Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 17. Januar 2013
Aktenzeichen: 6 U 88/12

(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 17.01.2013, Az.: 6 U 88/12)

Die Dringlichkeitsvermutung des § 12 ll UWG ist auch dann widerlegt, wenn der Anspruchsgegnerdas beanstandete Verhalten ernsthaft angedroht hat und der Anspruchsteller den sich hieraus ergebenden vorbeugenden Unterlassungsanspruch längere Zeit nicht geltend gemacht hat. Ein zu einer neuen Dringlichkeit führender "Qualitätssprung" kann grundsätzlich nicht darin gesehen werden, dass der Anspruchsgegner sich - und sei es erst nach mehreren Monaten - tatsächlich in der angedrohten Weise verhält.

Tenor

Auf die Berufung des Antragsgegners gegen das am 22.02.2012 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main wird dieses abgeändert.

Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Frankfurt am Main vom 04.11.2011 wird aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass zurückgewiesen.

Die Kosten des Eilverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.

Das Urteil ist rechtskräftig.

Gründe

I.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 313a Abs. 1ZPO).

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil eine einstweilige Verfügung bestätigt, mit der es dem Antragsgegner unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt hat, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs

a) zu behaupten und/oder behaupten zu lassen, dass sich ein Osteopath in Deutschland nur dann €Osteopath D. O.€nennen darf, wenn er hierzu vom Antragsgegner eine Lizenz über die DPMA unter der Registernummer ... eingetragene Marke €D.O.€ (Anlage AST 1) erhalten hat,

b) zu behaupten und/oder behaupten zu lassen, dass ein Osteopath in Deutschland nur dann die Bezeichnung €D. O.€verwenden darf, wenn er hierzu vom Antragsgegner eine Lizenz über die DPMA unter der Registernummer ... eingetragene Marke €D.O.€ (Anlage AST 1) erhalten hat,

c) Mitglieder des Antragstellers mit der Begründung abzumahnen und/oder abmahnen zu lassen, sie würden gegen die Markenrechte des Antragsgegners verstoßen, wenn sie sich €Osteopath D.O.€ nennen,

d) Mitglieder des Antragstellers mit der Begründung abzumahnen und/oder abmahnen zu lassen, sie würden gegen die Markenrechte des Antragsgegners verstoßen, wenn sie die Bezeichnung €D.O.€ verwenden.

Zur Begründung hat es ausgeführt, es bestehe ein Verfügungsgrund. Der Antragsteller habe die Vermutung der Dringlichkeit nicht durch sein Verhalten widerlegt, weil die Dringlichkeitsfrist nicht vor der ersten Abmahnung eines Mitglieds des Antragstellers am 30.09.2011 zu laufen begonnen habe. Vorher habe eine Erstbegehungsgefahr aufgrund der angedrohten Abmahnungen nicht bestanden, weil der Antragsgegner die Einleitung gerichtlicher Maßnahmen wiederholt angekündigt, aber nicht umgesetzt habe. Selbst wenn das Schreiben des Antragsgegners vom 22.06.2011 trotz allem eine Erstbegehungsgefahr ausgelöst haben sollte, wäre die Dringlichkeit durch die erstmalige tatsächliche Abmahnung am 30.09.2011 wieder aufgelebt.

Ein Verfügungsanspruch bestehe gemäß §§ 8, 5 Abs. 1 Nr. 3 UWG,da die in der Abmahnung enthaltene Behauptung unwahr und daher irreführend sei. Die Behauptung, die Verwendung des Zeichens €D. O.€ in der Therapeutenliste verletzte die Marke des Antragsgegners, sei unwahr, da einem Unterlassungsanspruch des Antragsgegners aus § 14 Abs. 5 Markengesetz die Schranke des § 23Nr. 2 Markengesetz entgegenstünde.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Antragsgegners. Der Antragsgegner vertritt die Auffassung, es fehle sowohl an einem Verfügungsgrund als auch an einem Verfügungsanspruch.

Der Antragsgegner beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die einstweilige Verfügung des Landgerichts Frankfurt am Main vom 4. November 2011aufzuheben.

Der Antragsteller beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Antragsteller verteidigt das angefochtene Urteil unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst ihren Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Frankfurt am Main war aufzuheben und der Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen, weil es an einem Verfügungsgrund fehlt.

Allerdings fehlt die Dringlichkeit hinsichtlich der Anträge a)und b) nicht bereits deshalb, weil der Antragsgegner von Beginn der Auseinandersetzungen an gegenüber dem Antragsteller die Behauptung aufgestellt hat, das Zeichen €D. O.€ dürfe nur nutzen,wer über eine Lizenz von ihm verfüge. Denn es bedeutet einen qualitativen Unterschied, ob ein Verband in der internen Auseinandersetzung mit einem anderen Verband diese Behauptung aufstellt, oder ob er sich mit dieser Auffassung an Dritte wendet.

Der Wegfall der Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2 UWG für jeden der vier Unterlassungsanträge ergibt sich jedoch aus der Vorgeschichte dieses Eilverfahrens.

Bereits mit Schreiben vom 2. Februar 2006 richtete der Antragsgegner an den Antragsteller eine Berechtigungsanfrage hinsichtlich der Verwendung der Marke im geschäftlichen Verkehr,nämlich auf dessen Internetseite www€..-de. Hierauf ließ der Antragsteller mit Schreiben vom 07.12.2006 unter Hinweis darauf antworten, bei der Bezeichnung €D. O.€ handele es sich um eine beschreibende Angabe. Nach einem Schriftwechsel im Oktober 2010 wandte sich der Antragsgegner erneut mit Schreiben vom 13.12.2010 an den Antragsteller, verlangte die Abgabe einer Unterwerfungserklärung und drohte andernfalls gerichtliche Schritte gegen den Antragsteller an. Nachdem der Antragsteller diesen Vorschlag mit Schreiben vom 22.12.2010 zurückgewiesen hatte,forderte der Antragsgegner ihn mit Schreiben vom 9. März 2011 auf,seinerseits einen Einigungsvorschlag zu unterbreiten. Für den Fall,dass dies nicht bis zum 23. März 2011 geschehen sollte, kündigte der Antragsgegner ein gerichtliches Vorgehen an und erklärte hierzu, dies beinhalte auch die Abmahnung der in der Therapeutenliste des Antragstellers aufgelisteten Therapeuten, die die Marke des Antragsgegners ohne Lizenzierung führten. Nachdem weiterhin keine Einigung zustande gekommen war, forderte der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 22.06.2011 auf,ein €letztmaliges Angebot€ des Antragsgegners zu bestätigen. Für den Fall, dass dies nicht erfolgen sollte, drohte er ein Vorgehen gegen sämtliche Mitglieder des Antragstellers an.

Mit diesem Schreiben wurde eine Erstbegehungsgefahr begründet.Erstbegehungsgefahr ist ein Zustand, bei dem aus tatsächlichen Gründen ernsthaft zu besorgen ist, dass ein rechtswidriger Eingriff in ein absolutes Recht oder ein sonst vom Recht geschätztes Gut oder Interesse unmittelbar (€drohend€) bevorsteht (Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 10.Auflage, Kapitel 10 Rdn. 1). Die Abmahnung der Mitglieder des Antragstellers war ernsthaft zu besorgen. In dem Schreiben wird dieses Vorhaben unmissverständlich für den Fall zum Ausdruck gebracht, dass der Antragsteller die gewünschte Erklärung nicht abgibt. Das gilt ungeachtet des Umstandes, dass die Bevollmächtigte des Antragsgegners bereits in den vorausgegangenen Schriftsätzen mehrfach ein gerichtliches Vorgehen angedroht hatte, ohne dies in die Tat umzusetzen. Die Abmahnung der Mitglieder des Antragstellers hatte der Antragsgegner erstmals in dem vorangegangenen Schreiben vom 9.März 2011 angedroht. Aus dem Umstand, dass der Antragsgegner zuvor bereits ein gerichtliches Vorgehen gegen den Antragsteller angekündigt hatte, ohne dies in die Tat umzusetzen, konnte der Antragsteller nicht schließen, dass der Antragsgegner auf sein Vorhaben, Mitglieder des Antragstellers abzumahnen, nicht in die Tat umsetzen würde. Denn das Vorgehen gegen einen rechtlich beratenen Verband stellt sich durchaus als risikoreicher dar als das Vorgehen gegen ein einzelnes Mitglied. Der Antragsteller konnte auch nicht daraus, dass der Antragsgegner die erstmalige Ankündigung der Mitgliederabmahnung am 9. März 2011 nicht in die Tat umgesetzt hatte, schließen, dies werde auch nach dem Schreiben vom 22.06.2011 nicht geschehen. Die Diktion dieses Schreibens ist eine deutlich andere als die des Schreibens vom 9. März. Letzteres lässt erkennen, dass man sich zu diesem Zeitpunkt noch in dem Stadium befand, gemeinsam nach einer Lösung zu suchen; der Antragsteller wurde zur Unterbreitung eines Vorschlags aufgefordert. Ganz anders das Schreiben vom 22.06.2011. Hierin unterbreitete der Antragsgegner einen ganz konkreten Vorschlag, ein letztmaliges Angebot, welches der Antragsteller annehmen sollte.Auch bezog sich die Erstbegehungsgefahr auf eine hinreichend konkrete Verletzungshandlung. Der Antragsgegner hatte wiederholt erklärt, worin genau er die Verletzung seiner Marke sieht, nämlich darin, dass die Mitglieder des Antragstellers das Zeichen €D.O.€ als, wie es in der dem Schreiben vom 13.12.2010beigefügten Verpflichtungserklärung heißt,€Namenszusatz€ verwenden. Eine solche Verwendung war dann auch Gegenstand der Abmahnung vom 30. September 2011.

Der Antragsteller kann sich auch nicht darauf berufen, dass der Antragsgegner eine Abmahnung tatsächlich erst drei Monate später,am 30. September 2011, ausgesprochen hat. Es kann dahinstehen, ob bis dahin die Erstbegehungsgefahr wieder entfallen war, weil zwischen der Berühmung und der Umsetzung zu viel Zeit verstrichen war. Entscheidend ist, dass zum Zeitpunkt des Zugangs des Schreibens vom 22.06.2011 objektiv betrachtet ernsthaft zu besorgen war, dass ein rechtswidriger Eingriff unmittelbar drohend bevorsteht. In dem der Antragsteller ungeachtet des Umstandes, dass er dies ernsthaft zu besorgen hatte, nicht tätig geworden ist, hat er offenbart, dass es ihm mit der Durchsetzung seiner Rechte nicht eilig ist und mithin die Dringlichkeitsvermutung des § 12 Abs. 2UWG widerlegt.

Infolge der tatsächlich ausgesprochenen Abmahnung ist auch keine neue Dringlichkeit entstanden. Zwar ist es anerkannt, dass eine neue Dringlichkeit entsteht, wenn eine Verletzungshandlung eine andere Qualität aufweist als frühere, hingenommene Verletzungshandlungen. Ein solcher Qualitätssprung liegt aber nicht per se in der tatsächlichen Begehung einer zunächst nur drohenden Verletzungshandlung. Denn wer keinen Anlass sieht, eine real drohende (konkrete) Gefahr vorbeugend abzuwehren, kann nicht längere Zeit später glaubhaft geltend machen, sein nunmehriges Vorgehen gegen die Realisierung eben dieser Gefahr sei dringlich (Teplitzky, Kapitel 54 Rdn. 37; Köhler/Bornkamm, UWG 31. Auflage, §12 Rdz. 3.19; OLG Köln, WRP 97, 852; OLG Stuttgart, GRUR-RR 2009,447; OLG Hamburg, GRUR-RR 2008, 100). Daher fehlt es jedem der geltend gemachten Unterlassungsansprüche der Verfügungsgrund.

Da mithin ein Verfügungsgrund nicht besteht, kann die Frage offen bleiben, ob ein Verfügungsanspruch vorliegt oder ob der Antragsgegner erfolgreich aus seiner Wortmarke gegen die Verwendung des Zeichens €D. O.€ als Namenszusatz vorgehen kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.






OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 17.01.2013
Az: 6 U 88/12


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