Amtsgericht Düsseldorf:
Urteil vom 9. Dezember 2014
Aktenzeichen: 57 C 422/14
(AG Düsseldorf: Urteil v. 09.12.2014, Az.: 57 C 422/14)
1. Die tatsächliche Vermutung der Alleinnutzung des Anschlussinhabers und damit die Grundlage für die Annahme, der Anschlussinhaber sei Täter einer Rechtsverletzung nach § 97 UrhG, entfällt nach der Lebenserfahrung bereits, wenn feststeht, dass der Anschlussinhaber mit weiteren Familienangehörigen in einem Haushalt lebt.
2. Im Rahmen der sekundären Darlegungslast kann vom Anschlussinhaber lediglich gefordert werden, in groben Zügen zur üblichen inhaltlichen und zeitlichen Nutzung des Anschlusses durch die übrigen Haushaltsangehörigen sowie zum Umfang von deren Internetkenntnissen und dem Ergebnis einer durchgeführten Befragung vorzutragen, weil weitergehende Informationen auch in der Sphäre des Anschlussinhabers regelmäßig nicht zur Verfügung stehen.
3. Der Rechteinhaber, der dann die Beweislast für die Täterschaft des Anschlussinhabers trägt, kann die Mitnutzer als Zeugen dafür benennen, dass diese die Rechtsverletzung nicht begangen haben. Machen diese von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, bleibt der Rechteinhaber beweisfällig und die Klage ist abzuweisen.
(Anmerkung: Die Entscheidung wurde bestätigt durch LG Düsseldorf 12 S 2/15 vom 24.02.2016).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der klagenden Partei auferlegt.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin gestattet das Gericht, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird für die Klägerin zugelassen.
Gründe
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
Eine Haftung als Täter aus § 97 Abs. 2 UrhG ergibt sich nicht, da nicht feststeht, dass der Beklagte Täter der behaupteten Rechtsverletzung war. Gemäß der Bearshare-Entscheidung des Bundesgerichtshofs besteht zunächst eine durch den Anschlussinhaber zu widerlegende tatsächliche Vermutung seiner Alleinnutzung, die bereits dann widerlegt ist, wenn weitere Personen freien Zugriff auf den Anschluss hatten. Zusätzlich trifft den Anschlussinhaber sodann eine sekundäre Darlegungslast dahingehend vorzutragen, dass weitere Mitnutzer ernsthaft als mögliche Täter in Betracht kommen, in diesem Umfang trifft den Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren auch eine Recherchepflicht, eine Veränderung der Beweislast ist mit dieser sekundären Darlegungslast nicht verbunden, vielmehr ergibt diese sich ausschließlich daraus, dass der Vortrag von Tatsachen geboten ist, die für die Beklagtenseite leicht vortragbar sind, während sie sich der Sphäre der beweisbelasteten Klägerseite entziehen (BGH NJW 2014, 2360).
Die tatsächliche Vermutung der Alleinnutzung des Anschlusses durch den Beklagten ist bereits dadurch widerlegt, dass - wie durch die Meldebescheinigung untermauert - der volljährige Sohn M des Beklagten mit diesem in einem gemeinsamen Haushalt gewohnt hat, was gemäß Inhalt des klägerischen Schreibens vom 11.11.2014 auch nicht bestritten wird. Weitergehender Feststellungen, insbesondere zum Umfang der zeitlichen Nutzung des Anschlusses, bedarf es zur Widerlegung der tatsächlichen Vermutung nicht. Die Begründung einer tatsächlichen Vermutung ist nämlich nur dann zulässig, wenn ein gesicherter Erfahrungssatz vorliegt, der mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die vermutete Tatsache schließen lässt (Musielak JA 2010, 561 (565)). Lebt ein Familienangehöriger, wie hier der volljährige Sohn, mit dem Anschlussinhaber in häuslicher Gemeinschaft, so spricht die Lebenserfahrung nicht mehr dafür, dass lediglich der Anschlussinhaber als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommt, denn unabhängig von der tatsächlichen Nutzung zu einem bestimmten Zeitpunkt ist die Grundlage des vom BGH angenommenen Erfahrungssatzes, dass der Anschlussinhaber als typischer Alleinnutzer anzusehen sei, schon allein durch den gemeinsamen Haushalt entfallen, denn es entspricht im Gegenteil üblicher Lebenserfahrung, dass im selben Haushalt mit dem Anschlussinhaber wohnende Familienangehörige regelmäßige Mitnutzer des Anschlusses sind und zu diesem freien unbeaufsichtigten Zugang haben (siehe auch bereits zu einer ähnlichen Fragstellung AG Düsseldorf 57 C 13895 / 12 vom 14.10.2014).
Der Beklagte ist auch der ihm als Anschlussinhaber obliegenden sekundären Darlegungslast, Umstände vorzutragen, die die ernsthafte Möglichkeit der Täterschaft eines weiteren Mitnutzers eröffnen, nachgekommen. Hierzu genügen die Angaben, dass der volljährige Sohn im Zeitpunkt der Rechtsverletzung den gemeinsamen PC zur Anfertigung einer Bachelor-Arbeit für sein Studium und zur Vorbereitung auf mündliche Prüfungen nutzte. Wird einer Partei eine sekundäre Darlegungslast auferlegt, so ist Grundlage hierfür der Umstand, dass bestimmte Tatsachen in der Sphäre des Gegners liegen und daher nur diesem, nicht aber der beweisbelasteten Partei, zugänglich sind (ständige Rechtsprechung, BGH NJW 1999, 1404 (1406); BGH NJW 2008, 982 (984); Beck-OK-ZPO-Bacher § 284 Rn. 84). Der Umfang der sekundären Darlegungslast hat sich daher auf diejenigen Informationen zu beschränken, die in der Sphäre des Anschlussinhabers zugänglich sind und zumutbar vorgetragen werden können; keinesfalls dürfen überspannte Anforderungen an dieser Stelle im Ergebnis zu einer Beweislastverschiebung führen, denn anders als eine tatsächliche Vermutung soll die Auferlegung einer sekundären Darlegungslast dies gerade nicht bewirken. Aus den Angaben zur Nutzung des Anschlusses durch den volljährigen Sohn ergibt sich, dass dieser im Rahmen der mit der Anfertigung einer Bachelorarbeit und der Vorbereitung auf mündliche Prüfungen üblichen Nutzungsdauer zeitlich in der Lage war, einen Filesharingclient zu installieren und zu bedienen, ferner legt die regelmäßige Nutzung zu Zwecken akademischer Bildung es auch nahe, dass der Sohn von seinen Internetkenntnissen her zu einer solchen Installation in der Lage war, da es sich bei einem Filesharingclient um ein typisches Windowsprogramm handelt, dessen Installation keine besonderen Fachkenntnisse erfordert. Weitergehender Vortrag, insbesondere dazu, ob der Sohn zu den Zeitpunkten der behaupteten Rechtsverletzungen den Anschluss tatsächlich genutzt hat, ist hingegen im Rahmen der sekundären Darlegungslast nicht geboten. Im Hinblick auf die Alltäglichkeit der Computernutzung und die üblicherweise fehlende Buchführung hierzu handelt es sich hierbei nicht um Umstände, die üblicherweise in der Sphäre des Anschlussinhabers zur Verfügung stehen, weswegen Darlegungen hierzu nicht gefordert werden können. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Beklagte mit Zusendung der Abmahnung vom 06.12.2010 auf die behauptete Rechtsverletzung aufmerksam gemacht worden ist, denn bereits nach Ablauf von mehr als einem Monat seit der behaupteten Rechtsverletzung ist nicht mehr aufklärbar, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt den familiären Internetanschluss genutzt hat. Weitergehende Aufklärungspflichten, insbesondere bezüglich einer nachträglichen Feststellung der Person des Täters, treffen den Anschlussinhaber jedenfalls im familiären Umfeld nicht. Soweit der Bundesgerichtshof in seiner zitierten Bearshare-Entscheidung hier auf das Transportrecht verweist, soll dies lediglich deutlich machen, dass generell Aufklärungspflichten bestehen können wie sie das entscheidende Gericht auch hinsichtlich Art und zeitlichem Umfang der Nutzung des Anschlusses durch weitere Mitnutzer annimmt. Keinesfalls aber treffen den Inhaber eines familiären Internetanschlusses die Aufklärungspflichten eines Transporteurs bei Verlust oder Beschädigung von Transportgut. Der Sachverhalt ist schon deswegen nicht vergleichbar, weil die Familie unter dem besonderen Schutz des Art. 6 GG steht und dieser Schutz seine einfach gesetzliche Ausprägung im Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 383 ZPO findet. Es würde das Zeugnisverweigerungsrecht und auch den besonderen Schutz des Instituts der Familie ad absurdum führen, wenn den Anschlussinhaber als Vater eine umfangreiche Recherchepflicht innerhalb seiner Familie treffen würde, wer als Täter einer Rechtsverletzung in Betracht kommt. Im Hinblick auf den Rechtsgedanken des § 384 Nr. 1 ZPO erscheint es schon zweifelhaft, ob den Anschlussinhaber die Verpflichtung trifft, das positive Ergebnis einer Befragung, wonach ein naher Familienangehöriger die Täterschaft zugegeben hat, mitzuteilen; keinesfalls treffen den Anschlussinhaber jedoch weitergehende Recherchepflichten, wenn - wie hier - die Befragung das Ergebnis erbracht hat, dass der mitnutzende Sohn die Rechtsverletzung abstreitet. Es ist schon unklar, welche weitergehenden Recherchemöglichkeiten - erst recht gegenüber volljährigen Mitnutzern - bestehen sollen, im Übrigen ist eine weitergehende Druckausübung auf Familienmitglieder, um der Klägerin einen möglichen neuen Anspruchsgegner zu verschaffen, auch unzumutbar, weswegen die sekundäre Darlegungslast entsprechende Maßnahmen auch nicht fordern kann.
Nachdem der Beklagte seiner sekundären Darlegungslast nachgekommen ist, trifft die Klägerin nun die volle Beweislast für die Täterschaft des Beklagten. Allein das mangelnde Einräumen der Rechtsverletzung durch den allein mitnutzenden Sohn lässt nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Rückschluss auf eine Täterschaft des Beklagten als Anschlussinhaber zu; vielmehr ist es ebenso möglich, dass er die eigene Rechtsverletzung im Hinblick auf eine drohende Inanspruchnahme verleugnet. Soweit die Klägerin - im Prinzip zulässig - den Beweis dadurch führen will, dass sie den Sohn als Zeugen dafür benennt, dass dieser trotz gemeinsamen Haushalt mit dem Anschlussinhaber den Internetanschluss nicht genutzt und die Rechtsverletzung nicht begangen hat und somit nur noch der Beklagte als möglicher Täter verbleibt, ist ihr die Führung dieses Beweises nicht gelungen, denn dieser Zeuge hat von seinem Zeugnisverweigerungsrecht aus § 383 Abs. 1 Nr. 3 ZPO Gebrauch gemacht. Aus dem Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gemäß § 383 Abs. 1 ZPO dürfen keine negativen Schlüsse zum Nachteil des Beklagten gezogen werden, denn es handelt sich bei diesem Zeugnisverweigerungsrecht um ein eigenes Recht des Zeugen, das es ihm gerade auf Grund seiner familiären Nähe ersparen soll, gegen seinen Willen in die rechtliche Auseinandersetzung hineingezogen zu werden (Musielak-Huber ZPO § 383 Rn. 10).
Auch eine Störerhaftung des Beklagten aus §§ 97 Abs. 1, 97a UrhG auf Erstattung der Abmahnkosten besteht nicht. Eine solche setzt das Vorhandensein von Überwachungspflichten voraus (BGH NJW 2010, 2061), diese ergeben sich jedoch nicht bereits aus der Anschlussinhaberschaft als solches, sondern bestehen nur in dem Umfang, wie sie sich aus anderen Vorschriften, insbesondere der zivilrechtlichen Aufsichtspflicht, ergeben (BGH NJW 2013, 1441 (1444)). Nachdem zivilrechtliche Aufsichts- und Überwachungspflichten und damit auch die Pflicht zur Belehrung hinsichtlich des Verbots von Urheberechtsverletzungen gegenüber volljährigen Kindern nicht bestehen, besteht kein Raum für eine Störerhaftung (so im Ergebnis auch BGH NJW 2014, 2360 Rn. 28)
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung war gemäß § 511 Abs. 4 ZPO für die Klägerin zuzulassen, weil die Fragen der Reichweite der tatsächlichen Vermutung der Alleinnutzung des Anschlussinhabers und des Umfangs seiner sekundären Darlegungslast sowie die sich aus der Beantwortung dieser Fragestellungen ergebenden prozessualen Folgen einer Zeugnisverweigerung eines Mitnutzers von grundsätzlicher Bedeutung sind. Zudem besteht innerhalb des Amtsgerichts Düsseldorf keine einheitliche Handhabung des Umfangs der sekundären Darlegungslast des Anschlussinhabers.
Der Streitwert wird auf 467,00 EUR festgesetzt. Bei den Ermittlungskosten handelt es sich auch, wenn - wie hier - lediglich Schadenersatz und nicht Unterlassung geltend gemacht wird, um eine Nebenforderung, weil die Ermittlung des Anschlussinhabers Voraussetzung auch für die Geltendmachung des Schadenersatzanspruches ist.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
a) wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
b) wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Düsseldorf, Werdener Straße 1, 40227 Düsseldorf, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Düsseldorf zu begründen.
Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Düsseldorf durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
AG Düsseldorf:
Urteil v. 09.12.2014
Az: 57 C 422/14
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