Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. April 2007
Aktenzeichen: 9 W (pat) 34/04

(BPatG: Beschluss v. 18.04.2007, Az.: 9 W (pat) 34/04)

Tenor

I. Die Beschwerde der Fa. A... AG wird als unzulässig verworfen.

II. Auf die Beschwerden der Einsprechenden zu I und zu III wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und das Patent widerrufen.

Gründe

I.

Die Patentabteilung 51 des Deutschen Patent- und Markenamts hat nach Prüfung von vier Einsprüchen das am 3. September 1999 angemeldete Patent mit der Bezeichnung

"Anzeigeeinheit in einem Kraftfahrzeug"

durch Beschluss vom 2. Dezember 2003 beschränkt aufrechterhalten. Die im Einspruchsverfahren vorgenommenen Anspruchsänderungen sind als zulässig erachtet worden. Der solcherart verteidigte Streitgegenstand sei durch den in Betracht gezogenen Stand der Technik weder neuheitsschädlich vorweggenommen noch nahe gelegt.

Gegen die beschränkte Aufrechterhaltung des Streitpatents richten sich die Beschwerden. Zur Begründung wird darin u. a. ausgeführt, die im Patentanspruch 1 vorgenommenen Änderungen führten zu einer unzulässigen Erweiterung, denn die Anordnung des freiprogrammierbaren Anzeigebereichs sei allein in der Zeichnung nur "links neben" und nicht "neben" dem Tachometer ursprungsoffenbart. Die Wörter "permanent" und "situativ" hätten einen weiteren Bedeutungsinhalt als die dadurch ersetzten Adjektive "fest" und "situationsbedingt". Abgesehen davon sei die streitgegenständliche Anzeigeeinheit durch den Stand der Technik, insbesondere durch die DE 195 40 813 C1 i. V. m. der technischen Information "Moderne Informationssysteme", VDO, öffentlich verteilt auf der IAA 1989, zumindest nahe gelegt.

Die Beschwerdeführerinnen beantragen übereinstimmend, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, die Beschwerde der Fa. A... AG als unzulässig zu verwerfen und die Beschwerden der Einsprechenden zu I und zu III zurückzuweisen, hilfsweise, das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:

- Patentanspruch 1 und Beschreibung Seite 3, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung,

- im Übrigen Patentansprüche 2 bis 6, Beschreibung Seiten 4 und 4a, jeweils eingegangen am 28. Mai 2002, Beschreibung Spalte 1 bis Spalte 2, Zeile 29 bis "Skala" und Spalte 3, Zeile 62, bis Spalte 4, Zeile 43, sowie Zeichnungen Fig. 1 bis 3, jeweils nach Patentschrift.

Sie meint, die Beschwerde der A... AG sei unzulässig. Im Laufe des Ein- spruchsverfahrens sei zwar dem Patentassessor B... der A... AG die Vertretung der Einsprechenden C... AG übertragen worden. Wenngleich der nachfolgende Schriftwechsel auf Briefpapier der A... AG er- folgt sei, gehe damit jedoch kein Wechsel der Einsprechenden-Stellung einher. Vielmehr bleibe die ursprüngliche Einsprechende und Verfahrensbeteiligte die C... AG. Ein Wechsel der Einsprechenden-Stellung sei zu keinem Zeitpunkt angezeigt worden. Erst im Jahr 2006 sei die C... AG in die Beschwerdeführerin II integriert worden. Deshalb sei bei Einlegung der Beschwerde ausschließlich die C... AG und nicht die A... AG beschwerdeberechtigt gewesen.

Im Übrigen sei die verteidigte Anzeigeeinheit weder aus dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik bekannt noch werde sie dadurch nahe gelegt.

Der geltende Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

Anzeigeeinheit (1) in einem Kraftfahrzeug, umfassend einen analogen, diskreten Tachometer, dessen Größe und Position fest sind und einen freiprogrammierbaren Anzeigebereich (5), der neben dem Tachometer (2) angeordnet ist und einen ersten Bereich (6) aufweist, wobei der erste Bereich (6) erste Anzeigen (9, 10) umfasst, die permanent angezeigt werden und zweite Anzeigen (11, 12; 14, 18, 19) umfasst, die situativ angezeigt werden, wobei die Größe und örtliche Position der ersten und zweiten Anzeigen fest zugeordnet sind, wobei die ersten und zweiten Anzeigen als analoge, digitale und/oder piktogrammförmige Anzeigen ausgebildet sind, und einen zweiten Bereich (7) aufweist, auf dem verschiedene örtlich, zeitlich und größenmäßig veränderbare digitale und/oder piktogrammförmige Anzeigen darstellbar sind.

Rückbezogene Patentansprüche 2 bis 6 schließen sich an.

Der geltende Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag lautet (zusätzlich aufgenommene Merkmale sind fett gedruckt):

Anzeigeeinheit (1) in einem Kraftfahrzeug, umfassend einen analogen, diskreten Tachometer, dessen Größe und Position fest sind und einen freiprogrammierbaren Anzeigebereich (5), der seitlich neben dem Tachometer (2) und außerhalb des diskreten Tachometers angeordnet ist und einen ersten Bereich (6) aufweist, wobei der erste Bereich (6) erste Anzeigen (9, 10) umfasst, die permanent angezeigt werden und zweite Anzeigen (11, 12; 14, 18, 19) umfasst, die situativ angezeigt werden, wobei die Größe und örtliche Position der ersten und zweiten Anzeigen fest zugeordnet sind, wobei die ersten und zweiten Anzeigen als analoge, digitale und/oder piktogrammförmige Anzeigen ausgebildet sind, und einen zweiten Bereich (7) aufweist, auf dem verschiedene örtlich, zeitlich und größenmäßig veränderbare digitale und/oder piktogrammförmige Anzeigen darstellbar sind.

Rückbezogene Patentansprüche 2 bis 6 schließen sich an.

II.

1. Die Beschwerde der A... AG (Beschwerdeführerin II) war als unzulässig zu verwerfen, weil die Fa. A... AG am Verfahren vor dem Patentamt nicht beteiligt war, so dass ihr die Beschwerde nicht zusteht, § 74 Abs. 1 PatG.

Der Einspruch wurde am 9. Februar 2001 von der C... AG eingelegt. Nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beschwerdeführerin II und der Patentinhaberin fusionierte die Einsprechende C... AG im Jahr 2001 mit der D... zur E... AG. Diese wurde erst im Jahr 2006 in die A... AG integriert. Zu dem Zeitpunkt, als das Verfahren vor dem Patentamt durch den angefochtenen Beschluss beendet wurde und die A... AG am 20. Januar 2004 Beschwerde einlegte, waren die E... AG und die A... AG zwei verschie- dene juristische Personen.

2. Die Beschwerden der Einsprechenden zu I und zu III sind unbestritten zulässig. Sie haben auch in der Sache Erfolg.

Die zweifellos gewerblich anwendbare Anzeigeeinheit nach dem jeweils geltenden Patentanspruch 1 ist neu. Zu ihrer beanspruchten Ausgestaltung war indes keine erfinderische Tätigkeit erforderlich, denn allein unter sachgerechter Anwendung des am Anmeldetag nachgewiesenen Fachwissens auf die aus der DE 195 40 813 C1 bekannte Anzeigeeinheit gelangt der Fachmann zu einer Anzeigeeinheit mit den im geltenden Patentanspruch 1 angegebenen Merkmalen.

Bei seiner folgenden Bewertung legt der Senat als Durchschnittsfachmann einen Ingenieur der Elektrotechnik zugrunde, der bei einem Fahrzeughersteller oder -zulieferer als Konstrukteur für Anzeigeeinrichtungen tätig ist und in diesem Fachgebiet über mehrere Jahre Berufserfahrung verfügt.

A) Zum Hauptantrag Am Anmeldetag des Streitpatents war aus der DE 195 40 813 C1 eine Anzeigeeinheit in einem Kraftfahrzeug bekannt, umfassend einen als Zeigerinstrument ausgebildeten analogen, diskreten Tachometer 3 mit fester Größe und Position, vgl. insb. nachstehend wiedergegebene Fig. 1 i. V. m. Sp. 3 Z 43 bis 46.

Wie Fig. 1 außerdem zeigt, ist links neben dem Tachometer 3 ein freiprogrammierbarer Anzeigebereich 1 angeordnet. Der freiprogrammierbare Anzeigebereich 1 ist als Flüssigkristallanzeige (LCD) ausgebildet und weist einen Bereich mit verschiedenen Anzeigen auf, die permanent angezeigt werden, z. Bsp. die jeweils gewählte Fahrstufe eines Automatikgetriebes, die Außentemperatur und ggf. die momentane Fahrleistung pro Liter Kraftstoff, vgl. insb. Sp. 3 Z. 31 bis 36. Außerdem umfasst der freiprogrammierbare Anzeigebereich 1 Anzeigen, die situativ angezeigt werden, nämlich ein Zapfsäulensymbol sobald die Tankreserve erreicht und ein Schneekristallsymbol sobald eine bestimmte Außentemperatur unterschritten ist. Die Größe und örtliche Position der ständigen und der situativen Anzeigen sind offensichtlich fest zugeordnet; gegenteiliges ist der Druckschrift jedenfalls nicht zu entnehmen und auch von der Patentinhaberin nicht geltend gemacht worden. Die vorstehende Fig. 1 zeigt ebenfalls, dass beide Anzeigen bereits als digitale und/oder piktogrammförmige Anzeigen ausgebildet sind.

Der Durchschnittsfachmann, der sich mit der Aufgabe konfrontiert sieht, die visuelle Zuordnung dieser Anzeigeeinheit eines Kraftfahrzeuges zu verbessern, verfügt diesbezüglich bereits über ein reichhaltiges Repertoire. Die auf der IAA 1989 unstreitig öffentlich verteilte technische Information "Moderne Informationssysteme" der Fa. VDO liefert einen zusammenfassenden Überblick darüber, welche Möglichkeiten der Informationskonzentration und -dislozierung dem Durchschnittsfachmann am Anmeldetag insbesondere durch freiprogrammierbare, hochauflösende LCD-Displays im Kraftfahrzeugbereich zur Verfügung standen. Demnach sind die seinerzeit bekannten Darstellungsmöglichkeiten z. Bsp. auf einem LC-Farbdisplay sehr vielfältig. Neben alphanumerischen Zeichen lässt sich darauf insbesondere Grafik und somit beispielsweise auch eine analoge Anzeige darstellen, vgl. insb. S. 3 letzter Abs. i. V. m. Abb. 1. Als hervorgehobenes Beispiel ist ein Nutzfahrzeug-Kombinationsinstrument mit einem analogen, diskreten Geschwindigkeitsmesser und einem daneben angeordneten LC-Farbdisplay offenbart, das einem Primärbereich zugeordnet ist, vgl. insb. Abb. 8 i. V. m. S. 9 Abs. 1 und 2. Bestimmte wichtige Werte werden hier bei Erreichen kritischer Werte selbstmeldend angezeigt. Vor dem Hintergrund der vorgenannten Darstellungsmöglichkeiten ergibt sich ohne Weiteres die Option, insbesondere Warnmeldungen bedarfsweise zeitlich und/oder ggf. auch örtlich veränderbar darzustellen, wie dies z. Bsp. in Abb. 5a am Beispiel der Öltemperatur gezeigt ist. Darüber hinaus kann kein Zweifel daran bestehen, dass die in Abb. 3 gezeigte Straßenkarte eines Navigationssystems größenmäßig bzw. in ihrem Darstellungsmaßstab veränderbar darstellbar ist.

Eine unübersehbare Offenbarung der in Rede stehenden technischen Information besteht außerdem darin, eine freiprogrammierbare Bildschirmanzeige nicht nur einem Primär-, sondern auch einem Sekundärbereich zuzuordnen, vgl. insb. S. 4 Abs. 5. In diesem Sekundärbereich sind weniger wichtige Anzeigen darstellbar, die den Rahmen der Primärinformationen sprengen würden, z. Bsp. Ergänzungen eines primären Warnfeldes etc., vgl. insb. S. 6 Abs. 3. Aus der Gesamtschau der technischen Information erschließt sich dem Fachmann somit ohne Weiteres, anstelle eines ersten primären und eines zweiten sekundären Displays ein einziges Display entsprechender Größe durch geeignete Programmierung in zwei Bereiche zu unterteilen. Denn diese Gestaltungsmöglichkeit offenbart die freie Programmierbarkeit eines Displays grundsätzlich. Zudem drängt sich die Verwendung eines einzigen Displays mit zwei Anzeigebereichen anstelle von zwei separaten Displays aus Kostengründen auf.

Der Patentanspruch 1 ist mithin nicht patentfähig.

Mit dem Patentanspruch 1 fallen auch die darauf rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 6.

B) Zum Hilfsantrag Hinsichtlich der im Patentanspruch 1 nach dem Hilfsantrag inhaltsgleichen Merkmale der beanspruchten Anzeigeeinheit gelten die im vorstehenden Abschnitt A gemachten Ausführungen gleichermaßen.

Die in den Oberbegriff des geltenden Patentanspruchs 1 zusätzlich aufgenommenen Merkmale präzisieren die Anordnung des freiprogrammierbaren Anzeigebereichs als "seitlich" neben "und außerhalb des diskreten Tachometers" angeordnet. Wie in der vorstehenden Fig. 1 DE 195 40 813 C1 ohne Weiteres erkennbar, ist eine derartige Anordnung des freiprogrammierbaren LC-Displays dort bereits realisiert.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag ist mithin ebenfalls nicht patentfähig.

Mit dem Patentanspruch 1 fallen auch die darauf rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 6.

Bei dieser Sachlage erübrigt sich eine Entscheidung zu dem Vorhalt, die im Einspruchsverfahren vorgenommenen Anspruchsänderungen seien unzulässig.






BPatG:
Beschluss v. 18.04.2007
Az: 9 W (pat) 34/04


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