Finanzgericht Düsseldorf:
Urteil vom 11. Dezember 2012
Aktenzeichen: 10 K 4059/10 E

(FG Düsseldorf: Urteil v. 11.12.2012, Az.: 10 K 4059/10 E)

Tenor

Der Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 18. November 2010 wird dahinge­hend geändert, dass die festzusetzende Einkommensteuer um den Betrag er­mäßigt wird, der sich ergibt, wenn bei der Berechnung der Einkommensteuer von nach § 32d Abs. 1 EStG zu versteuernden Kapitalerträgen in Höhe von lediglich (45.484 € ./. 16.549 € =) 28.935 € ausgegangen wird.

Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger wurden für das Jahr 2009 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

In der am 18. April 2010 eingereichten Einkommensteuererklärung beantragten die Klä­ger die Günstigerprüfung für sämtliche Kapitalerträge. Insbesondere bat die Klägerin, die einbehaltene Abgeltungsteuer aus einem Aktientausch zu überprüfen. So sei ihr am 22. Juni 2009 mitgeteilt worden, dass die Firma A ihre Anteile an der Firma B durch Fusion übernehmen würde. Als Kaufpreis sei der Tausch 1 B-Aktie in 0,985-Aktie der Firma A zuzüglich einer Barabfindung in Höhe von 33 $ angeboten wor­den. Dies würde einem Gesamtwert von 50,40 $ entsprechen (Barabfindung 33 $ und Wert der neuen Aktie 17,40 $). Die Aktien der Firma B habe sie im Jahre 2006 in 3 Teilbeträgen zu 46,75 $, 48,35 $ und 50,50 $ erworben. Daraus ergebe sich, dass sie mit der Übernahme der Aktien durch die Firma A in etwa ihren in 2006 gezahlten Kaufpreis auf Dollar-Basis -inklusive der neuen Aktien- zurückerhalten werde. Das An­gebot habe sie deshalb angenommen. Übertragen worden seien 750 Aktien.

Die Aktien seien in einem Depot bei der X-Bank gehalten worden. Bei der Abrechnung habe die X-Bank aus dem o. g. Vorgang von der gesamten Barausschüttung Kapitalertragsteuer in Abzug gebracht.

Die Abrechnung war der Steuererklärung beigefügt. Danach hat die X-Bank die Barabfindung in Höhe von umgerechnet 16.548,54 € (33 $ x 750 Aktien = 24.750 $ ) der Kapitalertragsteuer unterworfen.

Diese Besteuerung hielten die Kläger für rechtswidrig und begehrten im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung, den Tauschvorgang insgesamt nicht zu besteuern und die bereits gezahlte Abgeltungsteuer in Höhe von 4.648,80 € (Kapitalertragsteuer 4.046,12 €, Solidaritätszuschlag 222,53 € und 364,15 € Kirchensteuer) zu erstatten. Zur Begründung machte die Klägerin ergänzend geltend, wenn sie am Tage vor der Fusion ihre Papiere verkauft hätte, wäre der Verkaufspreis vollkommen steuerfrei gutgeschrie­ben worden. Es könne nicht rechtens sein, dass ein gesplitteter Übernahmepreis (An­teils­scheine plus Barabfindung) in einen Ertrag der Barabfindung umgedeutet werde.

Das Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen teilte der Klägerin auf ihre An­frage hin mit, dass Barabfindungen, die im Rahmen einer Fusion ausländischer Unter­nehmen von dem übernehmenden Unternehmen neben eigenen Anteilen angeboten würden, als steuerpflichtiger Ertrag zu behandeln und dem Kapitalertragsteuerabzug zu unterwerfen seien.

Im Gegenzug würden die Anschaffungsdaten (Anschaffungskosten und Anschaffungs­zeitpunkt) der hingegebenen Anteile auf die Neuanteile übertragen. Im Falle der Kläge­rin habe dies zur Folge, dass auch die Neuanteile, trotz Anteilstausches nach dem 31. Dezember 2008, weiterhin als vor dem 1. Januar 2009 angeschafft gelten würden und da­mit in Zukunft weiterhin steuerfrei veräußert werden könnten. Durch die vom Gesetz­geber getroffene Regelung werde verhindert, dass bei Anteilen, bei denen die bisher geltende Haltefrist von einem Jahr bereits überschritten sei, die stillen Reserven wieder steuerverstrickt würden.

Die Besteuerung der Barabfindung lasse sich wirtschaftlich begründen. Im Falle einer Gewinnausschüttung vor dem Anteilstausch durch die "Altgesellschaft" in Höhe der durch die "Neugesellschaft" gezahlten Barabfindung wäre auf der einen Seite die Divi­dende normal zu besteuern gewesen, während auf der anderen Seite die Altanteile im Zeitpunkt des Anteilstausches entsprechend weniger wert gewesen wären. Die "Neu­ge­sellschaft" hätte in diesem Fall nur die Neuanteile im Gegenzug für die Übertragung der Altanteile hingegeben. Das wirtschaftliche Ergebnis wäre auch hier, dass die Kläge­rin neben den Neuanteilen im Wert von 17,40 $ auch Barvermögen i.H.v. 33 $ erhalten hätte. Das Argument der Bank, dass eine Veräußerung kurz vor dem Anteilstausch in Gänze steuerfrei geblieben wäre, betreffe letztlich einen anderen Sachverhalt.

Mit Bescheid vom 5. August 2010 setzte der Beklagte die Einkommensteuer auf 10.898 € fest. Im Rahmen der begehrten Günstigerprüfung erfasste der Beklagte die be­sagte Barabfindung in Höhe von 16.548,54 € als Einnahmen aus Kapitalvermögen und rechnete die Abgeltungsteuer in Höhe von 4.648,80 € gegen. Zur Begründung ver­wies der Beklagte auf den bereits zwischen den Klägern und dem Finanzministerium geführten Schriftverkehr. Aufgrund der Tatsache, dass der persönliche Steuersatz mehr als 25% betrug, wurden die Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 32d Abs. 1 Ein­kommensteuergesetz -EStG‑ mit 25% der Einkommensteuer unterworfen. Da auch die Abgeltungsteuer mit 25% bemessen wurde, ergab sich aus dem Vorgang "Aktien­tausch" keine steuerliche Auswirkung.

Gegen diesen Bescheid legten die Kläger mit Schreiben vom 15. August 2010 Ein­spruch ein. Zur Begründung machten sie geltend, das Übernahmeangebot der Firma A setze sich aus einem Aktientausch und aus einer Barabfindung zusammen. Ab­gegolten seien in etwa die Anschaffungskosten der getauschten Aktien. Ein Dividen­denertrag sei somit nicht realisiert worden. Im Übrigen habe auch die USA keine QueIlensteuer ein­behalten, was ebenfalls gegen die Annahme von Dividendenzahlun­gen spreche.

Mit Änderungsbescheid vom 27. Oktober 2010 setzte der Beklagte die Einkommen­steuer 2009 auf 10.981 € fest.

Grundlage für die Änderung war eine bisher aus technischen Gründen unterbliebene Erfassung von Besteuerungsgrundlagen aus der eingereichten Anlage SO (private Ve­räu­ßerungsgeschäfte).

Mit Einspruchsentscheidung vom 28. Oktober 2010 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.

Zur Begründung führte er u.a. aus, die im Zusammenhang mit dem Aktientausch ge­zahlte Barabfindung sei zutreffend den Einkünften aus Kapitalvermögen zugerechnet worden.

Es handele sich bezüglich des Aktientausches um einen Fall des § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG. Die Zuzahlung in bar gelte als Einnahme gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG und un­terliege der Abgeltungsteuer (§ 20 Abs. 4a Satz 2 EStG), da die Kapitalerträge nach dem 31. Dezember 2008 zugeflossen seien (§ 52a Abs. 10 Satz 10 EStG).

Gemäß § 85 Abgabenordnung -AO‑ seien die Steuern nach Maßgabe der im Inland geltenden Gesetze gleichmäßig festzusetzen und zu erheben. Soweit die Kläger an­führten, in den USA sei keine Dividendenbesteuerung vorgenommen worden, könnten sie damit im Rahmen des inländischen Besteuerungsverfahrens nicht gehört werden.

Mit der am 16. November 2010 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter.

Ergänzend macht die Klägerin geltend, sie habe durch den Aktientausch keinen Gewinn realisiert. Dennoch solle sie die Barabfindung in voller Höhe versteuern. Hier werde der Steuer ein Betrag unterworfen und zwar fiktiv, der keinem Gewinn gegenüberstehe. Die Steuer werde nicht nach der Leistungsfähigkeit, sondern einfach pauschal erhoben. Da sie im Rahmen des Aktientausches keinen Gewinn gemacht habe, sei es unzulässig, insoweit Steuern darauf zu erheben. Einkommensteuern würden auf Einkommen fest­gesetzt, das heiße, es müsse ein Mehr an Vermögen in verschiedenster Art und Weise vorliegen. Hier habe es jedoch kein Mehr an Vermögen gegeben. Das Gesetz knüpfe lediglich an eine Zahlung an und unterstelle, dass diese Zahlung Gewinn sei. Sie müsse Einkünfte versteuern, die sie nicht gehabt habe, mit anderen Worten fiktive Einkünfte. Die Vorschrift sei daher unzulässig und unwirksam.

Nachdem die Kläger am 4. November 2010 erklärt hatten, sie wollten nunmehr von ih­rem Wahlrecht Gebrauch machen, die nach altem Recht ermittelten Verluste aus Ak­tienverkäufen mit nach neuem Recht ermittelten Gewinnen aus Aktienverkäufen zu ver­rechnen, hat der Beklagte am 18. November 2010 erneut einen Änderungsbescheid zur Einkommensteuer 2009 erlassen und die Einkommensteuer 2009 nunmehr mit 10.789 € festgesetzt.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid für 2009 vom 18. November 2010 dahingehend zu ändern, dass die festzusetzende Einkommensteuer um den Betrag ermäßigt wird, der sich ergibt, wenn bei der Berechnung der Einkommensteuer von nach § 32d Abs. 1 EStG zu versteuernden Kapitalerträgen in Höhe von lediglich (45.484 € ./. 16.549 € =) 28.935 € ausgegangen wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Einspruchsentscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist begründet.

Der Einkommensteuerbescheid vom 18. November 2010 ist insoweit rechtswidrig, als darin bei der Berechnung der Einkommensteuer die nach § 32d Abs. 1 EStG zu versteu­ernden Kapitalerträge um 16.549 € zu hoch angesetzt wurden. In diesem Um­fang verletzt der Bescheid die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzge­richtsordnung -FGO‑). Der Beklagte hat zu Unrecht die der Klägerin seitens der Firma A gezahlte Barabfindung im Streitjahr der Besteuerung unterworfen. Weder der Tausch der Anteile an der Firma B gegen Anteile der Firma A noch der Erhalt der Barabfindung führen zu einer Gewinnrealisierung im Jahr 2009, so dass diesbezüg­lich auch keine Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag zu erheben war.

Seit Einführung der Abgeltungsteuer unterliegen nach § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 3 Satz 4 EStG auch ausländische Kapitalerträge i.S.d. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG dem Steuerabzug vom Kapitalertrag. Zu diesen Kapitalerträgen zählen grundsätzlich Erträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 (und 2) EStG. Nach § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG 2009 liegt ein Kapitalertrag i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG vor, soweit der Steuerpflichtige neben dem Anteilstausch nach § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG eine Gegenleistung erhält.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist jedoch der zum 1. Januar 2009 eingeführte Besteuerungstatbestand des § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG bei der Barabfindung, welche die Klägerin anlässlich des Tausches ihrer B-Anteile gegen Anteile der Firma A im Jahr 2009 zusätzlich erhalten hat, nicht anwendbar.

Werden Anteile an einer Körperschaft, die weder ihre Geschäftsleitung noch ihren Sitz im Inland hat, gegen Anteile an einer anderen Körperschaft, die weder ihre Geschäfts­leitung noch ihren Sitz im Inland hat, getauscht und wird der Tausch auf Grund gesell­schaftsrechtlicher Maßnahmen vollzogen, die von den beteiligten Unternehmen ausge­hen, treten abweichend von § 20 Abs. 2 Satz 1 und § 13 Abs. 2 des Umwandlungssteu­ergesetzes die übernommenen Anteile steuerlich an die Stelle der bisherigen Anteile, wenn das Recht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Besteuerung des Ge­winns aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile nicht ausgeschlossen oder be­schränkt ist.

§ 20 Abs. 4a Satz 1 EStG 2009 umfasst also Verschmelzungen, Aufspaltungen und Anteilstauschvorgänge, sofern diese auf eine gesellschaftsrechtlich veranlasste Maß­nahme ‑ z.B. ein Übernahmeangebot ‑ zurückzuführen sind. In diesen Fällen, in denen der Anteilseigner eines Unternehmens für die Hingabe der Anteile einer Gesellschaft neue Anteile einer anderen Gesellschaft erhält, werden die Anschaffungskosten der hingegebenen Anteile in den neuen Anteilen fortgeführt. Der Anteilstausch stellt dabei keine Veräußerung nach § 20 Abs. 2 EStG dar. Die Besteuerung wird aufgeschoben. Die Reserven bleiben steuerlich verstrickt und werden erst im Fall einer zukünftigen Veräußerung gegen Geldzahlung realisiert.

Entsprechend den vorstehenden Grundsätzen gehen die Beteiligten zu Recht überein­stimmend davon aus, dass der hier zu beurteilende Aktientausch unter die Vorschrift des § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG 2009 fällt.

Die an dem Aktientausch beteiligten Firmen B und A haben weder ihre Ge­schäftsleitung noch ihren Sitz im Inland. Der Tausch vollzog sich aufgrund eines Über­nahmeangebots der Firma A und somit aufgrund einer gesellschaftsrechtlich veranlassten Maßnahme. Zudem war das Recht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der erhaltenen Anteile nach dem DBA USA 1989/2008 nicht ausgeschlos­sen oder beschränkt.

Allein die Tatsache, dass die Klägerin zusätzlich zu diesem Anteilstausch noch eine Gegenleistung seitens der Firma A in Höhe von umgerechnet 16.549 € erhalten hat, führt jedoch nicht dazu, dass diese Barabfindung dem Steuerabzug vom Kapital­er­trag unterliegt.

Die der Klägerin gezahlte Barabfindung von 33 $ pro Aktie ist zwar eine "Gegenleis­tung" i.S.d. § 20 Abs. 4a Satz 2 EStG, denn mit ihr sollte - vergleichbar der in §§ 327a ff. Aktiengesetz -AktG‑, §§ 39a ff Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz -WpÜG‑ enthaltenen Regelungen ‑ der Mehrwert des Unternehmens B abgegolten und eine Vermögenseinbuße, die ansonsten eingetreten wäre, vergütet werden.

Dennoch unterliegt auch die bare Zuzahlung - ebenso wenig wie die getauschten Ak­tien - nicht der Besteuerung, wenn ‑ wie hier ‑ Anteile, die bereits steuerentstrickt wa­ren, gegen neue Anteile getauscht werden.

Im Streitfall hatte die Klägerin jene Anteile der Firma B bereits im Jahr 2006 erwor­ben. Zum Zeitpunkt des Aktientausches im Jahr 2009 war demnach die einjährige Ver­äußerungsfrist gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. abgelaufen. Die Anteile hät­ten somit steuerfrei veräußert werden können. Würde man in Fällen wie diesen die Bar­kom­ponente als steuerpflichtigen Betrag behandeln, würden letztendlich anlässlich des Tauschvorganges stille Reserven über den Ablauf der Haltefrist hinaus erneut steuer­verstrickt. Denn bis zur Einführung der Abgeltungsteuer wurden Wertsteigerun­gen von im Privatvermögen befindlichen Beteiligungen bei Veräußerung nur innerhalb der ein­jährigen Spekulationsfrist (§ 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F.) besteu­ert. Seit dem 1. Januar 2009 werden diese Wertsteigerungen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG bei der Veräußerung von sog. Neuanteilen - d.h. Anteilen, die nach dem 31. Dezember 2008 erworben wurden, vgl. § 52 Abs. 10 Satz 1 EStG ‑ unabhängig von ei­ner bestimmten Haltedauer steuerlich erfasst.

Die parlamentarischen Vorgänge zur Einführung der sog. Abgeltungsteuer lassen je­doch erkennen, dass der Blick des Gesetzgeber bereits vor Inkrafttreten des Jahres­steuergesetzes 2009 auf Fälle wie den vorliegenden gelenkt war, man mit der Vorschrift des § 20 Abs. 4a EStG eine Vereinfachung des Abgeltungsteuer-Verfahrens und die Vermeidung von Veranlagungen erreichen wollte (vgl. Bundestagsdrucksache ‑BT-Drucks.‑ 16/10189, S. 50) und die vor dem 1. Januar 2009 angeschafften sog. Altanteile vollumfänglich Bestandsschutz erhalten sollten.

Noch während des Gesetzgebungsverfahrens hatte sich das Bundesministerium der Fi­nanzen -BMF‑ mit einem Schreiben (vom 15. August 2008, IV C 1 - S 2000/07/0009, im Internet abrufbar unter www.bundesfinanzminsterium.de) gerichtet an die kreditwirt­schaftlichen Spitzenverbände u.a. zur steuerlichen Behandlung von Kapitalmaßnahmen geäußert und bekräftigt, dass stille Reserven, die bei einer marktoffenen Veräußerung der hingegebenen Anteile steuerfrei wären, durch eine zwischengeschaltete Kapital­maßnahme nicht erneut steuerverstrickt werden dürften. Zur konsequenten Vermeidung einer unsystematischen steuerlichen Verstrickung sog. Altanteile, d.h. vor dem 1. Ja­nuar 2009 angeschaffter Altbestände, wurde seitens der Kreditwirtschaft vorgeschla­gen, die gegen Hingabe der Altbestände oder hierfür zusätzlich erlangten neuen Wert­papiere weiter als Altbestand zu führen, was auch die ungeteilte Zustimmung des BMF fand (vgl. Tz. I.9 am Ende).

Dementsprechend wurde anschließend § 20 Abs. 4a EStG gegenüber dem Regie­rungsentwurf neu gefasst und in der BT-Drucks. 16 /11108, S. 16 ausdrücklich festge­halten, mit der Neufassung ‑ welche letztlich Gesetz wurde ‑ werde verhindert, "dass bei Anteilen, bei denen die bisher geltende Haltefrist von einem Jahr bereits überschritten ist, die stillen Reserven wieder steuerverstrickt werden".

Dies zusammen genommen verdeutlicht, dass sich der Gesetzgeber bei der Umgestal­tung der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen der Existenz bereits steuerentstrickter Papiere bewusst war und er eine erneute Steuerverstrickung dieser Papiere anlässlich der Einführung der Abgeltungsteuer explizit verhindern wollte.

Für eine Differenzierung in der steuerlichen Behandlung zwischen dem Aktientausch einerseits und der Barabfindung andererseits gibt es bei den sog. Altbeständen, bei de­nen die einjährige Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a.F. vor dem 31. De­zember 2008 abgelaufen war, danach keinen Grund. In zeitlicher Hinsicht sind vielmehr in Fällen eines Aktientausches mit Barkomponente die neu eingeführten Besteue­rungstatbestände insgesamt erstmals auf Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2008 er­worben wurden (vgl. § 52 a Abs. 10 Satz 1 EStG).

Auch das Ziel des Gesetzgebers, eine praktikable Lösung für sog. Altbestände zu fin­den, wird nur dann erreicht, wenn man nicht nur den ausschließlichen Tausch von Alt­aktien, die nach Ablauf der einjährigen Veräußerungsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a.F. steuerfrei veräußert werden können, nicht sofort der Besteuerung unterwirft, son­dern auch einen in diesem Zusammenhang gezahlten Barbetrag steuerfrei lässt.

Denn ansonsten müssten der Barabfindung möglicherweise noch nachträgliche antei­lige Anschaffungskosten gegenübergestellt werden, was dem gesetzgeberischen Ziel einer Vereinfachung des Abgeltungsteuer-Verfahrens zuwider liefe.

Schließlich käme es - wie bereits erwähnt ‑ zu einem steuerpflichtigen Ertrag, obwohl der Anteilseigner der vor 2009 erworbenen Anteile mittels der Barkomponente für nicht mehr steuerverstrickte Reserven abgefunden wird (ebenso: Jochum in Kirchhof/ Söhn / Mellinghoff, EStG, Stand: Februar 2011 § 20 Rdnr. Fa 25). Eine Besteuerung der Bar­abfindung bei sog. Altbeständen müsste sich dementsprechend an den seitens des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss vom 7. Juli 2010 (2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts -BVerfGE‑ 127, 1 ff) bekräftigten verfassungsrechtlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes messen lassen, was womöglich verfassungsrechtliche Bedenken zur Folge hätte.

Damit stellt die Barzahlung, die anlässlich eines Tausches von Anteilen, die vor dem 1. Januar 2009 erworben wurden und bei denen bereits die einjährige Veräußerungsfrist ge­mäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a.F. abgelaufen war, gezahlt wird, in voller Höhe keinen steuerbaren Kapitalertrag i.S.d. §§ 20 Abs. 4a Satz 2, Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG dar (im Ergebnis ebenso: Harenberg in Herrmann/ Heuer/ Raupach, EStG, Stand: Februar 2010 § 20 Rdnr. 583; Jachmann/ Lindenberg in Lademann, EStG, Stand: Juli 2012 § 20 Rn. 803; Dötsch in Dötsch/ Jost/ Pung/ Witt, Kommentar zum KStG und EStG, Stand: De­zember 2010, § 20 EStG, Tz. 299a; a.A. von Beckerath in Kirchhof, EStG, 11. Aufl. 2012, § 20 EStG Rdnr 160; Steinlein, Deutsches Steuerrecht -DStR‑ 2009, 499, 511; Benecke/ Schnitger, Die Unterneh­mensbesteuerung -Ubg‑ 2011, S. 1, 11).

Die Berechnung der Steuer wird nach § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO dem Beklagten über­tragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, weil die entschiedene Rechtsfrage - wenngleich sie nur bei Barabfindungen zum Tragen kommt, die beim Tausch von bereits steuerentstrickten sog. Altanteilen gezahlt werden ‑ eine Vielzahl von Fällen betrifft (vgl. zu einer ähnlich gelagerten Rechtsfrage auch das Revisionsverfahren I R 27/12 zum Urteil des Hessi­schen Finanzgerichts vom 16. Februar 2012, 4 K 639/11, Entscheidungen der Finanz­gerichte -EFG‑ 2012, 1163).






FG Düsseldorf:
Urteil v. 11.12.2012
Az: 10 K 4059/10 E


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