Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 27. März 2007
Aktenzeichen: 4 U 7/07
(OLG Hamm: Urteil v. 27.03.2007, Az.: 4 U 7/07)
Tenor
Die Berufung des Antragsgegners gegen das am 19. Dezember 2006 verkündete Urteil der I. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Antragsgegner, von Beruf Tiefbaufacharbeiter, vertreibt nebenberuflich das Getränk Y, das er direkt vom Hersteller aus den USA bezieht, wo es 2002 eingeführt wurde. Nach seinen Angaben erzielt er lediglich einen geringen Gewinn, der es ihm ermöglicht, seinen eigenen Y-Verzehr ohne eigene Aufwendungen zu bestreiten.
Unstreitig wird bei der Herstellung des Saftes die Mangostane-Frucht des in Ostasien wachsenden Mangostinenbaums als Ganzes verarbeitet. Nach der Säuberung wird die Frucht blanchiert, anschließend in Würfel geschnitten und dann in einer Mühle zu einem Mark vermahlen. Dies wird in gefrorenem Zustand von Ostasien in die USA verschifft, dort aufgetaut und mit firmeneigenen Fruchtsäften und Fruchtpüree angereichert.
Der Antragsteller, zu dessen satzungsmäßigem Zweck es gehört, den unlauteren Wettbewerb in allen Erscheinungsformen im Zusammenwirken mit Behörden und Gerichten zu bekämpfen, ist der Ansicht, dass Bewerbung und Vertrieb des Y der Novel-Food-Verordnung über neuartige Lebensmittel unterliege, und zwar deshalb, weil auch die Schale der Frucht unstreitig mitverwertet wird. Diese Schale sei bisher in der Gemeinschaft aber noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden. Sie sei zudem nicht genießbar. Von der Mangostane-Frucht sei bislang lediglich das Furchtfleisch verzehrt worden.
Da für das Produkt unstreitig weder ein Genehmigungsverfahren noch ein Notifizierungsverfahren durchgeführt worden ist, dürfe dieses neuartige Lebensmittel nicht in den Verkehr gebracht werden. Der Antragsgegner verstoße damit gegen die Bestimmungen der Novel-Food-Verordnung. Diese Verordnung diene dem Verbraucherschutz und auch dem gleichförmigen Auftreten der Mitbewerber auf dem Markt, so dass der Antragsgegner auch wettbewerbswidrig handele.
Das Landgericht hat durch Urteil vom 19. Dezember 2006 dem Antragsgegner antragsgemäß unter Androhung von Ordnungsmitteln verboten,
im geschäftlichen Verkehr das Produkt Y, das den Saft der ganzen
Mangostane-Frucht einschließlich der Schale dieser Frucht enthält, selbst
oder durch Dritte anzubieten, zu bewerben, zu vertreiben und/oder sonst
wie in den Verkehr zu bringen, solange zum Verkehr der ganzen Mangostane-
Frucht einschließlich der äußeren Umhüllung (Perikarp) in flüssiger Form
als Lebensmittel oder Lebensmittelzutat die Genehmigung für ein Inverkehr-
bringen nach der Verordnung (EG) Nr. 258/97 für neuartige Lebensmittel
nicht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft veröffentlicht ist.
Wegen des Inhalts des Urteils im Einzelnen wird auf Bl. 165 ff. d. A. verwiesen.
Gegen dieses Urteil hat der Antragsgegner form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der er sein Abweisungsbegehren aus erster Instanz weiter verfolgt.
Unter Ergänzung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags behauptet der Antragsgegner, dass das Y Getränk keineswegs neuartig sei. Denn die Frucht der Mangostane werde bereits seit 1968 und damit vor dem maßgeblichen Stichtag des 15. Mai 1997, nämlich dem Datum des Inkrafttretens der Novel-Food-Verordnung, in nennenswertem Umfang im EG-Bereich verzehrt. Zur Glaubhaftmachung hat sich der Antragsgegner u. a. auf Lebensmittellexika, die Internetseite von G, die eidesstattlichen Versicherungen eines Händlers vom W-Markt und des Herrn W zu thailändischen Statistiken über die Ausfuhr der Mangostane in die Europäische Union bezogen.
Der Verzehr der ganzen Frucht, also des Fruchtfleisch einschließlich der Schale, sei auch erfahrungsgemäß unbedenklich. Dies belege ein Auszug aus dem Lexikon exotischer Früchte ebenso wie ein Abschnitt in dem Buch Warenkunde Obst und Gemüse von Prof. Dr. Liebster. Die Unbedenklichkeit gehe ferner aus einem thailändischen Rezept für ein Dessert hervor, nämlich für den Thai-Mangostane-Rohkost-Nußpudding.
Die Schale der Mangostane sei auch gesundheitlich unbedenklich.
Zudem könne eine Genehmigung nach der Novel-Food-Verordnung nur für die ganze Pflanze oder für Stoffe, die aus Pflanzen isoliert werden, erteilt werden, nicht aber für einzelne Bestandteile der Pflanze. Die Schale könne auch nicht als Zutat angesehen werden. Zu Unrecht betrachte der Antragsteller isoliert nur den Verzehr der Schale. Er übersehe dabei, dass das Fruchtmark aus einer ganzen Frucht bestehen könne. Unter dem Fruchtmark verstehe man nämlich das gärfähige, jedoch nicht gegorene Erzeugnis, das durch Passieren des genießbaren Teils der ganzen oder geschälten Frucht ohne Abtrennen des Saftes gewonnen werde.
Zu Unrecht habe das Landgericht bei der Frage der Neuartigkeit auch auf den Zeitpunkt abgestellt, zu dem der Y Saft erstmals in den Verkehr gebracht worden sei. Es komme aber nicht auf das Erzeugnis eines einzelnen Herstellers an. Entscheidend sei, ob der Saft generell neuartige Lebensmittelzutaten enthalte. Das sei zu verneinen. Das Getränk Y enthalte ausschließlich Zutaten, die seit 1968 in nennenswertem Umfange in der Europäischen Gemeinschaft verzehrt worden seien.
Zu Unrecht habe das Landgericht auch angenommen, dass ein neuartiges Lebensmittel bei jeder neuen Art der Verarbeitung eines Lebensmittels vorliege und dass dies selbst dann der Fall sei, wenn die bei der Verarbeitung verwendeten Zutaten bereits seit Jahrzehnten verzehrt würden. Die Art der Verarbeitung sei wie auch der Aggregatzustand für die Beurteilung der Neuartigkeit eines Lebensmittels oder einer Lebensmittelzutat irrelevant. Die Novel-Food-Verordnung sei nicht auf neue Arten der Verarbeitung bereits bekannter Zutaten anwendbar. Die Europäische Kommission spreche in diesem Zusammenhang nur von neuartigen Lebensmittelformulierungen mit bekannten Zutaten.
Zudem habe das Landgericht verkannt, dass Artikel 1 Abs. 2 e der Novel-Food-Verordnung nur auf unmittelbar gewonnene Lebensmittel bzw. Lebensmittelzutaten anwendbar sei. Verfehlt habe es deshalb den Y Saft als neuartiges Lebensmittel angesehen. Werde ein weiterverarbeitetes Lebensmittel als Endprodukt angeboten, so sei nur zu fragen, ob es neue Lebensmittelzutaten enthalte, die nach der Novel-Food-Verordnung genehmigungspflichtig seien. Diese Frage sei hier zu verneinen. Denn die Mangostanefrucht als solche sei bereits seit 1968 in nennenswertem Umfang in das Gebiet der EG eingeführt und da auch verzehrt worden. Es sei davon auszugehen, dass neben dem Fruchtfleisch auch die Schale seit vielen Jahren in nennenswertem Umfang verzehrt worden sei. Zudem sei eine Trennung der Zulassung für das Fruchtfleisch der Mangostane einerseits und deren Schale andererseits nicht durchführbar.
Zumindest stehe das Merkmal der erfahrungsgemäßen Unbedenklichkeit hier einem Verbot entgegen. Das Landgericht habe insofern die Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast verkannt. Der Antragsgegner sei nicht verpflichtet, umfassende Gutachten vorzulegen und die Unbedenklichkeit unter jedem nur erdenklichen Gesichtspunkt zu belegen. Es reiche aus, wenn er plausibel geäußerte Bedenken ausräume. Plausibel seien von dem Antragsteller derartige Bedenken aber nicht vorgetragen worden. Den Hinweis auf die Pflanzenschutzmittel habe der Antragsgegner ausgeräumt. Zu berücksichtigen sei aber auch, dass das Y Getränk in den USA seit 2002 in einer Menge von 15 Millionen Litern von Verbrauchern verzehrt worden sei, ohne dass es zu irgendwelchen Störungen gekommen sei.
Man müsse zudem auch beachten, dass ein reiner Verzehr des Fruchtfleisches schon deshalb nicht möglich sei, weil beim Öffnen der Frucht notwendigerweise immer auch Partikel der Schale am Fruchtfleisch hängen blieben und so mitverzehrt würden. Im Laufe der Zeit habe sich dies zu einer nicht unbeträchtlichen Menge an Schalenmaterial aufsummiert, das von den Verbrauchern auf diese Weise mitverzehrt worden sei.
Schließlich sei auch noch auf das Zusammenspiel der Novel-Food-Verordnung mit Artikel 14 der Verordnung (EG) Nr .178/2002 zu verweisen. Danach unterliege das Y Getränk nicht der Novel-Food-Verordnung, sondern der Missbrauchsaufsicht. Die Schale sei jedenfalls dann nicht ungenießbar, wenn man sie zerkleinere und blanchiere. Sie sei auch nicht als Lebensmittelzutat zu qualifizieren. Zutat für das Y Getränk sei lediglich das Mark der ganzen Mangostanefrucht. Das Fruchtmark werde regelmäßig und in Übereinstimmung mit der Fruchtsaftverordnung mit Schalenbestandteilen hergestellt. Nach dem Sinn und Zweck des Artikel 1 Abs. 2 Buchstabe 2 der Novel-Food-Verordnung könne die Vorschrift nicht weit ausgelegt und dahin verstanden werden, dass ein Teil einer seit Jahren eingeführten Frucht als neuartig gelten müsse. Die Novel-Food-Verordnung wolle von ihrem Anwendungsbereich her nur völlig neue Lebensmittel ergreifen.
Bei dem angegriffenen Y Getränk handele es sich dagegen um ein erfahrungsgemäß unbedenkliches Lebensmittel. Der Zeitraum, in dem die Erfahrungen gewonnen werden würden, könne nur ein Zeitraum nach Inkrafttreten der Novel-Food-Verordnung sein. Anderenfalls sei das Lebensmittel nicht neuartig. Insofern sei der Vertrieb des Y Getränks in den USA zu berücksichtigen.
Letztlich verweist der Antragsgegner auf die Rechtsauffassung der mit der Lebensmittelüberwachung befassten Behörde. Danach dürfe er das Y Getränk vertreiben, da es nach der Aussage des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz nicht zu den neuartigen Lebensmitteln im Sinne der Novel-Food-Verordnung gehöre.
Der Antragsgegner beantragt,
das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 19. Dezember 2006 aufzuheben
und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Der Antragsteller beantragt unter Ergänzung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des Inhalts der Parteivorträge im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Gründe
Die Berufung des Antragsgegners ist unbegründet. Das Landgericht hat das beantragte Verbot zu Recht ausgeurteilt.
Die Verbotsfassung ist hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Das Verbot musste das konkrete Produkt, also das Y Getränk, zum Gegenstand haben. Denn Verbotsgegenstand kann nur das sein, was der Antragsgegner tatsächlich vertreibt. Die Beschreibung des Verbotes gibt dann lediglich den Verbotsgrund an, ohne dass dadurch das Verbot unbestimmt würde. Der mit "solange" beginnende Nachsatz eröffnet dem Antragsgegner lediglich eine Möglichkeit, aus dem Verbot herauszukommen. Das Verbot selbst bleibt durch diesen Nachsatz unberührt.
Der Verfügungsgrund folgt aus § 12 Abs. 2 UWG. Diese Dringlichkeitsvermutung ist hier nicht widerlegt, auch wenn der Antragsgegner das Y Getränk schon länger vertreibt, wie der Antragsgegner bei seiner Anhörung vor dem Landgericht angegeben hat. Es ist nämlich nichts dafür ersichtlich, dass der Antragsteller von dem Vertrieb des Getränks schon seit mehr als einem Monat vor Antragstellung Kenntnis hatte. Erst wenn der Gläubiger länger als einen Monat seit Kenntnis des Verstoßes mit der Beantragung einstweiligen Rechtschutzes zuwartet, sieht der Senat diese Dringlichkeitsvermutung regelmäßig als widerlegt an.
Der Verfügungsanspruch folgt aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2; 3; 4 Nr. 11 UWG i. V. m. Artikel 1 Abs. 1, Abs. 2 e der Novel-Food-Verordnung.
Ein Verstoß gegen die Bestimmungen der Novel-Food-Verordnung stellt sich zugleich als unlautere Wettbewerbshandlung im Sinne des § 3 UWG dar. Denn die Novel-Food-Verordnung hat verbraucherschützenden Charakter und ist damit eine Norm, die im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten regeln will. Dass die Verordnung die Gesundheit der Verbraucher schützen will, zeigt schon der Erwägungsgrund (2) der Verordnung. Nach § 4 Ziff. 11 UWG handelt aber unlauter im Sinne des § 3 UWG, wer gegen eine solche Marktregelnorm verstößt.
Gerade weil es um den Schutz der öffentlichen Gesundheit geht, stellt ein Verstoß gegen die Novel-Food-Verordnung auch keine wettbewerbsrechtlich unbeachtliche Bagatelle im Sinne des § 3 UWG dar.
Zu Recht hat das Landgericht auch angenommen, dass der Antragsgegner durch den Vertrieb des Y Getränks gegen Artikel 1 der Novel-Food-Verordnung verstößt.
Die Verordnung regelt und findet demzufolge Anwendung auf das in den Verkehr Bringen neuartiger Lebensmittel und neuartiger Lebensmittelzutaten. Dabei ist für den vorliegenden Fall klarzustellen, dass es hier nicht um ein Vertriebsverbot für das Fruchtfleisch der Mangostane geht. Es geht auch nicht um die Formulierung des Saftes und damit nicht darum, ob dieses Fruchtfleisch nun in flüssiger Form angeboten wird oder ob dem aus der Mangostanefrucht gewonnenen Saft andere Säfte zugesetzt werden, um die Trinkmenge zu erhöhen. Entscheiden ist allein die Frage, ob der vom Antragsgegner vertriebene Saft dadurch zu einem verbotenen neuartigen Lebensmittel wird, dass er nicht nur das Fruchtfleisch der Mangostanefrucht enthält, sondern zusätzlich auch deren Schale.
Das ist zu bejahen.
Die Schale der Mangostanefrucht ist als neuartige Lebensmittelzutat im Sinne des Artikel 1 Abs. 1 Novel-Food-Verordnung zu werten, die damit auch den so zusammengesetzten Y Saft zu einem verbotenen Produkt macht. Nach Sinn und Zweck der Novel-Food-Verordnung, wie er in Artikel 1 Abs. 2 Novel-Food-Verordnung zum Ausdruck kommt, bestimmt sich die Neuartigkeit danach, ob das Lebensmittel oder die Lebensmittelzutat bereits verzehrt worden ist. Allein die Bekanntheit eines Lebensmittels reicht nicht aus, um ihm die Neuartigkeit im Sinne der Novel-Food-Verordnung zu nehmen. Für die Frage der Neuartigkeit ist vielmehr allein entscheidend, um es anschaulich auszudrücken, ob das Produkt auch früher schon in dem Mund gesteckt worden ist oder nicht.
In diesem Zusammenhang weist der Antragsgegner zu Unrecht darauf hin, dass die gesamte Mangostanefrucht und nicht nur das Fruchtfleisch eingeführt worden ist. Diese Sichtweise wird dem Sinn und Zweck der Novel-Food-Verordnung nicht gerecht. Denn im Vordergrund steht der gesundheitliche Schutz vor neuartigen Lebensmitteln. Das kommt nicht nur im Erwägungsgrund (2) zum Ausdruck, sondern ergibt sich auch aus Artikel 1 Abs. 2 e, wo die erfahrungsgemäße Unbedenklichkeit angesprochen wird. Vor diesem Hintergrund ist es unerheblich, ob eine exotische Frucht als solche bekannt ist. Entscheidend ist allein deren Verzehr. Der Gesundheitsschutz gebietet, nicht alle Teile einer Frucht dann gleich zu behandeln, wenn nur ein Teil bislang unbedenklich verzehrt worden ist. So aber ist es hier. Es wurde bislang nur das Fruchtfleisch der Mangostanefrucht verzehrt. Dass kleinste Mengen von der Schale beim Verzehr des Fruchtfleisches auch hinuntergeschluckt worden sein mögen, spielt keine Rolle. Darin ist keinesfalls ein Verzehr in nennenswertem Umfang im Sinne des Artikel 1 Abs. 2 Novel-Food-Verordnung zu sehen, wie auch schon das Landgericht zutreffend ausgeführt hat. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das thailändische Rezept für ein Dessert, bei dem die Schale Mitverwendung finden mag, in nennenswertem Umfang umgesetzt worden ist. Bezog sich damit der Verzehr bislang in nennenswertem Umfang allein auf das Fruchtfleisch, hat damit auch allein nur das Fruchtfleisch seinen Charakter als neuartiges Lebensmittel verloren.
Dass die Schale gegenüber dem Fruchtfleisch etwas anderes ist, ergibt sich auch aus Stellen in Lexika, die zur Akte gereicht worden sind. Insbesondere ergibt sich dies auch aus der Anlage AG 4, der Warenkunde Obst und Gemüse der Autoren Prof. Dr. Liebster und Lewin. Dort heißt es, dass die zusammenziehend wirkende Schale als Heilmittel genutzt werde; abgekocht gelte sie als ein Wirkstoff gegen Ruhr.
Es handelt sich mithin bei der Schale der Mangostanefrucht um eine neuartige Lebensmittelzutat. Daran ändert auch der Herstellungsprozess des Y Saftes nichts. Auch wenn die gesamte Frucht zu einem Püree verarbeitet wird, bleibt es dabei, dass dem Fruchtfleisch die Schale zugesetzt wird. Der Vorgang ist nicht anders zu beurteilen, als wenn zunächst das Fruchtfleisch zu Saft verarbeitet worden wäre und dann die geriebene Schale, etwa in Wasser aufgelöst, zur Verlängerung hinzugesetzt wurde.
Der Antragsgegner kann sich auch nicht auf die Ausnahmeregelung des Artikel 1 Abs. 2 e der Novel-Food-Verordnung berufen, wonach auch neuartige Lebensmittel dann nicht unter die Verordnung fallen, wenn sie erfahrungsgemäß als unbedenklich gelten können. Dabei kann im vorliegenden Verfahren dahingestellt bleiben, wie diese Erfahrung als unbedenklich in zeitlicher und örtlicher Hinsicht zu bestimmen ist. Denn der Antragsgegner hat solche ausreichende Erfahrung mit der Schale der Mangostanefrucht in keiner Weise dartun können. Er hat sich nämlich insoweit nur darauf berufen können, dass der Y Saft in den USA seit 2002 vertrieben werde, ohne dass es bislang zu negativen Erfahrungen gekommen sei.
Wissenschaftliche Untersuchungen über die Schale und ihre Wirkungen beim Verzehr, die eine Unbedenklichkeit belegen könnten, hat der Antragsgegner nicht vorlegen können.
Allein der Vertrieb eines einzelnen Produktes in den USA kann aber eine erfahrungsgemäße Unbedenklichkeit der Lebensmittelzutat noch nicht ausreichend belegen, mag sich dieser Vertrieb inzwischen auch auf 15 Millionen Liter aufsummiert haben. Ein Lebensmittel und eine Lebensmittelzutat können erfahrungsgemäß als unbedenklich nur dann angesehen werden, wenn sie zum einen auf breiter Grundlage in verschiedener Form verzehrt worden sind, nicht nur in einem einzelnen Produkt. Zum anderen muss auch eine gewisse Beobachtung hinzukommen, die sich gerade auf die Unbedenklichkeit bezieht. Dass mehr oder weniger zufällig keine Störfälle bekannt geworden sind, kann eine erfahrungsgemäße Unbedenklichkeit noch nicht belegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Ziff. 10 ZPO.
OLG Hamm:
Urteil v. 27.03.2007
Az: 4 U 7/07
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