Kammergericht:
Beschluss vom 1. November 2005
Aktenzeichen: 22 W 45/05

(KG: Beschluss v. 01.11.2005, Az.: 22 W 45/05)

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 05. August 2005 - 21a O 140/05 € aufgehoben. Das Landgericht wird angewiesen, den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

Die sofortige Beschwerde richtet sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für die Rechtsverteidigung gegen die Klage sowie für die Rechtsverfolgung der Beklagten mit der Widerklage. Wegen des Sachverhalts wird auf die angefochtene Entscheidung verwiesen.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 127 Abs. 2 Satz 1, 567 Abs. 1 ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie hat in der Sache auch Erfolg.

Die Rechtsverfolgung der Beklagten hat die für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 114 ZPO. Danach besteht nach ganz herrschender Meinung eine hinreichende Erfolgsaussicht bereits dann, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung schwieriger, bisher ungeklärter Rechtsfragen abhängt (vgl. etwa BVerfG NJW 1991, 413; BGH, Beschl. v. 19.12.2002 - III ZB 33/02 = NJW 2003, 1192 = MDR 2003, 405; Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 114 ZPO Rdn.436 jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Das folgt aus dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung aller Rechtssuchenden und dem Rechtsstaatsprinzip. Denn die Prüfung hinreichender Erfolgsaussicht im Prozesskostenhilfeverfahren soll, sofern die Erfolgschance nicht nur eine entfernte ist, den Rechtsschutz lediglich zugänglich machen, nicht aber selbst bieten. Sie darf insbesondere nicht dazu führen, dass die Entscheidung über schwierige und zweifelhafte Rechtsfragen in das Nebenverfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorverlagert wird und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens tritt, unter Verkürzung der im Hauptsacheverfahren besseren Möglichkeiten für die mittellose Partei, ihr Rechtsschutzziel durchzusetzen und unter Verkürzung und des Rechtsmittelzuges (vgl. etwa BVerfG NJW 1991, 413). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht im vorliegenden Fall nach Auffassung des Senats eine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne von § 114 Abs. 1 ZPO für die Rechtsverfolgung der Beklagten.

Entgegen der vom Landgericht vertretenen Ansicht ergibt sich aus den Darlegungen der Beklagten in einem für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe hinreichenden Maße, dass hier die Voraussetzungen eines Widerrufsrechts nach § 1 Abs. 1 HWiG vorliegen können, ohne dass dies im Verfahren betreffend die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abschließend entschieden werden muss.

Es besteht mittlerweile Einigkeit darüber, dass auch für Darlehensverträge, die zur Finanzierung von Immobilien in einer Haustürsituation im Sinne von § 1 HWiG a.F. (jetzt: § 312 BGB) geschlossen worden sind, das Widerrufsrecht nach § 1 HWiG a. F. gilt (vgl. BGH NJW 2002, 1881 = BGHZ 150, 248).

Im vorliegenden Fall liegen auch für die Bejahung einer hinreichenden Erfolgsaussicht ausreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass die Voraussetzungen eines Widerrufsrechts im einzelnen erfüllt sind. § 1 Abs. 1 Nr. 1 HWiG a. F. setzt voraus, dass der Kunde an seinem Arbeitsplatz oder in einer Privatwohnung zu einer späteren Vertragserklärung bestimmt worden ist, wobei Mitursächlichkeit ausreichend ist (vgl. BGH Urteil vom 16. Januar 1996 € XI ZR 116/95 = NJW 1996, 926; BGHZ 131, 385). Hier hat unstreitig ein für die H. & B. Gruppe tätiger Vermittler die Beklagte und ihren verstorbenen Lebensgefährten am 06. November 1993 aufgesucht, umfangreich für den Kauf der Eigentumswohnung und die Finanzierung durch zwei Bausparverträge sowie Vorausdarlehen geworben und hierüber mit der Beklagten und ihrem inzwischen verstorbenen Lebensgefährten ein Gespräch geführt. Die Beklagte und ihr verstorbener Lebensgefährte haben dann im Verlaufe dieses Besuchs die Bausparanträge über 60.000,00 DM (Anl. BK 2) und über 59.000,00 DM (Anl. BK 3) unterzeichnet, die später von der Klägerin angenommen worden sind. Ferner haben die Beklagte und ihr verstorbener Lebensgefährte den Besuchsbericht (Anl. BK4), die Risikohinweise (Anl. BK5), den bereits sehr konkret ausgestalteten Objekt- und Finanzierungsvermittlungsauftrag an die H. & B. GmbH Anl. (Anl. BK 6) und die Vereinbarung über Mietenverwaltung (Mietpool € Anl. BK9) unterschrieben. Der Objekt- und Finanzierungsvermittlungsauftrag enthält bereits eine €unwiderrufliche Anweisung" an den Notar S., die im einzelnen aufgeführten Beträge an die jeweils aufgeführten Empfänger (Kaufpreis an Verkäuferin A. AG; Grunderwerbssteuer an das Finanzamt, Notar- und Gerichtskosten an Notar S. ; Finanzierungsvermittlungsgebühr, Courtage und Abschlussgebühr jeweils an die H. & B. GmbH) weiterzuleiten und den Rest mit ihm abzurechnen.

Unter diesen Umständen bestehen beim Senat Bedenken gegen die Ansicht des Landgerichts, vom Fehlen einer Kausalität der Haustürsituation für den Abschluss des Darlehensvertrages sei allein wegen des Zeitablaufs zwischen dem Gespräch vom 6. November 1993 in der Wohnung der Beklagten und der Unterzeichnung des Darlehensvertrages durch die Beklagten am 18. Dezember 1993 auszugehen. Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen den mündlichen Verhandlungen im Sinne von § 1 HWiG und der Vertragserklärung wird vom Gesetz nicht gefordert; Entscheidend ist allein die Fortwirkung der durch die besondere Situation hervorgerufenen Wirkung. (vgl. BGH Urteil vom 16. Januar 1996 € XI ZR 116/95 = NJW 1996, 926; BGHZ 131, 385; BGH Urteil vom 17. September 1996 € XI ZR 197/95 = NJW 1996, 3416; Staudinger/Werner, Verbraucherkreditgesetz, Haustürwiderrufsgesetz, § 13a UWG, Teilzeitwohnrechtegesetz, Neubearbeitung 2001, § 1 HWiG Rdn. 70 m.w.N.). Der Zeitraum zwischen den Vertragsverhandlungen und der Vertragserklärung des Verbrauchers ist nur im Rahmen der Beweislast und der Beweisführung von Bedeutung (vgl. Staudinger/Werner, a.a.O.). Im vorliegenden Fall wirkt das Gespräch in der Wohnung der Beklagten vom 6. November 1993 schon durch die Unterzeichnung der genannten Unterlagen durch die Beklagte und ihren verstorbenen Lebensgefährten, vor allem des Finanzierungsvermittlungsantrages fort und war für den späteren Abschluss der Darlehensverträge jedenfalls mit ursächlich. Es ist kaum wahrscheinlich, dass es ohne das von dem Vermittler der H. & B. Gruppe am 06. November 1993 mit den Beklagten geführte Gespräch und die Unterzeichnung der Unterlagen zum Abschluss des Darlehensvertrages zwischen der Beklagten und ihrem damaligen Lebensgefährten einerseits und der B. Bank andererseits gekommen wäre.

Die Kausalität entfällt hier auch nicht dadurch, dass der Kaufvertrag über die Eigentumswohnung am Tage vor Unterzeichnung des Darlehensvertrages durch die Beklagte notariell beurkundet worden ist. Dieser Umstand hat nach Auffassung des Senats den Kausalzusammenhang entgegen teilweise vertretener Ansicht (vgl. etwa Thüringer OLG vom 13. Januar 2004 € 5 U 250/03) nicht ohne weiteres unterbrochen. Denn die notarielle Belehrungspflicht nach § 17 BeurkG, die nach dem Gesetzeszweck das Erfordernis einer Widerrufsbelehrung entfallen lässt, bezieht sich nicht auf das Darlehen, sondern nur auf das beurkundete Geschäfts selbst. Ohne weiteres dürfte daher nach Auffassung des Senats die notarielle Beurkundung des finanzierten Geschäfts die Kausalität zwischen der Haustürsituation und dem Abschluss des Kreditvertrages nicht unterbrechen (vgl. dazu auch KG Beschluss vom 06.01.2005 € 4 W 43/04; KG, Urteil vom 27. September 2004 € 26 U 8/04). Jedenfalls erscheint es nicht angezeigt, diese Frage vorab im Prozesskostenhilfeverfahren zu prüfen.

Die Zurechenbarkeit der Haustürsituation scheitert hier auch nicht daran, dass die verantwortlich handelnden Personen bei der B. Bank möglicherweise hiervon nichts wussten. Die Klägerin hat bei Abschluss der Darlehensverträge nach deren Wortlaut im Namen und für Rechnung der B. Bank gehandelt, womit sich die B. Bank etwaiges Wissen der Klägerin gemäß § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen muss. Die Klägerin ihrerseits hat in erheblichem Umfang mit der H. & B. Gruppe zusammengearbeitet und es spricht daher Einiges dafür, dass der Klägerin jedenfalls die Art und Weise der Vermittler dieser Gruppe bekannt war, Verträge anzubahnen. Das gilt insbesondere auch, weil zu den Kreditunterlagen auch der so genannte Besuchsbericht gehört, aus dem eine Haustürsituation ersichtlich ist. Unabhängig davon hat aber der Europäische Gerichtshof nunmehr mit seinem Urteil vom 25.10.2005 in der Rechtssache C-229/04 entschieden, dass im Falle der Einschaltung eines Dritten in die Aushandlung oder den Abschluss eines Vertrages die Anwendung der Richtlinie 85/577/EWG nicht davon abhängig gemacht werden kann, dass der Gewerbetreibende wusste oder hätte wissen müssen, dass der Vertrag in einer Haustürsituation geschlossen wurde. Die Beklagte könnte der Klägerin als Zedentin und Rechtsnachfolgerin der B. Bank etwa dieser gegenüber bestehende Einwendungen auch gemäß § 404 BGB entgegenhalten.

Insgesamt sind derzeit die Fragen, welche Voraussetzungen und Rechtsfolgen ein wirksamer Widerruf eines durch Grundpfandrechte gesicherten Darlehens nach den Bestimmungen des Haustürwiderrufsgesetzes bei sogenannten verbundenen Geschäften hat, insbesondere unter europarechtlichen Gesichtspunkten in erheblichem Maße umstritten (vgl. dazu nur die Darstellungen des Meinungsstreits in den Vorlagebeschlüssen des OLG Bremen vom 27. Mai 2004 - NJW 2004, 2238 und des LG Bochum vom 29. Juli 2003 € NJW 2003, 2238). Der Europäische Gerichtshof hat zwar nunmehr mit seinen Urteilen vom 25.10.2005 in den Rechtssachen C 350/03 und C-229/04 entschieden, dass für den Fall, dass bei einem solchen Geschäft das Kreditinstitut seiner Pflicht nicht nachgekommen ist, den Verbraucher über das Widerrufsrecht zu belehren und der Verbraucher bei ordnungsgemäßer Belehrung die Risiken, die mit Kapitalanlagen der im vorliegenden Fall vorliegenden Art verbunden sind, hätte vermeiden können, Artikel 4 der Richtlinie 85/577/EWG die Mitgliedstaaten verpflichte, Maßnahmen zu treffen, die verhindern, dass die Verbraucher die Folgen dieser Risiken tragen.

Jedoch wird danach durch die obergerichtliche Rechtsprechung neu zu klären sein, wie die von europäischen Gerichtshof geforderten Maßnahmen zum Schutze von nicht über ihr Widerrufsrecht nach § 1 HWiG a. F. belehrten Kreditnehmern vor den Risiken der finanzierten Geschäfte durch die Rechtsprechung ausgestaltet werden sollen. Hier könnte etwa an eine entsprechende Anwendung der vom Bundesgerichtshof entwickelten Regeln über verbundene Geschäfte gemäß § 242 BGB gedacht werden. Auch kommen Schadensersatzansprüche gegen den Darlehensgeber wegen des Unterlassens einer Widerrufsbelehrung aus Verschulden bei Vertragsschluss in Betracht. Solche Ansprüche könnten etwa auf Freistellung von allen im Zusammenhang mit den hier in Frage stehenden Geschäften eingegangenen Verbindlichkeiten gehen oder auf Rückabwicklung. Solche Ansprüche gegen die B. Bank wären im vorliegenden Fall schon wegen der von der Beklagten gegen die B. Bank vor dem Landgericht Dortmund erhobenen Klage auch nicht verjährt. Die Beklagte könnte der Klägerin, an die die B. Bank die Darlehensforderung abgetreten hat, solche Ansprüche auch möglicherweise entgegenhalten. Soweit der Europäische Gerichtshof in den beiden genannten Entscheidungen darauf abstellt, dass die Verbraucher durch die Belehrung über das Widerrufsrecht nur vor solchen Rechtsgeschäften geschützt werden sollen, deren Abschluss sie bei ordnungsgemäßer Belehrung über das Widerrufsrecht hätten vermeiden können, ist auch zu klären, ob und gegebenenfalls wie zu verhindern ist, dass ein über sein Widerrufsrecht nicht belehrter Verbraucher durch zeitliche Vorverlagerung des Abschlusses des Grundstückkaufvertrages vor den Abschluss des bereits fest geplanten Darlehensvertrages durch einen € wie hier € mit dem Kreditinstitut eng zusammenarbeitenden Veräußerer daran gehindert ist, sich darauf zu berufen, er hätte bei Belehrung über sein Widerrufsrecht bei Abschluss des Darlehensvertrages den Abschluss des Kaufertrages vermeiden können. Insgesamt ist jedenfalls aufgrund der Entwicklung der Rechtsprechung auch im Rahmen des europäischen Rechts bei kreditfinanzierten Grundstücksgeschäften, die in einer Haustürsituation und ohne Belehrung über das Widerrufsrecht abgeschlossen werden, derzeit in erheblichem Maße umstritten und im Fluss, welche Voraussetzungen und Rechtsfolgen ein Widerruf hat. Es ist daher nicht angezeigt, die sich insoweit hier stellenden rechtsgrundsätzlichen Fragen vorab im Prozesskostenhilfeverfahren zu prüfen.

Das gilt im vorliegenden Fall auch für die Widerklage, auch wenn, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, originäre Schadensersatzansprüche der Beklagten gegen die Klägerin verjährt sein dürften. Denkbar ist aber, dass die Beklagte gegen die Klägerin etwa gegen die B. Bank bestehende Ansprüche auch auf Rückabwicklung aufgrund der Abtretung der Darlehensforderung in gewissem Umfang geltend machen kann. Solche Ansprüche wären, wie bereits ausgeführt, nicht verjährt. Jedenfalls erscheint es auch insoweit nicht angezeigt, die Prüfung unter Verkürzung des Rechtszuges in das Prozesskostenhilfeverfahren vorzuverlagern.

Der Senat sieht sich allerdings daran gehindert, über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Rechtsverteidigung gegen die Klage bereits abschließend zu entscheiden und hat diese Entscheidung gemäß § 572 Abs. 3 ZPO dem Landgericht übertragen. Dieses hat bisher nicht geprüft, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Beklagte nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen und die Sache ist insoweit auch nicht entscheidungsreif. Denn die Beklagte hat die Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in der Rubrik E nicht vollständig ausgefüllt und ihr muss Gelegenheit gegeben werden, dies nachzuholen.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Die Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 2 ZPO) ist nicht zuzulassen, weil die Entscheidung des Senats, die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse dem Landgericht zu übertragen, keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch insoweit die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert und für die Klägerin die Entscheidung des Senats ohnehin nicht der Anfechtung unterliegt (vgl. dazu BGH NJW 2002, 3554-3555 = BGHReport 2002, 1052-1053 = MDR 2002, 1388).






KG:
Beschluss v. 01.11.2005
Az: 22 W 45/05


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/c91f002c3cb2/KG_Beschluss_vom_1-November-2005_Az_22-W-45-05




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share