Oberlandesgericht Hamburg:
Urteil vom 16. Juni 2008
Aktenzeichen: 2 Ws 82/08

(OLG Hamburg: Urteil v. 16.06.2008, Az.: 2 Ws 82/08)

Hanseatisches Oberlandesgericht

Beschluss

In der Strafsache

gegen

P. C. C.,

geboren am

in

hier: Beschwerde des Verteidigers

Rechtsanwalt,

betreffend Gebührenfestsetzung für das Revisionsverfahren

hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg am 16. Juni 2008 durch

...

beschlossen:

Die Beschwerde des Verteidigers Rechtsanwalt J. gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 16, vom 18. April 2008 wird verworfen.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer ist dem Angeklagten am 8. August 2007 zum Pflichtverteidiger bestellt worden. Am 21. November 2007 hat das Landgericht Hamburg, Große Strafkammer 16, den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil legte der Beschwerdeführer am 26. November 2007 unter gleichzeitiger Erhebung der allgemeinen Sachrüge mit den Anträgen auf Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer Revision ein. Am 15. Januar 2008 wurde das Urteil zugestellt. Am 18. Januar 2008 erklärte der Beschwerdeführer schriftsätzlich gegenüber dem Landgericht, er nehme "mit ausdrücklicher Ermächtigung (s)eines Mandanten" die Revision zurück.

Mit Antrag auf Festsetzung der Vergütung für das Revisionsverfahren machte der Beschwerdeführer am 4. Februar 2008 neben der Verfahrensgebühr und der Auslagenpauschale für seine Mitwirkung an der Rücknahme des Rechtsmittels die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG in Höhe von Euro 412,-- zuzüglich Mehrwertsteuer geltend.

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die Festsetzung dieses Betrages am 12. Februar 2008 abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Erinnerung des Beschwerdeführers hat die Strafkammer durch Beschluss vom 18. April 2008 in der Besetzung mit drei Berufsrichtern als unbegründet verworfen, nachdem die Einzelrichterin die Sache wegen grundsätzlicher Bedeutung auf die Kammer übertragen hatte.

Gegen diesen am 23. April 2008 zugestellten Beschluss wendet sich die am 6. Mai 2008 eingegangene Beschwerde.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat auf Verwerfung der Beschwerde angetragen.

II.

Die Beschwerde des Verteidigers, über die der Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu entscheiden hat (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 1 RVG, 122 Abs. 1 GVG), ist zulässig (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 RVG), aber unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht dem Beschwerdeführer die geltend gemachte Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG nicht zuerkannt.

1. Nach Nr. 4141 VV RVG entsteht die zusätzliche Gebühr in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich wird. In Abs. 1 Nr. 3 der amtlichen Anmerkung zu Nr. 4141 VV RVG heißt es dazu: "Die Gebühr entsteht, wenn ... sich das gerichtliche Verfahren durch Rücknahme ... der Revision des Angeklagten ... erledigt; ist bereits ein Termin zur Hauptverhandlung bestimmt, entsteht die Gebühr nur, wenn ... die Revision früher als zwei Wochen vor Beginn des Tages, der für die Hauptverhandlung vorgesehen war, zurückgenommen wird." Nach Abs. 2 der amtlichen Anmerkung entsteht die Gebühr nicht, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich ist.

2. Dem liegt ausweislich der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - KostRMoG; Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP; BT-Drs. 15/1971) folgender gesetzgeberische Wille zu Grunde:

Durch die Neuregelung in Nr. 4141 VV RVG sollte der Grundgedanke der Regelung in § 84 Abs. 2 BRAGO übernommen werden. Nach dieser Vorschrift erhielt der Rechtsanwalt, durch dessen Mitwirkung eine Hauptverhandlung entbehrlich wurde, die (volle Hauptverhandlungs-)Gebühr, wenn sich das gerichtliche Verfahren u.a. durch Zurücknahme des Einspruchs gegen einen Strafbefehl erledigte; war bereits ein Termin zur Hauptverhandlung bestimmt, jedoch nur, wenn der Einspruch früher als zwei Wochen vor Beginn des Tages, der für die Hauptverhandlung vorgesehen war, zurückgenommen wurde; dies galt nicht, wenn ein Beitrag des Rechtsanwalts zur Förderung des Verfahrens nicht ersichtlich war. In § 85 Abs. 4 BRAGO war die entsprechende Anwendung dieser Regelung auf das Berufungsverfahren und die Berufungsrücknahme angeordnet. Dies griff die Neuregelung auf, indem dem Rechtsanwalt in den genannten Fällen eine zusätzliche Gebühr in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr zugebilligt werden sollte. Diese Zusatzgebühr sollte - wie schon in der Vergangenheit betreffend Einspruchs- und Berufungsrücknahme - den Anreiz, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen, erhöhen und somit zu weniger Hauptverhandlungen führen. Zusätzlich sollte zu der bisherigen Regelung in Abs. 1 Nr. 3 der Anmerkung neu auch der Fall erfasst werden, in dem das gerichtliche Verfahren durch Rücknahme der Revision erledigt wird. Ziel war es, durch Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Nr. 4141 VV RVG im Vergleich zur Regelung des § 84 Abs. 2 und des § 85 Abs. 4 BRAGO eine Entlastung der Revisionsgerichte herbeizuführen (a.a.O., S. 227 f.).

Aus alledem folgt:

Nach Nr. 4141VV RVG soll der Verteidiger eine zusätzliche Gebühr erhalten, wenn durch seine auf die Förderung des Hauptverfahrens gerichtete Tätigkeit eine Hauptverhandlung entbehrlich wird. Bereits der Wortlaut der Vorschrift ergibt, dass die anwaltliche Tätigkeit für die Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung ursächlich oder zumindest mitursächlich sein muss. Anders als im Strafbefehls- und Berufungsverfahren wird im Revisionsverfahren aber nicht stets eine Hauptverhandlung anberaumt. Im Revisionsverfahren ist vielmehr die Entscheidung durch Beschluss gemäß § 349 Abs. 2, 4 StPO die Regel, während eine Revisionshauptverhandlung zwingend vorgeschrieben ist nur bei einer erfolgreichen Revision der Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten und bei einer Revision des Angeklagten, wenn das Revisionsgericht zu seinen Ungunsten vom Antrag der Generalstaatsanwaltschaft abweichen will (§ 349 Abs. 5 StPO). Für die Vermeidung der Hauptverhandlung dürfte die Rücknahme der Revision des Angeklagten in diesen beiden Fallkonstellationen kaum ursächlich werden können.

Nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes, wonach entscheidend die Vermeidung der Hauptverhandlung ist, bedarf deshalb die Frage, ob die Hauptverhandlung durch die Zurücknahme der Revision entbehrlich geworden ist, einer gesonderten Prüfung. Die zusätzliche Gebühr kommt bei Rücknahme der Revision nur dann in Betracht, wenn das Revisionsverfahren so weit fortgeschritten war, dass beurteilt werden kann, ob eine Revisionshauptverhandlung durchgeführt worden wäre. Nur wenn diese Frage zu bejahen ist, kann durch Bewilligung der Gebühr dem gesetzgeberischen Ziel der Entlastung der Revisionsgerichte entsprochen werden. Nur bei dieser eine ohne die Rücknahme voraussichtlich entstandene anwaltliche Hauptverhandlungsgebühr voraussetzenden Gesetzesauslegung kann gleichzeitig auch dem weiteren gesetzgeberischen Ziel, dem Verteidiger eine Kompensation für den Verlust der Hauptverhandlungsgebühr zu verschaffen, entsprochen werden.

Dieses Ergebnis ist auch nicht unbillig, da die im Anschluss an die Einlegung der Revision vorzunehmende prüfende und beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts durch die Verfahrensgebühr (Nrn. 4130, 4131 VV RVG) abgedeckt wird.

Die Beurteilung der Frage, ob eine Hauptverhandlung durchgeführt worden wäre, setzt dabei als Prüfungsgrundlage nicht nur voraus, dass die Revision begründet worden ist (so aber OLG Hamm, StV 2007, 482, 483; nur als Mindestvoraussetzung genannt von KG, NStZ 2006, 239 f.; OLG Braunschweig, Beschluss vom 16. März 2006 - Az.: Ws 25/06 -; OLG Bamberg, Beschluss vom 22. März 2006 - Az.: 1 Ws 142/06 -; KG, Beschluss vom 4. April 2006 - Az.: 4 Ws 28/06 -; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Oktober 2007 - Az.: III - 2 Ws 228/07 -); diese Beurteilung wird vielmehr in der Regel erst unter Berücksichtigung der Stellungnahme der zuständigen Staatsanwaltschaft und erst dann möglich sein, wenn das Revisionsverfahren bei dem Revisionsgericht anhängig geworden ist (KG, Beschluss vom 4. Mai 2006 - Az.: 4 Ws 57/06 -; OLG Saarbrücken, JurBüro 2007, 28 f.; OLG Thüringen, Beschluss vom 30. November 2006 - Az.: 1 Ws 254/06 -; OLG Brandenburg, Beschluss vom 14. März 2007, NStZ-RR 2007, 288; ebenso OLG Zweibrücken, Beschluss vom 17. Mai 2005 - Az.: 1 Ws 164/05 -; OLG Hamm, Beschluss vom 28. März 2006 - Az.: 1 Ws 203/06 - und NStZ-RR 2007, 160; OLG Stuttgart, RPfl 2007, 284 f.).

Soweit demgegenüber angenommen wird, für die Kausalität der anwaltlichen Mitwirkung reiche es aus, dass der Verteidiger auf die Rücknahme "irgendwie Einfluss genommen" und dem Mandanten nach Einlegung der Revision - auch vor Abgabe einer Revisionsbegründung - die Rücknahme angeraten habe (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. September 2005 - Az.: 1 Ws 288/05 -; Burhoff, RVG, 2. Aufl., Nr. 4141 VV Rdn. 41, 43; ebenso offenbar Hartmann, Kostengesetze, 37. Aufl., Nr. 4141 VV Rdn. 9; Hartung in Hartung/Römermann, RVG, VV Teil 4 Rdn. 150), wird nicht beachtet, dass die isolierte Betrachtung des Wortlautes des Abs. 1 Nr. 3 Hs.1 der

Anmerkung zu Nr. 4141 VV RVG, wonach scheinbar die schlichte Rücknahme der Revision ohne weitere zusätzliche Voraussetzungen für die Entstehung der Gebühr ausreicht, Wortlaut und Sinn des Gesetzes nicht ausschöpft und damit nicht den maßgeblichen Obersatz der Nr. 4141 VV RVG, der entscheidend auf das Entbehrlichwerden der Hauptverhandlung abstellt, hinreichend beachtet (OLG Saarbrücken, a.a.O.).

4. Vorliegend erfolgte die Rücknahme der Revision zu einem Zeitpunkt, als die Akten - die Frist zur Begründung der Revison war noch nicht abgelaufen - noch dem Landgericht vorlagen. Anhaltspunkte dafür, dass im Fall der Fortführung des Verfahrens eine Hauptverhandlung durchgeführt worden wäre, bestehen nicht. Mit der Revision war lediglich (unter Antragstellung) die Verletzung materiellen Rechts gerügt worden. Eine Prognose über den hypothetischen weiteren Verlauf des Rechtsmittelverfahrens ist auf dieser Grundlage nicht möglich. Der Senat kann deshalb nicht feststellen, dass durch die Rücknahme der Revision eine Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht vermieden worden ist. Die zusätzliche Gebühr nach § 4141 VV RVG kann deshalb nicht zugesprochen werden.

III.

Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 RVG).






OLG Hamburg:
Urteil v. 16.06.2008
Az: 2 Ws 82/08


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