Hessischer Verwaltungsgerichtshof:
Beschluss vom 4. Februar 1999
Aktenzeichen: 9 S 4605/98.A

(Hessischer VGH: Beschluss v. 04.02.1999, Az.: 9 S 4605/98.A)

Tatbestand

Auf Antrag der Kläger ist diesen mit Beschluss des Senats vom 30. Oktober 1997 Prozesskostenhilfe für das Antragsverfahren auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 21. Juli 1997 bewilligt und ihnen ihr Bevollmächtigter als Rechtsanwalt beigeordnet worden. Ebenfalls mit Beschluss vom 30. Oktober 1997 ließ der Senat auf Antrag der Beklagten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 21. Juli 1997 zu, soweit darin die im Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 15. April 1996 angedrohte Abschiebung der Kläger nach Somalia aufgehoben wurde. Durch Beschluss vom 5. März 1998 bewilligte der Senat den Klägern unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten auch für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe. Mit Urteil vom 18. März 1998 änderte der Senat das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 21. Juli 1997 ab, soweit darin die im Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 15. April 1996 angedrohte Abschiebung der Kläger nach Somalia aufgehoben wurde, und wies die Klage auch insoweit ab.

Am 18. November 1997 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Vergütung des Bevollmächtigten der Kläger für das Verfahren auf Zulassung der Berufung antragsgemäß (incl. Kostenpauschale und Mehrwertsteuer) auf 524,40 DM fest. Dabei legte er - ausgehend von einem Gegenstandswert in Höhe von 4.500,-- DM - eine 13/10-Prozessgebühr von 416,-- DM zugrunde.

Die Vergütung für das Berufungsverfahren setzte der Kostenbeamte am 31. März 1998 antragsgemäß in Höhe von 1.002,80 DM (incl. Kostenpauschale und Mehrwertsteuer) fest, wobei er erneut von einer 13/10-Prozessgebühr sowie von einer 13/10-Verhandlungsgebühr in Höhe von jeweils 416,-- DM ausging.

Auf die Erinnerung der Bezirksrevisorin vom 10. November 1998, mit der sich diese unter Hinweis auf eine Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts gegen die Festsetzung von insgesamt zwei Prozessgebühren wandte, teilte der Kostenbeamte dem Bevollmächtigten der Kläger unter dem 19. November 1998 mit, dass diesem für das Verfahren auf Zulassung der Berufung und das sich daran anschließende Berufungsverfahren insgesamt nur eine 13/10-Prozessgebühr zustehe. Er werde daher gebeten, den zuviel erhaltenen Betrag in Höhe von 524,40 DM zurückzuerstatten.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Erinnerung des Bevollmächtigten der Kläger vom 25. November 1998, mit der dieser geltend macht, das Berufungszulassungsverfahren und das anschließende Berufungsverfahren stellten gesonderte Rechtszüge dar, so dass auch jeweils gesonderte Prozessgebührentatbestände entstünden.

Gründe

Die gemäß § 128 Abs. 3 BRAGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Erinnerung des Bevollmächtigten der Kläger ist unbegründet.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle war jedenfalls aufgrund der von der Bezirksrevisorin bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof gemäß § 128 Abs. 3 BRAGO eingelegten Erinnerung vom 10. November 1998 befugt, seine Festsetzung der Gebühren und Auslagen des gemäß § 166 VwGO, 121 Abs. 1 ZPO beigeordneten Rechtsanwalts abzuändern (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 4. März 1991 - 2 WF 34/91 -, JurBüro 1991, 1650, m.w.N.).

Das gemäß § 128 Abs. 3 BRAGO nicht an die Einhaltung einer Frist gebundene Recht der Bezirksrevisorin, für die Staatskasse Erinnerung einzulegen, war im vorliegenden Fall auch nicht verwirkt. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass die unbefristet zulässige Erinnerung nach § 128 Abs. 3 BRAGO in entsprechender Anwendung des § 7 GKG der Verwirkung unterläge (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 4. März 1991, a.a.O., m.w.N.), wäre vorliegend eine Verwirkung nicht eingetreten. Nach § 7 GKG dürfen (Gerichts-)Kosten wegen irrigen Ansatzes nur nachgefordert werden, wenn der berichtigte Ansatz dem Zahlungspflichtigen vor Ablauf des nächsten Kalenderjahres mitgeteilt worden ist, nach dem die Entscheidung Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat. Das Berufungsurteil vom 18. März 1998 wurde den Beteiligten am 23. März 1998 zugestellt, so dass die Entscheidung seit dem 24. April 1998 rechtskräftig ist. Die Bezirksrevisorin bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof hat ihre Erinnerung mit Schriftsatz vom 10. November 1998, eingegangen am 17. November 1998, noch im selben Jahr eingelegt.

Die vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle mit Entscheidung vom 19. November 1998 geänderte Festsetzung der dem Bevollmächtigten der Kläger zu erstattenden Gebühren ist auch inhaltlich zutreffend.

Das Verfahren über die Zulassung der Berufung gehört - auch in Asylstreitverfahren - gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 BRAGO zum Berufungsrechtszug. Die Regelung des § 78 Abs. 6 Asylverfahrensgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juli 1993 (BGBl. I S. 1361), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. März 1996 (BGBl. I S. 550) - AsylVfG a. F. -, nach der in Asylstreitverfahren der Antrag auf Zulassung der Berufung für die Gebühren nach der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte der Nichtzulassungsbeschwerde gleichstand, ist mit Wirkung vom 1. Januar 1997 durch Art. 3 des Sechsten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 1. November 1996 (BGBl. I S. 6026) mit Wirkung vom 1. Januar 1997 außer Kraft getreten. Damit findet seit dem 1. Januar 1997 die Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 1 BRAGO auf den Zulassungsantrag nach § 78 Abs. 4 AsylVfG keine Anwendung mehr, wonach das Verfahren über das zugelassene Rechtsmittel ein neuer Rechtszug ist, wenn das Rechtsmittel in Verfahren über die Beschwerde gegen seine Nichtzulassung zugelassen wird.

Daraus ergibt sich nunmehr, dass einerseits bereits im Berufungszulassungsverfahren gemäß § 114 Abs. 1 BRAGO in Verbindung mit §§ 31 Abs. 1, 11 Abs. 1 Satz 4 und 6 BRAGO die erhöhte 13/10-Prozessgebühr in vollem Umfang entsteht. Andererseits hat die seit dem 1. Januar 1997 auf den Antrag auf Zulassung der Berufung in Asylstreitigkeiten anwendbare Vorschrift des § 14 Abs. 2 Satz 2 BRAGO jedoch zur Folge, dass die bereits im Berufungszulassungsverfahren angefallene 13/10-Prozessgebühr im Berufungsverfahren nicht noch einmal anfällt. Da das Zulassungsverfahren und das Berufungsverfahren zu einem Rechtszug gehören, kann der Rechtsanwalt gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 BRAGO die Gebühr nur einmal fordern (so auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 7. März 1997 - A 16 S 3449/96 -, VGHBW RSpDienst 1997, Beilage 5, B 5; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 14. Juli 1998 - 2 L 1985/97 u. a. -; Thüringisches OVG, Beschluss vom 27. November 1997, 3 KO 180/97 -, AuAS 1998, 107).

In diesem Sinne bringt nunmehr auch die Vorschrift des § 114 Abs. 4 BRAGO in der Fassung des Justizmitteilungsgesetzes und des Gesetzes zur Änderung kostenrechtlicher Vorschriften und anderer Gesetze vom 18. Juni 1997 (BGBl. I S. 1430) zum Ausdruck, dass der Rechtsanwalt für seine Tätigkeit im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels die für das Verfahren über das zuzulassende Rechtsmittel bestimmten Gebühren erhält. In der Gesetzesbegründung wird zur Erläuterung dieser Bestimmung ebenfalls ausgeführt, dass aus der Bestimmung des § 14 Abs. 2 Satz 2 BRAGO folge, dass der Rechtsanwalt in der Regel die volle Prozessgebühr bereits für den Zulassungsantrag verdiene, bei Durchführung des Rechtsmittelverfahrens die Prozessgebühr jedoch nicht erneut entstehe (vgl. BT-Drucks. 13/7489, zu Art. 27 a Nr. 3 (§ 114 BRAGO)).

Entgegen der Auffassung des 12. Senats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschluss vom 8. August 1997 - 12 UZ 4496/96.A -, EZAR 613 Nr. 33) geht der Senat nicht davon aus, dass die Streichung des § 78 Abs. 6 AsylVfG a. F. nicht dazu geführt habe, dass das Antragsverfahren auf Zulassung der Berufung und das sich anschließende Berufungsverfahren einen einheitlichen Rechtszug im Sinne des § 14 Abs. 2 Satz 2 BRAGO darstellen. Dies kann insbesondere nicht daraus geschlossen werden, dass der Gesetzgeber ausweislich der entsprechenden Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 13/3993, S. 14) die Bestimmung des § 78 Abs. 6 AsylVfG a. F. für entbehrlich erachtet hat. Da die Streichung der vorgenannten asylverfahrensrechtlichen Bestimmung im Zusammenhang mit der durch das Sechste Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 1. November 1996 (BGBl. I S. 26) erfolgten Einführung der Zulassungsberufung auch in nicht dem Asylverfahrensgesetz unterliegenden Verwaltungsstreitverfahren erfolgte, erachtete der Gesetzgeber die Bestimmung des § 78 Abs. 6 AsylVfG offensichtlich deshalb für "entbehrlich", weil er den Zulassungsantrag nach § 78 Abs. 4 AsylVfG gebührenmäßig dem Zulassungsantrag nach § 124 a Abs. 1 VwGO angleichen wollte.

Schließlich kann der hier vertretenen Auffassung auch nicht die bisherige Praxis des Senats entgegengehalten werden, Prozesskostenhilfe gesondert sowohl für das Berufungszulassungsverfahren als auch für das Berufungsverfahren zu bewilligen. An dieser Praxis, die noch auf der vor dem 1. Januar 1997 gültigen Rechtslage beruht, hält der Senat angesichts der Tatsache, dass das Antragsverfahren auf Zulassung der Berufung gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 BRAGO nunmehr zum Rechtszug der Berufung gehört und nach §§ 166 VwGO, 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO Prozesskostenhilfe grundsätzlich für den gesamten Rechtszug zu bewilligen ist, nicht mehr fest. In Zukunft wird der Senat Prozesskostenhilfe nur noch für das Berufungsverfahren einschließlich des Berufungszulassungsverfahrens bewilligen, mit der Folge, dass eine dem Prozesskostenhilfeantrag stattgebende Entscheidung - außer in den Fällen der §§ 166 VwGO, 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO - stets auch die Prüfung der Erfolgsaussicht des (gesamten) Berufungsverfahrens voraussetzt (vgl. insoweit auch OVG Thüringen, Beschluss vom 23. Januar 1998 - 3 ZKO 496/97 -, EZAR 613 Nr. 34).

Da mithin dem Bevollmächtigten der Kläger die Prozessgebühr zuzüglich der Kostenpauschale und der gesetzlichen Mehrwertsteuer für das Antragsverfahren auf Zulassung der Berufung und das Berufungsverfahren nur einmal zustand, hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die ursprüngliche Kostenfestsetzung zu Recht abgeändert, und die Erinnerung des Bevollmächtigten der Kläger ist zurückzuweisen.

Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 128 Abs. 5 BRAGO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 128 Abs. 4 Satz 2, 10 Abs. 3 Satz 2 BRAGO).






Hessischer VGH:
Beschluss v. 04.02.1999
Az: 9 S 4605/98.A


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