Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. September 2010
Aktenzeichen: 21 W (pat) 325/06
(BPatG: Beschluss v. 09.09.2010, Az.: 21 W (pat) 325/06)
Tenor
Das Patent DE 101 22 358 wird widerrufen.
Gründe
I Gegen das unter Inanspruchnahme der japan. Priorität 00-135561 vom 9. Mai 2000 am 9. Mai 2001 angemeldete Patent (Streitpatent) mit der Bezeichnung "Elektronischer Entfernungsmesser", dessen Erteilung am 2. März 2006 veröffentlicht worden ist, hat die Firma L... AG, Heinrich-Wild-Straße in H..., S... mit Schriftsatz vom 2. Juni 2006 Einspruch eingelegt.
Sie ist der Auffassung, dass der Gegenstand des Streitpatents nicht patentfähig sei. Hierzu verweist sie u. a. auf die Entgegenhaltungen D1 DE 198 40 049 A1 und D4 US 5 923 468.
Die Einsprechende macht geltend, dass der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 gegenüber dem Stand der Technik keine erfinderische Tätigkeit aufweise.
Die Patentinhaberin ist dem Vorbringen der Einsprechenden entgegengetreten und hat die beschränkte Aufrechterhaltung des Patents mit den mit Schriftsatz vom 27. September 2007 zuletzt eingereichten Patentansprüchen 1 bis 11 beantragt.
Der danach geltende Patentanspruch 1 lautet gegliedert:
M1 Elektronischer Entfernungsmesser, umfassend:
M2 ein zum Anvisieren eines Objektes bestimmtes Zielfernrohr (10) mit einem Objektiv (11) und M3 einer Fokussierlinse (18), die zum Scharfstellen auf das Objekt entlang ihrer optischen Achse bewegbar ist, M4 ein auf der objektabgewandten Seite des Objektivs (11) angeordnetes Reflexionselement (21), M5 einen optischen Entfernungsmesser (20) mit einer Sendeoptik (21a, 24, 25) die eine objektzugewandte Reflexionsfläche (21a) des Reflexionselementes (21) umfasst und über diese objektzugewandte Reflexionsfläche (21a) Messlicht durch das Objektiv (11) auf das Objekt sendet, und M6 mit einer Empfangsoptik (21b, 22), die eine objektabgewandte Reflexionsfläche (21b) des Reflexionselementes (21) umfasst und über diese objektabgewandte Reflexionsfläche (21b) Licht empfängt, das an dem Objekt reflektiert wird, durch das Objektiv (11) tritt und an der objektzugewandten Reflexionsfläche (21a) des Reflexionselementes (21) vorbeiläuft, M7 eine der Sendeoptik (21a, 24, 25) zugeordnete Vorrichtung (72, 75) zum Ändern des Strahldurchmessers des Messlichtes, M8 eine Steuerung (80) zum Ändern des Strahldurchmessers des Messlichtes in Abhängigkeit der Entfernung des Objektes von dem elektronischen Entfernungsmesser und M9 eine Schärfenerfassungsvorrichtung (50), welche die axiale Position der zum Scharfstellen auf das Objekt entlang ihrer optischen Achse bewegbaren Fokussierlinse (18) des Zielfernrohrs (10) erfasst, wobei die Vorrichtung (72, 75) in Abhängigkeit der erfassten axialen Position der Fokussierlinse (18) betrieben wird.
Die Unteransprüche 2 bis 11 betreffend wird auf die Akte verwiesen.
Die Patentinhaberin ist der Auffassung, dass der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ursprünglich offenbart sowie gegenüber dem Stand der Technik neu sei und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Die Einsprechende hält diesen Gegenstand im Merkmal M5 für unzulässig erweitert.
Der Vertreter der Einsprechenden stellt den Antrag, das Patent DE 101 22 358 in vollem Umfang zu widerrufen.
In Bezug auf die geltend gemachten unzulässigen Änderungen regt er die Zulassung der Rechtsbeschwerde an.
Die ordnungsgemäß geladene Patentinhaberin ist zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II 1.
Da die Einspruchsfrist im vorliegenden Verfahren nach dem 1. Januar 2002 zu laufen begonnen hat und der Einspruch vor dem 1. Juli 2006 eingelegt worden ist, ist das Bundespatentgericht für die Entscheidung gemäß § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG in der bis einschließlich 30. Juni 2006 gültigen Fassung weiterhin zuständig (vgl. BGH GRUR 2007, 862 ff. -Informationsübermittlungsverfahren II; BPatG GRUR 2007, 499 f. -Rundsteckverbinder).
2.
Der formund fristgerecht erhobene Einspruch ist zulässig, denn die für die Beurteilung des behaupteten Widerrufsgrundes maßgeblichen tatsächlichen Umstände sind von der Einsprechenden innerhalb der gesetzlichen Frist im Einzelnen so dargelegt worden, dass die Patentinhaberin und der Senat daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen eines Widerrufsgrundes ohne eigene Ermittlungen ziehen können. Die Zulässigkeit des Einspruchs war von der Patentinhaberin im Übrigen nicht bestritten worden.
3.
Es kann dahinstehen, ob der geltende Patentanspruch 1 durch die ursprüngliche Offenbarung gedeckt ist und ob sein Gegenstand den Schutzbereich des Patents erweitert. Denn sein Gegenstand ist nicht patentfähig und damit auch der des erteilten Patentanspruchs 1, so dass es auf die Frage, ob die Beschränkung zulässig ist, nicht ankommt. Der Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 ergibt sich für den Fachmann, einen mit der Entwicklung von optoelektronischen Sensoren und Entfernungsmessern befassten, berufserfahrenen Diplom-Ingenieur der Fachrichtung technische Optik in naheliegender Weise aus der Zusammenschau des Standes der Technik, den die Entgegenhaltungen D1 und D4 repräsentieren.
3.1 Nach den Angaben in der Beschreibungseinleitung betrifft die Erfindung einen elektronischen Entfernungsmesser mit einem Zielfernrohr (vgl. Abs. [0001] der Patentschrift).
Weiter ist ausgeführt, das derartige elektronische Entfernungsmesser die Entfernung eines Objekts über den Phasenunterschied zwischen dem projizierten externen Licht und dem reflektierten Licht sowie der Anfangsphase des internen Referenzlichts oder über deren Zeitunterschied ermitteln [0002]. Das ausgesendete Licht, das an dem Zielobjekt reflektiert wird und durch das Objektiv des Zielfernrohres tritt, passiert den Randbereich eines Lichtsendespiegels, um dann auf das Lichtempfangselement zu gelangen [0003]. Im Folgenden ist dargelegt, dass das durch das Objektiv des Zielfernrohrs tretende Licht von dem Spiegel um so stärker gesperrt wird, je näher sich das Objekt befindet, wodurch die auf dem Lichtempfangsspiegel auftreffende Lichtmenge abnimmt und die Genauigkeit der Entfernungsmessung beeinträchtigt wird [0004].
Daran orientiert sich die dem Patent zu Grunde liegende Aufgabe, einen elektronischen Entfernungsmesser anzugeben, der frei von diesen Problemen ist und die Leistungscharakteristik der Entfernungsmessung nicht durch ein kompliziertes System verschlechtert [0007].
3.2 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die Vorrichtung zur elektronischen Distanzmessung (Entfernungsmesser) [M1] aus Entgegenhaltung D1 ist (notwendigerweise) mit einem Objektiv versehen (vgl. Bezugszeichen 5 bspw. in den Ausführungsbeispielen gemäß den Figuren 1, 2 oder 4). Der Beschreibung in Spalte 6, Zeilen 25 bis 29 folgend kann der Entfernungsmesser mit einem Theodolitfernrohr (Zielfernrohr) zu einem Gerät mit nur einem Objektiv verschmolzen werden [M2]. Für die optische Entfernungsmessung wird das von einer Strahlungsquelle 2, 3 in der Sendereinheit 1 emittierte Messlicht über eine Sendeoptik auf das anvisierte Zielobjekt 6 gerichtet. Die Sendeoptik umfasst neben den Linsen 20, 30 (Figuren 1, 4) ein auf der objektabgewandten Seite des Objektivs angeordnetes Einkoppelelement 4b mit einer objektzugewandten Reflexionsfläche, die das Messlicht durch das Objektiv 5 auf das Objekt sendet [M4, M5]. Eine Empfangsoptik (in der Detektoreinheit 40; vgl. auch die detaillierte Figur 5) empfängt über eine objektabgewandte Reflexionsfläche des Einkoppelelementes 4b das vom Zielobjekt 6 reflektierte, durch das Objektiv 5 tretende und an der objektzugewandten Reflexionsfläche des Einkoppelelements 4b vorbeilaufende Licht (vgl. die reflektierten Lichtstrahlen bspw. in Figur 2) [M6].
Die Sendeoptik ist gemäß dem Ausführungsbeispiel der Figur 2 mit einer Emissionssteuerung der Strahlungsquellen 2, 3 versehen. Ein Selektionsmittel 11 steuert dazu die Emission der Strahlungsquellen 2, 3 derart, dass nur die eine oder nur die andere Strahlungsquelle Strahlung emittiert (Sp. 8, Z. 1 bis 4). Die eine Strahlungsquelle 2 emittiert in einem Strahlungsbündel beugungsbegrenztes Licht (Sp. 6, Z. 58 bis 62), die andere Strahlungsquelle ein Strahlungsbündel 31 mit einer relativ großen Strahldivergenz (Sp. 7, Z. 2 bis 6). Somit dient das der Sendeoptik zugeordnete Selektionsmittel 11 zum Ändern des Strahldurchmessers des Messlichts [M7]. Die Umschaltung auf unterschiedliche Strahlungsbündel (Strahldurchmesser) mittels des Selektionsmittels 11 dient der Anpassung der Messung auf verschiedene Zielobjekte und Entfernungen. Die Umschaltung kann auch automatisch (Steuerung) durch den Distanzmesser selbst erfolgen z. B. abhängig von der gemessenen Entfernung (Sp. 5, Z. 2 bis 14) [M8].
Neben der (konstruktiv sehr aufwändigen) Direktmessung der Entfernung eines Zielobjekts ist es dem Fachmann geläufig, die Entfernung aus der axialen Stellung der Fokussierlinse des Zielfernrohrs (Theodolitfernrohr) bei scharfgestellter Abbildung zu ermitteln, denn das Anvisieren des Zielobjekts mit dem Zielfernrohr ist ohnehin stets erforderlich.
So wird beispielsweise bei dem Distanzmesser mit Autofokus aus der Entgegenhaltung D4 die axiale Stellung der entlang ihrer optischen Achse bewegbaren Fokussierlinse bei scharf gestelltem Zielfernrohr erfasst (vgl. in Figur 2 focus lens 31, focus lens position controller 25, focus lens driver 27, position detecting device 29) [M3]. Auf der Suche nach einer konstruktiv einfachen und zuverlässigen Lösung bietet es sich für den Fachmann an, diese ohnehin erfasste, von der Entfernung des Zielobjekts abhängige axiale Stellung der Fokussierlinse heranzuziehen, da er auf diese Weise sehr einfach eine Messgröße erhält, um damit ohne weitere Maßnahmen die automatische Umschaltung des Selektionsmittels 11 aus D1 zum Ändern des Strahldurchmessers zu betreiben [M9].
Diese Maßnahme der D4 -nämlich die erfasste axiale Position der Fokussierlinse zu verwenden -bietet sich für den Fachmann auch schon deshalb an, weil die direkte Messung der D1 zumindest dann versagt, wenn das Objekt sehr dicht vor dem Entfernungsmesser liegt.
Modifiziert der Fachmann den aus der D1 bekannten Entfernungsmesser mit den als vorteilhaft erkennbaren Merkmalen der D4, so gelangt er in naheliegender Weise unmittelbar zum Gegenstand nach dem geltenden Anspruch 1.
4.
Dass die Patentinhaberin neben dem Hauptanspruch 1 auch eine Aufrechterhaltung des Streitpatents im Umfang der Unteransprüche 2 bis 11 begehrt, hat sie weder ausdrücklich noch stillschweigend zu erkennen gegeben, zumal sie zu der mündlichen Verhandlung ohnehin nicht erschienen ist. Darüber hinaus lassen diese Unteransprüche keine patentbegründenden Merkmale erkennen, was die Patentinhaberin im Übrigen auch nicht geltend gemacht hat.
5.
Von der Zulassung der vom Vertreter der Einsprechenden angeregten Rechtsbeschwerde war bei dieser Sachlage abzusehen.
Dr. Winterfeldt Baumgärtner Bernhart Veit Pü
BPatG:
Beschluss v. 09.09.2010
Az: 21 W (pat) 325/06
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