorbringen zu zweifeln keinen Anlass geben.
2. Art. 2 des genannten Beschlusses des Gemeinsamen EWR-Ausschusses, nach dem die in den Anhängen genannten Rechtsakte bei Fehlen einer Übergangsregelung erst mit Inkrafttreten des Beschlusses in Kraft treten, wenn der Rechtsakt bereits früher in Kraft getreten war, steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Das Inkrafttreten dieser Regelung erst zum 1. Juli 1994, auf das sich die Rechtsbeschwerde stützt, besagt nichts darüber, dass nicht auch schon früher erteilte nationale Genehmigungen eine erste Genehmigung im Sinn des Artikels 13 der Verordnung sein können. Das folgt schon aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften in Sachen Novartis (oben unter 1 b). Für die Beurteilung, welche Genehmigung als erste Genehmigung für das Inverkehrbringen anzusehen ist, muss nämlich auf die Regelung in dem durch den Beschluss geänderten Artikel 3 der Verordnung abgestellt werden, aus der sich ergibt, dass die nach den nationalen Rechtsvorschriften eines EFTA-(und späteren EWR-)Staates und damit auch Schwedens erteilte Genehmigung, und zwar grundsätzlich unabhängig von dem Zeitpunkt, zu dem sie erteilt worden ist, jedenfalls mit der unter 1 c am Ende genannten Maßgabe eine Genehmigung im Sinn der einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts ist. Die Auffassung der Rechtsbeschwerde, dass dies nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt als zum 1. Juli 1994 möglich gewesen sein soll, teilt der Senat nicht. Es stand der Gemeinschaft auch frei, eine Regelung zu treffen, wie sie dies getan hat.
3. a) Die von der Rechtsbeschwerde angesprochene Rückwirkung kann allenfalls eine im Sinn des Gemeinschaftsrechts wie des nationalen Verfassungsrechts unbedenkliche "unechte" Rückwirkung (Rückanknüpfung) darstellen (vgl. EuGH, Urt. v. 15.7.2004 - C 37/02, Slg. 2004 I 6911 = LRE 49, 42 ff. - Di Leonardo und Dilexport, Tz. 68, und Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl, Tz. 78 ff., 83). Aus der weiteren Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich zu der hier allein interessierenden Frage, von welchem Zeitpunkt an eine im Königreich Schweden erteilte Genehmigung als erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft in Betracht zu ziehen ist, nichts Abweichendes.
b) Das gilt im Ergebnis auch für die von der Zertifikatsanmelderin im Beschwerdeverfahren vorgelegte Entscheidung des schwedischen Patentbesvärrättens Dom, in der zu einer Zertifikatsanmeldung im Königreich Schweden entschieden wurde, dass für Zertifikatsanmeldungen vor dem 1. Januar 1995 allein die frühere Rechtslage in Schweden maßgeblich sei (Seite 4, erster vollständiger Absatz). Soweit daraus folgt, dass für die Zeit vor dem 1. Januar 1995 allein auf schwedisches Recht und nicht auf das Gemeinschaftsrecht abzustellen ist, kann dies mithin nur die Rechtslage in Schweden, aber nicht die für die Erteilung eines Schutzzertifikats durch das Deutsche Patent- und Markenamt mit Wirkung für Deutschland nach § 49a Abs. 2 PatG maßgebliche materielle Rechtslage betreffen.
4. Insgesamt folgt daraus, dass unter dem "Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" im Sinn des Art. 13 Abs. 1 der VO (EWG) Nr. 1768/92, von dem an die Laufzeit des Zertifikats zu berechnen ist, jedenfalls bereits auf Grund der Zugehörigkeit des Königreichs Schweden zum Europäischen Wirtschaftsraum auch der vor anderen Genehmigungen in der Gemeinschaft und nach dem 31. Dezember 1993 liegende Zeitpunkt einer dort erteilten Genehmigung zu verstehen ist, wenn diese dem Anforderungsprofil des Gemeinschaftsrechts entsprach. Auf dieser Grundlage ist auch die angefochtene und damit zutreffende Entscheidung ergangen.
III. Die (deklaratorische, vgl. Sen.Beschl. vom 27.6.1967 - Ia ZB 19/65, BlPMZ 1968, 167, 171 - UHF-Empfänger III) Kostenentscheidung beruht auf § 109 PatG. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht als erforderlich angesehen.
Scharen Keukenschrijver Mühlens Meier-Beck Asendorf Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 07.08.2006 - 15 W(pat) 12/04 -
BGH:
Beschluss v. 27.05.2008
Az: X ZB 31/06
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