Bundespatentgericht:
Beschluss vom 2. April 2003
Aktenzeichen: 9 W (pat) 19/01
(BPatG: Beschluss v. 02.04.2003, Az.: 9 W (pat) 19/01)
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I Die Patentabteilung 16 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat nach Prüfung von fünf Einsprüchen das am 23. November 1996 angemeldete Patent mit der Bezeichnung Schonbezug für einen ein- oder mehrteiligen Kraftfahrzeugsitzmit Beschluß vom 5. Dezember 2000 widerrufen, weil es zum Auffinden der Gegenstände nach den nebengeordneten Patentansprüchen 1 und 12 gegenüber dem Stand der Technik nach VOLVO Accessories Catalogue 850-97 mit Druckdatum 06-96 und US 54 98 030 sowie DE 42 06 561 A1 keiner erfinderischen Tätigkeit bedurft habe. Die auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 11 sowie der auf Patentanspruch 12 zurückbezogene Patentanspruch 13 als auch der auf die vorhergehenden Patentansprüche 1 bis 13 zurückbezogene Patentanspruch 14 beträfen nur einfache Weiterbildungen der Gegenstände nach Patentanspruch 1 bis 12, die dem zuständigen Fachmann geläufig seien und deshalb ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten.
Gegen diesen Beschluß wendet sich die Patentinhaberin mit ihrer Beschwerde. Sie bestreitet die Vorveröffentlichung des VOLVO-Kataloges und meint, der für die Herstellung von Schonbezügen zuständige Fachmann, ein Polster- oder Schneidermeister, sei allenfalls für den Zuschnitt und das Vernähen der Schonbezüge zuständig. Für ihn seien die Belastungen eines Schonbezuges durch einen im Polster eines Kraftfahrzeugsitzes angeordneten Seitenairbag, der im Falle einer Stoßbelastung durch ein Steuersystem aufgeblasen werde, vollkommenes Neuland. Solchen Belastungen wisse allenfalls ein Textilingenieur zu begegnen, der im vorliegenden Fall aber nicht Fachmann sei. Die Verwendung von Schonbezügen sei von Fahrzeugherstellern für Kraftfahrzeugsitze mit integriertem Seitenairbag zunächst verboten worden. Der Originalbezug eines Kraftfahrzeugsitzes sei an dessen Rahmen statisch fixiert und erlaube im Gegensatz zu Schonbezügen keine relative Verschiebung zur Unterlage, so daß die Verhältnisse bei Schonbezügen schon aus diesem Grunde völlig anders seien als bei Originalbezügen. Hinzu komme, daß Schonbezüge aus elastischen Materialien bestünden, die vom aufgeblasenen Seitenairbag allenfalls elastisch ausgedehnt aber nicht aufgerissen würden. Wegen dieser unterschiedlichen Verhältnisse könne aus bei Originalbezügen bekannten Maßnahmen zum Ermöglichen des ungehinderten Austretens von Seitenairbags nichts hergeleitet werden, um auch bei Verwendung von Schonbezügen sicherzustellen, daß das Austreten durch den Schonbezug nicht behindert werde. Um zum Beanspruchten zu gelangen, bedürfe es einer Vielzahl von Maßnahmen, wie einer gezielten Spannung des Schonbezugs, Festhalten des Airbags am Polster und der gezielten Ausbildung der Struktur des Materials im Bereich des Airbagaustritts. Für diese Maßnahmen gebe es auf dem Gebiet der Schonbezüge kein Vorbild, so daß die beanspruchten Maßnahmen allenfalls in unzulässiger rückschauender Betrachtungsweise als nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend angesehen werden könnten. Im übrigen verweist die Patentinhaberin darauf, daß durch die beanspruchten Schonbezüge ein großer wirtschaftlicher Erfolg erzielt werde, was als Anzeichen für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit zu werten sei.
Sie beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:
1. nach Hauptantrag:
Patentansprüche 1 bis 12, eingegangen am 7. März 2003, 2. nach Hilfsantrag 1:
Patentansprüche 1 bis 11, weiter hilfsweisenach Hilfsantrag 2:
Patentansprüche 1 bis 11, weiter hilfsweisenach Hilfsantrag 3:
Patentansprüche 1 bis 10, weiter hilfsweisenach Hilfsantrag 4:
Patentansprüche 1 bis 7, weiter hilfsweisenach Hilfsantrag 5:
Patentansprüche 1 bis 11, weiter hilfsweisenach Hilfsantrag 6:
Patentansprüche 1 bis 5, weiter hilfsweisenach Hilfsantrag 7:
Patentansprüche 1 bis 4, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung am 2. April 2003, im übrigen bei allen Anträgen mit der Beschreibung Spalten 1 bis 5 und Zeichnungen Figuren 1 bis 6 nach Patentschrift, wobei in der Beschreibung Spalte 3 Zeilen 31, 32 und 34 der Text an die jeweilige Anspruchsfassung anzupassen ist.
Die Beschwerdegegnerinnen und Einsprechenden 1, 2, 4 und 5 beantragen übereinstimmend, die Beschwerde zurückzuweisen.
Die ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladene Beschwerdegegnerin und Einsprechende 3 ist zur mündlichen Verhandlung, wie angekündigt, nicht erschienen und hat auch sonst keine Anträge gestellt.
Die erschienenen Einsprechenden sind der Auffassung, die Schonbezüge nach den selbständigen Patentansprüchen gemäß den verschiedenen Anträgen beruhten gegenüber dem Stand der Technik ua nach der DE 94 00 449 U1, US-Patentschrift 5 498 030, FR-Patentschrift 1 593 125 und US-Patentschrift 5 556 129 zumindest nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Patentanspruch 1 nach dem Hauptantrag lautet:
Schonbezug für einen einteiligen oder mehrteiligen Kraftfahrzeugsitz (4), bestehend aus mindestens einem Sitz (7) und einem Rückenlehnenteil (6), von denen mindestens eines der beiden Teile (7, 6) einschließlich der äußeren Seitenpolster (13) von dem Schonbezug (17) überspannt ist, der durch unter dem Sitz (7) oder hinter dem Rückenlehnenteil (6) verlaufende Spannelemente oder durch Befestigungsmittel an den Seitenpolstern (13) des Sitz- und/oder Rückenteiles (7, 6) befestigt ist, in welchem Sitzteil oder Rückenlehnenteil (7, 6) im Seitenpolster (13) oder im Bereich der äußeren Kante des Rücken- oder Sitzpolsters, zur Karosserieseite des Kraftfahrzeugsitzes hin verlaufend, in dem Polster mindestens ein Seitenairbag (2, 3) integriert ist, der durch einen Spalt (15) im Polster im Falle einer starken Stoßbelastung durch ein Steuersystem aufgeblasen wird und austritt, welcher Spalt (15) durch eine absprengbare Abdeckung, eine lösbare Überlappung des Bezugstoffes, verdeckt ist oder sichtbar ist, dadurch gekennzeichnet, daß der Schonbezug (17) über den Spalt (15) gespannt ist und im Bereich des Spaltes (15) abweichend von den übrigen Materialien des Schonbezuges eine andere nicht einheitliche Struktur aufweist und so ausgebildet ist, daß er durch den aus dem Spalt (15) des Sitz- oder Rückenpolsters heraustretenden Seitenairbag (2, 3) oder durch die abgesprengte Abdeckung bei partiellem Druck durch den sich aufblasenden Seitenairbag (2, 3) einen Spalt (12) aufwirft, durch den der Seitenairbag (2, 3) dringt.
Dem Patentanspruch 1 schließen sich rückbezogene Patentansprüche 2 bis 12 an.
Gemäß 1. Hilfsantrag verfolgt die Patentinhaberin fünf nebengeordnete Patentansprüche 1 bis 3, 5 und 7 sowie sechs rückbezogene Patentansprüche 4, 6 und 8 bis 11 weiter. Der nebengeordnete Patentanspruch 2 unterscheidet sich von Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag durch folgendes zusätzliches Merkmal, das dem kennzeichnenden Teil des erteilten Patentanspruchs 3 entspricht:
wobei der Schonbezug (17, 14c) einen mit dem Spalt kongruent verlaufenden Schlitz (12) aufweist und die beiden aneinanderstoßenden Stoffbahnenkanten des den Schlitz bildenden Schonbezuges (17, 14c) durch leichte zerreißbare Fäden (18) miteinander verbunden sind oder durch leicht aufreißbare Reißverschluß- oder Fügeverschlußverbindungen oder durch Klettverschlußelemente miteinander verbunden sind, die so beschaffen sind, daß durch den rückseitigen Druck auf den Schonbezug (17) der Schlitz (12) sich für den durchdringenden Seitenairbag (2, 3) öffnet.
Mit dem Patentanspruch 2 gemäß 1. Hilfsantrag stimmen die Patentansprüche 2 gemäß 2. und 3. Hilfsantrag sowie Patentanspruch 1 gemäß 4. Hilfsantrag wörtlich überein.
Von den fünf nebengeordneten Patentansprüchen nach dem 5. Hilfsantrag unterscheidet sich Patentanspruch 2 von dem Patentanspruch 2 nach dem 1. Hilfsantrag durch das zusätzliche Merkmal, das dem kennzeichnenden Teil des erteilten Patentanspruchs 8 entspricht:
und der Schonbezug zum Spalt in dem Sitz- und/oder Rükkenpolster beabstandet mittels Flächenreißverschlußelemente oder anderer Befestigungsmittel an dem Stoff oder dem Polster des Sitz- oder Rückenlehnenteils (6, 7) fixiert ist.
Patentanspruch 1 gemäß 6. Hilfsantrag unterscheidet sich von Patentanspruch 1 nach dem Hauptantrag durch das zusätzliche Merkmal, das dem kennzeichnenden Teil des erteilten Patentanspruchs 7 entspricht:
wobei in den Schonbezug (17) partiell, mindestens den Bereich des darunterliegenden Spalts überdeckend eine Fläche derart eingewebt oder eingewirkt ist, daß diese durch den Druck der abgesprengten Abdeckung und/oder des austretenden Airbags (2, 3) zerreißt und längs des Spaltes (15) eine Durchdringungsöffnung für den Airbag bildet.
Patentanspruch 1 gemäß 7. Hilfsantrag unterscheidet sich von Patentanspruch 1 gemäß 6. Hilfsantrag durch das zusätzliche Merkmal, das dem kennzeichnenden Teil des erteilten Patentanspruchs 10 entspricht:
und das Gewebe oder Gewirk Kett- und/oder Schußfäden aufweist, die bei einer bestimmten Spannung reißen.
Den angeführten Patentansprüchen nach dem 2. bis 5. Hilfsantrag sind weitere Nebenansprüche nebengeordnet und es schließen sich ebenso wie den Patentansprüchen 1 nach dem 6. und 7. Hilfsantrag jeweils rückbezogene Patentansprüche an.
Damit soll ein Schonbezug so ausgestaltet sein, daß der Austritt des Airbags in jedem Fall möglich ist, wenn der Aufblasmechanismus im Falle eines Autounfalls ausgelöst wird, ohne daß das Austreten des Airbags durch den Schonbezug behindert wird.
II Die statthafte Beschwerde ist frist- und formgerecht eingelegt worden und auch im übrigen zulässig; in der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
1. Die geltenden Patentansprüche nach dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen sind unbestritten zulässig.
2. Die Gegenstände nach den Patentansprüchen 1 gemäß Haupt- und 4., 6. sowie 7. Hilfsantrag sowie nach den Patentansprüchen 2 gemäß 1., 2. und 5. Hilfsantrag mögen zwar neu sein, sie beruhen aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Umstand, daß die Gegenstände des jetzt noch verteidigten Patentes Lösungen für solche Schonbezüge für Autositze anbieten, die als Serienartikel in großen Zahlen produziert werden, begründet für sich genommen noch keine erfinderische Tätigkeit (vgl BGH GRUR 82, 406, 409 "Verteilergehäuse"). Weiter handelt es sich auch nicht um einen Fall, in dem für einen bekannten Markenartikel ein neuer, einfacherer und billigerer Herstellungsweg entwickelt worden wäre (vgl BGH BlPMZ 1955, 66) oder ein solcher neuer Herstellungsweg erst dann entwickelt wurde, nachdem lange Zeit ein Bedarf dafür bestand (vgl BGH BlPMZ 1958, 114, 115 "Polstersessel"). Mit ihrer Erfindung hat die Patentinhaberin keine gebräuchlichen Massenartikel verbessert, ohne daß der Stand der Technik dazu weder Vorbilder noch Anregungen geboten hätte (vgl BGH GRUR 1974, 715, 717 "Spreizdübel"). Vielmehr bestehen die Gegenstände des verteidigten Patentes in einer Fortentwicklung von Schonbezügen für Autositze, die notwendig geworden war, nachdem sich Autositze mit Seitenairbags auf dem Markt durchgesetzt hatten. Diese Fortentwicklung erfolgte in direktem zeitlichen Zusammenhang mit der Entstehung des neuen Bedarfs. Ein auf dem Markt entstehendes Bedürfnis als erster erkannt und damit einen großen wirtschaftlichen Erfolg erzielt zu haben, reicht zur Begründung einer erfinderischen Tätigkeit jedoch nicht aus, dies läßt allenfalls auf kaufmännisches Geschick schließen (vgl Benkard, PatG, 9. Aufl 1993, § 4 PatG Rdn 26). Anzeichen dafür, daß Mitbewerber der Patentinhaberin ihrerseits längere Zeit vergeblich nach entsprechenden technischen Lösungen gesucht hätten, was auf bestehende Schwierigkeiten hindeuten könnte, hat die Patentinhaberin nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Für die technische Fortentwicklung genügte durchschnittliches Fachwissen und die Übertragung des bereits vorhandenen technischen Wissens über die Konstruktion von Polsterbezügen für Autositze mit Seitenairbags auf die entsprechenden Schonbezüge, die sich von den Polsterbezügen dadurch unterscheiden, daß sie austauschbar und möglicherweise weniger fest mit ihrer Unterlage verbunden sind.
Die selbständigen Patentansprüche betreffen jeweils einen Schonbezug für einen einteiligen oder mehrteiligen Kraftfahrzeugsitz, bestehend aus mindestens einem Sitz- und einem Rückenlehnenteil, von denen mindestens eines der beiden Teile einschließlich der äußeren Sitzpolster von dem Schonbezug überspannt ist, der durch unter dem Sitz oder hinter dem Rückenlehnenteil verlaufende Spannelemente oder durch Befestigungsmittel an den Seitenpolstern des Sitz- und/oder Rückenlehnenteiles befestigt ist. In dem Sitzteil oder Rückenlehnenteil ist im Seitenpolster oder im Bereich der äußeren Kante des Rücken- oder Sitzpolsters, zur Karosserieseite des Kraftfahrzeuges hin verlaufend, in dem Polster mindestens ein Seitenairbag integriert, der durch einen Spalt im Polster im Falle einer starken Stoßbelastung durch ein Steuersystem aufgeblasen wird und austritt. Der Spalt ist durch eine absprengbare Abdeckung, eine lösbare Überlappung des Bezugsstoffes, verdeckt oder sichtbar. Solche Kraftfahrzeugsitze gehören zum Stand der Technik, wie die Patentinhaberin eingeräumt hat. Unbestritten werden solche Sitze ab 1992 in den Vereinigten Staaten von Amerika in Fahrzeuge eingebaut. In Europa war Volvo der erste Fahrzeughersteller, der diese Fahrzeugsitze ab 1994 serienmäßig in den Volvo 850 eingebaut hat. Diesem Beispiel folgten 1996 weitere Fahrzeughersteller, ua Audi. Erst ab dieser Zeit war abzusehen, daß sich derartige Fahrzeugsitze in der Praxis durchsetzen würden. Dementsprechend konnte auch der Bedarf von Schonbezügen für solche Fahrzeugsitze erst zu dieser Zeit entstehen. Im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang damit, nämlich im November 1996, wurde das Streitpatent angemeldet.
Mit der serienmäßigen Einführung von Fahrzeugen mit Seitenairbags bei verschiedenen Fahrzeugherstellern entstand in Europa ein Bedarf dafür, die bereits bekannten und verbreiteten Schonbezüge für Fahrzeugsitze nunmehr an die veränderten technischen Erfordernisse anzupassen. Die neuen Schonbezüge mußten den ungehinderten Austritt des Airbags beim Auslösen des Aufblasmechanismus sicherstellen.
Wie die Patentinhaberin ausgeführt hat, hatten Fahrzeughersteller zunächst vorgeschrieben, daß Schonbezüge in Verbindung mit den beschriebenen Fahrzeugsitzen mit Seitenairbags nicht verwendet werden durften. Das ist jedoch nur so zu verstehen, daß die bis dahin üblichen Schonbezüge nicht erlaubt waren, weil bei diesen keine Vorkehrungen getroffen waren, um ein zuverlässiges Austreten des Seitenairbags zu gewährleisten und es bei Unfällen ohne einen solchen Hinweis der Fahrzeughersteller zu Haftungsklagen gegen Fahrzeughersteller hätte kommen können. Da Fahrzeughersteller selbst keine Schonbezüge herstellen, kann aus einem solchen Hinweis kein allgemeines technisches Vorurteil hergeleitet werden, das die Fachwelt grundsätzlich davon hätte abhalten können, auch an die Verwendung von Schonbezügen für solche Fahrzeugsitze zu denken.
Fachmann für die hier in Rede stehenden Schonbezüge ist ein Schneider- oder Polstermeister, der Erfahrung in der Herstellung von Schonbezügen hat und die Problematik von Fahrzeugsitzen mit Seitenairbags kennt, bei denen das Austreten des Seitenairbags durch den Bezugsstoff für das Sitzpolster nicht behindert werden darf. Für diesen Fachmann folgt daraus selbstverständlich, daß die Funktion des Seitenairbags auch durch einen Schonbezug nicht behindert werden darf. Dieser Fachmann konnte bereits auf der Grundlage durchschnittlichen Fachwissens und in direkter Anwendung des Standes der Technik im Bereich der Konstruktion von Polsterbezügen für Autositze mit Seitenairbags die Gegenstände des Patents nach den jetzt noch verteidigten Patentansprüchen entwickeln.
Insoweit gilt für den Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag:
Wenn mindestens eines der beiden Teile eines Kraftfahrzeugsitzes mit Seitenairbag einschließlich der äußeren Seitenpolster von einem Schonbezug überspannt sein soll, der durch unter den Sitz und hinter dem Rückenlehnenteil verlaufende Spannelemente oder durch Befestigungsmittel an den Seitenpolstern des Sitz- und/oder Rückenteiles befestigt sein soll, wie es für eine möglichst umfassende Schonung des Sitzbezuges durch herkömmliche Schonbezüge bspw aus der DE 94 00 449 U1 bekannt ist, bietet sich ohne weiteres der Vorschlag an, in dem Schonbezug mit den gleichen Mitteln den ungehinderten Austritt des Seitenairbags zu gewährleisten, wie sie zu demselben Zweck auch in dem Bezugsstoff des Fahrzeugsitzes angewandt werden.
Für den Bezugsstoff eines Kraftfahrzeugsitzes im Bereich des Polsterspaltes, durch den ein Seitenairbag austreten kann, belegen die US-Patentschriften 5 556 129, Figur 7, Position 227, und 5 498 030, Figuren 3 und 4, Position 27, Lösungen, wie der Bezugsstoff zB mit einer Reißnaht oder mit einem Spalt mit überlappenden Seiten so ausgebildet werden kann, daß der Airbag ungehindert austreten kann. Diese Lösungen führen für den Fachmann ohne weiteres zu dem Schluß, daß die entsprechenden Techniken auch für einen Schonbezug eingesetzt werden können. Das ist gleichbedeutend mit einer Verwirklichung der entsprechenden Merkmale des Schonbezugs nach Patentanspruch 1 ohne erfinderische Tätigkeit.
Das Gewebe bzw der Bezugsstoff 24 des Fahrzeugsitzes nach der US-Patentschrift 5 498 030 weist in dem Bereich vor dem durch den Druck des sich aufblasenden Seitenairbags entstehenden Spalts zwei überlappende Bahnen (frangible seat seam 27) auf, die mit dem Spalt einen kongruent verlaufenden Schlitz bilden. Damit weist der Bezugsstoff in diesem Bereich, abweichend von den übrigen Materialien des Bezugsstoffes, eine andere nicht einheitliche Struktur auf, die so ausgebildet ist, daß er durch den sich aufblasenden aus dem Spalt des Rückenpolsters heraustretenden Seitenairbag bei partiellem Druck einen Spalt aufwirft, durch den der Seitenairbag dringt. Von dieser Gestaltung gelangt der Fachmann durch das routinemäßige Aufgreifen dieser bekannten Ausbildung einer Sollbruchstelle ohne weiteres zu dem Vorschlag, auch bei einem über die Sollbruchstelle des Bezugsstoffes gespannten Schonbezug im Bereich der darunterliegenden Sollbruchstelle des Bezugsstoffes eine entsprechende Sollbruchstelle auszubilden.
Auch der Hinweis der Patentinhaberin, daß der Schonbezug gezielt über den Spalt gespannt sein müsse, kann keine erfinderische Tätigkeit begründen. Wie aus der DE 94 00 449 U1 bekannt ist, bestehen Befestigungseinrichtungen für Schonbezüge gewöhnlich aus elastischen Bändern, welche unter und hinter dem Sitz hindurchgeführt und/oder, soweit möglich, am Rahmen des Sitzes verankert werden können (vgl S 1 Abs 3). Es ist deshalb selbstverständlich, daß solche Schonbezüge, auch wenn sie mit Einrichtungen versehen sind, die ein ungehindertes Austreten eines Seitenairbags ermöglichen, insgesamt so über den Sitz gespannt sein müssen, daß sie gegen Verrutschen und Faltenbildung gesichert sind. Derart gespannte Sitzbezüge erfüllen aber auch ganz von selbst das Merkmal, daß sie über einen Spalt gespannt sind, aus denen ggf ein sich aufblasender Seitenairbag austreten kann.
Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag hat daher keinen Bestand.
Zum 1. bis 4. Hilfsantrag.
Soweit die selbständigen Patentansprüche 2 nach dem 1. bis 3. und der selbständige Patentanspruch 1 nach dem 4. Hilfsantrag mit dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag übereinstimmen, gelten die vorstehenden Ausführungen zu diesem Patentanspruch.
Ob der bekannte Schlitz durch zwei überlappende Bahnen oder durch zwei aneinander stoßende Stoffbahnenkanten gebildet wird, hängt in erster Linie von dem gewünschten optischen Erscheinungsbild des Schonbezugs in diesem Bereich ab. Wenn aus optischen Gründen ein Schlitz mit aneinander stoßenden Stoffbahnenkanten gewünscht wird, weiß ein Schneider- oder Polstermeister, daß ein unerwünschtes Auseinanderziehen der Stoffbahnenkanten beim Aufspannen des Schonbezuges zu einer optisch unschönen Öffnung führt und bspw in einfacher Weise durch Fäden vermieden werden kann, die die Stoffbahnenkanten miteinander verbinden und diese zusammenhalten. Da die Fäden andrerseits das Austreten des Airbags nicht behindern dürfen, ist es selbstverständlich, daß nur solche Fäden verwendet werden dürfen, die durch den rückseitigen Druck auf den Schonbezug leicht reißen, so daß sich der Schlitz für den durchdringenden Seitenairbag öffnen kann. Dies liegt um so näher, als leicht aufreißbare Nähte, die das Austreten eines Seitenairbags nicht behindern, aus der US-Patentschrift 5 498 030 bekannt sind (vgl insbes Fig 3, Pos 62).
Durch eine derart einfache handwerkliche Maßnahme ergibt sich aber bereits eine alternative Ausbildung des Schonbezugs nach den vorgenannten Patentansprüchen 2 des 1. bis 3. und nach Patentanspruch 1 des 4. Hilfsantrags, die deshalb keinen Bestand haben.
Zum Hilfsantrag 5 Soweit der selbständige Patentanspruch 2 nach dem 5. Hilfsantrag mit den vorstehend zum 1. bis 4. Hilfsantrag abgehandelten Patentansprüchen übereinstimmen, wird auf die vorstehenden Ausführungen zu diesen Patentansprüchen verwiesen.
Wenn sich bei einem solchen Schonbezug herausstellen sollte, daß durch das Aufspannen des Schonbezugs noch nicht ausreichend sichergestellt werden kann, daß der Schlitz im Schonbezug stets im Bereich über dem Spalt des Kraftfahrzeugsitzes bleibt, weiß der Fachmann zB aus der FR-Patentschrift 1 593 125, daß Sitzbezüge in einfacher Weise durch Flächenreißverschlußelemente an Sitz- und/ oder Rückenlehnenteilen fixiert werden können. Es bietet sich deshalb ohne weiteres an, auch einen Schonbezug mit einem Schlitz, der den ungehinderten Austritt eines Seitenairbags gewährleisten soll, mit solchen Flächenreißverschlußelementen an dem Stoffbezug oder Polster des Sitz- und/oder Rückenlehnenteils im Bereich des Spaltes zusätzlich zu fixieren und die Flächenreißverschlußelemente etwas beabstandet zum Spalt vorzusehen, um ein Aufwerfen des Spaltes beim Austreten des Seitenairbags nicht zu behindern.
Damit können auch die Unterschiede des Schonbezugs nach Patentanspruch 2 gemäß 5. Hilfsantrag zum Schonbezug nach den abgehandelten Patentansprüchen gemäß dem 1. bis 4. Hilfsantrag eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen, so daß auch dieser Patentanspruch keinen Bestand hat.
Zum 6. und 7. Hilfsantrag Soweit die zugehörigen Patentansprüche 1 mit dem Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag übereinstimmen, gelten die Ausführungen zu diesem. Wenn sich bei einem solchen Schonbezug aus optischen Gründen der Wunsch ergibt, ganz auf einen Schlitz zu verzichten, weiß der Polster- und Schneidermeister aus der US-Patentschrift 5 556 129 (vgl insbes Fig 1 u 2, Pos 42), daß der ungehinderte Austritt eines Seitenairbags nicht nur durch einen sich aufwerfenden Spalt, sondern auch durch einen Flächenbereich sichergestellt werden kann, der gegebenenfalls eine Durchdringungsöffnung für den austretenden Seitenairbag freigibt. Hierzu ist der Bezugsstoff partiell mindestens so ausgebildet, daß ein Flächenbereich des den darunterliegenden Airbagaustrittskanal abdeckenden Bezugsstoffs durch den Druck des austretenden Seitenairbags reißt und eine Durchdringungsöffnung für den Airbag bildet. Dies geschieht durch eine U-förmige Schwächungsnaht.
Ausgehend hiervon, ist es nicht nur naheliegend, die Schwächungsnaht anstatt einer nachträglichen Bearbeitung durch eine linienförmige Schwächung unmittelbar bei der Herstellung des Bezugsstoffgewebes einzuweben oder einzuwirken, sondern auch die Fläche als Ganzes geschwächt auszubilden und hierfür Kett- und/oder Schußfäden zu verwenden, die bei einer bestimmten Spannung reißen, so daß sie das Austreten des Airbags nicht behindern. Eine solche Maßnahme ist für einen Polster- oder Schneidermeister ohne weiteres naheliegend, weil dieser weiß, daß Gewebe mit beliebigen Mustern und Festigkeiten durch geeignete Auswahl von Kett- und/oder Schußfäden erzeugt werden können. Die Anwendung solcher einfacher handwerklicher Maßnahmen bietet sich in gleicher Weise für nachträglich aufzuziehende Schonbezüge an, da ohne weiteres vorhersehbar ist, daß auch in diese im Bereich des darunterliegenden Spalts das Gewebe des Schonbezugs mit einer solchen Festigkeit gewebt werden kann, daß es das Austreten des Schonbezugs nicht behindert.
Die Patentansprüche 1 nach dem 6. und 7. Hilfsantrag haben deshalb ebenfalls keinen Bestand.
Da über einen Antrag nur in seiner Gesamtheit entschieden werden kann (BGH GRUR 1983, 171 "Schneidhaspel") und in jedem Antrag, wie vorstehend begründet, ein Patentanspruch einen Schonbezug betrifft, der nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, konnte keinem der Anträge der Patentinhaberin entsprochen werden.
Bei dieser Sachlage erübrigt sich eine besondere Begründung, warum auch die Schonbezüge nach den übrigen, im einzelnen nicht abgehandelten Patentansprüchen aller Anträge der Patentinhaberin ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.
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BPatG:
Beschluss v. 02.04.2003
Az: 9 W (pat) 19/01
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