Landessozialgericht der Länder Berlin und Brandenburg:
Beschluss vom 5. November 2008
Aktenzeichen: L 3 B 1007/05 U

(LSG der Länder Berlin und Brandenburg: Beschluss v. 05.11.2008, Az.: L 3 B 1007/05 U)

1. Die Beschwerde gegen einen Beschluss, durch den der Erlass einer Kostenentscheidung nach § 197a SGG abgelehnt worden ist, ist nicht durch § 158 Abs. 2 VwGO ausgeschlossen.2. Nicht zu dem nach § 183 Satz 1 SGG privilegierten Personenkreis gehört, wer gegen einen Zuständigkeitsbescheid eines Unfallversicherungsträgers klagt oder einen Beitragsbescheid anficht, durch den er als Unternehmer zur Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung verpflichtet wird. 3. Das Verfahren nach § 86a Abs. 3 Satz 1 SGG stellt kein Vorverfahren zum gerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG dar.

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerinwird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 07. März 2005aufgehoben

Die Antragsteller tragen die Kosten desBeschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auf 344,40 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Vorliegend hatte die Antragsgegnerin (Ageg) die Antragsteller (Ast) als Bauherren eines Einfamilienhauses durch Beitragsbescheid vom 19. März 2003 als Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten für Bauhelferleistungen mit Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung i. H. v. 950,42 Euro (aufgrund Schätzung) in Anspruch genommen. Mit Schreiben vom 04. April 2003 hatte die Ageg dem gleichzeitig am 31. März 2003 mit dem Widerspruch gestellten Antrag der Ast auf Aussetzung der Vollziehung unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs stattgegeben. Den Widerspruch hatte sie mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2003 zurückgewiesen. In der dazu ergangenen Rechtsbehelfsbelehrung heißt es u. a. €Die Klage befreit nicht von der vorläufigen Zahlungspflicht€.

Hiergegen erhoben die Ast mit Schriftsätzen vom 20. November 2003 Klage (zum Az.: S 2 U 127/03) und beantragten im Wege der einstweiligen Anordnung die Herstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (vorliegendes Verfahren S 2 U 126/03 ER) beim Sozialgericht (SG) Potsdam. Mit Schriftsatz vom 09. Dezember 2003 teilte die Ageg mit, dass sie dem Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zum Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache entspreche (§ 86a Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz € SGG -). Daraufhin erklärten die Ast mit Schriftsatz vom 12. Januar 2004 das einstweilige Rechtsschutzverfahren für erledigt.

Das Klageverfahren S 2 U 127/03 endete durch angenommenes Anerkenntnis (Beitragsänderungsbescheid der Ageg vom 16. März 2004, Erledigungserklärung der Ast vom 31. März 2004). Die Ageg erklärte sich mit Schriftsatz vom 01. Juni 2004 bereit, die Kosten des Klageverfahrens einschließlich des Vorverfahrens mit Ausnahme des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu tragen. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. Januar 2005 setzte die Kostenbeamtin auf den Antrag der Ast die Kosten des Klageverfahrens einschließlich des Widerspruchsverfahrens i. H. v. 573,45 Euro fest. Die hiergegen eingelegte Erinnerung nahmen die Ast mit Schriftsatz vom 07. April 2005 zurück.

Im vorliegenden Verfahren hat auf Antrag der Ast das SG Potsdam am 26. Januar 2005 durch die Vorsitzende beschlossen: €Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu tragen. Kosten des Vorverfahrens sind nicht zu erstatten.€. Zur Begründung hat es ausgeführt, da die Ageg den Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung anerkannt und im Hauptsacheverfahren den belastenden Bescheid zurückgenommen habe, habe sie auch die Kosten des Verfahrens zu tragen. Im Vorverfahren sei dagegen die Aussetzung der sofortigen Vollziehung kein Thema gewesen und auch nicht beantragt worden, so dass hier weder Kosten entstanden seien, noch eine Kostentragungspflicht der Ageg vorliege. Die Hinzuziehung der Bevollmächtigten im Vorverfahren habe das Hauptsacheverfahren betroffen und sei dort gerechtfertigt gewesen, wie die Kostenfestsetzung vom 18. Januar 2005 zeige, jedoch nicht bezüglich der einstweiligen Anordnung.

Auf die Beschwerde der Ast, die bereits unter dem 31. März 2004 einen Kostenfestsetzungsantrag i. H. v. 344,40 Euro für den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung im Vorverfahren zur Gerichtsakte gereicht hatten, hat das SG Potsdam durch Beschluss vom 07. März 2005 die Entscheidung vom 26. Januar 2005 dahingehend geändert, dass es heißt €Die Kosten des Vorverfahrens sind zu erstatten€ statt €Die Kosten des Vorverfahrens sind nicht zu erstatten€. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Bevollmächtigte der Ast habe bereits im Vorverfahren mit Schreiben vom 31. März 2003 die Aussetzung der Vollziehung beantragt, so dass auch im Vorverfahren dies Streitgegenstand gewesen sei.

Gegen den ihr am 18. März 2005 zugestellten Beschluss wendet sich die Ageg mit ihrer am 29. März 2005 erhobenen Beschwerde. Sie habe im Widerspruchsverfahren dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung am 04. April 2003 unverzüglich entsprochen, so dass eine Kostenlast nicht gerechtfertigt sei.

Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Landessozialgericht (LSG) zur Entscheidung vorgelegt.

Bei Entscheidungsfindung haben die Gerichtsakte sowie die Verfahrensakte des SG Potsdam S 2 U 127/03 und die Verwaltungsakte der Ageg vorgelegen.

II.

Die gemäß § 173 SGG frist- und formgemäß eingelegte Beschwerde der Ageg ist zulässig. Sie ist insbesondere nach § 172 SGG statthaft.

Der Statthaftigkeit der Beschwerde steht die gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 3. Halbsatz SGG entsprechend anzuwendende Vorschrift des § 158 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht entgegen. Nach dieser Norm ist, wenn eine Entscheidung in der Hauptsache nicht ergangen ist, eine Entscheidung (des erstinstanzlichen Gerichts) über die Kosten unanfechtbar. § 158 Abs. 2 VwGO kann jedoch nur für Kostenentscheidungen der Sozialgerichte gelten, die gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 3. Halbsatz SGG in entsprechender Anwendung der §§ 154 bis 162 VwGO ergangen sind. Ist das Sozialgericht hingegen - wie in dem vorliegenden Fall - davon ausgegangen, dass § 197a SGG keine Anwendung findet, und hat es seine Kostenentscheidung mithin nicht auf eine der Bestimmungen der §§ 154 bis 162 VwGO gestützt, sondern unter Zugrundelegung des § 193 SGG getroffen, ist die Beschwerde nicht gemäß 158 Abs. 2 VwGO ausgeschlossen.

11Der angefochtene Beschluss des SG vom 07. März 2005 beinhaltet keine Kostenentscheidung im Sinne des § 158 Abs. 2 VwGO. Zwar hat das SG in dem angefochtenen Beschluss vom 07. März 2005 ebenso wie in dem vorangegangenen Beschluss vom 26. Januar 2005 eine Rechtsgrundlage für die getroffenen Entscheidungen nicht benannt. Aus den Akten bzw. den gesamten Umständen des Verfahrens ist jedoch zu entnehmen, dass es sich um eine Kostenentscheidung nach § 193 SGG handelt. So hat die Kammervorsitzende in der Eingangsverfügung vom 24. November 2003 die Frage danach, ob es sich um ein Verfahren nach § 197 a SGG handele, nicht bejaht. Ein entsprechender Gerichtskostenvorschuss nach dem Gerichtskostengesetz (GKG) ist nicht angefordert worden. Die Ast haben ihren Kostenantrag wie auch ihre Beschwerde bezüglich des Beschlusses vom 26. Januar 2005 mit § 193 Abs. 2 SGG begründet. Die Ageg hat zur Begründung ihrer Beschwerde auf die von der Kammervorsitzenden in gleich gelagerten Fällen getroffenen Kostenentscheidungen nach § 193 SGG verwiesen. Aus dem gesamten Akteninhalt wird nicht erkennbar, dass sich die Kammervorsitzende jemals Rechenschaft darüber abgelegt hat, ob hier nicht eventuell § 197 a SGG, eingeführt durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 27. August 2001 (6. SGG-ÄndG; BGBl. I S. 2144) mit Wirkung ab dem 02. Januar 2002, Anwendung finden könnte.

Die Beschwerde der Ageg ist auch begründet.

Entgegen der Auffassung des SG findet nicht § 193 SGG Anwendung, sondern ist die Kostengrundentscheidung gemäß § 197a SGG zu treffen.

Nach Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz dieser Rechtsnorm werden Kosten nach den Vorschriften des GKG erhoben, wenn in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören. Nach § 183 Satz 1 SGG ist das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit kostenfrei für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, Behinderte oder deren Sonderrechtsnachfolger, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger (bzw. Antragsteller) oder Beklagter (bzw. Antragsgegner) beteiligt sind. Die kostenprivilegierten Personen müssen in der jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagter am Verfahren teilnehmen, d.h. sie müssen Rechte oder Ansprüche geltend machen, die aus ihrer Eigenschaft als Versicherte, Leistungsempfänger usw. resultieren. Streitgegenstand des Verfahrens muss ein Anspruch sein, der Bezug zu der jeweiligen Eigenschaft im Sinne des § 183 Satz 1 SGG hat. Nimmt eine in dieser Vorschrift genannte Person in einer anderen Eigenschaft (z. B. als Unternehmer) am Verfahren teil, unterliegt sie nicht der Gerichtskostenfreiheit.

15Nicht in ihrer Eigenschaft als Versicherte oder Leistungsempfänger am Verfahren beteiligt sind Personen, die sich als Adressaten von Zuständigkeitsbescheiden einer Berufsgenossenschaft gegen diese zur Wehr setzen oder Beitragsbescheide anfechten, durch die sie in ihrer Eigenschaft als Unternehmer zur Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung verpflichtet werden. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in dem Beschluss vom 22. September 2004 (B 11 AL 33/03 R, in juris) bei der Entscheidung über die kostenrechtliche Privilegierung eines Arbeitgebers danach differenziert, in welcher Eigenschaft er klagt. Es hat ausgeführt, dass ein Arbeitgeber, der eine Leistung (Eingliederungszuschuss) beanspruche, zu dem nach § 183 Satz 1 SGG privilegierten Personenkreis gehöre, während ein Arbeitgeber, der auf Erstattung oder Ersatz von Beiträgen in Anspruch genommen werde, die Voraussetzungen einer Privilegierung nach § 183 Satz 1 SGG nicht erfüllen dürfte.

Entsprechendes gilt im vorliegenden Fall für die Ast als Bauherren eines Eigenheimes, die von der Ageg als Unternehmer für nicht gewerbsmäßige Bauarbeiten für Bauhelferleistungen gemäß §§ 2 Abs. 2 S. 1, 129 Abs. 1 Nr. 3, 136 Abs. 1, 150 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) i. V. m. § 58 Abs. 1 der Satzung der Ageg durch Bescheid vom 19. März 2003 zur Beitragszahlung herangezogen worden sind. Der Sachverhalt beurteilt sich daher nicht anders als bei Eigentümern eines von der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft als land- bzw. forstwirtschaftliches Unternehmen bewerteten Grundstücks, für welches diese als Unternehmer zur Beitragszahlung herangezogen werden (vgl. Beschluss des Senats vom 04. Mai 2007 € L 3 B 8/07 U -, m. w. N., in juris).

17Vorliegend besteht jedoch keine Rechtsgrundlage dafür, der Ageg bei der grundsätzlich nach § 197a SGG i. V. m. §§ 154 bis 162 VwGO für das Verfahren nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG zu treffenden Kostengrundentscheidung die Kosten für den am 31. März 2003 von den Ast gestellten Antrag nach § 86a Abs. 3 S. 1 SGG aufzuerlegen. Bei dem Verfahren nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG handelt es sich um ein eigenständiges gerichtliches Verfahren, welches Gerichtskosten (§ 11 i. V. m. KV 4210 GKG in der bis zum 30. Juni 2004 maßgeblichen Fassung € a. F. -) und Gebührenansprüche des Rechtsanwaltes (vgl. § 116 Abs. 2 und 6 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung € BRAGO -) auslösen kann. Anders als bei einer Anfechtungsklage (§§ 54 Abs. 1, 78 ff SGG) geht dem Verfahren nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kein Vorverfahren voraus. Insbesondere handelt es sich bei dem nach § 86a Abs. 3 S. 1 SGG bei der Behörde zu stellenden Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsaktes nicht um ein €Vorverfahren€ zu dem gerichtlichen einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG. Kosten eines Verwaltungsverfahrens sind jedoch mit Ausnahme der in § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) für das Widerspruchsverfahren (= Vorverfahren nach §§ 78 ff SGG) getroffenen Regelung nicht erstattungsfähig (vgl. Roos in von Wulffen, SGB X, 4. Aufl. 2001, Rnr. 6 zu § 63 m. w. N.). Zudem ist nicht erkennbar, aus welchem Rechtsgedanken einer Behörde, die € wie hier die Ageg -sofort einem erstmalig an sie herangetragenen Begehren € hier auf Aussetzung der Vollziehung eines belastenden Verwaltungsaktes - entspricht, die Kosten der Antragstellung aufgebürdet werden könnten.

Selbst wenn man vorliegend den Antrag nach § 86a Abs. 3 S. 1 SGG als dem am gleichen Tag eingelegten Widerspruch gegen den Beitragsbescheid vom 19. März 2003 zugehörig ansehen würde, könnte hierzu eine Kostenentscheidung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG nicht getroffen werden. Die Kosten für den Antrag nach § 86a Abs. 3 S. 1 SGG wären dann als Bestandteil des Widerspruchsverfahrens von der Kostenentscheidung nach § 63 SGB X bzw. der in dem an das Widerspruchsverfahren sich anschließenden Klageverfahren zu treffenden Kostenentscheidung erfasst. Für den vorliegenden Sachverhalt würde dies bedeuten, dass die Kosten für den Antrag nach § 86a Abs. 3 S. 1 SGG vom 31. März 2003 schon Gegenstand des im Verfahren S 2 U 127/03 von der Ageg abgegebenen Kostenanerkenntnis sind, welches auch die Kosten des Widerspruchsverfahrens umfasste, die von den Ast bereits abgerechnet worden sind (vgl. Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. Januar 2005).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 3. Halbsatz SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 197a Abs. 1 S. 1 1. Halbsatz SGG i. V. m. §§ 13, 14 GKG a. F. und trägt der aus der Kostenlast (außergerichtliche Kosten der Ast) für den Antrag nach § 86a Abs. 3 S. 1 SGG resultierenden Beschwer der Ageg Rechnung.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das BSG anfechtbar, § 177 SGG.






LSG der Länder Berlin und Brandenburg:
Beschluss v. 05.11.2008
Az: L 3 B 1007/05 U


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