Bundespatentgericht:
Beschluss vom 7. August 2000
Aktenzeichen: 20 W (pat) 84/99

(BPatG: Beschluss v. 07.08.2000, Az.: 20 W (pat) 84/99)

Tenor

Der Beschluß des Patentamts vom 6. August 1999 wird aufgehoben. Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I Das Patentamt - Patentabteilung 31 - hat das Patent im Einspruchsverfahren mit Beschluß vom 6. August 1999 in der erteilten Fassung aufrechterhalten. Die Einsprechende hatte ua die folgende Druckschrift zitiert:

(D6) "de/der elektromeister + deutsches elektrohandwerk", Ausgabe 23-24, 1983, Seite 1622.

Im Beschwerdeverfahren beantragt die Einsprechende und Beschwerdeführerin, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent aufrechtzuerhalten mit dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag, hilfsweise gemäß Hilfsantrag, im übrigen mit den Unterlagen des erteilten Patents.

Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet:

"1. Verfahren zur Übermittlung von Informationen in einem Kabelsystem (K) im Hausbereich,

- das von wenigstens einem Übergabepunkt (ÜP) sternförmig zu Abschlußvorrichtungen (ZAD) der betreffenden Räume hingeführt wird und über das Informationen, die in einer Mehrzahl von Diensten geführt werden, zu den Abschlußvorrichtungen (ZAD) geleitet werden, dadurch gekennzeichnet,

- daß dem Kabelsystem (K) über die Abschlußvorrichtungen (ZAD) Informationen bzgl. Zustand und/oder Zustandsänderungen von häuslichen Einrichtungen zugeführt werden."

Die hilfsweise Fassung des Patentanspruchs 1 unterscheidet sich von der nach Hauptantrag dadurch, daß im Oberbegriff, neben formalen Umordnungen der Merkmale, weitere Merkmale betr. "ggf. sich unterscheidende Kabelsysteme" und "einer weiteren Mehrzahl von Endgeräten (FS)" hinzugefügt sind. Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag lautet demnach:

"1. Verfahren zur Übermittlung von Informationen in einem Kabelsystem (K) im Hausbereich,

- mit einer Mehrzahl von Informationen führenden Diensten, die über wenigstens einen Übergabepunkt (ÜP) dem häuslichen Bereich zugeführt werden, wo sie über ggf. sich unterscheidende Kabelsysteme (K) über Abschlußvorrichtungen (ZAD) mit einer weiteren Mehrzahl von Endgeräten (FS) verbunden sind,

- wobei die sich unterscheidenden Kabelsysteme (KS) als ein sternförmig zu den Abschlußvorrichtungen (ZAD) der betreffenden Räume hin geführtes Kabelsystem (KS) ausgebildet ist, über das Informationen zu den Abschlußvorrichtungen (ZAD) geleitet werden, dadurch gekennzeichnet,

- daß dem Kabelsystem (K) über die Abschlußvorrichtungen (ZAD) Informationen bzgl. Zustand und/oder Zustandsänderungen von häuslichen Einrichtungen zugeführt werden."

Die Patentinhaberin macht geltend, daß keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften ein Kabelsystem beschreibe, dem über Abschlußvorrichtungen Informationen bzgl. Zustand und/oder Zustandsänderungen von häuslichen Einrichtungen zugeführt würden.

Nach Auffassung der Einsprechenden sind die dem Patentanspruch 1 in den beantragten Fassungen nach Haupt- wie auch nach Hilfsantrag entsprechenden Gegenstände nicht neu. Die vom Stand der Technik beschriebenen Kabelsysteme wiesen (Rück-) Kanäle auf, über die dem Kabelsystem Informationen von Teilnehmereinrichtungen zugeführt werden könnten. Ein solches Zuführen von Informationen über Rückkanäle sei gemäß Beschreibung der Patentschrift von den Gegenständen der Patentansprüche 1 nach Haupt- und Hilfsantrag mit umfaßt.

II Die Beschwerde führt zum Erfolg, weil der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in keiner der beantragten Fassungen patentfähig ist. Es fehlt die Neuheit (§ 3 PatG). Ob die in den beantragten Fassungen der Patentansprüche vorgenommenen Änderungen zulässig sind, kann daher dahingestellt bleiben.

1. Zum Hilfsantrag Das Verfahren nach Patentanspruch 1 des Hilfsantrages ist nicht neu.

Verfahren zur Übermittlung von Informationen in einem Kabelsystem im Hausbereich, mit einer Mehrzahl von Informationen führenden Diensten, die über wenigstens einen Übergabepunkt dem häuslichen Bereich zugeführt werden, wo sie über ggf. sich unterscheidende Kabelsysteme über Abschlußvorrichtungen mit einer weiteren Mehrzahl von Endgeräten verbunden sind, und wobei die sich unterscheidenden Kabelsysteme als ein sternförmig zu den Abschlußvorrichtungen der betreffenden Räume hin geführtes Kabelsystem ausgebildet sind, über das Informationen zu den Abschlußvorrichtungen geleitet werden, gemäß den Merkmalen im Oberbegriff des in Rede stehenden Patentanspruchs 1, waren am Anmeldetag des Patents dem Fachmann - hier ein Entwickler mit elektrotechnischer Hoch- oder Fachhochschulausbildung und mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der der Übermittlung von Informationen dienenden Kabelsysteme im Hausbereich - bereits aus dem Stand der Technik bekannt, vergleiche in (D6) das in Bild 6 dargestellte sternförmige Kabelsystem mit wenigstens einem Übergabepunkt (im unteren Teil des Bildes), Abschlußvorrichtungen und damit verbundenen Endgeräten (Vorrichtungen jeweils an den Enden der Kabelstränge in Verbindung mit linker Spalte 1. Absatz unter Bild 6).

Des weiteren sieht das aus (D6) bekannte Verfahren neben der Übermittlung von Hörfunk- und Fernsehsignalen weitere Informationsdienste vor, insbesondere pay-TV-Dienste, die vom Teilnehmer (von Teilnehmer-Endgeräten ausgehend) angefordert werden und über Verbindungen zugeleitet werden, die in beiden Richtungen (zum und vom Teilnehmer) benutzt werden können (li Sp, 1. und 2. Abs unter Bild 6, mi Sp, 2. Abs). Nachdem nach der Beschreibung der Streitpatentschrift Rückmeldungen an Set-Top-Boxen als ein Ausführungsbeispiel des patentgemäßen Verfahrens vom Wortlaut des Patentanspruchs 1 mit umfaßt werden (vgl DE 196 10 068 C2, Sp 3, Z 48, bis Sp 4, Z 3, iVm Fig 3b), läßt sich das Merkmal im Kennzeichenteil des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag, nach dem dem Kabelsystem über die Abschlußvorrichtungen Informationen bzgl. Zustand und/oder Zustandsänderungen von häuslichen Einrichtungen zugeführt werden (nach Ausführungsbeispiel Kanalwahl durch entsprechende Betätigung am Fernsehgerät), auf die aus (D6) bekannte Anforderung weiterer Informationsdienste seitens der über Abschlußvorrichtungen mit dem Kabelsystem verbundenen Teilnehmerendgeräte lesen.

Die Argumentation der Patentinhaberin, daß es sich bei den in Rede stehenden Informationen bzgl. Zustand und/oder Zustandsänderungen von häuslichen Einrichtungen um Sensor- oder Alarmsignale von Fernwirkeinrichtungen oder aus der Gebäudetechnik handle, die mit den zu den Abschlußvorrichtungen hin geleiteten Informationen nichts zu tun hätten, trifft daher nach der allgemeinen Formulierung des Patentanspruchs 1 mit Auslegung durch Beschreibung und Zeichnung nicht zu. Jedoch könnte auch eine solche Interpretation des beanspruchten Verfahrens das Blatt der Patentfähigkeit nicht wenden; denn ein solches Verfahren wäre mangels erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig. Zum Zeitpunkt des Anmeldetages waren eigenständige Alarmmeldeanlagen, die Alarmsignale häuslicher Einrichtungen über Kabelsysteme nach außen abgaben, in der Praxis gegeben, ohne daß es dazu eines besonderen Nachweises bedürfte. Die Nutzung der aus dem Stand der Technik bekannten Kabelsysteme, insbesondere der vorhandenen Rückkanäle, zur Führung von Alarmmeldungen, hatte nach Überzeugung des Senats durchaus im Erwägungsbereich des Fachmannes gelegen. Über mit der Realisierung ggf. verbundene Schwierigkeiten und deren Überwindung sagt das Patent nichts.

2. Zum Hauptantrag Das der Fassung des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag entsprechende Verfahren ist ebenfalls nicht patentfähig, weil die Fassung des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag sich von der vorstehend erörterten Fassung nach Hilfsantrag sachlich nur dadurch unterscheidet, daß Merkmale weggelassen sind. Ein der Fassung des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag entsprechendes Verfahren zur Übermittlung von Informationen, dessen mangelnde Patentfähigkeit vorstehend begründet wurde, stellt somit einen unter die Anspruchsfassung nach Hauptantrag fallenden Spezialfall dar.

Dr. Anders Kalkoff Dr. Hartung Dr. van Radenbe






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Beschluss v. 07.08.2000
Az: 20 W (pat) 84/99


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