Verwaltungsgericht Berlin:
Urteil vom 23. März 2012
Aktenzeichen: 15 K 279.11

(VG Berlin: Urteil v. 23.03.2012, Az.: 15 K 279.11)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des beizutreibenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger reiste nach eigenen Angaben im Februar 2008 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte einen Asylantrag, der mit bestandskräftigem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. März 2008 als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. In der Folgezeit wurde der Kläger wegen Passlosigkeit geduldet. Einen vom Kläger am 13. Mai 2008 ausgefüllten Passantrag ließ der Beklagte nach Vietnam mit dem Ziel übermitteln, gemäß dem deutsch-vietnamesischen Rückübernahmeabkommen die Ausstellung eines Reisedokumentes zu erreichen. Die Identität des Klägers konnte nicht bestätigt werden.

Das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten forderte den Kläger mit Bescheid vom 18. August 2011 auf, bei der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen, Standort Braunschweig, Außenstelle Langenhagen zur Klärung seiner Identität und Erlangung eines Heimreisedokumentes vor den Vertreter seiner Heimatbehörden persönlich vorzusprechen und dort die geforderten und mit deutschem Recht in Einklang stehenden Erklärungen zur Beschaffung von Heimreisedokumenten abzugeben und die dafür erforderlichen Handlungen vorzunehmen. Als vorgesehener Termin wurde der 15. September 2011, 10 Uhr mitgeteilt. Zugleich wurde die sofortige Vollziehung des Bescheides angeordnet und für den Fall, dass der Anordnung nicht Folge geleistet werde, die zwangsweise Vorführung zu einem weiteren Termin angedroht.

Der Kläger erschien nicht zur Vorsprache und wurde auch nicht vorgeführt. Er hat am 9. September 2011 Klage erhoben. Er trägt vor, die Vorspracheanordnung sei rechtswidrig, weil bei der Anhörung die Anwesenheit eines deutschen Rechtsanwaltes nicht zugelassen werde. Er ist der Ansicht, bei der Anhörung handele es sich um ein deutsches Verwaltungsverfahren, da sie im Gebäude einer deutschen Behörde stattfinde, dort mit dem deutschen Recht in Einklag stehenden Erklärungen abgegeben werden sollten und während der Anhörung deutsche Bundespolizeibeamte anwesend seien, und die von der deutschen Ausländerbehörde geführte Ausländerakten vorgelegt würden. Außerdem mache schon die Androhung des Verwaltungszwanges das ganze Verfahren zum deutschen Verwaltungsverfahren. Er meint, die Anhörungen müssten in den Diensträumen der vietnamesischen Auslandsvertretung stattfinden, nur dann könnten sich die vietnamesischen Beamten auf die Wiener Übereinkunft berufen. Die Anwesenheit eines Rechtsbeistandes sei darüber hinaus erforderlich, da er nicht beurteilen könne, welche der geforderten Erklärungen mit deutschem Recht in Einklang stünden und die Anordnung in dieser Form zudem nicht hinreichend konkret sei. Schließlich könne er die Kosten der Fahrt zu dem über 200 Kilometer entfernten Vorspracheort nicht allein aufbringen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 18. August 2011 aufzuheben,

hilfsweise,

festzustellen, dass der Bescheid des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten vom 18. August 2011 rechtswidrig war.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte nimmt Bezug auf die vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zur Frage der Vorführung vor einer vietnamesischen Delegation ergangenen Entscheidungen und führt aus, die Durchführung der Anhörungen sei allein im Einflussbereich der vietnamesischen Delegation. Die Anhörungen fänden nur aus Praktikabilitätsgründen nicht in den Botschaftsräumlichkeiten statt. Die Anhörung werde außerdem nur dann durchgeführt, wenn das sog. €Listenverfahren€ zu keiner Bestätigung der Identität des Betroffenen geführt habe. Es bestehe ein großes öffentliches Interesse an der Rückführung sich illegal aufhaltender vietnamesischer Staatsangehöriger. Der Beklagte ist der Ansicht, dass der Ausschluss des Rechtsbeistandes von den Anhörungen zu keiner unzumutbaren Beeinträchtigung der Anzuhörenden führe, denn die permanente Anwesenheit eines Beamten der Bundespolizei gewährleiste, dass die Angehörten nicht unangemessen behandelt würden und dass nur Erklärungen und Handlungen von ihnen gefordert würden, die mit deutschem Recht in Einklang stünden. Der Beklagte bestreitet, dass die Ausländerakten der Angehörten der Delegation vorgelegt würden. Schließlich weist der Beklagte darauf hin, dass die Kosten der Anreise vom zuständigen Sozialträger getragen würden, hierüber würden die Betroffenen durch ein Informationsblatt in Kenntnis gesetzt.

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 27. Januar 2012 gem. § 6 Abs. 1 VwGO der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten (ein Heft) und die Gerichtsakte Bezug genommen. Ihr Inhalt ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Gründe

Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig. Obwohl der im angefochtenen Bescheid genannte Termin zur freiwilligen Vorsprache verstrichen ist, hat sich der Bescheid nicht erledigt, weil sich die Aufforderung zur Vorsprache nicht auf diesen Termin beschränkte und der Bescheid weiterhin Grundlage für Vollstreckungsmaßnahmen sein kann, wenn erneut eine vietnamesische Delegation zur Prüfung der Identität von mutmaßlich vietnamesischen Staatsangehörigen tätig wird.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Zu Recht hat der Beklagte dem Kläger gemäß §§ 82 Abs. 4, 49 Abs. 2 AufenthG aufgegeben, in der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen, Standort Braunschweig, Außenstelle Langenhagen zur Klärung seiner Identität und zur Erlangung seines Heimreisedokumentes persönlich zu erscheinen und gegenüber der dort tagenden vietnamesischen Delegation die geforderten und mit dem deutschen Recht in Einklang stehenden Erklärungen zur Beschaffung von Heimreisedokumenten abzugeben. Nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann angeordnet werden, dass ein Ausländer bei der zuständigen Behörde sowie den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des zuständigen Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlichen erscheint, soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach dem Aufenthaltsgesetz erforderlich ist. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor. Um die Durchsetzung der seit langem bestehenden vollziehbaren Ausreisepflicht des Klägers zu ermöglichen, ist eine Klärung seiner Identität erforderlich. Diese konnte in dem vom Beklagten eingeleiteten sogenannten Listenverfahren nach Art. 2 des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Republik Vietnam geschlossenen Rückübernahmeabkommens vom 21. Juli 1995 (BGBl. II S. 744) nicht erreicht werden. Zudem besitzt der Kläger weder ein vietnamesisches Reisedokument noch hat er i.S. des § 82 Abs. 1 AufenthG dargelegt, sich ernsthaft um die Ausstellung eines solchen bemüht zu haben. Es war deshalb erforderlich, mittels der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen die Teilnahme des Klägers an einer von der vietnamesischen Delegation durchgeführten Anhörung nach Art. 6 des Rückübernahmeabkommens zu sichern und damit die Feststellung seiner Staatsangehörigkeit zu ermöglichen.

Die Rechtmäßigkeit der Vorspracheanordnung wird auch nicht durch die fehlende Möglichkeit des Klägers berührt, während der Anhörung anwaltlichen Beistand in Anspruch zu nehmen. Denn die von der vietnamesischen Delegation durchgeführte Anhörung stellt kein deutsches Verwaltungsverfahren dar, so dass § 14 Abs. 1 und 4 VwVfG bzw. § 3 Abs. 3 BRAO mit der darin enthaltenen Gewähr, sich des Beistands eines Bevollmächtigten zu bedienen, nicht anwendbar sind. Das Gericht folgt der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, das in mehreren Entscheidungen die Rechtmäßigkeit von Anordnungen der Vorsprache vor der vietnamesischen Delegation bestätigt hat (s. bspw. die Beschlüsse des OVG Berlin-Brandenburg vom 15. Juni 2006, OVG 8 S 39.06; vom 20. Juli 2006, OVG 8 S 45.06 und OVG 8 S 46.06 und vom 23. August 2006, OVG 8 S 63.06 und siehe hierzu auch VG Berlin, Urteile vom 24. Januar 2007, VG 15 A 164.06 und vom 18. Dezember 2007, VG 15 A 166.06). Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat ausgeführt, die Anordnung des persönlichen Erscheinens eines Ausländers sei durch § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gedeckt und nicht deshalb rechtswidrig, weil jener sich ihr auf Wunsch der vietnamesischen Seite ohne Rechtsanwalt zu stellen habe. Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 20. Juli 2006, OVG 8 S 45.06) in einem vergleichbaren Fall Bezug genommen. Dort heißt es:

€Wie der Senat ... bereits entscheiden hat, unterfällt die hier in Rede stehende Anhörung vietnamesischer Staatsangehöriger durch Vertreter ihres Heimatstaates nicht dem deutschen Verwaltungsverfahrensgesetz mit der Folge, dass der die Vertretung durch Rechtsanwälte regelnde § 14 Abs. 1 und 4 VwVfG (i.V.m. § 1 VwVfGBln) auf die Anhörung keine Anwendung findet.

Dagegen spricht namentlich Art. 6 Abs. 1 des deutsch-vietnamesischen Rückübernahmeabkommens vom 21. Juli 1995 € BGBl. II 1995, S. 744 - (Abkommen). Danach dient die Anhörung der rückzuführenden Personen, deren vietnamesische Staatsangehörigkeit nicht durch die in Art. 5 Abs. 1 des Abkommens genannten Dokumente nachgewiesen oder durch die in Abs. 2 dieser Vorschrift aufgezählten Urkunden glaubhaft gemacht werden kann, der Feststellung der vietnamesischen Staatsangehörigkeit der betroffenen Person. Als Anhaltspunkte bei der Feststellung der Staatsangehörigkeit können Zeugenaussagen, eigene Angaben des Betroffenen und dessen Sprache in Betracht kommen (Art. 6 Abs. 3 Satz 1 des Abkommens). Aufgrund dieser Angaben werden die vietnamesischen Behörden das Vorliegen der vietnamesischen Staatsangehörigkeit überprüfen und den zuständigen Behörden das Ergebnis mitteilen (Art. 6 Abs. 3 Satz 2 des Abkommens). Es fehlt an jeglichen Anhaltspunkten dafür, dass die vietnamesischen Behörden bei der Feststellung der vietnamesischen Staatsangehörigkeit sich deutschen, ihnen unbekannten verfahrensrechtlichen Vorschriften unterwerfen wollten, auch wenn sie Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips sind.

Diese Wertung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die der Feststellung der vietnamesischen Staatsangehörigkeit dienende Anhörung aus organisatorischen Zweckmäßigkeitsgründen nicht in einer diplomatischen Vertretung, sondern hier in Räumen einer deutschen Behörde stattfindet. Auch in diesen Fällen handelt es sich, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Volker Beck und anderer ausgeführt hat (BT-Drs. 16/339 vom 4. Januar 2006, S. 4 unter Nr. 12) bei einer Anhörung zur Feststellung der vietnamesischen Staatsangehörigkeit um ein ausländisches Verwaltungsverfahren, das naturgemäß nicht deutschem Verwaltungsverfahrensrecht unterliegen kann. Die Anwesenheit eines Beamten der Bundespolizei, der einen Dolmetscher zu Rate ziehen kann, gewährleistet nach der bereits zitierten Antwort der Bundesregierung (BT-Drs., a.a.O., S. 3 unter Nr. 13), dass bei solchen Anhörungen die nach deutschem Recht gebotenen Mindeststandards eingehalten werden.€

Diese Ausführungen zeigen, dass das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entgegen der Auffassung des Klägervertreters in seiner Entscheidung nicht davon ausgegangen ist, dass bei der Anhörung keine Bundespolizeibeamten anwesend sind, sondern vielmehr deren Anwesenheit ausdrücklich erwähnt hat.

Der Kläger hat lediglich behauptet, dass die Ausländerakte den Delegationsmitgliedern vorgelegt werde, so dass diesem Einwand, dem der Beklagte entgegengetreten ist, nicht weiter nachzugehen war.

Die Anwendbarkeit des § 14 VwVfG oder des § 3 Abs. 3 BRAO kann auch nicht daraus abgeleitet werden, dass die Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid § 82 Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG und damit ein deutsches Gesetz ist. Denn diese Vorschrift begründet in dem hier interessierenden Zusammenhang lediglich die Befugnis der Ausländerbehörde, zur Vorbereitung und Durchführung ausländerrechtlicher Maßnahmen das persönliche Erscheinen eines Ausländers bei der Vertretung des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, anzuordnen und ggf. zwangsweise durchzusetzen. Zu dem anschließenden Verfahren vor der Vertretung verhält sich die Vorschrift nicht und überlagert deshalb auch nicht in rechtlich erheblicher Weise die Durchführung der von der vietnamesischen Seite durchgeführten Anhörung (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. August 2006, OVG 8 S 63.06, sowie VG Berlin, Urteil vom 18. Dezember 2007 - 15 A 166.06).

Die bei der Anhörung zu wahrenden Mindeststandards sind mit Blick auf die Regelung in Art. 1 Abs. 3 des Rückübernahmeabkommens zu bestimmen, wonach sich beide Parteien verpflichten, die Rückführung in geordneter Weise, unter Beachtung der Sicherheit und Menschenwürde der in Art. 1 Abs. 1 und 2 des Abkommens bezeichneten Personen durchzuführen. Dieser Mindeststandard wird durch die Anwesenheit eines deutschen Bundespolizeibeamten als Beobachter gewahrt und erfordert nicht zwingend die Zulassung der Teilnahme eines Rechtsanwalts bei der Anhörung. Den Angehörten steht es frei, sich vor der Anhörung von einem Anwalt beraten und ggf. sich vom Rechtsbeistand bis zum Anhörungsort begleiten zu lassen.

Soweit der Klägervertreter vorträgt, dass es sich bei der Anhörung dann nicht um ein deutsches Verwaltungsverfahren handeln würde, wenn sie in den Räumen der vietnamesischen Auslandsvertretung stattfinden würde, überzeugt dieses Argument schon deswegen nicht, weil der Klägervertreter sich damit in Widerspruch zu seinen eigenen Argumenten zur Notwendigkeit der anwaltlichen Vertretung während der Anhörung setzt. Denn die von ihm geltend gemachten Bedenken hinsichtlich des Inhalts und des Ablaufs der Anhörungen träfen auf eine in den Botschaftsräumlichkeiten durchgeführte Anhörung ebenfalls zu und die gesetzliche Regelung in § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG regelt die Erscheinenspflicht sowohl bei der Vertretung des Staates, dessen Staatsangehörigkeit der Ausländer vermutlich besitzt als auch bei den ermächtigten Bediensteten dieses Staates. Daher widerspräche ein unterschiedlicher Maßstab für den bei der Anhörung zu wahrenden Mindeststandard der Intention des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 194 zu § 82 AufenthG).

Entgegen der Auffassung des Klägervertreters ist die in dem angefochtenen Bescheid geregelte Verpflichtung, die dem Wortlaut des § 49 Abs. 2 AufenthG entspricht, hinreichend konkret. Die dem Kläger auferlegte Verpflichtung ist klar und nachvollziehbar bezeichnet. Der Bescheid regelt, wann, wo und zu welchem Zweck er persönlich erscheinen soll. Die geforderte Mitwirkung ist nachvollziehbar und ausreichend beschrieben. Er soll Erklärungen zur Beschaffung von Heimreisedokumenten abgeben, wie gesetzlich in § 49 Abs. 2 2. Halbsatz AufenthG vorgesehen ist. Der mögliche Inhalt eines Interviews kann und braucht nicht im Einzelnen vorher bestimmt werden. Die Selbstangaben, die vom Angehörten erwartet werden, sind als Anhang zum Durchführungsprotokoll zum Rückübernahmeabkommen (BGBl. II, 1995, S. 746, [748f.]) öffentlich zugänglich und müssen von allen sich in Deutschland illegal aufhaltenden vietnamesischen Staatsangehörigen im Zuge des sog. Listenverfahrens gemacht werden. Somit sind Art der Fragen, die für die Klärung der Identität in der Anhörung zu erwarten sind, den Betroffenen nicht gänzlich unbekannt. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auch auf die Notwendigkeit der anwaltlichen Vertretung hinweist, ist dem entgegenzuhalten, dass er eine anwaltliche Beratung im Vorfeld der Anhörung in Anspruch nehmen kann.

Die Kosten der Anreise werden vom zuständigen Sozialträger übernommen, so dass der Kläger sich ohne Erfolg darauf beruft, er könne die Anreise nicht selbst bezahlen.

Die in letzter Zeit ergangenen Entscheidungen von Verwaltungsgerichten, die die Rechtmäßigkeit der Vorspracheanordnungen verneint haben, beziehen sich auf Einzelfälle, die nicht mit der hier streitgegenständlichen Anordnung vergleichbar sind. So hat beispielsweise das Verwaltungsgericht Magdeburg Zweifel an der Ermächtigung der Mitarbeiter der Einwanderungsbehörde von Sierra Leone und hat auf die Hinweise darauf, dass Bedienstete afrikanischer Staaten gegen Bezahlung tätig würden und Gefälligkeitsbescheinigungen ausstellten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren für den dortigen Antragsteller entschieden (VG Magdeburg, Beschluss vom 14. Oktober 2011 - 5 B 301/11 MD). Ähnliche Bedenken äußerte das Verwaltungsgericht Lüneburg hinsichtlich Guinea (VG Lüneburg, Beschluss vom 22. Oktober 2008). Im Falle der hier angeordneten Vorsprache bei der im Rahmen des Rückübernahmeabkommens einreisenden vietnamesischen Delegation sind Anhaltspunkte für die fehlende Legitimation der Bediensteten weder vorgetragen noch ersichtlich. Ebenso wenig liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass Bescheinigungen gegen Bezahlung ausgestellt würden (vgl. dazu BT-Drs. 17/8042, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, Drs. 17/7717, ).

Folglich bestehen auch keine Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Androhung des Zwangsmittels zur Durchsetzung der Verpflichtung, ohne einen Anwalt vorzusprechen. Die Voraussetzungen des §§ 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG und der §§ 5 a VwVfGBln, 6, 9, 12 und 13 VwVG sind erfüllt.

Der Beklagte hat die Anordnung des persönlichen Erscheinens ebenso ermessensfehlerfrei verfügt wie die Konkretisierung der in § 49 Abs. 2 AufenthG normierten Pflicht, die von der Vertretung des Staates, dessen Staatsangehörigkeit der Ausländer vermutlich besitzt, geforderten und mit dem deutschen Recht in Einklang stehenden Erklärungen im Rahmen der Beschaffung von Heimreisedokumenten abzugeben.

Die sich auf die Erscheinenspflicht (und nicht auf die Abgabe der Erklärungen) beziehende Androhung der polizeilichen Vorführung entspricht den gesetzlichen Bestimmungen (§§ 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG, 12, 13 VwVG).

Der hilfsweise gestellte Fortsetzungsfeststellungsantrag ist gem. § 113 Abs. 1 Satz 5 VwGO unstatthaft, weil sich die Vorspracheanordnung durch das Verstreichen des darin genannten Termins aus den bereits oben genannten Gründen nicht erledigt hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§ 39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes auf 5.000,00 Euro festgesetzt.






VG Berlin:
Urteil v. 23.03.2012
Az: 15 K 279.11


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