Landgericht Köln:
Urteil vom 1. Oktober 2004
Aktenzeichen: 82 O 67/04

(LG Köln: Urteil v. 01.10.2004, Az.: 82 O 67/04)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist für die Beklagte hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die W AG (im folgenden "AG") mit Sitz in L verfügt über ein Grundkapital von EUR 134.234.570,49. In der Bilanz zum 31.12.2003 weist sie eine Kapitalrücklage in Höhe von EUR 744.954.000,-- und Gewinnrücklagen in Höhe von EUR 44.000,-- aus (Anlage K 1).

Die ordentliche Hauptversammlung der AG fand am 11.05.2004 statt. Unter TOP 4 der Tagesordnung (Anlage K 2) beschlossen die Aktionäre der AG mit qualifizierter Mehrheit Folgendes:

4. 1. Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln

(a) Das Grundkapital der Gesellschaft in Höhe von Euro 134.234.570,49, eingeteilt in 46.413.750 Stammaktien (Stückaktien) und 6.094.250 Vorzugsaktien (Stückaktien), wird nach den Vorschriften des Aktiengesetzes über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§§ 207 ff. AktG) um Euro 300.765.429,51 auf Euro 435.000.000,00 durch Umwandlung eines Teilbetrages in Höhe von Euro 300.765.429,51 der in der Bilanz zum 31. Dezember 2003 ausgewiesenen Kapitalrücklage in Grundkapital ohne Ausgabe neuer Aktien erhöht. Die Wirksamkeit dieses Beschlusses ist bedingt durch die Beschlussfassung zu Tagesordnungspunkt 4.2. entsprechend dem Vorschlag von Aufsichtsrat und Vorstand. Diesem Beschluß wird der vom Vorstand und Aufsichtsrat festgestellte Jahresabschluß der Gesellschaft zum 31. Dezember 2003 zugrunde gelegt. Der Jahresabschluß wurde von Q ,E, geprüft und mit einem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk versehen.

(b) § 5 Abs. 1 Satz 1 der Satzung wird wie folgt geändert: "Das Grundkapital beträgt 435.000.000,00 Euro."

4.2. Ordentliche Kapitalherabsetzung

(a) Zum Zwecke der Einstellung eines Teils des Grundkapitals in die Gewinnrücklage wird das Grundkapital von Euro 435.000.000,00, eingeteilt in 46.413.750 Stammaktien (Stückaktien) und 6.094.250 Vorzugsaktien (Stückaktien), um Euro 300.000.000,00 auf Euro 135.000.000,00 herabgesetzt. Die Herabsetzung erfolgt nach den Vorschriften über die ordentliche Kapitalherabsetzung (§§ 222 ff. AktG) durch Verringerung des auf jede Aktie entfallenden rechnerischen Anteils am Grundkapital.

(b) § 5 Abs. 1 Satz 1 der Satzung wird wie folgt geändert: "Das Grundkapital beträgt 135.000.000,00 Euro."

4.3. Der Vorstand und der Vorsitzende des Aufsichtsrates werden angewiesen, die unter Tagesordnungspunkt 4.1 und 4.2. genannten Beschlüsse in dieser Reihenfolge zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden, wenn die Hauptversammlung beiden Beschlüssen zugestimmt hat. Die Eintragung der Kapitalherabsetzung im Handelsregister ist weiterhin von der vorherigen Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister abhängig. Andererseits darf die Kapitalerhöhung nur im Handelsregister eingetragen werden, wenn sichergestellt ist, dass anschließend die Kapitalherabsetzung in das Handelsregister eingetragen wird. Der Vorstand wird ferner angewiesen, den Herabsetzungsbetrag in Höhe von Euro 300.000.000,00 in die Gewinnrücklage einzustellen."

Die vorgeschlagenen Beschlussfassungen begründete der Vorstand der AG unter den Erläuterungen des Punkt 4 zur Tagesordnung wie folgt:

"Die Gesellschaft beabsichtigt, die vorhandene Kapitalrücklage im Umfang von Euro 300.765.429,51 aufzulösen und die freigesetzten Mittel in Höhe von 300.000.000,00 Euro in die Gewinnrücklage einzustellen, um so die Ausschüttung in künftigen Jahren zu ermöglichen. Eine unmittelbare Ausschüttung aus der Kapitalrücklage im Sinne des § 272 Abs. 2 Nr. 1 - 3 HGB ist nicht zulässig. Aus diesem Grund ist ein mehrstufiges Verfahren erforderlich. Zunächst ist über eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln zu beschließen. Hierbei wird der Betrag aus dem aufzulösenden Teil der Kapitalrücklage in Grundkapital umgewandelt und das Grundkapital ohne Ausgabe neuer Aktien erhöht. In einem weiteren Schritt wird das erhöhte Grundkapital um Euro 300.000.000,00 herabgesetzt und zwar zum Zwecke der Einstellung des Herabsetzungsbetrages in die Gewinnrücklage."

Der Kläger ist Aktionär der AG. In dieser Eigenschaft nahm er an der Hauptversammlung am 11.05.2004 teil, in der er im Anschluß an sämtliche drei Beschlussfassungen zu Punkt 4 der Tagesordnung Widerspruch zu Protokoll erklärte.

Die als Anfechtungsklage überschriebene Klage des Klägers ist am 14.06.2004 bei Gericht eingegangen. Der Kläger hat klargestellt, dass die Klage als Nichtigkeitsklage gem. § 249 AktG eingelegt werden sollte.

Der Kläger ist der Meinung, dass die angefochtenen Beschlussfassungen gegen § 150 Abs. 4 Nr. 3 AktG verstoßen, da die Kapitalrücklagen im Sinne von § 272 Abs. 1 Nr.1 - 3 HGB nicht für Gewinnausschüttungen zur Verfügung stünden. Damit sei gegen die gesetzliche Ausschütttungssperre des § 150 Abs. 4 AktG verstoßen worden.

Der Kläger ist ferner der Meinung, dass eine Kapitalerhöhung materiell nicht erfolgt sei. Es habe allenfalls für eine logische Sekunde eine Kapitalerhöhung stattgefunden, was aber nicht § 150 Abs. 4 Nr. 3 AktG entspreche. Daher liege eine Umgehung von § 150 Abs. 4 Nr. 3 AktG vor. Aus der gegenseitigen Abhängigkeit der Beschlussfassungen sowie der Begründung des Vorstandes ergebe sich, dass das ausschließliche Ziel gewesen sei, die Kapitalrücklage in einem Umfang von 300 Millionen in die Gewinnrücklage einzustellen, um eine Ausschüttung zu ermöglichen.

Im übrigen habe eine Kapitalerhöhung im Sinne von § 207 AktG aber auch materiell nicht stattgefunden. Einerseits seien die Beschlussfassungen als Scheingeschäft im Sinne von § 117 BGB zu qualifizieren, andererseits hätten sich die Beschlüsse zu Ziffer 4.1 (Kapitalerhöhung) und Ziffer 4.2 (Kapitalherabsetzung) gegenseitig aufgehoben.

Der Kläger beantragt,

die am 11.05.2004 in der Hauptversammlung der W AG unter TOP 4 der Tagesordnung und nachfolgend aufgeführten Beschlüsse sind nichtig:

"4.1. Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln

a)

Das Grundkapital der Gesellschaft in Höhe von EUR 134.234.570,49, eingeteilt in 46.413.750 Stammaktien (Stückaktien) und 6.094.250 Vorzugsaktien (Stückaktien), wird nach den Vorschriften des Aktiengesetzes über die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§§ 207 ff. AktG) um EUR 300.765.429,51 auf EUR 435.000.000,00 durch Umwandlung eines Teilbetrages in Höhe von EUR 300.765.429,51 der in der Bilanz zum 31. Dezember 2003 ausgewiesenen Kapitalrücklage in Grundkapital ohne Ausgabe neuer Aktien erhöht. Die Wirksamkeit dieses Beschlusses ist bedingt durch die Beschlussfassung zu Tagesordnungspunkt 4.2 entsprechend dem Vorschlag von Aufsichtsrat und Vorstand.

Diesen Beschluß wird der vom Vorstand und Aufsichtsrat festgestellte Jahresabschluß der Gesellschaft zum 31. Dezember 2003 zugrunde gelegt. Der Jahresabschluß wurde von Q, E, geprüft und mit einem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk versehen.

b)

§ 5 Abs. 1 Satz 1 der Satzung wird wie folgt geändert: "Das Grundkapital beträgt 435.000.000,00 EUR."

4.2 Ordentliche Kapitalherabsetzung

a)

Zum Zwecke der Einstellung eines Teils des Grundkapitals in die Gewinnrücklage wird das Grundkapital von EUR 435.000.000,00, eingeteilt in 46.413.750 Stammaktien (Stückaktien) und 6.094.250 Vorzugsaktien (Stückaktien), um EUR 300.000.000,00 auf EUR 135.000.000,00 herabgesetzt. Die Herabsetzung erfolgt nach den Vorschriften über die ordentliche Kapitalherabsetzung (§§ 222 ff. AktG) durch Verringerung des auf jede Aktie entfallenden rechnerischen Anteils am Grundkapital.

b)

§ 5 Abs. 1 Satz 1 der Satzung wird wie folgt geändert: "Das Grundkapital beträgt 135.000.000,00 EUR".

4.3.

Der Vorstand und der Vorsitzende des Aufsichtsrates werden angewiesen, die unter Tagesordnungspunkt 4.1 und 4.2. genannten Beschlüsse in dieser Reihenfolge zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden, wenn die Hauptversammlung beiden Beschlüssen zugestimmt hat. Die Eintragung der Kapitalherabsetzung im Handelsregister ist weiterhin von der vorherigen Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister abhängig. Andererseits darf die Kapitalerhöhung nur im Handelsregister eingetragen werden, wenn sichergestellt ist, dass anschließend die Kapitalherabsetzung in das Handelsregister eingetragen wird. Der Vorstand wird ferner angewiesen, den Herabsetzungsbetrag in Höhe von EUR 300.000.000,00 in die Gewinnrücklage einzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte weist darauf hin, dass eine Anfechtungsklage verfristet sei. Nichtigkeitsgründe seien nicht vorgetragen. Ein Verstoß gegen § 150 Abs. 4 AktG liege nicht vor. Die Beklagte habe formal wirksam zunächst das Grundkapital erhöht. Anschließend sei eine Herabsetzung vorgenommen worden zum Zwecke der späteren Gewinnausschüttung. Die Rückzahlung von Grundkapital an die Aktionäre sei ein zulässiger Zweck der ordentlichen Kapitalherabsetzung.

Die sachliche und zeitliche Verknüpfung der Kapitalerhöhung und der Kapitalherabsetzung sei zulässig. Die Rechtswirkungen beider Maßnahmen seien bezweckt gewesen. Widersprüchliche Beschlüsse lägen nicht vor, sodass sie sich auch nicht gegenseitig aufheben könnten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Sach- und Rechtslage wird auf die gegenseitigen Schriftsätze der Parteien sowie auf die dazu eingereichten Anlagen Bezug genommen.

E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :

Die Klage ist zulässig.

Der Kläger hat klargestellt, dass es sich um eine Nichtigkeitsklage im Sinne von § 249 AktG handelt. Für die Nichtigkeitsklage gilt die Anfechtungsfrist nach § 246 AktG nicht, sodass es auf die Versäumung der Frist für den Rechtsstreit nicht ankommt. Die Nichtigkeitsklage ist zulässig, da der vom Kläger behauptete Verstoß gegen § 150 AktG unter den Nichtigkeitsgrund nach § 241 Nr. 3 AktG (Verletzung von zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft erlassenen Bestimmungen) fällt.

In der Sache ist die Klage aber unbegründet. Die Hauptversammlungsbeschlüsse der Beklagten vom 11.05.2004 verstoßen nicht gegen das Gesetz.

1.)

Zunächst liegt kein Verstoß gegen § 150 Abs. 4 AktG vor. Der Argumentation der Beklagten ist insoweit zu folgen. Auch in der Literatur wird die von der Beklagten gewählte Kapitalmaßnahme für zulässig gehalten (vgl. Münchner Kommentar zum Aktiengesetz, § 150 Rn. 24). § 150 AktG will nicht jede Ausschüttung verhindern, sondern nur eine unmittelbare Ausschüttung aus der Kapitalrücklage im Sinne von § 272 Abs. 2 HGB. Die Ausschüttung unter den strengeren Voraussetzungen der Kapitalherabsetzung muss aber möglich sein. Denn der Schutz des Grundkapitals geht weiter als der Schutz der Kapitalrücklagen. Die Gläubiger der Gesellschaft werden durch § 225 AktG geschützt.

Die Kapitalerhöhung ist nach § 207 AktG ist wirksam.

Zunächst liegen die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 207 AktG vor. Die Erhöhung ohne Ausgabe neuer Aktien war zulässig, weil das Grundkapital der Beklagten in Stückaktien aufgeteilt ist, § 207 II, 8 III AktG.

Es handelt sich bei der von der Beklagten vorgenommenen Kapitalerhöhung nicht um ein Scheingeschäft im Sinne von § 117 BGB, da die Rechtsfolgen dieses Rechtsgeschäftes gewollt waren. Ohne die Wirksamkeit der Kapitalerhöhung wäre die Kapitalherabsetzung nicht möglich gewesen.

Die Kapitalerhöhung unter der Bedingung der weiteren Beschlussfassung über die Kapitalherabsetzung war ebenfalls zulässig. Die Beschlussfassung unter einer Bedingung ist dann unbedenklich, falls die Bedingung selbst Bestandteil des gesamten Beschlusses ist, wie hier der Beschluss über die Kapitalherabsetzung.

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass der Erhöhungsbeschluss "im Zweifel" durch den Herabsetzungsbeschluss aufgehoben oder rückgängig gemacht worden ist, wie der Kläger meint. Die Aufhebung einer Kapitalerhöhung ist zwar vor der Eintragung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister grundsätzlich möglich, doch war vorliegend mit der Kapitalherabsetzung gerade nicht die Aufhebung der Kapitalerhöhung gewollt, sondern im Gegenteil sollten beide Beschlüsse nur gemeinsam wirksam sein und bedingten sich deshalb gegenseitig.

Entgegen der Ansicht des Klägers ist der Kapitalerhöhungsbeschluss auch zunächst wirksam durchgeführt worden. Denn mit der Eintragung des Beschlusses und dessen Durchführung wird die Kapitalerhöhung wirksam, § 189 AktG. Erst dann wird der Beschluss über die Kapitalherabsetzung eingetragen und damit wirksam. Die Argumentation des Klägers, eine Kapitalerhöhung habe gar nicht stattgefunden, greift daher nicht durch.

3.)

Die Kapitalherabsetzung ist ebenfalls wirksam. Es ist unter den gesetzlichen Voraussetzungen nach § 222 ff. AktG, die hier eingehalten worden sind, legitim, das Grundkapital l der Gesellschaft zum Zwecke der Ausschüttung herabzusetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur sofortigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 ZPO.

Streitwert: 100.000,00 EUR






LG Köln:
Urteil v. 01.10.2004
Az: 82 O 67/04


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