Verwaltungsgericht Köln:
Urteil vom 28. Juni 2006
Aktenzeichen: 10 K 2173/05

(VG Köln: Urteil v. 28.06.2006, Az.: 10 K 2173/05)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten für eine Tätigkeit ihrer anwaltlichen Be- vollmächtigten im Widerspruchsverfahren die Erstattung eines höheren Betrags.

Aufgrund eines sonderpädagogischen Gutachtens stellte die Beklagte mit Be- scheid vom 29.09.2004 fest, dass für den Sohn der Klägerin sonderpädagogischer Förderbedarf bestehe, und legte als Förderort eine Schule für Lernbehinderte fest. Mit anwaltlichem Schreiben vom 18.10.2004 begründete die Klägerin ihren dagegen eingelegten Widerspruch, zu dessen Begründung sie unter anderem ausführte, dass das Gutachten selbst auf einige widersprüchliche Aussagen der Testergebnisse hin- gewiesen und der Gutachter bei Teilen der Testdiagnostik Restzweifel habe, ob mit dem angewandten Testmaterial tatsächlich gemessen worden sei, was die Tests zu messen vorgegeben hätten. Außerdem könnten die Ausführungen des Gutachtens deshalb nicht überzeugen, da anscheinend bei der Einleitung des Förderverfahrens zunächst die Ansicht vertreten worden sei, dass die schulischen Probleme des Sohns der Klägerin einen sonderpädagogischen Förderbedarf mit dem Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung begründeten, während nunmehr als Förder- schwerpunkt „Lernen" angenommen werde. Mit weiterem anwaltlichen Schreiben vom 08.11.2004 gaben die Bevollmächtigten der Klägerin den überreichten Verwal- tungsvorgang an die Beklagte zurück und baten um Nachübersendung im Einzelnen bezeichneter fehlender Seiten. Mit Schreiben vom 26.11.2004 überreichten sie einen ergotherapeutischen Kurzbericht sowie einen Befundbericht eines Kinder- und Ju- gendpsychologen, deren Ausführungen sie sich ausdrücklich zu Eigen machten.

Daraufhin hob die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.01.2005 ihren Bescheid vom 29.09.2004 auf und traf eine Kostengrundentscheidung zu ihren Las- ten, wobei sie feststellte, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts erforderlich gewesen sei. Mit Schreiben vom 21.01.2005 stellten die Bevollmächtigten der Klägerin einen An- trag auf Kostenfestsetzung in Höhe von insgesamt 674,89 EUR, wobei sie eine Ge- schäftsgebühr von 1,8 in Ansatz brachten. Im Hinblick auf die Höhe der Geschäfts- gebühr wiesen sie darauf hin, dass neben dem Studium der Akten, der Rechtspre- chung und der Literatur sowie der Auswertung der Begutachtungen die Bearbeitung sowohl überdurchschnittlich zeitaufwändig als auch schwierig gewesen sei, wobei die in Ansatz gebrachte Geschäftsgebühr entgegenkommender Weise äußerst niedrig bewertet worden sei.

Mit dem hier angefochtenen Kostenfestsetzungsbescheid vom 31.01.2005 setzte die Beklagte insgesamt 500,31 EUR fest, wobei sie die Geschäftsgebühr lediglich mit dem Faktor 1,3 bemaß. Zur Begründung führte sie aus, nach Nr. 2400 des Vergü- tungsverzeichnisses des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) könne eine Ge- bühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die anwaltliche Tätigkeit umfang- reich oder schwierig gewesen sei. Weder das eine noch das andere sei in diesem Widerspruchsverfahren der Fall gewesen. Nur das anwaltliche Schreiben vom 18.10.2004 habe inhaltliche Fragen erörtert, der Schriftsatz vom 08.11.2004 habe lediglich Verfahrensfragen betroffen, während der letzte Schriftsatz vom 26.11.2004 pauschal auf zwei Berichte verwiesen habe. Hinzu komme, dass der Umfang der Ak- te vergleichsweise gering gewesen sei. Inwieweit ein Studium von Rechtsprechung und Literatur erforderlich gewesen sei, sei nicht erkennbar. Es sei jedenfalls nicht über das bei der Bearbeitung öffentlichrechtlicher Mandate übliche Maß hinaus ge- gangen. Gleiches gelte auch für die Lektüre der ärztlichen Stellungnahmen.

Mit dem dagegen gerichteten Widerspruch machten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin geltend, die von ihnen in Ansatz gebrachte Gebühr von 1,8 sei zutref- fend, weil die Sache sowohl überdurchschnittliche Schwierigkeiten als auch einen überdurchschnittlichen Umfang der Mandatsbearbeitung aufgewiesen habe. Hierbei sei das sehr zeitaufwändige Aktenstudium, hier sowohl der Gutachten als auch der Verwaltungsakte einschließlich der Auswertung der vorgenommenen Tests zu be- rücksichtigen. Darüber hinaus sei das Mandat überdurchschnittlich schwierig gewe- sen, weil es die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs einschließlich der Überprüfung der vorgenommenen Intelligenztests sowie ergotherapeutischer Maßnahmen zum Gegenstand gehabt habe. Außerdem habe es sich um Tätigkeiten in einem Spezialgebiet gehandelt. Schon das allein führe nach der bisherigen Kom- mentierung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes trotz vorhandener Spezialkennt- nisse der Bevollmächtigten ohne weiteres zu einer Überschreitung des Schwellen- werts von 1,3. Innerhalb einer 20 %-igen Toleranzgrenze sei eine richterliche Über- prüfung ohnehin nicht möglich.

Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 08.03.2005 zurück, wiederholte zur Begründung die Ausführungen des angefochte- nen Kostenfestsetzungsbescheids und führte darüber hinaus aus, nicht nahezu je- dem verwaltungsrechtlichen Mandat könne mit der Begründung eine überdurch- schnittliche Schwierigkeit zugemessen werden, dass das Verwaltungsrecht vielseitig und deshalb fast jede Materie eine spezielle sei. Die anwaltliche Tätigkeit habe keine rechtlichen Spezialkenntnisse erfordert. Die zu den Akten gereichten Anwaltsschrift- sätze habe auch ein Anwalt ohne Kenntnisse des hier betroffenen Rechtsbereichs verfassen können, da sie sich im Wesentlichen auf Sachverständigengutachten stützten.

Zur Begründung ihrer am 11.04.2005 erhobenen Klage verweist die Klägerin auf ihre bisherigen Ausführungen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Änderung ihres Bescheides vom 31.01.2005 und Aufhebung ihres Widerspruchsbescheides vom 08.03.2005 zu verpflichten, weitere 174,58 EUR als zu erstattende Kosten festzusetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, weil der Kostenfestsetzungsbescheid der Beklagten vom 31.01.2005 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 08.03.2005 rechtmäßig ist und die Klägerin deshalb nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

Rechtsgrundlage für den hier streitigen Teil der Kostenfestsetzung ist § 80 Abs. 3 Satz 1 VwVfG NRW i. V. m. § 14 Abs. 1 RVG und Ziffer 2004 des dazu gehörigen Vergütungsverzeichnisses (VV 2400). Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt bei Rahmengebühren der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Gemäß VV 2004 beträgt die Geschäftsgebühr 0,5 bis 2,5, wobei nach der amtlichen Anmerkung zu dieser Ziffer eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs,

abgedruckt bei Madert in: Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller- Rabe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, Kommentar, 16. Aufl. (2004), VV 2400 bis 2403 Rdnr. 3,

liegt die Regelgebühr bei 1,3. Weiter wird dort ausgeführt:

„In durchschnittlichen Angelegenheiten ist grundsätzlich von der Mittelgebühr (1,5) auszugehen. In der Anmerkung soll jedoch bestimmt werden, dass der Rechtsanwalt eine Gebühr von mehr als 1,3 nur fordern kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Damit ist gemeint, dass Umfang oder Schwierigkeit über dem Durchschnitt liegen. In anderen Fällen dürfte die Schwellengebühr von 1,3 zur Regelgebühr werden."

Danach kommt es hier ungeachtet sonstiger Kriterien, die im Rahmen des § 14 RVG berücksichtigt werden können, nur darauf an, ob die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Dabei kommt es ausweislich des Wortlauts des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG immer auf den Einzelfall an.

So schon BVerwG, Urteil vom 08.05.1981 - 6 C 153.80 -, BVerwGE 62, 196 (198) zum vergleichbaren Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO.

Dabei muss die Tätigkeit einerseits nicht b e s o n d e r s schwierig oder b e s o n- d e r s umfangreich sein, andererseits dürfen die Voraussetzungen zum Überschreiten der Schwellengebühr von 1,3 aber auch nicht zu gering sein, weil anderenfalls die amtliche Anmerkung unterlaufen würde. Muss sie danach spürbar schwierig oder spürbar umfangreich sein,

vgl. Hartmann, Kostengesetze, Kommentar, 35. Aufl. (2005), VV 2004 Rdnr. 26; Kitzinger in: FamRZ 2005, 10 (11),

ist der für diese Bestimmung erforderliche Maßstab wegen der je nach „Einzelfall" erforderlichen Differenzierung das jeweilige Rechtsgebiet.

Vgl. BVerwG a.a.O.(200); Madert in: Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung, Kommentar, 14. Aufl. (1999), § 12 Rdnr. 12 S. 282 oben.

Soweit sich bei den Feststellungen zum Umfang und zur Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit ergibt, dass diese etwa dem Durchschnitt in Sachen desselben Rechtsgebiets entsprochen haben, sind dies keine Umstände, die eine Gebührenerhöhung über den Schwellenwert hinaus veranlassen können.

Vgl. BVerwG a.a.O. (200) zum Mittelwert des § 118 Abs. 1 BRAGO.

Danach sind hier anwaltliche Tätigkeiten auf dem Gebiet des Schulrechts der heranzuziehende Maßstab. Daran gemessen war die Tätigkeit der Bevollmächtigten der Klägerin im Widerspruchsverfahren weder umfangreich noch schwierig im Sinne der amtlichen Anmerkung zu VV 2400. Sie wichen nämlich insoweit nicht vom Durchschnitt vergleichbarer Sachen ab. Das gilt zunächst hinsichtlich des zeitlichen Arbeitsaufwandes. Die Tätigkeit war - gemessen am Durchschnitt schulrechtlicher Fälle - nicht umfangreich, weil die Durchsicht der Verwaltungsvorgänge im Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit in einem Widerspruchsverfahren den Normalfall darstellt und die Verwaltungsvorgänge mit 58 Seiten bis zum Eingang des dritten anwaltlichen Schreibens vom 26.11.2004 - also einschließlich beider vorhergehender anwaltlicher Schreiben - unter Einschluss des elfseitigen sonderpädagogischen Gutachtens nicht umfangreich war. Gehört die Durchsicht der Verwaltungsvorgänge bei der anwaltlichen Tätigkeit im Widerspruchsverfahren zum Regelfall, gilt dies deshalb in schulrechtlichen Verfahren auch für darin enthaltene Gutachten, die etwa in Form von Leistungsstanderhebungen bzw. Noten, (sonder-)pädagogischen Gutachten - wie hier - oder anderen pädagogischen Erhebungen erstellt worden sind. Sie bedürfen in aller Regel - wie hier -, anders als möglicherweise umfangreiche technische oder wissenschaftliche, beispielsweise ärztliche Gutachten,

vgl. dazu Henke in: AnwBl 2004, 579,

keiner umfangreichen gedanklichen Bearbeitung, um sie auch ohne entsprechende Fach-Ausbildung nachvollziehen zu können. Das gilt ebenso für den einseitigen ergotherapeutischen und eineinhalbseitigen ärztlichen Bericht, die die Bevollmächtigte der Klägerin in das Widerspruchsverfahren einführte und ohne weiteres nachvollziehbar war. Ebenso wenig liegt der zeitliche Aufwand für die Fertigung der drei anwaltlichen Schreiben, die drei bzw. zwei Seiten umfassten und, soweit es um die inhaltliche Befassung ging, auf die beiden eingereichten Berichte Bezug nahmen, im überdurchschnittlichen Bereich.

Aus den obigen Ausführungen zum für das Verständnis des sonderpädagogischen Gutachtens erforderlichen Zeitaufwand sowie der beiden Kurzberichte ergibt sich zugleich, dass die konkrete anwaltliche Tätigkeit in diesem Fall - gemessen an der Schwierigkeit vergleichbarer schulrechtlicher Fälle - nicht überdurchschnittlich und deshalb nicht (spürbar) schwierig im Sinne von VV 2400 war. Das Studium von Rechtsprechung und Literatur war für die Bewältigung dieses konkreten Falles nicht erforderlich. Gegenteiliges haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin entgegen ihrer diesbezüglichen Obliegenheit,

vgl. BVerwG a.a.O. (201),

über die entsprechende pauschale Behauptung hinaus auch nicht substantiiert dargelegt.

Entgegen ihrer Meinung handelt es sich bei dem schulischen Förderungsrecht auch nicht um ein Spezialgebiet, das es abweichend vom Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG, nach dem es auf den jeweiligen „Einzelfall" ankommt, rechtfertigen würde, allein aus diesem Grund eine höhere als die Schwellengebühr von 1,3 für ihre Geschäftstätigkeit festzusetzen. Entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist nicht jeder Teil des besonderen Verwaltungsrechts als Spezialgebiet im kostenrechtlichen Sinne zu verstehen. Anderenfalls wäre jede anwaltliche Tätigkeit im Verwaltungsrecht einem Spezialgebiet zuzuordnen, weil jedes verwaltungsrechtliche Verfahren über das allgemeine Verwaltungsrecht hinaus Bezüge zum besonderen Verwaltungsrecht hat. Ohne diese gibt es kein Verwaltungsverfahren, weil Letzteres im Rahmen konkreter Lebenssachverhalte erfolgt, die durch die Materien des Besonderen Verwaltungsrechts geregelt werden. Unerheblich ist auch eine eventuell erstmalige Einarbeitung des Rechtsanwalts in ein für ihn neues Rechtsgebiet. Spezialgebiete im kostenrechtlichen Sinn können daher nur solche Rechtsgebiete sein, die so entlegen sind, dass es in j e d e m Fall einer langen Einarbeitungszeit bedarf oder dass das Material für die anwaltliche Tätigkeit schwer zu beschaffen ist.

Vgl. BVerwG a.a.O. (199); VG Frankfurt am Main, Beschluss vom 24.08.1962 - II/2 331/61 -, NJW 1962, 2123 (2124); Madert a.a.O. § 14 RVG Rdnr. 50 f.; Henke a.a.O.

Nicht zu entscheiden ist hier, ob wegen des im Vergleich zu §§ 12, 118 BRAGO erfolgten Fortfalls einer Besprechungsgebühr eine Besprechung womöglich dazu führen kann, dass eine anwaltliche Tätigkeit umfangreich im Sinne von VV 2400 ist.

Vgl. Madert a.a.O., VV 2400 Rdnr. 101.

Liegen nach alldem bereits die Voraussetzungen für ein Überschreiten des Schwellenwerts von 1,3 nicht vor, kommt es auf Ermessensgesichtspunkte nicht an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.






VG Köln:
Urteil v. 28.06.2006
Az: 10 K 2173/05


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