Hessisches Landessozialgericht:
Beschluss vom 21. Juni 2000
Aktenzeichen: L 14 P 74/00 ER
(Hessisches LSG: Beschluss v. 21.06.2000, Az.: L 14 P 74/00 ER)
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 2. Dezember 1999 wird aufgehoben.
Das Verfahren wird an das Sozialgericht Kassel zurückverwiesen mit der Maßgabe, einen Gegenstandswert für das erledigte Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (Beschluss vom 1. November 1999) festzusetzen.
Tatbestand
Die Antragsteller betreiben seit dem 1. April 1995 als Gesellschaft bürgerlichen Rechts einen privaten Pflegedienst, bei dem -- bedarfsorientiert -- zwischen 18 und 25 Pflegekräfte beschäftigt sind. Die Vergütung der Antragsteller wird von den Antragsgegnern fall- und leistungsbezogen als häusliche Krankenpflege (hauswirtschaftliche Versorgung, Behandlungspflege) und häusliche Pflege sowohl nach dem Sozialgesetzbuch -- Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) -- als auch nach dem Gesetz über soziale Pflegeversicherung (SGB XI) abgerechnet und angewiesen. Im Rahmen eines zwischen den Beteiligten bestehenden Versorgungsvertrages war im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Aussetzung der durch die Antragsgegner vorgenommenen fristlosen Kündigung des Vertrages im Streit. Dem Antrag der Antragsteller hat das Sozialgericht Kassel durch Beschluss vom 1. November 1999 stattgegeben. Daraufhin ist von den Antragstellern die Festsetzung des Gegenstandswerts beantragt worden. Zur Begründung haben die Antragsteller hierzu vorgetragen, dass weder die als Antragsgegner beteiligten Pflegekassen in Hessen noch sie, die Antragsteller, dem wirtschaftlichen Schutzbereich und dem sozialen Privileg der in § 116 Abs. 1 Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) bestimmten Rahmengebühren zuzuordnen seien. Deshalb seien Wertgebühren abzurechnen.
Das Sozialgericht Kassel hat den Antrag, einen Gegenstandswert festzusetzen, durch Beschluss vom 2. Dezember 1999 abgelehnt. In den Gründen hat das Sozialgericht ausgeführt, dass die Berechnung eines Gegenstandswertes nur dann in Betracht käme, wenn es sich um eine Streitigkeit im Sinne von § 116 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BRAGO und damit um einen Rechtsstreit nach § 51 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehandelt hätte. In dem im Eilrechtsschutz entschiedenen Verfahren sei es aber um Angelegenheiten nach dem SGB XI gegangen. Die Ansprüche hiernach seien dem § 116 Abs. 2 BRAGO nicht zugänglich.
Gegen diesen den Prozessbevollmächtigten der Antragsteller am 6. Dezember 1999 zugestellten Beschluss richtet sich die am 4. Januar 2000 eingelegte Beschwerde der Antragsteller, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Beschluss vom 10. Januar 2000).
Gründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173, 174, 193 SGG).
Die Beschwerde ist auch begründet.
Der Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 1. November 1999 war aufzuheben, weil das Sozialgericht verpflichtet ist, antragsgemäß einen Gegenstandswert festzusetzen.
Im Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit erhält der Rechtsanwalt die in § 116 Abs. 1 BRAGO festgelegten Rahmengebühren, soweit nicht die Gebühren nach dem Gegenstandswert (§ 116 Abs. 2 BRAGO) berechnet werden. Durch die Rahmengebühr des Abs. 1 dieser Vorschrift wird die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts im jeweiligen Rechtszug abgegolten. Von der Abgeltung der anwaltlichen Tätigkeit durch die Rahmengebühren des § 116 Abs. 1 BRAGO sind aber die in § 116 Abs. 2 BRAGO genannten Verfahren ausgenommen, weil auf sie der soziale Gesichtspunkt (möglichst billiges Verfahren) nicht zutrifft (Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 14. Aufl. 1999, § 116 Rdnr. 16). Es sind dies Verfahren
1. nach § 51 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes,
2. aufgrund von Streitigkeiten zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts,
3. aufgrund von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und juristischen Personen des öffentlichen Rechts,
4. gegen Entscheidungen einer obersten Bundes- oder Landesbehörde in Angelegenheiten nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch sowie gegen Entscheidungen einer Landesbehörde nach § 122 Abs. 4 Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch.
Im vorliegenden Verfahren lag eine Streitigkeit zwischen Arbeitgebern und juristischen Personen des öffentlichen Rechts vor. Arbeitgeber ist derjenige, dem der Anspruch auf Arbeitsleistung eines oder mehrerer Arbeitnehmer zusteht, der die Arbeitsvergütung zu zahlen hat und dem der wirtschaftliche Ertrag der Arbeit zugute kommt (vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 8. Aufl., § 17 Anm. 2 b). Unter den Begriff des Arbeitgebers im Sinne des § 116 Abs. 2 Nr. 3 BRAGO fallen damit auch Personengesellschaften des bürgerlichen Rechts, die -- wie im vorliegenden Fall -- sowohl im Rahmen des SGB V als auch im Rahmen des SGB IX zur vertraglichen Leistungserfüllung eines mit juristischen Personen des öffentlichen Rechts abgeschlossenen Versorgungsvertrages Arbeitnehmer beschäftigen. Auch für die Anwendung des § 116 Abs. 2 Nr. 3 BRAGO kommt es deshalb entscheidend darauf an, dass ein Beteiligter den Rechtsstreit in eben "der Eigenschaft als Arbeitgeber" führt (BSG, Beschluss vom 30. Juli 1993 -- 7 RAr 86/92 --, SozR 3-1930 § 116 Nr. 5). Da eine solche Fallgestaltung dem vorliegend abgeschlossenen Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu Grunde lag, wird das Sozialgericht demgemäß den Gegenstandswert zum Zwecke der Gebührenfestsetzung zu bestimmen haben.
Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).
Hessisches LSG:
Beschluss v. 21.06.2000
Az: L 14 P 74/00 ER
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