Bundespatentgericht:
Beschluss vom 10. Mai 2004
Aktenzeichen: 20 W (pat) 314/02
(BPatG: Beschluss v. 10.05.2004, Az.: 20 W (pat) 314/02)
Tenor
Das Patent wird widerrufen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I Gegen das Patent 198 53 697 wurde Einspruch erhoben mit der Begründung, seinem Gegenstand fehle die Patentfähigkeit. Dazu verweist die Einsprechende zusätzlich zu den im Prüfungsverfahren in Betracht gezogenen Druckschriften auf
(7) US 5 793 853
(8) US 5 027 388
(9) US 5 553 131 und
(10) DE 695 03 882 T2 (zur vorveröffentlichten EP 0 748 557 B1).
Gegenüber dem Stand der Technik nach (9) oder (10) fehle jeweils die Neuheit, nach (7) und (8) die erfinderische Tätigkeit. In der mündlichen Verhandlung führt sie ergänzend aus, dem Patentgegenstand fehle auch die Technizität.
Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaber beantragen, das Patent in vollem Umfang aufrechtzuerhalten, hilfsweise im Umfang des Vorrichtungsanspruchs 4.
Der Patentanspruch 1 lautet:
"1. Verfahren zum Bereitstellen von Telekommunikationsverbindungen in einem Telekommunikationssystem mit konkurrierenden Tarifen an die Teilnehmer, wobei eine Auswahl eines für den Teilnehmer möglichst preisgünstigen Tarifs anhand von in einem Speicher enthaltenen Daten von konkurrierenden Tarifen getroffen wird, wobei diese Daten Preise in Abhängigkeit von mindestens einem der Parameter Startzeit der Kommunikationsverbindung, Wochentag, Feiertag, Tarifzone darstellen, dadurch gekennzeichnet, daß zu den genannten Daten der Tarife zusätzlich als Parameter die Endzeit und die Dauer einer Telekommunikationsverbindung und die entsprechenden Daten gehören, daß die Kommunikationsverbindung ohne vorherige Auswahl eines einzigen der Tarife durchgeschaltet wird, daß nach Ende der genannten Telekommunikationsverbindung anhand der Daten der Tarife ermittelt wird, welcher der Tarife auch unter Berücksichtigung der Dauer der Telekommunikationsverbindung der preisgünstigste ist, und daß für die Gebührenbelastung des Teilnehmers dieser genannte preisgünstigste Tarif herangezogen wird."
Der Vorrichtungsanspruch 4 lautet:
"4. Einrichtung zum Ausführen des Verfahrens nach einem der vorhergehenden Ansprüche, unter Einschluß eines Netzes, das zur Ausführung des Verfahrens ausgebildet ist, dadurch gekennzeichnet, daß ein Speicher (Tarifspeicher 20) vorhanden ist, in dem Daten mehrerer Tarife in Abhängigkeit von mehreren Parametern unter Einschluß der Parameter Endzeit und Verbindungsdauer gespeichert sind, und daß eine Einrichtung vorgesehen ist, der vom Netz gelieferte, das Gespräch charakterisierende Daten (AMA, Call-Detail-Record, Datenfile) zuführbar sind, und die anhand dieser Daten der einzelnen Gespräche oder Verbindungen aus den gespeicherten Daten der einzelnen Tarife denjenigen Tarif ermittelt, der für dieses spezielle bereits beendete Gespräch den niedrigsten Preis ergibt."
Zur Begründung führen die Patentinhaber im wesentlichen aus, Verfahren und Einrichtung seien insgesamt zweifelsfrei technischer Natur. Die einzelnen für sich gesehen betriebswirtschaftlich klingenden Merkmale und Überlegungen, wie die Auswahl eines Telefontarifs, seien so eng mit den ohne Zweifel technischen Maßnahmen, insbesondere mit der Erfassung der Dauer einer Telekommunikationsverbindung, verknüpft, dass vergleichbar mit dem Sachverhalt nach der BGH-Entscheidung "Tauchcomputer" (GRUR 1992, 430) die Gesamtheit aller beanspruchten Merkmale auf Patentfähigkeit zu prüfen sei. Für die Maßnahme jedoch, die Telekommunikationsverbindung ohne vorherige Auswahl eines einzigen der Tarife durchzuschalten und erst nach Ende der Verbindung anhand der Daten der Tarife zu ermitteln, welcher der Tarife auch unter Berücksichtigung der Dauer der jeweiligen einzelnen Telekommunikationsverbindung der preisgünstigste ist, gebe der Stand der Technik keinen Hinweis. Sofern überhaupt von einer Tariffestlegung vor dem Durchschalten einer Verbindung abgewichen werde, geschehe dies in diametraler Richtung zur patentierten Erfindung, nämlich unter Aufsummierung der Kosten vieler Telefongespräche gemäß dem Stand der Technik nach (9) oder (8). Für die Patentfähigkeit sprächen auch die mit der Erfindung erreichten erheblichen Vorteile und technischen Effekte, wie ein schnellerer Verbindungsaufbau, sowie wirtschaftlicher Erfolg.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II Der - zweifelsfrei zulässige - Einspruch hat Erfolg. Er führt zum Widerruf des Patents, weil es weder nach Hauptantrag (erteilte Fassung) noch nach Hilfsantrag (nur Vorrichtungsanspruch) bestandsfähig ist; sein Gegenstand ist nicht patentfähig. Sowohl das beanspruchte Verfahren als auch die beanspruchte Einrichtung beruht unter alleiniger Berücksichtigung des technischen Beitrags der beanspruchten Erfindung zum Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, §§ 1, 4 PatG.
1. Das Streitpatent betrifft nach Patentanspruch 1 ein Verfahren zum Bereitstellen von Telekommunikationsverbindungen in einem Telekommunikationssystem mit konkurrierenden Tarifen sowie nach Patentanspruch 4 eine Einrichtung zum Ausführen dieses Verfahrens unter Einschluss eines Netzes, das hierfür ausgebildet ist.
Die Beschreibung des Streitpatents schildert einleitend die Probleme, denen die Nutzer von Telekommunikationssystemen gegenüberstehen, in denen mehrere Netzbetreiber mit unterschiedlichen Tarifen Telekommunikationsverbindungen (Telefon-, Fax- oder Datenverbindungen) über das der Öffentlichkeit zugängliche Fernmeldenetz bereitstellen. Die Tarife unterschieden sich in Abhängigkeit davon, wann (Wochentag, Uhrzeit) und zwischen welchen Orten eine Verbindung hergestellt werde. Bei mehreren Netzbetreibern ergebe sich hierbei eine Vielzahl von möglichen Kombinationen, die dann, wenn ein Teilnehmer jeweils den günstigsten Gesprächstarif ausfindig machen wolle, eine erhebliche Mühe beim Überprüfen der Tariftabellen erforderlich machen würde. Daher seien bereits beim Teilnehmer anzuschließende Gebührensparer (Low Cost Router) geschaffen worden, die anhand der gewählten Rufnummer, der augenblicklichen Uhrzeit und des Wochentags aus abgespeicherten Tarifen den günstigsten ermitteln und den Anruf selbsttätig über den zugehörigen Anbieter abwickeln.
Wenn aber, wie dies häufig der Fall sei, Unterschiede zwischen den einzelnen Tarifen auch darin bestünden, dass für zunehmende Gesprächsdauern unterschiedliche Gebührenzuwächse berechnet würden, könne es vorkommen, dass bei einer Gesprächsdauer von nur 10 Sekunden ein Anbieter A der günstigere sei, bei 50 Sekunden Dauer dagegen ein Anbieter B. Dieser Umstand könne bei der Ermittlung des günstigsten Tarifs - vor Gesprächsbeginn - nur eingeschränkt berücksichtigt werden, beispielsweise durch vorherige Abschätzung, wie lange der zu tätigende Anruf dauern werde.
Zur Beseitigung dieses Nachteils schlägt das Streitpatent ein Verfahren und eine Einrichtung vor, wonach vorgesehen ist, dass erst nach dem Ende des Gesprächs ermittelt wird, welcher Tarif unter Berücksichtigung der Gesprächsdauer und anderer anspruchsgemäßer Verbindungsparameter der preisgünstigste ist.
2. Es ist zweifelhaft, ob die beanspruchte Erfindung dem Patentschutz grundsätzlich zugänglich ist, § 1 PatG. Bei der Prüfung einer beanspruchten Lehre auf technischen Charakter oder auf Vorliegen eines Ausnahmetatbestands nach § 1 Abs. 2, 3 PatG ist nach der neueren BGH-Rechtsprechung eine Gesamtbetrachtung darüber erforderlich, was nach der beanspruchten Lehre im Vordergrund steht (BGH GRUR 2000, 498 - Logikverifikation). Da nicht unberücksichtigt bleiben könne, dass das Patentrecht geschaffen worden sei, um durch Gewährung eines zeitlich beschränkten Ausschließlichkeitsschutzes neue, nicht nahegelegte und gewerblich anwendbare Problemlösungen auf dem Gebiet der Technik zu fördern, verbiete dies, jedwede in computergerechte Anweisungen gekleidete Lehre als patentierbar zu erachten, wenn sie nur - irgendwie - über die Bereitstellung der Mittel hinausgehe, welche die Nutzung als Programm für Datenverarbeitungsanlagen erlaubten. Die prägenden Anweisungen der beanspruchten Lehre müssten vielmehr insoweit der Lösung eines konkreten technischen Problems dienen (BGH GRUR 2002, 143 - Suche fehlerhafter Zeichenketten).
Nach der patentgemäßen Lehre steht die - selbsttätige - Ermittlung des preisgünstigsten Tarifs einer Telekommunikationsverbindung im Vordergrund, und zwar nach Beenden der Verbindung unter Berücksichtigung ihrer Dauer sowie anderer Parameter. Dies sind für sich gesehen betriebswirtschaftliche Überlegungen. Dies sind für sich gesehen betriebswirtschaftliche Überlegungen. Als technischen Effekt und insoweit gelöstes konkretes technisches Problem haben die Patentinhaber einen schnelleren Verbindungsaufbau geltend gemacht, der mit dem Merkmal, daß die Kommunikationsverbindung ohne vorherige Auswahl eines einzigen der Tarife durchgeschaltet wird, einhergehe. Ob diese Umstände ausreichen, dem beanspruchten Verfahren zuzubilligen, dass es nach § 1 PatG dem Patentschutz grundsätzlich zugänglich ist, mag fraglich sein.
Hingegen mag die nach Hauptantrag nebengeordnet und nach Hilfsantrag allein beanspruchte Einrichtung zum Ausführen des Verfahrens mit den im Patentanspruch 4 vorrichtungsmäßig gekennzeichneten Merkmalen nach der BGH-Entscheidung "Sprachanalyseeinrichtung" (GRUR 2000, 1007) ohne weiteres dem Patentschutz zugänglich sein, weil auch die vorliegend beanspruchte Vorrichtung in bestimmter Weise programmtechnisch eingerichtet ist. Von dieser Sichtweise ist der BGH auch in seiner späteren Entscheidung "Suche fehlerhafter Zeichenketten" (aaO) nicht abgegangen, wenngleich - wie hier - bei einer zu einem beanspruchten Verfahren korrespondierenden Vorrichtung in der Regel dasselbe Erfindungskonzept vorliegt und damit für sie ebenso prägend ist wie für das Verfahren.
Letztlich kann aber die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Kategorie hier eine dem Patentschutz grundsätzlich zugängliche technische Erfindung vorliegt, offen bleiben, weil den beanspruchten Gegenständen die erfinderische Tätigkeit fehlt.
3. Es ist schon fraglich, ob das Verfahren nach Patentanspruch 1 bei vollinhaltlicher Berücksichtigung der Gesamtheit aller Merkmale des Patentanspruchs unter Einschluss etwaiger nichttechnischer Merkmale auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Denn diese Frage darf nicht beschränkt auf die Kenntnisse aus dem druckschriftlichen Stand der Technik und das rein technische Denken und Handeln des einschlägigen technischen Fachmanns allein beantwortet werden, wie dies die Patentinhaber vortragen. § 4 PatG bestimmt schlechthin, dass eine Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Selbst der technische Fachmann, hier ein Elektroingenieur oder Physiker mit nachrichtentechnischer Ausbildung und Erfahrung auf dem engeren Gebiet des Fernsprechverkehrs einschließlich Tarifstruktur und Gebührenerfassung, handelt mit Verantwortung auch für geschäftlichen Erfolg. Dies veranlasst ihn, auf der Hand liegende Wünsche der Nutzer nach möglichst geringer Kostenbelastung bei der Anwendung seiner von ihm entwickelten Systeme schon von sich aus in Betracht zu ziehen oder jedenfalls zu beachten, wenn sie an ihn herangetragen werden (dazu Senatsentscheidung GRUR 2002, 418 - Selbstbedienungs-Chipkartenausgabe). Angesichts der in der Patentschrift wohl zutreffend als bekannt dargestellten unterschiedlichen Struktur der Tarife unterschiedlicher Anbieter von Telefonverbindungen mag sich daher ohne weiteres der Nutzerwunsch ergeben, den preisgünstigsten Tarif unter Einschluss der tatsächlichen Verbindungsdauer zu ermitteln. Dies ist naturgemäß erst nach Beenden eines Telefongesprächs möglich.
4. Jedenfalls aber beruht die beanspruchte Erfindung sowohl in ihrer verfahrensmäßigen als auch in ihrer vorrichtungsmäßigen Ausprägung unter alleiniger Berücksichtigung ihres technischen Beitrags zum Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
a) Das Patentrecht wurde geschaffen, um durch Gewährung eines zeitlich beschränkten Ausschließlichkeitsschutzes neue, nicht nahegelegte und gewerblich anwendbare Problemlösungen auf dem Gebiet der Technik zu fördern. Dieser vom BGH immer wieder hervorgehobene und ernstlich nirgends in Zweifel gezogene Grundsatz ist auch in der jüngsten BGH-Entscheidung "Suche fehlerhafter Zeichenketten" aaO zur Frage der Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen betont.
An diesen Grundsatz anknüpfend hat der Senat in seiner Entscheidung "Elektronischer Zahlungsverkehr" (GRUR 2003, 321) ausgeführt, auch die erfinderische Leistung müsse auf technischem Gebiet liegen. Als Beleg für diese Schlussfolgerung weisen die Gründe auf eine Reihe von BGH-Entscheidungen (GRUR 1987, 351 (353) - Mauerkasten II, GRUR 1990, 594 (596) - Computerträger, GRUR 1991, 120 (121) - Elastische Bandage, GRUR 1994, 36 - Messventil) hin, nach denen für technische Merkmalskombinationen das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit verneint wurde, weil die zugrunde liegenden Leistungen auf kaufmännischen Überlegungen beruhten, nicht dagegen auf einer über das konstruktivhandwerkliche Können des Durchschnittsfachmanns hinausgehenden Leistung.
Nach dem BGH-Urteil "Tauchcomputer" (GRUR 1992, 430) müsse zwar bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit der gesamte Erfindungsgegenstand unter Einschluss einer etwaigen Rechenregel berücksichtigt werden. Im vom BGH entschiedenen Fall habe aber die Rechenregel Tauchtiefen und Tauchzeiten, also technische Größen zum Inhalt gehabt. Eine Verallgemeinerung der dort getroffenen Aussage zum Umgang mit Merkmalen nichttechnischer Art im Patentanspruch auf beliebige Fälle, in denen die Rechenregel nichttechnische Größen betreffe - etwa, wie im vom Senat entschiedenen Fall, Geldbeträge - lasse sich aus der Entscheidung "Tauchcomputer" nicht begründen. Dem gemäß habe der BGH in seiner jüngeren Entscheidung "Sprachanalyseeinrichtung" (aaO) die Frage aufgeworfen, inwieweit Elemente, welche die inhaltliche Überarbeitung eines Textes betreffen, die als solche nicht ohne weiteres dem Bereich des Technischen zuzuordnen sei, bei der Prüfung der Schutzfähigkeit zu berücksichtigen seien. Er habe diese Frage aber offen gelassen, weil sie sich im entschiedenen Fall nicht gestellt habe. Allerdings habe der BGH ausgeführt, die "völlige Nichtberücksichtigung" von nichttechnischen Erkenntnissen, die einem Anmeldungsgegenstand zugrunde lägen, würde den von der Rechtsprechung zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit bei Erfindungen auf dem Gebiet der Datenverarbeitung entwickelten Grundsätzen widersprechen. Im Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe in "Sprachanalyseeinrichtung", so die Senats-Entscheidung, möge in dieser Feststellung die Betonung auf "völlige" zu legen sein, also eine Gewichtung weitreichenden Umfangs in Betracht kommen.
Nach Eingehen auf zwei einschlägige Beschwerdekammerentscheidungen des EPA (T 931/95 GRUR Int. 2002, 87 - Steuerung eines Pensionssystems/PBS PARTNERSHIP; T 619/98 vom 23. April 1999) und nach Hinweis auf den Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen vom 20. Februar 2002 heißt es in den Gründen der Senats-Entscheidung "Elektronischer Zahlungsverkehr" schließlich, aus Sinn und Zweck des Patentgesetzes und den aufgegriffenen Entscheidungen des BGH und des EPA ziehe der Senat - insoweit in Übereinstimmung mit den tragenden Erwägungen des Richtlinienentwurfs - die Folgerung, dass eine erfinderische Tätigkeit im Sinne von § 1 Abs 1, § 4 PatG nur auf einem technischen Beitrag zum Stand der Technik beruhen könne. Zur Ermittlung des technischen Beitrags dürfe allerdings der beanspruchte Erfindungsgegenstand nicht zerlegt und dann nur der Teil der Erfindung auf erfinderische Tätigkeit, d.h. Naheliegen, geprüft werden, der aus den technischen Merkmalen bestehe. Vielmehr sei zur Ermittlung des technischen Beitrags der Gegenstand des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit unter Einschluss der an sich nichttechnischen Merkmale zu berücksichtigen. Es hätten jedoch untechnische Bedeutungsinhalte bei der Prüfung auf Neuheit und erfinderische Tätigkeit außer Betracht zu bleiben, sofern sie keinen technischen Bezug aufweisen und auch mittelbar nicht zur Umschreibung eines technischen Merkmals des beanspruchten Gegenstands beitragen würden.
An dieser Auffassung hält der Senat fest. Darin bestärkt sieht er sich durch eine Reihe inzwischen ergangener weiterer Entscheidungen von Beschwerdekammern des EPA, von denen zwei beispielhaft erwähnt seien. So heißt es im Leitsatz zu T 641/00 vom 26. September 2002 (GRUR Int. 2003, 852 - Zwei Kennungen/COMVIC), bei einer Erfindung, die aus einer Mischung technischer und nichttechnischer Merkmale bestehe und als Ganzes technischen Charakter aufweise, seien in bezug auf die Beurteilung des Erfordernisses der erfinderischen Tätigkeit alle Merkmale zu berücksichtigen, die zu diesem technischen Charakter beitragen, wohingegen Merkmale, die keinen solchen Beitrag leisten, das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit nicht stützen könnten. Als weiteres Beispiel wird auf T 214/01 vom 7. März 2003 verwiesen, wo es unter 5. der Entscheidungsgründe heißt: "However, an abstract algorithm is relevant to inventive step only if a technical effect can be established which is causally linked to the algorithm, providing a contribution to the solution of a technical problem and conferring, in this sense, "technical character" to the algorithm (see T 27/97 Cryptographie à cles publiques/ FRANCE TELECOM, not published in OJ EPO)."
Die erfinderische Leistung muss also auf technischem Gebiet liegen.
b) Für den vorliegenden Sachverhalt ergibt sich danach Folgendes.
aa) Der Stand der Technik nach (9), den die Patentinhaber in der mündlichen Verhandlung in den Vordergrund stellen, betrifft bereits ein Verfahren zum Bereitstellen von Kommunikationsverbindungen, bei dem erst nach dem Ende von Gesprächen ermittelt wird, welcher Tarif - je nach Tarifgestaltung auch unter Berücksichtigung der Gesprächsdauer - der preisgünstigste ist. Allerdings erfolgt diese Ermittlung nicht für jedes Einzelgespräch, sondern für alle innerhalb eines Abrechnungszeitraums geführten Gespräche bezüglich der Gesamtsumme aller Gesprächsdauern innerhalb verschiedener Entfernungsabschnitte.
Nach (9), Anspruch 1 Spalte 6 Zeilen 29 bis 36, werden Telekommunikationsverbindungen in einem Telekommunikationssystem mit konkurrierenden Tarifen (service plans) an die Teilnehmer bereitgestellt, wobei eine Auswahl eines für den Teilnehmer preisgünstigsten Tarifs anhand von Daten von konkurrierenden Tarifen getroffen wird (Sp 6 Z 56-67). Dass hierzu diese Daten in einem Speicher enthalten sind, versteht sich von selbst (siehe auch Sp 4 Z 33-36). Diese Daten stellen Preise in Abhängigkeit von Startzeit der Kommunikationsverbindung (Sp 6 Z 33 iVm Sp 4 Z 11-20) und Tarifzone (über rufende und gerufene Telefonnummer, vergl Sp 4 Z 38 bis Tabelle 1) dar. Damit ist aus (9) ein Verfahren mit den Merkmalen im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 als bekannt entnehmbar.
In weiterer Übereinstimmung mit dem beanspruchten Verfahren können nach (9) zu den genannten Daten der Tarife zusätzlich als Parameter die Dauer einer Telekommunikationsverbindung und die entsprechenden Daten gehören (Sp 5 Z 7-14; zum Prinzip eines auf Gesprächsdauersummen basierten Tarifs auch Sp 2 Abs 2). Jedenfalls wird die Gesprächsdauer jedes Einzelgesprächs zur Ermittlung der Kosten immer erfasst (Sp 1 vorle Abs; Sp 4 Z 38-40). Wie beim beanspruchten Verfahren wird die Kommunikationsverbindung ohne vorherige Auswahl eines einzigen der Tarife durchgeschaltet (Sp 2 Z 40-43 iVm Sp 1 Z 41-46). Erst für einen gewissen Abrechnungszeitraum und damit nach Ende einer größeren Anzahl von Telekommunikationsverbindungen wird anhand der Daten der Tarife ermittelt, welcher der Tarife auch unter Berücksichtigung der (Gesamt-)Dauer der Telekommunikationsverbindungen der preisgünstigste ist (Fig 4 mit zugehöriger Beschreibung; Anspruch 3 iVm Anspruch 1). Schließlich wird wie bei der Erfindung für die Gebührenbelastung des Teilnehmers dieser genannte preisgünstigste Tarif herangezogen (Anspruch 1 letztes Merkmal; Fig 4 unterste Tabelle Spalte "cost to account").
Als Unterschied zum Stand der Technik nach (9) verbleibt somit, dass anspruchsgemäß zu den Daten der Tarife zusätzlich als Parameter die Endzeit einer Telekommunikationsverbindung gehört, und dass nicht für die Gesamtheit mehrerer Gespräche, sondern für jedes Einzelgespräch unter Berücksichtigung auch seiner Dauer der preisgünstigste Tarif ermittelt wird.
bb) Da bei (9) ausdrücklich Startzeit und Dauer einer Verbindung gespeichert werden (Sp 1 vorletzter Abs), liegt es auf der Hand, auch die Endzeit - zur Ermittlung der Dauer - zu erfassen. Außerdem gehört wie die Startzeit und das Datum einer Verbindung üblicherweise auch die Endzeit zu den Tarifdaten, weil sie in einen Zeitabschnitt mit anderen Gebühren als die Startzeit fallen kann (vergl (9) Sp 4 Z 16-21; (10) Fig 11 iVm S 21 Abs 3).
Die darüber hinaus durch die Erfindung zum Stand der Technik nach (9) beigetragene Maßnahme, anstelle der Gesamtheit mehrerer Telefongespräche nunmehr für jedes Einzelgespräch unter Berücksichtigung auch seiner Dauer den preisgünstigsten Tarif zu ermitteln, unterliegt Kalkulationsgesichtspunkten und wettbewerblichen Betrachtungen. Das liegt nicht auf technischem Gebiet, sondern beruht auf bloßen geschäftlichen Überlegungen, die folglich die erfinderische Tätigkeit nicht stützen können. Ein mit der Erfindung verbundener wirtschaftlicher Erfolg, wie von den Patentinhabern geltend gemacht, beruht daher ebensowenig auf einer technischen Leistung.
Die technischen Größen, die eine Telekommunikationsverbindung kennzeichnen, nämlich Startzeit, rufende und gerufene Telefonnummer (damit die Entfernung) sowie Dauer der Verbindung liegen nach (9) in Gestalt eines "record" für jedes einzelne Gespräch vor (Sp 1 vorletzter Abs), die Berücksichtigung der Endzeit als weiteren Parameter liegt auf der Hand. Es bedarf also diesbezüglich keiner technischen Überlegungen, insbesondere auch nicht zur Erfassung der Gesprächsdauer. Wie diese einzelnen Größen dann in die Kosten eines Telefongesprächs eingehen, also die Tarifgestaltung, liegt ebenso in den Händen des Geschäftsmanns wie die Wahl eines Abrechnungsmodus hinsichtlich einzelner oder aufsummierter Gespräche.
Es liegt auch keine enge Wechselwirkung zwischen Tarifgestaltung (einschließlich Abrechnungsmodus) und den eine beendete Gesprächsverbindung kennzeichnenden Größen vor. Allein dem Kaufmann ist die Entscheidung überlassen, wie er diese erfassten und gespeicherten Größen zu einem Preis verknüpft. Das patentgemäße Verfahren verlangt keine anderen Größen als die auch beim Stand der Technik nach (9) erfassten und verwerteten: Lediglich deren Verknüpfung ist eine andere, nämlich zu anderer Preisgestaltung und Abrechnung, also einem kaufmännischen Zweck und einem kaufmännischen Ergebnis, nicht aber zu einer anderen technischen Größe. Damit geht auch der Hinweis der Patentinhaber auf die BGH-Entscheidung "Tauchcomputer" (aaO) fehl. Zwar hat der BGH in dieser Entscheidung betont, bei der Prüfung von Erfindungen, die Merkmale technischer Natur mit Merkmalen nichttechnischer Art verknüpften, müsse auf erfinderische Tätigkeit der gesamte Erfindungsgegenstand unter Einschluss einer etwaigen Rechenregel berücksichtigt werden. Es dürfe der Erfindungsgegenstand nicht zerlegt und dann nur der Teil der Erfindung auf erfinderische Tätigkeit, d.h. Naheliegen, geprüft werden, der aus den technischen Merkmalen bestehe (GRUR 1992, 430 [432]). Im entschiedenen Fall hatte aber die Rechenregel die technischen Größen Tauchtiefen und Tauchzeiten nicht nach kaufmännischen Gesichtspunkten verknüpft, sondern nach naturwissenschaftlichen Zusammenhängen zu einem technischen Ergebnis, der - angezeigten - Gesamtauftauchzeit.
Der von den Patentinhabern schließlich noch geltend gemachte technische Effekt eines schnelleren Verbindungsaufbaus mag den technischen Charakter der Erfindung stützen, nicht jedoch die erfinderische Tätigkeit, weil darin kein Unterschied zum Stand der Technik nach (9) besteht.
cc) Die gemäß Hilfsantrag allein beanspruchte Einrichtung zum Ausführen des Verfahrens beruht aus sinngemäß denselben Gründen wie das Verfahren nach Patentanspruch 1 nach Hauptantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die Einrichtung gemäß Patentanspruch 4 umschreibt die Erfindung in vorrichtungsmäßiger Ausprägung korrespondierend zum Verfahren des Patentanspruchs 1. Auch aus dem Stand der Technik nach (9) entnimmt der Fachmann die zu den dort beschriebenen Verfahrensschritten notwendig gehörenden Vorrichtungsmerkmale ohne weiteres, soweit sie nicht ohnehin konkret angegeben sind, vergleiche Figur 1. Auch das zur Einrichtung noch beanspruchte Netz, das zur Ausführung des Verfahrens ausgebildet sein und das jeweilige Gespräch charakterisierende Daten (AMA, Call-Detail-Record, Datenfile) liefern soll, entnimmt der Fachmann aus (9) (Fig 1 mit zugehöriger Beschreibung, insbes Sp 3 Z 62 bis Sp 4 Z 4). Als Unterschied gegenüber dem Stand der Technik nach (9) verbleiben daher für die beanspruchte Einrichtung nur die den oben zum Verfahren dargelegten entsprechenden Merkmale.
III Die Zulassung der Rechtsbeschwerde folgt aus § 147 Abs. 3 Satz 5 iVm § 100 Abs. 2 Nr. 2 PatG.
Dr. Anders Dr. Hartung Martens Dr. Zehendner Be
BPatG:
Beschluss v. 10.05.2004
Az: 20 W (pat) 314/02
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