Bayerisches Landessozialgericht:
Urteil vom 18. Dezember 2013
Aktenzeichen: L 14 R 816/12
(Bayerisches LSG: Urteil v. 18.12.2013, Az.: L 14 R 816/12)
1. Rechtsanwälte sind für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit in der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zu befreien, wenn die rechtsanwaltschaftliche Zulassung die rentenversicherungspflichtige Betätitgung mit umfasst.2. Da das anwaltliche Berufsrecht die Betätigungen, die von der Zulassung umfasst werden, nicht positiv eingrenzend, sondern nur negativ abgrenzend beschreibt, kann nur für solche Betätigungen eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht verweigert werden, die das Berufsrecht mit der Ausübung des Rechtsanwaltsberufs als nicht vereinbar oder als keine rechtsanwaltschaftliche Betätigung darstellend bezeichnet.3. Die Betätigung als sog. Syndikus stellt, wie § 43 BRAO eindeutig zu entnehmen ist, keine rechtsanwaltschaftliche Berufsausübung dar und ist von der Zulassung als Rechtsanwalt nicht umfasst. Damit darf eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Beschäftigung/Tätigkeit als Syndikus nicht erfolgen.4. Darüber hinaus ist jede in einem Arbeitsverhältnis ausgeübte juristisch rechtsberatende Beschäftigung von der anwaltlichen Zulassung nicht umfasst, sofern sie nicht als angestellter Rechtsanwalt in einer Rechtsanwaltskanzlei/ gesellschaft erfolgt, weil dort die rechtsberatende Arbeitsleistung als Dienstleistung gegenüber externen Mandanten und nicht unternehmensintern erfolgt.5. Die sog. vier Kriterien finden im Gesetz keine Grundlage und erscheinen für die Entscheidung über die Befreiung von der Versicherungspflicht irrelevant.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 17. August 2012 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid vom 15. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. August 2011 abgewiesen.
II. Die der Klägerin in beiden Instanzen entstandenen notwendigen Auslagen sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig ein Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die 1977 geborene Klägerin wurde am 20.10.2005 durch die Rechtsanwaltskammer A-Stadt zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Sie ist Mitglied der Rechtsanwaltskammer für den OLG Bezirk A-Stadt (Beigeladene zu 2.) und seit dem 09.11.2005 Mitglied der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung (Beigeladene zu 1.).
Bereits am 05.12.2005 hatte sie die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung beantragt als angestellte Rechtsanwältin (Associate) in der Anwaltskanzlei S., F..
Mit Bescheid vom 19.01.2006 hatte die Beklagte sie für die Tätigkeit als Rechtsanwältin bei S. F. ab Beginn der Pflichtmitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung und der Berufskammer (09.11.2005) von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI befreit.
Mit weiterem Antrag vom 21.02.2012 begehrte die Klägerin erneut die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung unter Hinweis auf ein Anstellungsverhältnis als Rechtsanwältin bei der D. AG S. (i.f. D. AG). Auf Nachfrage legte sie ein Schreiben des Chief Compliance Officers der D. AG vom 05.04.2011 vor. Darin wird bestätigt, dass die Klägerin als Rechtsanwältin in der Abteilung Group Compliance anwaltlich tätig sei. Ihre Berichtslinie verlaufe unmittelbar über den Chief Compliance Officer an das zuständige Vorstandsmitglied für das Ressort Integrität und Recht. Die Aufgabe der Mitarbeiterin bestehe darin, die rechtlichen Angelegenheiten und Interessen der D. AG im Bereich Group Compliance umfassend und selbstständig wahrzunehmen. Sie sei in der Sache des Rechts weisungsfrei und in der Rechtsberatung unabhängig und gehöre zum Kreis der leitenden Angestellten.
Übergeben wurde auch ein Schreiben des Arbeitgebers vom 27.01.2011, in dem es der Klägerin für die Dauer des Anstellungsverhältnisses unwiderruflich gestattet wird als Rechtsanwältin tätig zu werden und sie insoweit von ihren Pflichten gegenüber der D. AG freistellt.
Daneben wurde vorgelegt ein Schreiben der Beigeladenen zu 2. des Inhalts, dass im Hinblick auf § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO hinsichtlich der angezeigten Tätigkeit berufsrechtlich keine Bedenken bestünden.
Mit Bescheid vom 15.04.2011 lehnte die Beklagte den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht für die Tätigkeit bei der D. AG mit der Begründung ab, dass die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Es handele sich insoweit nicht um eine berufsständische, anwaltliche Tätigkeit.
Den dagegen eingelegten Widerspruch, der auf die Gründe des Urteils des Hessischen Landessozialgerichts vom 29.10.2009 (L 8 KR 189/08) gestützt wurde, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.08.2011 zurück.
Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht tätigkeitsbezogen erfolge. Hieraus ergebe sich, dass nicht jede Beschäftigung des als Rechtsanwalt zugelassenen Juristen zur Ausübung des Befreiungsrechts berechtige, sondern nur diejenige Tätigkeit, die auch die Merkmale einer anwaltlichen Tätigkeit aufweise. Das Befreiungsrecht stehe auch Rechtsanwälten zu, die bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber beschäftigt seien, wenn sie dort eine berufsspezifische, d.h. eine für einen Anwalt typische Berufstätigkeit ausübten. Dies sei dann der Fall, wenn die vier Tätigkeitsfelder Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung kumulativ abgedeckt würden (sog. "vier Kriterien"). Aus der Stellenbeschreibung des Arbeitgebers werde ersichtlich, dass dies nicht der Fall sei. Denn die Einhaltung eines bestimmten ethischen Kodex zur Vermeidung eines negativen Images spiele eine zentrale Rolle. Für diese Tätigkeiten sei die juristische Ausbildung zwar vielfach nützlich, weil die Arbeit häufig einen Bezug zu rechtlichen Fragestellungen aufweisen dürfte. Allerdings sei diese Tätigkeit nach objektiven Maßstäben nicht ausschließlich für Juristen zugänglich.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben. Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 17.08.2012 unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die Klägerin ab dem 01.02.2011 für die beschriebene Tätigkeit bei der D. AG von der Versicherungspflicht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zu befreien. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die vier Tätigkeitsfelder erfüllt seien.
Dagegen hat die Beklagte Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt.
Sie führt aus, dass die Beschäftigung der Klägerin nicht als anwaltlich zu qualifizieren sei, weil sie weder unabhängig rechtsentscheidend noch rechtsgestaltend tätig sei. Vielmehr handele es sich bei der Compliance-Vertragsgestaltung vornehmlich um Absprachen auf der Grundlage von unternehmensinternen Vorgaben und Standards. Freie, dem Berufsbild des Rechtsanwalts entsprechende rechtsentscheidende und rechtsgestaltende Tätigkeiten seien der Beschäftigung in der Group Compliance nicht immanent.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 17.08.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 17.08.2012 zurückzuweisen.
Die Beigeladenen zu 1. und 2. haben keinen Antrag gestellt.
Die Beigeladene zu 1. hat gleichwohl vorgetragen, dass ausschließlich der Gesetzeswortlaut des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI und die ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale in Gestalt der "vier Kriterien" entscheidend seien. Der Umstand, dass bestimmte Tätigkeiten auch von Angehörigen anderer Berufsgruppen erledigt werden könnten, mache diese Tätigkeit für einen Rechtsanwalt nicht zu einer berufsfremden Tätigkeit. Entscheidend sei vielmehr, dass auch der Rechtsanwalt als solche diese Tätigkeit ausüben dürfe.
Die Doppelberufstheorie, die eine künstliche Aufspaltung der Tätigkeit eines Rechtsanwaltes in einen anwaltlichen und einen nicht anwaltlichen Teil vornehme, begegne rechtlichen Zweifeln, da sie ohne jeglichen gesetzlichen Anhaltspunkt auskomme. Sie lasse sich überdies auch nicht aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts herleiten. Das Gericht habe sich nämlich lediglich mit der Frage beschäftigt, ob und in welchem Umfang ein sogenannter Zweitberuf mit dem Anwaltsberuf vereinbar sei und den Grundsatz verneint, wonach anwaltliche und Erwerbstätigkeiten grundsätzlich unvereinbar seien. Die Unabhängigkeit und Integrität eines Rechtsanwaltes solle in diesem Sinne durch die erwerbswirtschaftliche Prägung eines Zweitberufs nicht gefährdet werden (BVerfG NJW 1993, 317). Dergestalt erkläre sich auch die berufsrechtliche Rechtsprechung des BGH. Wenn aber der Zweitberuf gerade auch die Rechtsberatung zum Inhalt habe, sei der Rechtsanwalt auch insoweit als Rechtsanwalt und nicht in sonstiger Weise tätig. In einer Negativabgrenzung zum klassischen Anwaltsberuf fehle es beim Syndikus lediglich am forensischen Auftritt vor Gericht mit der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung. Damit könne man aber den Syndikusanwalt nicht ausschließlich als rechtlichen Berater und Vertreter eines nicht im Kernbereich der Rechtspflege arbeitenden Unternehmens sehen. Der Aufnahme eines Volljuristen in die Rechtsanwaltskammer und das übergeordnete Versorgungswerk komme eine erhebliche Tatbestandswirkung zu. Dies bedeute eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Antragstellers. Lediglich wenn die ausgeübte Tätigkeit im Unternehmen der beiläufigen Nutzung von Rechtskenntnissen bedürfe, sei der berufsspezifischen Zusammenhang mit der zur Mitgliedschaft im Versorgungswerk führenden Anwaltstätigkeit abzulehnen.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten, der Streitakte des Sozialgerichtes München sowie der Verfahrensakte des Bayer. Landessozialgerichts Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet und führt zur Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 17.08.2012 sowie zur Abweisung der Klage.
Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Klägerin hat für ihre Tätigkeit als leitende Angestellte in der Compliance Abteilung der D. AG keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung, weil sie insoweit berufsrechtlich nicht innerhalb ihres Status als zugelassene Rechtsanwältin tätig ist und in der Folge wegen dieser abhängigen Beschäftigung keine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer sowie keine Versicherungs- und Beitragspflicht im örtlichen berufsständischen Versorgungswerk besteht.
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI werden - unter weiteren Voraussetzungen - von der Versicherungspflicht befreit Beschäftigte und selbstständig Tätige für die Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind. Nach § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI ist die Befreiung auf die jeweilige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit beschränkt.
Damit erweist sich die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI als an die konkrete Tätigkeit anknüpfend. Dafür spricht bereits die Formulierung "für die Beschäftigung ..., wegen der sie ... kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer ... sind". Demgegenüber knüpft die in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI geregelte Befreiung von der Versicherungspflicht für Lehrer oder Erzieher an eine bloße Berufsgruppenbezeichnung an - unabhängig vom dienstrechtlichen Status der jeweiligen Erwerbstätigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2012, B 12 R 3/11 R). Vor diesem Hintergrund kann einer Auslegung des in § 6 Abs 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI verwendeten Begriffs der Beschäftigung dahingehend, dass es nicht auf das konkrete Beschäftigungsverhältnis, sondern auf die berufsspezifische Tätigkeit als solche ankommt, nicht näher getreten werden.
Eine Zwangsmitgliedschaft zur örtlichen Rechtsanwaltskammer (RAK) knüpft an die Zulassung zur Anwaltschaft an ( § 60 Abs. 1 S. 2 Bundesrechtsanwaltsordnung -BRAO-). Satzungsrechtlich ist die im OLG-Bezirk A-Stadt zugelassene Rechtsanwältin damit zugleich Mitglied der Bayer. Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung und mit ihren Einnahmen als Rechtsanwältin beitragspflichtig (§§ 15, 19 Abs. 2 Satzung der Bayer. Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung v. 06.12.1996 derzeit i. d. F. v. 22.11.2012).
Wenn aber der Beschäftigungsbegriff des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI das konkrete Beschäftigungsverhältnis zum Inhalt hat, löst die Tätigkeit der Klägerin bei der D. AG nach dem Wortlaut der Norm einen Befreiungsanspruch nur dann aus, wenn wegen der konkreten Tätigkeit bei der D. AG eine Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der RAK und dem örtlichen Versorgungswerk besteht.
Dies ist zwar hier deshalb nicht der Fall, weil die Klägerin bereits aufgrund der früheren Arbeit in der Rechtsanwaltssozietät S. F. LLP zur Rechtsanwaltschaft zugelassen worden war und die Zulassung weiterhin besteht, da sie weder erloschen noch zurückgenommen ist.
Der Senat legt das Tatbestandsmerkmal "wegen der sie... Mitglied...sind" dahingehend aus, dass immer dann ein Befreiungsanspruch besteht, wenn aufgrund der weiteren Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit - die bereits erteilte Zulassung hinweg gedacht - eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer sowie der Rechtsanwaltsversorgung besteht.
Bei einer bereits im Hinblick auf eine andere Tätigkeit, z. B. als selbständiger Anwalt, erteilten Zulassung zur RAK (und in der Folge bestehender Mitgliedschaft zum Versorgungswerk) ist diese Verpflichtung dann anzunehmen, wenn eine bestehende anwaltschaftliche Zulassung die neue Tätigkeit quasi "mit erfasst". Dort wo eine rentenversicherungspflichtige Tätigkeit - auch selbständige Tätigkeiten können rentenversicherungspflichtig sein - von der Zulassung als Rechtsanwalt umfasst ist, liegt eine zur Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer verpflichtende Tätigkeit - und damit eine Beitragspflichtigkeit zum Versorgungswerk - vor, die einen Befreiungsanspruch auslöst (z. B. der auch als selbständiger Ausbilder für Fachanwälte tätige Rechtsanwalt, der nach § 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI in dieser Tätigkeit versicherungspflichtig würde).
Dies beruht darauf, dass die Pflichtmitgliedschaft in der RAK an die Person und nicht an die Tätigkeit anknüpft und letztlich wegen der Zulassung besteht und ohne Zulassung nicht besteht. Dann aber müssen alle Tätigkeiten, die "unter die Zulassung" fallen, mithin rechtsanwaltschaftliche Betätigungen sind, als Tätigkeiten gelten, "wegen der" kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied der berufsständischen Kammer sind, soweit dies wiederum eine Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk auslöst.
Die Definition dessen, was berufsrechtlich vom Zulassungsstatus bzw. dem Beruf des Rechtsanwalts erfasst wird, lässt sich aber nicht anhand von positiv-eingrenzenden Merkmalen, sondern nur über negativ-abgrenzende Merkmale treffen. Denn das anwaltschaftliche Berufsrecht nimmt eine abschließende inhaltliche Konturierung des Berufs des Rechtsanwalts nicht ausdrücklich vor. Ausgesagt ist in § 1 BRAO nur, dass es sich um einen "freien Beruf" handelt. Allerdings ist nach §§ 7 Nr. 8, 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO die Zulassung zu versagen bzw. zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt eine Tätigkeit ausübt, die mit seinem Beruf, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege, nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann. Damit erkennt auch das anwaltliche Berufsrecht an, dass der Beruf des Rechtsanwalts nicht "allbetätigungsumfassend" ist, sondern es daneben weitere (berufliche) Tätigkeiten geben kann, welche mit dem Beruf des Rechtsanwalts unvereinbar sind. Hier fügt sich das von der Klägerin vorgelegte Unbedenklichkeitsattest der RAK A-Stadt im Hinblick auf § 14 Abs. 2 BRAO ein. Eine unverträgliche berufliche Tätigkeit ist eine andere als eine rechtsanwaltschaftliche Tätigkeit. Eine solche unverträgliche Tätigkeit kann einen Befreiungsanspruch nicht auslösen.
Schon aus diesem Grund abzulehnen ist die Ansicht, wonach aufgrund einer umfassenden Statuswirkung der Zulassung als Rechtsanwalt jedwede berufliche Betätigung des Zugelassenen zu einer rechtsanwaltlichen Tätigkeit wird (Einberufstheorie).
Darüber hinaus grenzt die Bundesrechtsanwaltsordnung den Beruf des Rechtsanwalts von einer dienst- oder arbeitsvertraglich ausgeübten innerbetrieblichen Rechtsberatertätigkeit ab, ohne dass diese nichtrechtsanwaltliche Betätigung zu einer Unverträglichkeit mit einer daneben ausgeübten Tätigkeit als Rechtsanwalt führt. Die Klägerin kann daher keinen rentenrechtlichen Befreiungsanspruch ableiten, weil es ihr berufsrechtlich ausdrücklich verwehrt ist, für die D. AG im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses als Rechtsanwältin tätig zu sein. In der Folge kann wegen des Beschäftigungsverhältnisses eine Verpflichtung zur Zwangsmitgliedschaft in der RAK nicht angenommen werden.
Dies schließt der Senat aus § 46 Abs. 1 BRAO. Danach darf der Rechtsanwalt für einen Auftraggeber, dem er aufgrund eines ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnisses seine Arbeitszeit und -kraft zur Verfügung stellen muss, vor Gerichten oder Schiedsgerichten nicht in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt tätig werden.
Zwar bezeichnet der bloße Wortlaut der Norm die Tätigkeit des Rechtsanwalts, der sich als Rechtsberater anstellen lässt (Syndikus), nicht ausdrücklich als mit dem Bild des freien Berufs des Rechtsanwaltes nicht vereinbar, sondern verbietet es dem Anwalt zunächst "nur", für den Auftraggeber des ständigen Dienst- und Arbeitsverhältnisses als Rechtsanwalt vor Gerichten und Schiedsgerichten tätig zu sein. Da der Status des Rechtsanwalts den Auftritt vor Gericht generell einschließt, kann sich die rechtsanwaltschaftliche Zulassung nicht auf eine Tätigkeit beziehen, in der gerade ein Auftritt vor Gericht als Rechtsanwalt berufsrechtlich verboten ist.
Der Senat sieht sich bestätigt durch die Auffassung des BGH (Senat für Anwaltssachen; Beschluss vom 07.02.2011, AnwZ (B) 20/10). Denn nach dieser gefestigten Rechtsprechung zum Tätigkeitsbild des Rechtsanwalts nach der Bundesrechtsanwaltsordnung wird derjenige, der als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber steht, in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig. Dies beruht darauf, dass die mit dem Dienst- oder Anstellungsverhältnis verbundenen Bindungen und Abhängigkeiten nicht im Einklang mit dem in §§ 1-3 BRAO normierten Berufsbild des Rechtsanwalts als freiem und unabhängigem Berater und Vertreter aller Rechtsuchenden stehen. Diese Unterscheidung zwischen der freien anwaltlichen Berufsausübung und der Tätigkeit als Syndikus kommt in den Berufsausübungsregelungen des § 46 BRAO in der heutigen Fassung vom 02.09.1994 zum Ausdruck.
Der Senat sieht sich auch bestätigt dadurch, dass Bestrebungen, durch eine Änderung des § 46 BRAO zu regeln, dass der Syndikus als Rechtsanwalt tätig ist, sich nicht durchgesetzt haben. Dies ergibt sich für den Senat insbesondere aus der Gesetzesbegründung zu aktuellen Fassung des § 46 BRAO (BT DRS 12/7656). Dort heißt es:
"Nicht aufgegriffen hat der Ausschuss den in der Anhörung am 1. Dezember 1993 von Vertretern der Syndikusanwälte im Deutschen Anwaltverein vorgebrachten Vorschlag, durch eine Änderung des § 46 BRAO dem Syndikusanwalt einzuräumen, dass er auch im Angestelltenverhältnis als Anwalt tätig wird. Eine solche Änderung hätte zur Folge gehabt, dass der Syndikusanwalt, der jetzt im Nebenberuf Rechtsanwalt ist und im Hauptberuf als Angestellter seinen Arbeitgeber in rechtlichen Angelegenheiten berät, auch in seiner Eigenschaft als rechtlicher Berater seines Arbeitgebers Rechtsanwalt mit allen Rechten und Pflichten ist. Der Ausschuss ist in seinen Beratungen zu dem Ergebnis gekommen, dass das in den §§ 1 bis 3 BRAO normierte Berufsbild des Rechtsanwalts, wie es sich auch in der Allgemeinheit von ihm als unabhängigem Organ der Rechtspflege gebildet hat, mit der Tätigkeit unvereinbar ist, wenn der Syndikus im Rahmen seines Dienstverhältnisses als Anwalt auftritt. Bei der Tätigkeit, die der Syndikus für seinen Dienstherrn leistet, sind dann, wenn der Syndikus persönlich mit der Materie des Einzelfalls befasst gewesen ist, die durch das Gesetz der freien Advokatur gekennzeichneten typischen Wesensmerkmale der freien Berufsausübung, die das Bild des Rechtsanwalts bestimmen, nicht gegeben. Seine freie und unreglementierte Selbstbestimmung wäre im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses, in dem er grundsätzlich dem Prinzip der Über- und Unterordnung unterliegt, nicht gewährleistet. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. November 1992 zum anwaltlichen Zweitberuf (1 BvR 79/85 u. a.) spricht zwar einerseits für eine weitgehende Öffnung zum Zweitberuf, wenn durch Berufsausübungsregelungen die Gefahr von Interessenkollisionen vermieden wird. Das Gericht hat in diesem Zusammenhang aber auch erneut die Gemeinschaftsgüter der Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Rechtspflegeorgan und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege anerkannt. Beides steht nach der einhelligen Auffassung des Ausschusses einer Änderung des § 46 BRAO in dem gewünschten Sinn entgegen."
Soweit die Klägerseite im Termin darauf hingewiesen hat, dass auch selbständige Rechtsanwälte ggü. wichtigen Mandanten vergleichbar weisungsabhängig seien, möchte der Senat dies unkommentiert lassen.
In der sogenannten Zweitberufsentscheidung war das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 87, 287) mit der Frage befasst, ob die Tätigkeit als Syndikus in abhängiger Stellung der daneben in selbstständiger Stellung ausgeübten Tätigkeit als Rechtsanwalt entgegensteht. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht eine Berufszugangsregelung für verfassungswidrig angesehen, weil eine weniger belastende Berufsausübungsregelung genüge (wie sie heute in § 46 BRAO erlassen ist). Diese Entscheidung impliziert aber, dass eine durch einen Rechtsanwalt in der Funktion als angestellter Syndikus vorgenommene Rechtsberatung gegenüber dem Auftraggeber oder Arbeitgeber grundsätzlich keine anwaltliche Tätigkeit ist. Ansonsten hätte es einer Berufsausübungsregelung nicht bedurft (vgl. auch LSG NRW, Urt. v. 07.05.2013, L 18 R 170/12, juris).
Damit wird kraft berufsrechtlicher Vorgabe der Beruf des Syndikus zu einem solchen, der - grundsätzlich berufsrechtlich zulässig - neben dem Beruf des Rechtsanwalts als Zweitberuf ausgeübt werden kann. Gleichwohl ist die Tätigkeit als Syndikus von der anwaltschaftlichen Zulassung nicht mit umfasst, weil der Syndikus innerhalb seines festen Beschäftigungsverhältnisses nicht anwaltlich tätig sein darf. Mithin kann der Syndikus wegen dieser Tätigkeit nicht zur Anwaltschaft zugelassen werden (vgl. BGH Senat für Anwaltssachen, Beschl. v. 04.11.2009, AnwZ (B) 16/09).
Dies wäre nur dann anders, wenn der angestellte Rechtsanwalt in einer Rechtsanwaltsgesellschaft tätig ist, weil hier eine freie Tätigkeit als Dienstleistung gegenüber den Mandanten der Gesellschaft erfolgt und diese Bearbeitung von Mandaten als angestellter Rechtsanwalt persönlich und weisungsfrei vorgenommen wird. Hier greift § 46 Abs. 1 BRAO gerade nicht, weil die Tätigkeit gegenüber fremden Dritten (Mandanten) und nicht betriebsintern im Unternehmen erfolgt. Im Rahmen seines Mandatsverhältnisses gegenüber diesem Dritten darf der angestellte Rechtsanwalt als Rechtsanwalt tätig sein, so dass sich sein Tun als rechtsanwaltschaftliche Berufsausübung qualifiziert (vgl. BGH Senat für Anwaltssachen, Beschluss vom 06.03.2006, Anwz (B) 37/05, juris). Die Klägerin ist aber unternehmensintern und nicht extern rechtsberatend tätig.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Rentenversicherungsrecht, dass bei einem Nebeneinander unterschiedlicher Beschäftigungen oder selbständiger Tätigkeiten das Bestehen von Versicherungspflicht (oder Versicherungsfreiheit) der einen grundsätzlich keine Auswirkung auf die Versicherungspflicht (oder Versicherungsfreiheit) der anderen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit hat, mithin jeder Sachverhalt selbstständig zu beurteilen ist und es deshalb zulässigerweise zu Mehrfachversicherungen und mehrfacher Beitragspflicht kommen kann, wobei jede Beschäftigung natürlich nur einmal zu versichern und zu verbeitragen ist (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 04.11.2009, B 12 R 7/08 R).
Bei der abhängigen Beschäftigung der Klägerin als Compliancespezialistin bei der D. AG handelt es sich aus den vorgenannten Gründen nicht um eine anwaltliche Tätigkeit. Als weisungsgebundene Tätigkeit im Rahmen eines Über- und Unterordnungsverhältnisses entspricht sie nicht dem in § 1 bis 3 BRAO gezeichneten Berufsbild des Rechtsanwalts. Im Hinblick auf § 46 BRAO ist nicht von einer anwaltlichen Tätigkeit für die D. AG auszugehen.
Handelt es sich bei der Tätigkeit bei der D. AG nicht um eine von der Rechtsanwaltszulassung umfasste Beschäftigung, kann sie folglich weder in der Rechtsanwaltskammer noch in der dazugehörigen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung eine Pflichtmitgliedschaft auslösen. Genau dies wäre aber Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für die abhängige Beschäftigung.
Die sog. "vier Kriterien" wendet der Senat nicht an. Die von der Beklagten mitentwickelte sog. Vier-Kriterien-Theorie findet im Gesetz keine Grundlage. Ihre Anwendung führt de facto dazu, dass ein nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI versicherungspflichtig beschäftigter juristischer Mitarbeiter, der eine Zulassung als Rechtsanwalt erwirkt, im Ergebnis frei entscheiden kann, ob er für seine abhängige Beschäftigung Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung oder an das zuständige Versorgungswerk der Rechtsanwälte abführt, sofern ihm der Nachweis gelingt, dass er im Rahmen seines Dienst- bzw. Arbeitsverhältnisses rechtsberatend, rechtsentscheidend, rechtsvermittelnd und rechtsgestaltend tätig ist. Eine solche Wahlmöglichkeit ist in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI jedoch nicht vorgesehen. Überdies bereitete die Anwendung der sehr unbestimmten Kriterien im Einzelfall ganz erhebliche Gerechtigkeitsprobleme.
Dass die Vorschrift des § 6 SGB VI in den dort geregelten Fällen überhaupt eine gewisse Dispositionsbefugnis der Versicherten vorsieht, ist für die gesetzlich organisierte und als solidarische Pflichtversicherung gestaltete soziale Rentenversicherung atypisch (zum Ganzen instruktiv: Fichte, in Hauck/Noftz, Komm. z. SGB VI, § 6 Rdnr 12; vgl. auch BVerfGE 78, 232, 246 = SozR 5850 § 14 Nr. 11; BSG SozR 4-2600 § 6 Nr. 3), weil sie die Gefahr einer negativen Risikoauslese in sich birgt (siehe Papier, in Festschrift Zacher, 1998, 689, 703). Denn der Ausnahmecharakter der Versicherungsbefreiung beruht darauf, dass die Rentenversicherung auf Kontinuität des versicherten Personenkreises angewiesen ist und das Rentenversicherungsverhältnis daher grundsätzlich nicht Gegenstand privatautonomer Disposition sein kann (Voelzke in: Schulin HS-RV § 17 Rz 70; vgl. auch BVerwG Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 19, 26; VGH Baden-Württemberg NJW 1995, 1443 und Juris). Die Rechtfertigung hierfür liegt vornehmlich in Finanzierungsgründen (Umlageverfahren). Dies entspricht auch dem Solidarprinzip; denn die Rentenversicherung wird - wenn auch der Sache und der Höhe nach begrenzt (vgl. Ruland, NJW 1982, 1847, 1853) - durch einen (auch) beitragsfinanzierten sozialen Ausgleich geprägt (siehe BSGE 81, 276 = SozR 3-2600 § 158 Nr. 1), dem sich der Einzelne durch eine Option zugunsten einer "günstigeren" Vorsorgeeinrichtung nicht entziehen soll (vgl. Ruland, NVwZ 1995, 417, 420). Die hierin zum Ausdruck kommende soziale Bindung hat verfassungsrechtlich zur Konsequenz, dass dem Einzelnen kein Wahlrecht eingeräumt werden muss, das es ihm ermöglichen würde, im gegliederten System sozialer Sicherheit die individuell jeweils günstigste Versorgungsmöglichkeit zu wählen (vgl. BVerfGK 4, 46 = SozR 4-2600 § 6 Nr. 1; BVerfG <Nichtannahmebeschluss> SozR 4-2600 § 6 Nr. 2; BSGE 80, 215 = SozR 3-2940 § 7 Nr. 4).
Damit waren der Berufung der Beklagten stattzugeben, das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG und berücksichtigt das Obsiegen der Beklagten.
Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Bayerisches LSG:
Urteil v. 18.12.2013
Az: L 14 R 816/12
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