Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 15. August 2008
Aktenzeichen: 6 U 63/08
(OLG Köln: Urteil v. 15.08.2008, Az.: 6 U 63/08)
Tenor
Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das am 4. März 2008 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landge-richts Aachen - 41 O 12/08 - wird zurückgewiesen, soweit der Antragsteller den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht zurückgenommen hat. Im Hinblick auf die Teilrücknahme wird das Urteil klarstellend wie folgt neu gefasst:
Der Beklagten wird es durch
einstweilige Verfügung
bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren,
v e r b o t e n,
im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs
gegenüber dem Publikumsverkehr
für das Arzneimittel „X.“ zu werben, ohne den Warnhinweis „Enthält 18 Vol.-% Alkohol; Packungsbeilage beachten!“ zu nen-nen,
wenn dies geschieht wie in dem als Anlage 4 zum Antrag auf Er-lass einer einstweiligen Verfügung vorgelegten farbigen Flyer mit der nachfolgend - abweichend vom Original in Schwarz-Weiß-Kopie - wiedergegebenen Rückseite:
[Abbildung des Werbeflyers]
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Ant-ragsteller 5/6 und die Antragsgegnerin 1/6 zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen zu 4/5 dem Antragsteller und zu 1/5 der Antragsgegnerin zur Last.
Gründe
I.
Die Parteien - Inhaber konkurrierender Apotheken in E. - streiten um die heilmittelwerberechtliche Zulässigkeit einer Flyer-Werbung der Antragsgegnerin, die (verbilligt angebotene, nicht verschreibungspflichtige) Arzneimittel in ihrer Umverpackung abbildet. Die vom Antragsteller vermissten Pflichtangaben hält die Antragsgegnerin für entbehrlich, weil es sich um eine Erinnerungswerbung handele. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht in fünf von sechs Punkten einen Wettbewerbsverstoß bejaht und die beantragte einstweilige Verfügung erlassen. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung über die dagegen gerichtete Berufung der Antragsgegnerin hat der Antragsteller schriftsätzlich erklärt, dass er seinen Antrag in vier Punkten (die zwei andere Arzneimittel betrafen) zurücknehme.
II.
Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin bleibt - in dem nur noch zur Entscheidung stehenden Umfang - in der Sache ohne Erfolg.
1. Mit den Teilen des Verfügungsantrags, deren Rücknahme der Antragsteller innerhalb der Spruchfrist erklärt hat, braucht sich der Senat - trotz verweigerter Zustimmung der Antragsgegnerin - nicht zu befassen, denn nach herrschender, vom Senat geteilter Auffassung ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine (zur Wirkungslosigkeit bereits erlassener Entscheidungen und zum Dringlichkeitsverlust führende) Rücknahme des Antrags jederzeit auch ohne Mitwirkung des Gegners bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluss möglich, § 269 Abs. 1 ZPO also nicht anzuwenden (Beyerlein, WRP 2005, 1463 [1466]; Hefermehl / Köhler / Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 26. Aufl., § 12 UWG Rn. 3.6; Gloy / Loschelder / Spätgens, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 3. Aufl., § 97 Rn. 91 m.w.N.; a.A. Ahrens / Jestaedt, Der Wettbewerbsprozess, 5. Aufl., Kap. 49 Rn. 13; den dort betonten gegnerischen Anspruch auf eine Kostenentscheidung nach § 269 Abs. 3 ZPO bejaht auch die h.M.).
2. In Bezug auf die hiernach allein noch streitgegenständliche Beanstandung der Werbung für das Arzneimittel "X." ist die Berufung unbegründet. Zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen, auf die der Senat Bezug nimmt, hat das Landgericht den vom Antragsteller insoweit geltend gemachten Unterlassungsanspruch aus §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG, § 4 Abs. 1 Nr. 7 HWG, §§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a, 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 AMWarnV bejaht. Das Berufungsvorbringen der Antragsgegnerin rechtfertigt keine andere Beurteilung.
a) Unstreitig liegt eine Arzneimittelwerbung vor, die unter das Pflichtangabengebot des § 4 HWG fällt, wenn nicht eine Erinnerungswerbung gemäß dem Erlaubnistatbestand des § 4 Abs. 6 HWG vorliegt.
Soweit die Berufung die Angabepflicht durch eine europarechtskonforme Auslegung der Vorschrift weiter eingeschränkt sieht, kann ihr nicht gefolgt werden. Der Europäische Gerichtshof hat klargestellt (GRUR 2008, 267 - Gintec / Verband Sozialer Wettbewerb [Tz. 20, 22]), dass die Richtlinie 2001/83/EG das Recht der Arzneimittelwerbung zwar vollständig harmonisiert, den Mitgliedsstaaten aber in Art. 89 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 einerseits Spielraum bei den geforderten Pflichtangaben und andererseits die Möglichkeit einer abweichenden Regelung gegeben hat, insofern die Öffentlichkeitswerbung für ein Arzneimittel nur den Namen des Arzneimittels zu enthalten braucht, wenn ihr Zweck ausschließlich darin besteht, an diese zu erinnern.
Die Entbehrlichkeit der Pflichtangaben bei der Erinnerungswerbung ergibt sich ihrerseits - auch über den reinen Wortlaut des § 4 Abs. 6 S. 2 HWG hinaus - aus dem Zweck der gesetzlichen Regelung (vgl. Doepner, HWG, 2. Aufl., § 4 Rn. 71; Gröning, Heilmittelwerberecht, § 4 HWG Rn. 106): Der Verbraucher soll, um eine sachlich fundierte Kaufentscheidung treffen zu können, immer dann vollständig über bestimmte Sachaussagen wie Zusammensetzung, Indikationen und Gegenindikationen eines Arzneimittels unterrichtet werden, wenn die Werbung überhaupt Angaben in dieser Richtung enthält; seine Unterrichtung durch entsprechende Pflichtangaben erscheint dagegen entbehrlich, wenn es sich um eine von jeglichen Hinweisen auf die medizinischgesundheitliche Bedeutung des Präparats freie Werbung handelt, die allein oder weit überwiegend nur die Erinnerung und damit diejenigen Verbraucher anspricht, denen das beworbene Mittel bereits bekannt ist (st. Rspr.: BGH, GRUR 1996, 806 [807] = WRP 1996, 1018 - HerzASS; GRUR 1998, 591 = WRP 1998, 502 - Monopräparate; Senat, GRUR-RR 2007, 116 - Fentanyl-Matrixpflaster).
b) Ob die Abbildung einer Arzneimittelverpackung in der Werbung eine Erinnerungswerbung darstellt oder nicht, ist danach eine Frage des Einzelfalles (ebenso OLG Oldenburg, GRUR-RR 2008, 201 [202 f.] - Antiallergikum). Verlassen wird der Bereich der Erinnerungswerbung, wo die Verpackungsabbildung über die Bezeichnung des Arzneimittels hinausgehende, in den Katalog der Pflichtangaben fallende Hinweise auf die medizinischgesundheitliche Bedeutung des Präparats enthält. Zwar kann bereits die Bezeichnung - also die Kennzeichnung des Arzneimittels, unter der es zugelassen oder registriert werden darf (BGH, GRUR 1983, 597 [598] - Kneipp Pflanzensaft; GRUR 1998, 591 [592] - Monopräparate) - medizinischpharmakologisch relevante Aussagen enthalten, ohne dass der Bereich der Erinnerungswerbung verlassen wird (so für Wirkstoffangaben BGH, GRUR 1998, 591 [592] - Monopräparate; vgl. ferner OLG Stuttgart, MD 1994, 683 [686 f.]; OLG Oldenburg, GRUR-RR 2008, 201 [202] - Antiallergikum; Schnorbus, GRUR 1995, 21 [24]; Doepner, a.a.O., Rn. 29; Gröning, a.a.O., Rn. 47, 105; zweifelnd KG, MD 1998, 584 [585] - Knoblauch-Dragees). Jedoch liegt eine mit der Erinnerungswerbung unvereinbare "Überinformation" jedenfalls vor, wenn die Aufmachung über die in der Arzneimittelbezeichnung selbst enthaltenen Angaben hinaus in deutlich erkennbarer Weise zusätzliche Informationen aus den in § 4 Abs. 1 HWG angesprochenen Gebieten vermittelt (vgl. Senat, GRUR-RR 2007, 116 f. - Fentanyl-Matrixpflaster; OLG Frankfurt a.M., WRP 1997, 338 = NJWE-WettbR 1997, 198 - Manneken Pis; KG, MD 1998, 584 [585 f.] - Knoblauch-Dragees; OLG Oldenburg, GRUR-RR 2008, 201 [202 f.] - Antiallergikum; Schnorbus, a.a.O. [26]; Gröning, a.a.O., Rn. 106 f.; Doepner, a.a.O., Rn. 71 ff.).
c) Im Streitfall verlässt die Werbung der Antragsgegnerin für das Arzneimittel mit der vollständigen Bezeichnung "X.®, Erkältungssaft für die Nacht" (Anlage AG 2, Bl. 56 d.A.) den Bereich der Erinnerungswerbung, weil die abgebildete Produktaufmachung augenfällig in Text und Bild (durch die vom Landgericht in anderem Zusammenhang näher gewürdigten Angaben und durch die Seitenansicht eines farblich verfremdeten, in grün gehaltenen menschlichen Kopfes mit rot hervorgehobener Stirn-, Nasen- und Rachenregion) auf die Anwendungsgebiete des Mittels, nämlich auf die einzelnen zu behandelnden Erkältungsbeschwerden hinweist, die der Arzneimittelbezeichnung selbst so noch nicht zu entnehmen sind.
d) Greift somit § 4 Abs. 6 HWG nicht ein, hätte angesichts des unstreitigen Äthanol-Gehalts des Arzneimittels der gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 7 HWG, § 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 AMWarnV auf der Umverpackung in leicht lesbarer Schrift und auf dauerhafte Weise anzubringende Warnhinweis "Enthält 18 Vol.-% Alkohol; Packungsbeilage beachten!" gemäß § 4 Abs. 4 HWG auch in der Werbung deutlich abgesetzt, abgegrenzt und gut lesbar vorgenommen werden müssen. Dass dies der Fall sei, macht die Berufung selbst nicht geltend.
Selbst wenn dem erstinstanzlichen Vorbringen der Antragsgegnerin zu folgen wäre, dass im Bereich nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel eine Werbung durch Abbildung von Umverpackungen inzwischen weithin üblich ist, begründet der fehlende Warnhinweis schon deshalb einen im Sinne von § 3 UWG nicht nur unerheblichen Verstoß gegen eine Marktverhaltensregel nach § 4 Nr. 11 UWG, weil insoweit der Schutz der Gesundheit der Verbraucher auf dem Spiel steht (vgl. BGHZ 163, 265 = GRUR 2005, 778 [780] - Atemtest; BGH, GRUR 2005, 875 [877] - Diabetesteststreifen; Hefermehl / Köhler / Bornkamm, a.a.O., § 3 UWG Rn. 79; 4 UWG Rn. 11.58a).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 S. 1, 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 S. 2 ZPO.
Das Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig.
OLG Köln:
Urteil v. 15.08.2008
Az: 6 U 63/08
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