Kammergericht:
Beschluss vom 9. Dezember 2015
Aktenzeichen: 22 W 98/15

(KG: Beschluss v. 09.12.2015, Az.: 22 W 98/15)

In unternehmensrechtlichen Verfahren nach § 63 Abs. 1 GNotKG kommt eine Anwendung der Ausnahmeregel des § 63 Abs. 3 GNotKG dann in Betracht, wenn eine Sache aufgrund des Arbeitsaufwands des Gerichts und der Beteiligten, etwa aufgrund des Umfangs oder der Schwierigkeit der Sache - bsonders deutlich von einem nach der gesetzlichen Regelung durchschnittlichen Verfahren abweicht. Dies kann etwa gegeben sein, wenn ein Nachtragsliquidator lediglich für die Einziehung eines für die gelöschte GmbH hinterlegten Betrages, der deutlich von dem Wert nach § 67 Abs. 1 GNotKG abweicht, bestellt worden ist.

Tenor

Auf die Beschwerde der Beteiligten wird der Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 10. Juni 2015 in Bezug auf den Geschäftswert abgeändert.

Der Geschäftswert wird auf bis zu 6.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Am 26. Mai 1999 ist das Erlöschen der unter der Register-Nr. HRB ... eingetragenen Gesellschaft I... GmbH im Aufbau im Handelsregister vermerkt worden. Am 17. April 2015 sind zu Gunsten der Gesellschaft beim Amtsgericht Tiergarten unter dem Aktenzeichen 87 HL ... durch Herrn Rechtsanwalt Dr. B... als Insolvenzverwalter 5.112,92 EUR unter Verzicht auf das Recht zur Rücknahme hinterlegt worden. Diese Hinterlegung ist der Beteiligten als Alleingesellschafterin der gelöschten Gesellschaft am 15. Mai 2015 durch das Registergericht mitgeteilt worden. Mit Schreiben vom 3. Juni 2015 beantragte diese, Frau Rechtsanwältin S... zur Nachtragsliquidatorin für die Gesellschaft mit dem beschränkten Wirkungskreis €Abgabe von Erklärungen in der Hinterlegungssache des AG Tiergarten zu dem Aktenzeichen 87 HL ... und aller hiermit im Zusammenhang stehenden Erklärungen und Handlungen€ zu bestellen.

Das Registergericht hat sodann mit einem Beschluss vom 10. Juni 2015 dem Antrag entsprechend Frau S... mit dem beschränkten Wirkungskreis bestellt und zugleich den Geschäftswert für die Bestellung nach § 67 Abs. 1 GNotKG auf 60.000 EUR festgesetzt. Die Festsetzung des Geschäftswertes hat es damit begründet, dass die Festsetzung eines niedrigeren Wertes, wie es in dem Antragsschreiben angeregt worden war, nicht in Betracht komme, weil es an den Voraussetzungen des § 67 Abs. 3 GNotKG fehle. Der Beschluss ist der Beteiligten am 15. Juni 2015 zugestellt worden.

Mit Schreiben vom 11. August 2015, eingegangen am 16. August 2015, hat die Beteiligte gegen die Festsetzung des Geschäftswertes Beschwerde eingelegt und geltend gemacht, dass hier nur ein beschränkter Wirkungskreis für die Nachtragsliquidatorin bestimmt worden ist und zu bestimmen gewesen sei, der sich allein auf die Einziehung des hinterlegten Betrages in Höhe von 5.112,92 EUR bezogen habe. Die nach einem Geschäftswert von 60.000 EUR anfallenden Gerichtskosten betrügen 1.387 % der Kosten, die bei einem Geschäftswert von 5.112,92 EUR anfielen. Eine solche unangemessene Belastung sei auch durch den Gesetzgeber nicht gewollt gewesen. Das Amtsgericht hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1. Das Rechtsmittel gegen die Festsetzung des Geschäftswertes durch das Amtsgericht mit dem Beschluss vom 10. Juni 2015 ist nach § 83 Abs. 1 Satz 1 GNotKG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der nach dieser Vorschrift notwendige Beschwerwert von 200 EUR wird erreicht. Die nach dem festgesetzten Geschäftswert von der Beteiligten zu zahlenden Gerichtskosten betragen 1.332 EUR während nach dem Geschäftswert, den die Beteiligte für angemessen hält, lediglich 96 EUR zu zahlen wären. Es fehlt der Beteiligten insoweit auch nicht an der notwendigen Beschwer, weil sie von der Verpflichtung zur Zahlung der Gerichtskosten nicht befreit ist (vgl. BGH, beschluss vom 16. Januar 1997, IX ZR 40/96, WM 1997, 892 = JurBüro 1997, 373; a.A. OLG München, Beschluss vom 22. Mai 1996, 11 W 1581/96, DtZ 1996, 119 = MDR 1996, 1301). Mit der am 16. August 2015 eingegangenen Rechtsmittelschrift wird auch die Beschwerdefrist von einem halben Jahr nach § 83 Abs. 1 Satz 3 GNotKG in Verbindung mit § 79 Abs. 2 Satz 2 GNotKG gewahrt.

2. Die Beschwerde hat auch Erfolg. Der Geschäftswert ist nach § 67 Abs. 3 GNotKG auf 5.112,92 EUR festzusetzen.

Allerdings ist, wie das Amtsgericht zu Recht geltend macht, von dem Regelwert nach § 67 Abs. 1 Nr. 1 GNotKG auszugehen. Danach beträgt der Geschäftswert in unternehmensrechtlichen Verfahren bei Kapitalgesellschaften 60.000 EUR. Als unternehmensrechtliche Verfahren in diesem Sinne sind alle Verfahren nach § 375 FamFG anzusehen, die die Ernennung und Abberufung von Personen betreffen. Dabei werden etwa die Verfahren aus Ersatz fehlender Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft (§ 375 Nr. 3 FamFG) oder einer Europäischen Aktiengesellschaft (§ 375 Nr. 4 FamFG), aber auch die Bestellung von Liquidatoren oder anderen Abwicklern erfasst (vgl. z.B. § 375 Nr.1, Nr. 6, Nr. 15 FamFG). Grundsätzlich sind deren Aufgaben und Wirkungskreise nicht beschränkt. Sie haben vielmehr im Rahmen des jeweiligen Unternehmensgegenstands und der gesetzlichen Aufgaben (vgl. wegen der Liquidation etwa §§ 70 GmbHG, 268 AktG) zu handeln. Soweit die zu ernennenden Personen nur einen beschränkten Aufgabenkreis haben, wie etwa die Gründungsprüfer nach § 33 Abs. 3 Satz 2 AktG, die besonderen Vertreter nach § 147 Abs. 2 AktG (jeweils § 375 Nr. 3 FamFG) oder die Prüfer nach § 375 Nr. 9 FamFG sind jeweils Fallgruppen erfasst, bei denen von einem erheblichen wirtschaftlichen Wert ausgegangen werden kann. Von diesen den Normalfall bildenden Fallgestaltungen weicht die Bestellung eines Nachtragliquidators für eine GmbH mit einem auf die Einziehung eines hinterlegten Betrages beschränkten Wirkungskreises ab.

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts kommt es insoweit nicht darauf an, ob die vorliegende Fallgestaltung in dieser oder anderer Form in der Praxis öfter vorkommt. Nach der gesetzlichen Regelung ist vielmehr zu fragen, ob der nach dem Gesetz angenommene Regelfall vorliegt oder eine Abweichung hiervon, die eine Anpassung des Geschäftswertes, sei es nach oben oder nach unten, gebietet. Liegt danach eine vom Regelfall abweichende Sache vor, stellt sich die Frage, ob besondere Umstände vorliegen, die tatsächlich eine Abweichung erforderlich machen, weil ansonsten die Annahme des Regelwertes unbillig erscheint. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitsaufwand des Gerichts und der Beteiligten aufgrund besonderer Umstände - etwa wegen des Umfangs oder der Schwierigkeit der Sache - besonders deutlich von einem nach der gesetzlichen Regelung durchschnittlichen Verfahren abweichen (vgl. Bormann/Sommerfeldt, GNotKG, 2014, § 67 Rdn. 8; Korintenberg/Klüsener, Gerichts- und Notarkostengesetz, 19. Aufl., § 67 Rdn. 16; Fackelmann/Teubel, GnotKG, 2013, § 67 Rdn. 12; zu § 45 FamGKG OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. September 2014, 8 WF 105/14, MDR 2015, 38; ebenso KG, Beschluss vom 3. Juni 2014, 13 WF 116/14, FamRZ 2015, 432; zur Gesetzesbegründung BT-Drucksache 16/6308, S. 306).

Dies bedeutet für den vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung des Ausnahmecharakters der Regelung des § 67 Abs. 3 GNotKG, dass die Tatsache des Vorliegens eines begrenzten Wirkungskreises gegen die Annahme eines Regelfalles spricht, weil die gesetzliche Regelung regelmäßig von einer umfassenden Vertretung ausgeht oder von Fallgestaltungen in denen größere wirtschaftliche Werte betroffen sind. Entscheidend ist dabei, dass das Bestellungsverfahren absehbar unproblematisch verlaufen ist, es insbesondere keiner Anhörungen oder näherer Prüfungen bezüglich der Person des Nachtragsliquidators bedurfte, und auch sonst keine Schwierigkeiten im Bestellungsverfahren aufgetreten sind. Dass es sich um eine besonders einfach gestaltete Angelegenheit gehandelt hat, zeigt sich auch daran, dass die bestellte Nachtragsliquidatorin bereits nach fünf Wochen die Erledigung der Angelegenheit angezeigt und die Ausfertigung des Bestellungsbeschlusses zur Akte zurückgereicht hat. Da sich dieser begrenzte Wirkungskreis auch noch auf eine vermögensrechtlich relevante Handlung bezieht, die lediglich das Vierfache des Betrages der nach dem Regelwert berechneten Gebühren ausmacht, erscheint die Festsetzung des Regelwertes unangebracht und damit unbillig. Dies ergibt im Übrigen auch der von der Beteiligten dargestellte Vergleich der anfallenden Gebühren.

3. Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, einer Kostenerstattung findet nicht statt, vgl. § 83 Abs. 3 GNotKG.






KG:
Beschluss v. 09.12.2015
Az: 22 W 98/15


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