Oberlandesgericht Hamm:
Beschluss vom 13. April 2010
Aktenzeichen: 3 Ws 156/10
(OLG Hamm: Beschluss v. 13.04.2010, Az.: 3 Ws 156/10)
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 (1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08 und 1 BvR 586/08) steht einer Verwertung von aufgrund von §§ 100g StPO, 113a TKG erhobenen Telekommunikationsdaten nicht entgegen, wenn diese Daten vor Erlass der Hauptsacheentscheidung in Übereinstimmung mit den Vorgaben der einstweiligen Anordnungen vom 11. März 2008 und 28.10.2008 (jeweils 1 BvR 256/08) gewonnen worden sind.
Tenor
Die Haftbeschwerde wird auf Kosten des Angeklagten als
unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Der Angeklagte befindet sich im hiesigen Verfahren aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bielefeld vom 27.02.2009 (9 Gs 966/09) in Gestalt der abändernden Fassung des Haftbefehls des Landgerichts Bielefeld vom 08.07.2009 (2 Kls 16/09) seit dem 27.02.2009 in Untersuchungshaft. Diese war zunächst bis einschließlich 07.06.2009 aufgrund einer anderweitigen 6-monatigen Freiheitsstrafe, die der Angeklagte infolge einer Verurteilung wegen illegalen Aufenthalts im Bundesgebiet verbüßte, als Überhaft notiert.
Mit dem Haftbefehl - der der zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 25.05.2009 nach Maßgabe des Eröffnungsbeschlusses des Landgerichts Bielefeld vom 08.07.2010 entspricht - wird dem bereits mehrfach u. a. wegen Einbruchsdiebstahlstaten vorbestraften und strafhafterfahrenen Angeklagten schwerer Bandendiebstahl in zwei Fällen, in einem Fall als Versuch, vorgeworfen.
Der Angeklagte sowie 6 weitere Mitangeklagte sollen als Mitglieder einer europaweit agierenden Bande bzw. eines Netzwerks von Einbrechern kosovarischer Herkunft seit einigen Jahren fortlaufend in wechselnder Beteiligung und arbeitsteiligem Zusammenwirken im gesamten Bundesgebiet sowie im angrenzenden europäischen Ausland Einbruchsdiebstähle begangen haben, um dauerhaft den eigenen sowie den Lebensunterhalt ihrer teilweise im Kosovo verbliebenen Familien zu bestreiten. Als bevorzugte Tatobjekte sollen Geschäftsgebäude im Hinblick auf dort vorhandene Tresore mit erheblichem Bargeldbestand und ausgewählte Wohnstätten mit hoher Beuteerwartung ins Auge gefasst worden sein.
Im Einzelnen soll der Angeklagte am 20./21.08.2008 als Mitglied einer Bande in arbeitsteiligem Zusammenwirken mit weiteren Mittätern versucht haben, im Einbruchswege aus einer in X gelegenen Postfiliale einen Tresor mit einem Bargeldbestand in Höhe von 52.000,00 € zu entwenden, wobei die Verladung des außerhalb des Gebäudes verbrachten Tresors auf ein zuvor entwendetes und bereitgestelltes Transportfahrzeug fehlgeschlagen war. Darüber hinaus soll er mit weiteren Mitangeklagten am 31.08.2008 in bandenmäßiger Vorgehensweise gewaltsam mittels mitgeführter Hebelwerkzeuge in die Wohnung der geschädigten Eheleute T2 eingedrungen sein und nach Aufbrechens eines verschlossenen Sideboards einen dort befindlichen Bargeldbetrag in Höhe von 30.000,00 bis 40.000,00 € sowie Schmuck im geschätzten Wert von 30.000,00 € entwendet haben.
Wegen der weiteren Einzelheiten der dem Angeklagten zur Last gelegten Taten wird auf den Haftbefehl des Landgerichts Bielefeld vom 08.07.2009 sowie die sich zu diesen Taten verhaltene Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 25.05.2009 Bezug genommen.
Zum Gang der Ermittlungen lässt sich festhalten, dass die Ermittlungsbehörden aufgrund des modus operandi bei der Tat vom 20./21.08.2008 von einem bandenmäßigen Vorgehen ausgingen. Da die Täter unbekannt waren, erließ das Amtsgericht zur weiteren Erkenntnisgewinnung am 04.09.2008 (9 Gs 4545/08) auf Antrag der Ermittler einen Beschluss, wonach im Einzelnen benannte Mobilfunkbetreiber gem. § 100g StPO verpflichtet wurden, der Polizei Auskunft zu erteilen, welche Mobiltelefone in einem eingegrenzten Tatzeitraum in der entsprechenden Funkzelle eingeloggt waren bzw. dort telefoniert haben.
Der Beschluss enthielt den ausdrücklichen Hinweis, dass die Maßnahme nicht auf
§ 100a Abs. 2 StPO gestützt werden könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf diesen sowie die nachfolgend genannten Beschlüsse Bezug genommen.
Aufgrund dieses sowie weiterer Beschlüsse vom 27.09.2008 (9 Gs 4907/08), 06.11.2008 (9 Gs 5655/08) und 17.11.2008 (9 Gs 5860/08), mit denen das Amtsgericht Bielefeld gem. §§ 100a, 100g StPO nunmehr unter Zugrundelegung einer bandenmäßigen Vorgehensweise u.a. die Ermittlung und Herausgabe der retrograden Verkehrsgeodaten sowie die Überwachung und Aufzeichnung des Fernmeldeverkehrs betreffend bestimmter Anschlüsse anordnete, ließen sich dem Angeklagten hinsichtlich beider angeklagten Taten die zur Tatzeit am Tatort ermittelte Ruf.-Nr. ...... sowie die IMEI-Nr. ......1 zuordnen.
Am 06.12.2008 wurde der Angeklagte festgenommen.
Am 17.07.2009 hat die Hauptverhandlung begonnen.
Bereits im August 2009 haben die Verteidiger des Angeklagten der Verwertung sämtlicher Ergebnisse aus der durchgeführten Mobilfunk- und Telekommunikationsüberwachung, insbesondere der Erkenntnisse aus der Funkzellenüberwachung, widersprochen. Diese Beanstandungen hat die Kammer mit Beschluss vom 21.08.2009 - auf den Bezug genommen wird - zurückgewiesen und die angegriffenen ermittlungsrichterlichen Beschlüsse in der Zeit vom 04.09.2008 - 17.11.2008 für rechtmäßig befunden .
Unter dem 03.03.2010 haben die Verteidiger der Verwertung der im Verfahren erhobenen und zum Teil bereits in die Hauptverhandlung eingeführten Telekommunikationsdaten erneut widersprochen sowie die sofortige Aufhebung des Haftbefehls beantragt.
Zur Begründung haben sie angeführt, der hinreichende Tatverdacht gegen den Angeklagten ergebe sich ausschließlich aus Telefonüberwachungsmaßnahmen, retrograden Funkzellenauswertungen sowie der Erhebung retrograder Handydaten. Sämtliche Daten seien jedoch im Hinblick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 02.03.2010 (1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08 und 1 BvR 586/08) ohne ausreichende Ermächtigungsgrundlage gewonnen, da das Bundesverfassungsgericht die zugrundeliegenden gesetzlichen Vorschriften der §§ 113a, 113b TKG i. V. m. dem insoweit heranzuziehenden § 100g StPO für nichtig erklärt habe.
Mit Beschluss vom 03.03.2010 hat das Landgericht den Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten, der das Landgericht mit Beschluss vom 16.03.2010 nicht abgeholfen hat.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Haftbeschwerde zu verwerfen.
Der Senat hat unter dem 29.03.2010 bei der Strafkammer u.a. den Stand des Verfahrens sowie der Beweisaufnahme hinsichtlich der bisherigen Einführung der Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung angefragt. Wegen der Beantwortung der Anfrage wird auf den Inhalt der der Verteidigung sowie der Generalstaatsanwaltschaft übermittelten Verfügung der Strafkammer vom 31.03.2010 Bezug genommen.
II.
Die Haftbeschwerde ist unbegründet.
A.
Der Angeklagte ist beider ihm zur Last gelegten Taten nach §§ 242, 243 Abs. 1 Nr. 1, 2 u. 3, 244 Abs. 1 Nr. 2 u. 3, 244 a Abs. 1 Nr. 2, 22, 23, 25 Abs. 2, 53 StGB weiterhin dringend verdächtig.
1.
Der Durchführung des Haftbeschwerdeverfahrens steht nicht entgegen, dass der den ursprünglichen amtsgerichtlichen Haftbefehl um eine Tat beschränkende Haftbefehl des Landgerichts vom 08.07.2009 dem Angeklagten nicht gesondert verkündet worden ist.
Die Bekanntmachung bzw. Verkündung des Haftbefehls und die Vernehmung durch den zuständigen Richter sind in §§ 114a, 115 StPO geregelt. Wenngleich die Vorschrift des § 115 StPO ihrem Wortlaut nach nur auf den gerade erst ergriffenen und nicht auf den schon in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten anwendbar ist, besteht weitgehend Einigkeit, dass § 115 StPO auf den erweiterten bzw. abgeänderten Haftbefehl entsprechend Anwendung findet ( BVerfG, NStZ 2002, S. 157; Senatsbeschl. v. 05.02.2009 - 3 Ws 39/09; Thüringer Oberlandesgericht, Beschl. v. 27.06.2008 - 1 Ws 240/08; OLG Braunschweig, Beschl. v. 23.01.2007 - HEs 9 - 11/06; OLG Stuttgart, NStZ 2006, S. 588; OLG Hamburg, NStZ-RR 2003, S. 346; OLG Hamm, NStZ-RR 1998, S. 277). Bei dem erweiterten Haftbefehl handelt es sich in der Sache - jedenfalls im Umfang der Erweiterung - um einen neuen Haftbefehl, zu dem sich der Beschuldigte gegenüber dem für die Vernehmung nach § 115 StPO zuständigen Richter äußern können muss (BVerfG, NStZ 2002, S. 157). Gleiches gilt im Falle einer nicht unerheblichen beschränkenden Abänderung, denn diese kann u.U. wesentliche Auswirkungen auf den Fortbestand des Haftgrundes haben. Erst wenn der Beschuldigte oder Angeklagte Gelegenheit erhält, mündlich die Verdachts- oder Haftgründe, auf die sich ein bestehender Haftbefehl stützt, zu entkräften, ist dem durch § 115 Abs. 2 und 3 StPO verfolgten Zweck Genüge geleistet.
Diese Voraussetzungen liegen vor.
Die abändernde Haftentscheidung ist dem Angeklagten hier als Bestandteil des Eröffnungsbeschlusses vom 08.07.2009 übermittelt worden. Die Strafkammer hat dem Senat auf Anfrage mitgeteilt, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung am 17.07.2009, also noch zeitnah, Gelegenheit hatte, sich zu dem den amtsgerichtlichen Haftbefehl abändernden Haftbefehl der Kammer zu äußern, hierzu jedoch nicht bereit gewesen sei.
2.
Der Angeklagte ist der ihm zur Last gelegten Taten dringend verdächtig aufgrund der aus den Haftentscheidungen und der Anklageschrift hervorgehenden und zum Teil mittlerweile in die Hauptverhandlung eingeführten Beweismittel.
Dringender Tatverdacht im Sinne des § 112 StPO besteht dann, wenn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis in seiner Gesamtheit die große Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein Angeklagter Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist (Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl. 2008, § 112 Rdn. 3; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 112 Rdn. 5). Während laufender Hauptverhandlung ist allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht. Das Beschwerdegericht hat dagegen keine unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme, so dass der Prüfungsumfang deshalb erheblich eingeschränkt ist (BGH, NStZ-RR 2003, S. 368; Senat, NStZ 2008, S. 649).
Ausweislich der dem Senat vorliegenden Sitzungsprotokolle hat sich der Angeklagte bislang in laufender Hauptverhandlung nicht zur Sache eingelassen. Als maßgebliche Beweismittel kommen daher im wesentlichen die Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung in Betracht.
In der Hauptverhandlung sind bislang die mit den Ermittlungen befassten Polizeibeamten hinsichtlich des Ermittlungsverlaufs und der aus der Telekommunikationsüberwachung insgesamt gewonnenen Erkenntnisse vernommen, sowie die in der Zeit vom 04.09. - 17.11.2008 ergangenen ermittlungsrichterlichen Beschlüsse verlesen worden.
3.
In beiden dem Angeklagten zur Last gelegten Fällen steht dem dringenden Tatverdacht in Anbetracht der Erkenntnisgewinnung aus übermittelten Verkehrs- und Telekommunikationsdaten kein Beweisverwertungsverbot entgegen (vgl. zur Bedeutsamkeit von Beweisverwertungsverboten bei der Prüfung des dringenden Tatverdachts auch BGH, Beschl. v. 04.04.1990, 4 BJs 136/89 - 3 StB 5/90).
4.
Ein Beweisgewinnungs- oder Beweisverwertungsverbot folgt nicht daraus, dass das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 2. März 2010 (1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08) die Nichtigkeit der hier als Ermächtigungsgrundlage dienenden Vorschriften der §§ 113a, 113b TKG sowie, soweit danach Verkehrsdaten nach § 113a TKG erhoben werden dürfen, der Vorschrift des § 100g StPO festgestellt hat.
Mit der Nichtigkeitsfeststellung durch das Bundesverfassungsgericht steht fest, dass eine Norm gegen die Verfassung verstößt und damit ex tunc, genauer: mit Eintritt der Kollisionslage, nichtig ist (vgl. Heusch, in: Umbach/Clemens/Dollinger (Hrsg.), BVerfGG, 2. Aufl. 2005, § 31 Rdn. 80). Ist die Nichtigkeit einer Norm gesetzeskräftig festgestellt, ist damit die Rechtslage für die Zukunft geklärt.
Problematisch erweist sich, welche Folgerungen hieraus für die Vergangenheit gezogen werden sollen (Heusch, in: Umbach/Clemens/Dollinger, a.a.O., § 31 Rdn. 80).
Im vorliegenden Fall war zu berücksichtigen, dass das Bundesverfassungsgericht mit Beschlüssen vom 11.03.2008 und 28.10.2008 (jeweils 1 BvR 256/08) auf der Grundlage von § 32 BVerfGG einstweilige Anordnungen erlassen hat, mit denen Regelungen zur Vorgehensweise beim Datenabruf für den hier zur Überprüfung stehenden Zeitraum bis zur Entscheidung in der Hauptsache getroffen worden sind.
Im Tenor und in den Gründen des Urteils vom 02.03.2010 führt das Bundesverfassungsgerichts zwar aus, dass die aufgrund der einstweiligen Anordnungen vom 11.03.2008 (1 BvR 256/08), 28.10.2008 und 15.10.2009 von Anbietern öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste im Rahmen von behördlichen Auskunftsersuchen erhobenen, aber einstweilen nicht nach § 113 b S. 1 Hs. 1 des Telekommunikationsgesetzes an die ersuchenden Behörden übermittelten, sondern gespeicherten Telekommunikationsverkehrsdaten unverzüglich zu löschen sind und nicht mehr an die ersuchenden Stellen übermittelt werden dürfen.
Dem Urteil ist hingegen nicht zu entnehmen, wie hinsichtlich bereits abgerufener Daten zu verfahren ist, die auf der Grundlage der erlassenen einstweiligen Anordnungen ermittelt worden sind, und auch die einstweiligen Anordnungen verhalten sich zu dieser Frage nicht.
Nach Auffassung des Senats sind die den Angeklagten betreffenden hier abgerufenen und verwendeten Telekommunikationsverkehrsdaten rechtmäßig, d.h. in Übereinstimmung mit den Vorgaben der einstweiligen Anordnungen des Bundesverfassungsgerichts gewonnen worden und weiterhin verwertbar.
5.
Die hier im Streit befindlichen Daten sind rechtmäßig gewonnen.
Die Voraussetzungen für den Datenabruf gem. § 100g StPO i.V.m. § 113a TKG unter Berücksichtigung der Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 11.03.2008, 01.09.2008 und 28.10.2008 (sämtlich 1 BvR 256/08) lagen im Zeitpunkt des Erlasses der Beschlüsse vom 04.09.2008 - 17.11.2008 jeweils vor.
Bei den aufgrund der Beschlüsse übermittelten Daten handelt es sich um Verkehrsdaten i.S. des § 100g Abs. 1 S. 1 StPO, die nach § 113a TKG gespeichert wurden. Entsprechend den einstweiligen Anordnungen des Bundesverfassungsgerichts durften diese dann an die ersuchende Behörde übermittelt werden, wenn Gegenstand des Ermittlungsverfahrens gemäß der Anordnung des Abrufs eine Katalogtat im Sinne des § 100a Abs. 2 StPO gewesen ist und die Voraussetzungen des § 100a Abs. 1 StPO vorgelegen haben.
So verhält es sich hier.
Zwar ist der amtsgerichtliche Beschluss vom 04.09.2008 mit dem Hinweis versehen, dass die Maßnahme nicht auf § 100a Abs. 2 StPO gestützt werden könne, und in den ermittlungsrichterlichen Entscheidungen vom 06. und 17.11.2008 fehlen ausdrückliche Ausführungen dazu, dass gem. § 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO die Tat auch im Einzelfall schwer wiegt.
Dies ist indes unschädlich, da diese Voraussetzungen im Zeitpunkt der Entscheidungen bei objektiver Betrachtung tatsächlich vorgelegen haben und die Datenübermittlungen danach gerechtfertigt waren.
Der Ermittlungsrichter hat bei der Prüfung und Anordnung einer Überwachungsmaßnahme nach § 100a StPO im Hinblick auf den Tatverdacht und den Subsidiaritätsgrundsatz einen Beurteilungsspielraum. Dies führt dazu, dass sowohl für das Tatgericht als auch das Rechtsmittelgericht die ermittlungsrichterliche
Beurteilung nur begrenzt überprüfbar ist (vgl. BGH, Beschl. v. 18.03.1998
- 5 StR 693/97; Urteil v. 16.02.1995 - 4 StR 729/94). Unter bestimmten Umständen hat der Tatrichter die Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus einer Maßnahme nach
§ 100a StPO jedoch von Amts wegen zu prüfen, d.h. insbesondere auch zu untersuchen, ob die dem Ermittlungsrichter unterbreitete Verdachts- und Beweislage die Anordnung der Maßnahme vertretbar erscheinen ließ (vgl. BGH, NStZ 2003, S. 215).
Ein derartiger Fall liegt vor, wenn es an einer ausreichenden Begründung der Entscheidung fehlt oder die Rechtmäßigkeit der Maßnahme konkret in Zweifel gezogen wird. Dann hat der erkennende Richter die Verdachts- und Beweislage, die im Zeitpunkt der Anordnung gegeben war, anhand der Akten zu rekonstruieren und auf dieser Grundlage die Verwertbarkeit zu untersuchen (BGH, NStZ 2003, S. 215).
Der Senat teilt die Einschätzung der Strafkammer im Beschluss vom 21.08.2009, wonach die ermittlungsrichterliche Würdigung und Begründung der anlassgebenden Straftat im Beschluss vom 04.09.2008 unzureichend und damit einer Überprüfung im Zeitpunkt der Anordnung zugänglich ist. Danach ergibt sich in Übereinstimmung mit dem vorausgegangenen Antrag der Ermittlungsbehörden, dass die Art der Tatbegehung, die Bereitstellung der Tatmittel u.a. in Form des zuvor entwendeten Bullis, die Aushebelung des großformatigen und schweren Tresors, dessen Transport aus den Räumlichkeiten heraus sowie das Fehlen verwertbarer Tatspuren trotz erheblich raumgreifenden Wirkens eine geplante, professionellorganisierte und damit bandenmäßige Tatbegehung nahe legen.
Die Annahme einer Katalogtat nach § 100a Abs. 2 Nr. 1 j) StPO war danach entgegen der ermittlungsrichterlichen Einschätzung im Zeitpunkt der Anordnung gerechtfertigt.
Aus den gleichen Gründen ist das Fehlen näherer Ausführungen zum Schwerwiegen der Tat im Einzelfall in den Beschlüssen vom 05. und 17.11.2008 unschädlich, denn im Zuge der zu diesen Zeitpunkten schon fortgeschritteneren Ermittlungen hatte sich der Verdacht der genannten Katalogtat als einer Straftat von beträchtlichem Gewicht mit erheblicher Rechtsgutsverletzung im Einzelfall noch zusätzlich verstärkt.
6.
Die so als Beweismittel ordnungsgemäß gewonnen Daten können auch verwertet werden.
Dies gilt trotz der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Hauptsache, denn die legitimierende Wirkung der einstweiligen Anordnungen hinsichtlich der Beweisgewinnung setzt sich bei der Beurteilung der Verwertung der Daten fort.
a)
Grundsätzlich ist problematisch, wie die materielle Rechtslage während der Wirksamkeit einer einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts nach Beendigung des Verfahrens zur Hauptsache zu beurteilen ist, denn berührt ist hierbei die Frage, ob die einstweilige Anordnung eine selbständige Legitimierungsfunktion in sich trägt (vgl. Berkemann, in: Umbach/Clemens/Dollinger, a.a.O., § 32 Rdn. 369, 370).
Im Grundsatz gilt bei Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG, dass
der konkrete Anordnungsinhalt nicht weiter gehen darf, als dies zur Verhinderung schwerer Nachteile zugunsten des allgemeinen Wohls dringend geboten erscheint (Grundsatz des Interventionsminimums), wobei die Auswahl der Maßnahmen im pflichtgemäßen Ermessen des Bundesverfassungsgerichts steht und hierbei im wesentlichen die allgemeinen Grundsätze der Effektivität und Verhältnismäßigkeit gelten (Berkemann, in: Umbach/Clemens/Dollinger, a.a.O., § 32 Rdn. 327). Nach eigener Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, bei Prüfung der Voraussetzungen des § 32 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen. Dies gilt insbesondere, wenn mit der einstweiligen Anordnung ein Gesetz außer Vollzug gesetzt werden soll. Das Bundesverfassungsgericht muss die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht ergeht, die angegriffene Regelung in dem Hauptsacheverfahren sich jedoch später als verfassungswidrig erwiese, gegen die Nachteile abwägen, die entstehen würden, wenn diese Regelung vorläufig außer Anwendung gesetzt würde, sie aber später als verfassungsgemäß erkannt würde (BVerfG, NJW 1990, S. 3005; BVerfG, NJW 1989, S. 3147).
Diese Abwägung hat das Bundesverfassungsgericht in den hier maßgeblichen einstweiligen Anordnungen (vgl. Beschl. v. 12.03.2008, Ziffern 152 ff., Beschl. v. 28.10.2008, Ziffern 107 ff.) dahingehend vorgenommen, dass einer Datenübermittlung unter engen Abruf-Voraussetzungen der Vorrang eingeräumt worden ist.
Soll die Bedeutung des einstweiligen Rechtsschutzes nicht - nachträglich - leerlaufen, muss die einstweilige Anordnung angesichts der ihr immanenten Sicherungs- und Befriedungsfunktion und ihres hieran orientierten Sinns und Zwecks im Verfassungsprozess für die Zeit ihrer Geltung die Rechtslage endgültig regeln können (vgl. Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, Stand Mai 2009, § 32 Rdn. 8). Jede andere Betrachtung wäre unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit, der bei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in besonderem Maße gilt, nicht vertretbar.
In der Folge bedeutet dies, dass Rechtsakte, die auf der Grundlage und während der Geltung einer vom Bundesverfassungsgericht erlassenen einstweiligen Anordnung durchgeführt wurden, ungeachtet des Inhalts der späteren Hauptsacheentscheidung grundsätzlich rechtlichen Bestand haben (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 28.08.2003 - 2 BvR 1012/01; BVerfG, NJW 1990, S. 3005; BVerfG, NJW 1989, S. 3147; Graßhof, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, a.a.O., § 32 Rdn. 175; Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 2. Aufl. 2001, Rdn. 1229).
b)
Dieser Bestand wirkt auch bei der Verwendung der Daten im laufenden Strafprozess fort, denn anderenfalls entzöge man rechtmäßig gewonnen Erkenntnissen nachträglich den Boden.
Hierbei ist auch in den Blick zu nehmen, dass es sich bei den hier für nichtig erklärten Normen um Verfahrensvorschriften handelt. Diese sind zwar bedeutsam, haben aber in der Gesamtbetrachtung eines Strafprozesses nicht den Stellenwert einer materiellen Strafrechtsnorm. Zu belegen ist dies beispielsweise unter Heranziehung der in der Vorschrift des § 79 BVerfGG zum Ausdruck kommenden Wertentscheidung. In § 79 Abs. 1 BVerfGG ist u.a. die Zulässigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens nach den Vorschriften der Strafprozessordnung gegen ein rechtskräftiges Strafurteil geregelt, das auf einer nach § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm beruht. Einigkeit besteht dabei dahingehend, dass es sich hierbei um eine Norm des materiellen Strafrechts handeln muss und eine Wiederaufnahme nicht statthaft ist, wenn die Norm dem Gerichtsverfassungsgesetz oder dem Verfahrensrecht angehört (Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, a.a.O. § 79 Rdn. 36). Anhand dieser Differenzierung wird deutlich, dass der eventuelle Fortbestand einer aufgrund Nichtigkeitsfeststellung verfahrensfehlerhaft gewordenen Rechtslage anders als bei materiellen Strafrechtsnormen grundsätzlich in Kauf genommen wird. Dieses Verständnis wiederum steht in Einklang mit der geltenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur strafprozessualen Beweisgewinnung. Hierzu führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass jedes Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot die Beweismöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden zur Erhärtung oder Widerlegung des Verdachts strafbarer Handlungen einschränkt und so die Findung einer materiell richtigen und gerechten Entscheidung beeinträchtigt, so dass von Verfassungs wegen ein Beweisverwertungsverbot mithin eine begründungsbedürftige Ausnahme darstellt (BVerfG, NJW 2010, S. 287 m.w.N.). Dementsprechend gilt auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Frage, ob ein Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen beantwortet werden muss (BVerfG, NJW 2008, S. 3053).
Gemessen an diesen Maßstäben ist die Frage der Verwertung hier zweifelsfrei positiv zu beantworten, denn aus den vorgenannten Gründen liegt zum einen keine rechtwidrige und überhaupt erst Anlass für ein Verwertungsverbot gebende Beweiserhebung vor und zum anderen sind die hier widerstreitenden Interessen bereits umfassend in den Abwägungen der einstweiligen Anordnungen berücksichtigt und einem eindeutigen Ergebnis zugeführt worden.
B.
Gegen den Angeklagten besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gem. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO fort.
Dieser Haftgrund ist gegeben, wenn es bei Würdigung der Umstände des Falles wahrscheinlicher ist, dass sich der Angeklagte dem Strafverfahren entzieht, als dass er sich ihm zur Verfügung halten wird (OLG Hamm, Beschl. v. 14.01.2010
- 2 Ws 347/09; Beschl. v. 30.04.2008 - 2 Ws 121/08; Beschl. v. 28.02.2008
- 2 Ws 48/08; Meyer-Goßner, a.a.O., § 112 Rdn. 17). Dabei vermag allein die hohe Straferwartung die Fluchtgefahr i.S.v. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO nicht zu begründen. Vielmehr müssen bestimmte Tatsachen vorliegen, die den Schluss rechtfertigen, der Angeklagte werde dem in der hohen Straferwartung liegenden Fluchtanreiz nachgeben, wobei die Beurteilung dieser Frage unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu erfolgen hat.
Aus dem dem Senat in Ablichtung vorliegenden Protokollband geht hervor, dass dem Angeklagten in der Sitzung am 19.08.2009 im Zuge verfahrensrechtlicher Erörterung auch im Falle eines Geständnisses keine Strafe im bewährungsfähigen Bereich in Aussicht gestellt worden ist. Der hierin begründet liegende Fluchtanreiz wird dadurch verstärkt, dass der Angeklagte über keinerlei Aufenthaltsberechtigung in der Bundesrepublik und entsprechend über keinen Wohnsitz verfügt. Tragfähige soziale Bindungen sind hier ebenfalls nicht vorhanden. Kontakte hat der Angeklagte nach den aus den Akten hervorgehenden Erkenntnissen bislang im wesentlichen zu den Mitangeklagten unterhalten, wohingegen seine Kinder, seine Partnerin und der Großteil seiner übrigen Familie im Kosovo leben.
Umstände, die die danach erhebliche Fluchtgefahr maßgeblich begrenzen, lassen sich demgegenüber nicht festhalten.
C.
Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft ist auch nicht unverhältnismäßig i.S. d.
§ 112 Abs. 1 S. 2 StPO. Mildere, ebenso geeignete Mittel sind nicht erkennbar; eine Aussetzung des Vollzugs kommt gleichfalls nicht in Betracht.
Schließlich begegnen die Dauer und der weitere Vollzug der Untersuchungshaft auch unter Beschleunigungsgesichtspunkten keinen durchgreifenden Bedenken.
Die Strafkammer hat das Verfahren mit bislang 24 Hauptverhandlungstagen - noch - ausreichend gefördert, wobei der Senat hierbei der Anzahl der Angeklagten und dem Umstand, dass das Verfahren mittlerweile gegen 4 von ehemals 9 Angeklagten abgeschlossen ist, Rechnung getragen hat.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
OLG Hamm:
Beschluss v. 13.04.2010
Az: 3 Ws 156/10
Link zum Urteil:
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