Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 26. April 2007
Aktenzeichen: 2 Ws 36/07

(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 26.04.2007, Az.: 2 Ws 36/07)

Für die Tätigkeit im Entschädigungsverfahren steht dem Vollverteidiger keine gesonderte Gebühr zu. Eine analoge Anwendung der Nr. 4143, 4144 VV RVG ist nicht möglich.

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.

Gründe

Durch Urteil des Landgerichts Gießen vom 20.09.2005 (7 KLs 405 Js 13930/04), rechtskräftig seit demselben Tage, wurden die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt und die Kosten des Verfahrens der Staatskasse auferlegt. Durch Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Gießen vom 30.11.2005 wurden daraufhin 1.706,82 € Kostenerstattung an die Verteidigerin antragsgemäß zugebilligt.

Auf den danach gleichfalls über die Verteidigerin gestellten Antrag auf Feststellung, dass dem Betroffenen eine Haft- bzw. Unterbringungsentschädigung zustehe, lehnte das Landgericht dies durch Beschluss vom 20.03.2006 ab.

Diese Entscheidung wurde auf die über die Verteidigerin eingelegte sofortige Beschwerde durch Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 18.05.2006 (3 Ws 509/06) aufgehoben und angeordnet, dass der vormals Beschuldigte eines Unterbringungsverfahrens gemäß § 2 StrEG für die Dauer der Untersuchungshaft bzw. der einstweiligen Unterbringung vom 25.06.2004 bis zum 20.09.2005 zu entschädigen ist. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit dem Antragsteller erwachsenen notwendigen Auslagen wurden der Staatskasse auferlegt.

Der Antragsteller wurde daraufhin durch Bewilligungs- und Aufrechnungsbescheid der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt vom 13.07.2006 (4 StrES 140/06) entschädigt. Ihm wurden für 453 Tage Freiheitsentziehung 4.983,- € Immaterialschadensersatz zugebilligt, zuzüglich 477,11 € an Rechtsanwaltskosten, nämlich als notwendige Auslagen für die Inanspruchnahme der Verteidigerin als Verfahrensbevollmächtigte im Entschädigungsverfahren, die sich aus 1,3 Gebühren gemäß Nr. 2400 VV RVG, nämlich 391,30 €, zuzüglich 20,- € Auslagen und 65,81 € Umsatzsteuer zusammensetzten.

Hiergegen wurde mit einer Forderung der Staatskasse gegen den vormals Beschuldigten in Höhe von 362,31 € aufgerechnet und 5.097,80 € an die Verteidigerin als Verfahrensbevollmächtigte ausgezahlt.

Durch Kostenfestsetzungsantrag vom 09.06.2006, völlig identisch nochmals wiederholt am 01.12.2006, beantragte die Verteidigerin, wegen €Entschädigung nach dem StrEG€ 1.617,62 € als von der Staatskasse an sie zu ersetzend festzusetzen. Bereits am 08.06.2006 hatte sie beantragt, wegen €Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen€ 721,52 € als von der Staatskasse an sie zu ersetzend festzusetzen.

Durch Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Gießen vom 29.12.2006 wurden 581,86 € als von der Staatskasse an die Verteidigerin zu ersetzend festgesetzt, nämlich ausschließlich für die Vertretung im Beschwerdeverfahren 3 Ws 509/06. Insofern wurden 481,60 € als 1,6 Gebühren aus Nr. 2300 VV RVG, zuzüglich 20,- € Auslagen und 80,26 € Umsatzsteuer angesetzt.

Hiergegen richtet sich die gemäß §§ 464b S. 3 StPO, i. V. m. 11 Abs. 1 RPflG, 104 Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zulässige sofortige Beschwerde, mit der weiterhin eine höhere Kostenfestsetzung, nämlich Gebühren aus § 13, Nr. 4143, 4144 VV RVG für das Verfahren über die Feststellung der Entschädigungspflicht in zwei Instanzen aus einem Gegenstandswert von 4.972,- € in einer Gesamthöhe von 1.617,62 € begehrt wird.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, da weder die im Kostenfestsetzungsbeschluss festgesetzten, noch die beantragten weitergehenden Gebühren angefallen sind.

Für das der Entschädigungsgrundentscheidung nachfolgende Entschädigungsbetragsverfahren ist der Verteidigerin als Verfahrensbevollmächtigte bereits durch den Bewilligungs- und Aufrechnungsbescheid der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt vom 13.07.2006 der Ersatz notwendiger Auslagen aus einem insofern außergerichtlichen Verfahren € nämlich dem Justizverwaltungsverfahren gemäß § 10 StrEG € aus Nr. 2400 VV RVG zugebilligt worden. Hiergegen wendet sich die Beschwerde auch nicht, zumal diese Entscheidung nicht im Beschwerdewege angreifbar ist, sondern dagegen die Leistungsklage im ordentlichen Rechtsweg erhoben werden müsste.

Zwar sind hierin nicht € wovon der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss und die Vorlageentscheidungen des Landgerichts vom 29.01.2007 und 21.02.2007 aber ausgehen € auch bereits Gebühren für das Verfahren über die Entschädigungsgrundentscheidung enthalten.

Das Entschädigungsbetragsverfahren ist vielmehr von der Entschädigungsgrundentscheidung gesondert zu betrachten. Aus dem Bewilligungs- und Aufrechnungsbescheid der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt vom 13.07.2006 geht dem entsprechend auch nicht hervor, dass hier über weitergehende Auslagen, als eben über die für die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts für das Entschädigungsbetragsverfahren gemäß § 10 StrEG entschieden worden wäre.

Die Entschädigungsgrundentscheidung stellt aber lediglich einen Annex zum Straf- oder Sicherungsverfahren dar (BGHSt 26, 250 [256] = NJW 76, 523 ff.). Gemäß § 8 Abs. 1, S. 1 StrEG ist die Entschädigungsgrundentscheidung grundsätzlich von Amts wegen bereits im Urteil (oder in dem dem entsprechenden verfahrensbeendenden Beschluss) zu treffen. Nur in dem Ausnahmefall, in dem dies nicht möglich ist € oder wie hier versäumt wurde € ist ausnahmsweise gemäß § 8 Abs. 1 S. 2 StrEG eine Nachtragsentscheidung veranlasst.

Infolge dessen ist dann, wenn € wie hier € der Rechtsanwalt bereits als Verteidiger im vorhergehenden offiziellen Straf- oder Sicherungsverfahren tätig war, seine Tätigkeit im Entschädigungsgrundverfahren pauschal mit den Gebühren nach Nr. 4100 ff. VV RVG abgegolten, wobei die erforderliche Mehrarbeit bei der Bestimmung der konkreten Gebühr unter Beachtung der in § 14 RVG beispielhaft genannten Bewertungsmerkmale ihre Berücksichtigung finden kann (Göttlich/Mümmler/Rehberg/Xanke, RVG, Stichwort: Strafrechtsentschädigungsgesetz, 3.1 Grundverfahren m. w. Nachw.).Eine analoge Anwendung der Nr. 4143, 4144 VV RVG kommt dagegen nicht in Betracht (so auch Göttlich/Mümmler/Rehberg/Xanke a.a.O., anders Burhoff, RVG, Nr. 4143 VV, RNr. 5; Schneider in Schneider/Wolf, RVG, 3. Aufl., Nr. 4143, 4144 VV, RNr. 8; Hartung in Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., Nr. 4143, 4144 VV, RNr. 8; Hartmann, Kostengesetze, 36. Aufl., VV 4143, 4144, RNr. 4; nicht aber Uher in Bischhof/Jungbauer, RVG, 2. Aufl., VV 4143, 4144; Madert in Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, RVG, 17. Aufl., VV 4143, 4144; Schmahl in Riedl/Sußbauer, RVG, 9. Aufl., VV 4143, 4144; Kroiß in Mayer/Kroiß, RVG, 2. Aufl., VV 4143, 4144;).Denn für eine analoge Anwendung fehlt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Nicht jede Einzeltätigkeit des Rechtsanwalts als Verteidiger im Straf- oder Sicherungsverfahren hat der Gesetzgeber mit einem eigenen Gebührentatbestand ausstatten wollen. Ansonsten wäre die Aufnahme einer Grundgebühr als Rahmengebühr in das Vergütungsverzeichnis bereits kaum zu rechtfertigen. Darüber hinaus ist die durch den Gesetzgeber in den §§ 42 und 51 RVG eröffnete Möglichkeit, für Verteidigertätigkeiten von besonderem Umfang oder besonderer Schwierigkeit, denen durch Ausschöpfung der Rahmengebühr, soweit diese eröffnet ist, nicht ausreichend Rechnung getragen werden kann, Pauschgebühren zu bewilligen, bereits von der Gesetzeskonstruktion her analogiefeindlich, da hierdurch bereits im Gesetz vorgegeben ist, auf welchem Wege anwaltliche Tätigkeit im Strafverfahren, die vom Regelwerk der VV RVG nicht ausreichend erfasst wird, einer Vergütung zuzuführen ist.

Dass eine planwidrige Regelungslücke nicht vorliegt, ergibt sich auch schon daraus, dass die Fragestellung nach der Verteidigervergütung für das Entschädigungsgrundverfahren keineswegs erst mit dem Inkrafttreten des RVG auftrat, sondern bereits lange vorher diskutiert wurde € mit überwiegend eine gesonderte Vergütung ablehnendem Ergebnis (Meyer, JurBüro 92, 4 f. m. w. Nachw.; OLG Bremen, Beschl. v. 11.03.1975, Ws 88/74, juris). Schuf der Gesetzgeber danach mit dem RVG und der VV RVG ein umfassendes neues Regelungswerk zur Vergütung anwaltlicher Tätigkeit, einschließlich diverser neuer strafverfahrensrechtlicher Gebührentatbestände, bei denen die zugrunde liegende Tätigkeit in der Vergangenheit häufig zur Bewilligung von Pauschgebühren nach der BRAGO geführt hat (BTDrucks. 15/1971, S. 201), nahm er aber € anders als in diesen Fällen € die Tätigkeit im Entschädigungsgrundverfahren nicht gesondert in das neu geschaffene Gebührenverzeichnis auf, so hat er damit zum Ausdruck gebracht, dass € wie bis dahin auch schon € diese Tätigkeit normalerweise mit der Regelvergütung abgegolten ist. Als Ausnahme kommt wiederum nur in Betracht, dass die entfaltete Tätigkeit so umfangreich oder schwierig ist, dass sie die Bewilligung einer Pauschgebühr rechtfertigt.

Weiterhin liegt den Nr. 4143, 4144 VV RVG auch weder eine vergleichbare Regelungsmaterie noch ein vergleichbarer Normzweck zugrunde. Diese betreffen nämlich das Adhäsionsverfahren, das der Gesetzgeber auch durch die Schaffung zusätzlicher finanzieller Anreize auf Anwaltsseite in der Anwendung stärken wollte, schon um die Klärung der zivilrechtlichen Schadensersatzpflichten aus Straftaten zu beschleunigen und um zusätzliche Zivilprozesse zu vermeiden. Dementsprechend ist das Adhäsionsverfahren gemäß §§ 403 ff. StPO auch grundsätzlich auf die Schaffung eines vollen zivilrechtlichen Titels gerichtet, selbst wenn die Möglichkeit besteht, nur eine Grundentscheidung zu treffen. Das Adhäsionsverfahren soll somit € jedenfalls im vom Gesetzgeber angestrebten optimalen Fall € einen kompletten Zivilprozess ersetzen, weswegen auch Regeln der ZPO teilweise Anwendung finden und das Adhäsionsverfahren zur Disposition der Parteien steht. Dem ist auf der Seite der Anwaltsvergütung durch Einführung der gemäß §§ 13, 49 RVG gegenstandswertbezogenen Gebühren der Nr. 4143, 4144 VV RVG Rechnung getragen.

Demgegenüber ist die Entschädigungsgrundentscheidung von Amts wegen zu treffen, ohne dass es eines Antrages überhaupt bedarf. Es wird nur geprüft, ob ein entschädigungsfähiger Tatbestand erfüllt ist. Die Entscheidung steht unter dem stillschweigenden Vorbehalt, dass dem Betroffenen überhaupt ein Schaden entstanden ist, was aber erst im Betragsverfahren erstmals zu prüfen ist. Teilweise wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung eine (bejahende) Grundentscheidung sogar als indiziert angesehen, wenn ein tatsächlicher Schaden offensichtlich nicht entstanden ist (Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 8 StrEG, RNr. 1 € 4 m. w. Nachw.). Schon daraus wird deutlich, dass die Anwendung gegenstandwertbezogener Gebührentatbestände verfehlt ist. Insbesondere aber ist der Entscheidungsgegenstand nur eine unselbständige Nebenentscheidung des Strafverfahrens und mit dem Gegenstand des Adhäsionsverfahren nicht zu vergleichen.

Dem entsprechend wäre auch für die Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen die Entscheidung des Landgerichts vom 20.03.2006, die zu dem Beschwerdeverfahren 3 Ws 509/06 führte, nur dann eine gesonderte Gebühr gemäß Nr. 4302 VV RVG in Ansatz zu bringen gewesen, wenn die hiermit beauftragte Rechtsanwältin nicht auch Verteidigerin im sonstigen Verfahren gewesen wäre. Die Anwendung der Nr. 2300 VV RVG im Verfahren über die Entschädigungsgrundentscheidung kommt gleichfalls weder direkt in Betracht, da Nr. 2300 VV RVG auf die außergerichtliche Vertretung gerichtet ist, noch analog. Insofern wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.






OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 26.04.2007
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