Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 5. Dezember 2005
Aktenzeichen: AnwZ (B) 96/04
(BGH: Beschluss v. 05.12.2005, Az.: AnwZ (B) 96/04)
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 1. September 2004 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist seit 1979 zur Rechtsanwaltschaft bei dem Landgericht B. zugelassen. Mit Bescheid vom 14. Januar 2004 hat die Antragsgegnerin die Zulassung wegen Vermögensverfalls widerrufen. Den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit der sofortigen Beschwerde.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 3 BRAO), bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.
a) Im Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung waren die Voraussetzungen des Vermögensverfalls - wie vom Antragsteller auch nicht bestritten wird - gegeben. Gegen den Antragsteller waren von Juli 2002 bis Juni 2003 siebzehn Zwangsvollstreckungsverfahren betrieben worden, seine Verbindlichkeiten hat die Antragsgegnerin mit 690.832,32 € beziffert, es bestanden erhebliche Steuerrückstände, auch Sozialversicherungsbeiträge waren nicht gezahlt worden. Für zwei Eigentumswohnungen des Antragstellers war die Zwangsversteigerung angeordnet worden. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse war er bereits durch Bescheid der Präsidentin des Kammergerichts vom 30. Juni 2003 seines Amtes als Notar vorläufig enthoben worden. Der dagegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung wurde durch Beschluss des Kammergerichts vom 3. Februar 2004 zurückgewiesen.
Durch den Vermögensverfall waren die Interessen der Rechtsuchenden gefährdet. Anhaltspunkte dafür, dass dies ausnahmsweise nicht der Fall war, liegen nicht vor.
b) Der Vermögensverfall ist - auch insoweit unstreitig - nicht nachträglich entfallen. Der Antragsteller hat vor dem Anwaltsgerichtshof eine Gläubigerliste vorgelegt. Danach beliefen sich seine Verbindlichkeiten auf 1.512.404,80 €. Er hat sich in der Folge bemüht, eine außergerichtliche Schuldenbereinigung zu erreichen. In einer in diesem Zusammenhang eingereichten Aufstellung hat er seine Verbindlichkeiten zum 16. September 2004 mit 2.025.322,78 € ausgewiesen. Auf seinen Antrag hat das Amtsgericht Ch. mit Beschluss vom 2. November 2005 das Insolvenzverfahren eröffnet. Dass der Übergang der Verfügungsbefugnis des insolventen Rechtsanwalts auf einen Vermögensverwalter nicht dazu führt, dass die Vermögensverhältnisse schon deshalb als "geordnet" anzusehen wären, hat der Bundesgerichtshof mehrfach entschieden (Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2004 - AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511 unter II 1 m.w.N.)
c) Ein Ausnahmefall, in dem die Interessen der Rechtsuchenden ungeachtet des Vermögensverfalls nicht mehr gefährdet wären, liegt - entgegen der Auffassung des Antragstellers - nicht vor. Allerdings hat der Antragsteller einen Arbeitsvertrag vorgelegt, nach dem er seit September 2005 in einer Kanzlei als angestellter Rechtsanwalt tätig ist. Der vorgelegte Vertrag und die Verpflichtungserklärungen des Antragstellers und der Arbeitgeberkanzlei gegenüber der Rechtsanwaltskammer entsprechen zwar weitgehend den Vorgaben, wie sie in der Senatsentscheidung vom 18. Oktober 2004 - AnwZ (B) 43/03 (NJW 2005, 511) - in einem Ausnahmefall für ausreichend erachtet worden sind, um von der Regel des Zulassungswiderrufs bei Vermögensverfall abzusehen. Der vorliegende Fall unterscheidet sich jedoch in zwei wesentlichen Punkten von dem in der angeführten Senatsentscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt:
aa) Bei der Kanzlei, in der der Antragsteller tätig ist, handelt es sich - anders als im Bezugsfall - nicht um eine Sozietät, sondern um eine Einzelanwaltskanzlei, deren Inhaber ein Büro in F. mit sechs angestellten Rechtsanwälten und ein Büro in B. mit einem angestellten Rechtsanwalt - neben dem Antragsteller - unterhält. Wie in dem zur Veröffentlichung vorgesehenen Beschluss des Senats vom heutigen Tage (AnwZ(B) 13/05) im Einzelnen ausgeführt worden ist, ist an dem im Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2004 (aaO unter II 2 c) aufgestelltem Grundsatz festzuhalten, dass nur eine Sozietät, nicht aber eine Einzelkanzlei die Gewähr dafür bietet, dass auch während der Urlaubszeit oder bei einer Erkrankung des Sozius die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen des insolventen Rechtsanwalts überwacht werden kann. Der in einer Einzelkanzlei angestellte Rechtsanwalt ist bei zeitweiliger Verhinderung des Inhabers der Kanzlei - faktisch - wesentlich eher dazu in der Lage, entgegen seinen vertraglichen Verpflichtungen Handlungen vorzunehmen, die die Interessen der Rechtsuchenden gefährden können. Dieser Gefahr kann nicht dadurch begegnet werden, dass angestellte Rechtsanwälte in der Kanzlei tätig sind. Abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall - auch unter Berücksichtigung der vorgelegten Vertretungsregelung - jedenfalls bei einem überraschenden und plötzlichen Ausfall des weiteren in dem B. Büro tätigen Rechtsanwalts keine sofortige Vertretung gewährleistet sein kann, ist die Stellung eines angestellten Rechtsanwalts eine andere als die eines Sozius ( wobei hier nur eine echte Sozietät in Betracht kommt). Der Sozius, der für Fehler der Mitgesellschafter gesamtschuldnerisch einzustehen hat, ist mit dem Erfolg und dem guten Ruf der Sozietät in weit größerem Maße verbunden als der Arbeitnehmer einer Kanzlei, selbst wenn bei einem angestellten Rechtsanwalt, der sich seinem Arbeitgeber gegenüber zu entsprechenden Überwachungsmaßnahmen verpflichtet hat, eine Haftung aus seinem Arbeitsvertrag in Betracht kommen kann.
Ein Ausnahmefall, der ein weiteres Tätigwerden des Rechtsanwalts trotz seines Vermögensverfalls rechtfertigen könnte, ist deshalb schon aus diesem Grund nicht gegeben.
bb) Anders als in dem der Entscheidung des Senats vom 18. Oktober 2004 zugrunde liegenden Sachverhalt, bei dem der Rechtsanwalt in jeder Hinsicht beanstandungsfrei gearbeitet hatte, war der Antragsteller in Kreditbetrügereien großen Ausmaßes verstrickt. Er hatte den Haupttätern sein Anderkonto als Notar/Anwalt zur Einzahlung von Einlagen, die von den Haupttätern von den Kreditsuchenden gefordert waren, zur Verfügung gestellt (gegen erhebliche Entlohnung) und entsprechend deren Weisungen - zum Nachteil der Kreditsuchenden - darüber verfügt. Er war deshalb zivilrechtlich wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu Schadensersatzleistungen verurteilt worden. Ein gegen ihn anhängiges Strafverfahren ist durch Beschluss des Landgerichts B. vom 12. Mai 2004 gegen Zahlung einer Geldbuße von 5.000 € nach § 153 a StPO eingestellt worden ((514) 1 Bt Js /95 KLs ). Auch wenn diese mit seiner beruflichen Tätigkeit zusammenhängenden Vorgänge bereits im Jahre 1993 stattfanden und der Antragsteller sich danach bemüht hat, die Schadensersatzansprüche zu erfüllen, sind damit Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers im Hinblick auf die Einhaltung seiner vertraglichen Verpflichtungen angebracht.
Unter diesen Umständen ist nicht davon auszugehen, dass trotz des Vermögensverfalls ausnahmsweise die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind.
Hirsch Otten Ernemann Frellesen Kieserling Wüllrich Hauger Vorinstanz:
AGH Berlin, Entscheidung vom 01.09.2004 - II AGH 4/04 -
BGH:
Beschluss v. 05.12.2005
Az: AnwZ (B) 96/04
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