Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. Oktober 2003
Aktenzeichen: 6 W (pat) 302/02

(BPatG: Beschluss v. 09.10.2003, Az.: 6 W (pat) 302/02)

Tenor

Das Patent P 44 38 437 wird in unverändertem Umfang aufrechterhalten.

Gründe

I Gegen die am 3. Januar 2002 veröffentlichte Erteilung des Patents 44 38 437 mit der Bezeichnung "Vorrichtung und Verfahren zur Bewehrung von Mauerwerk über Fensteröffnungen" ist am 28. März 2002 Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, dass der Gegenstand des Patents nicht neu sei und sich darüber hinaus aus einer einfachen Zusammenschau des Standes der Technik ergäbe. Auch sei die dem Patentgegenstand zugrunde liegende Aufgabe aus den ursprünglichen Unterlagen nicht herleitbar und der Patentanspruch 1 erfülle nicht die geltende Aufgabe.

In der Einspruchsbegründung verweist die Einsprechende neben den bereits im Prüfungsverfahren berücksichtigten Druckschriften

(D1) US 23 25 614

(D2) DE 94 00 252 U1 noch auf folgende Druckschriften:

(D3) DE 30 25 672 C2

(D4) US 23 61 828

(D5) Prospekt "ELMCO-Ripp und -Fol Bewehrungssystem".

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent in unverändertem Umfang aufrechtzuerhalten.

Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:

"Vorrichtung zur Bewehrung von Mauerwerk über Fensteröffnungen oder dergl., insbesondere zur Bewehrung von Rollschichten, mit einer draht- oder bandförmigen Bewehrungsschiene, an der Verbindungselemente angeordnet sind, die in den senkrechten Mörtelfugen befestigt sind, dadurch gekennzeichnet, dass die Verbindungselemente (1) blechförmig ausgebildet sind, dass sie mindestens zwei Haltezungen (4 oder 11) besitzen und außerdem im oberen Bereich mit einer Auflage-Abkantung (8) versehen sind".

Der nebengeordnete Patentanspruch 11 lautet:

"Verfahren zur Bewehrung von Klinker- oder Mauerwerk über Fensteröffnungen oder dergl., insbesondere zur Bewehrung von Rollschichten mit einer Vorrichtung nach mindestens einem der Ansprüche 1 bis 10, dadurch gekennzeichnet, dass die Rollschicht (2) mit den Verbindungselementen (1) auf einer Montageunterstützung in der Mauerwerksöffnung aufgemauert wird, dass beim Aufmauern der Rollschicht (2) die Verbindungselemente (1) soweit in die senkrechten Mörtelfugen (7) gedrückt werden, bis die Auflage-Abkantungen (8) auf der Oberkante der Rollschicht (2) aufliegen und dass anschließend die draht- oder bandförmige Bewehrungsschiene (3) über die Rollschicht (2) gelegt wird und dass danach die Verbindungselemente (1) mit der Bewehrungsschiene (3) formschlüssig verbunden werden."

Wegen der auf die Patentansprüche 1 bzw. 11 rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 10 und 12 sowie wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II 1. Über den Einspruch ist gemäß § 147 Abs 3 Ziff 1 PatG in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung von Kostenregelungen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums vom 13. Dezember 2001 (Art 7) durch den Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.

2. Der frist- und formgerecht erhobene Einspruch ist ausreichend substantiiert und zulässig, was auch von der Patentinhaberin nicht in Zweifel gezogen worden ist.

3. Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt eine patentfähige Erfindung im Sinne der §§ 1 bis 5 PatG dar.

a. Der Vorhalt der Einsprechenden, die dem Patentgegenstand zugrunde liegende Aufgabe sei aus den ursprünglichen Unterlagen nicht herleitbar, vermag nicht zu greifen. Vielmehr ist der Anmelderin bzw. Patentinhaberin eine Neuformulierung der Aufgabe immer dann gestattet, wenn näher kommender Stand der Technik objektiv eine Anpassung der Aufgabenstellung an den neuen Sachverhalt erfordert.

b. Auch der Vorhalt, der Patentanspruch 1 erfülle nicht die geltende Aufgabe, geht ins Leere.

Der erteilte Patentanspruch 1 geht von der (D1) US 23 25 614 aus. Diese Druckschrift erläutert eine gattungsgleiche Vorrichtung, bei der beim Aufmauern der Rollschicht das U-förmige Verbindungselement 13 in die Mörtelfuge zwischen zwei benachbarten Mauersteinen eingesetzt wird (vgl. Fig. 2). Wenn die Rollschicht fertiggestellt ist, wird auf die Rollschicht und zwischen die vertikalen Schenkel 14 der U-förmigen Verbindungselemente 13 eine Bewehrungsschiene 15 eingelegt (vgl. Fig. 3). Anschließend werden die nach oben über die Bewehrungsschiene 15 überstehenden Enden der U-förmigen Verbindungselemente 13 verrödelt (vgl. Fig. 4). Bei diesem Verrödeln kann es dazu kommen, dass eine Zugkraft auf den in der Mörtelfuge befindlichen Teil des U-förmigen Verbindungselementes 13 ausgeübt wird, wodurch ein Hochziehen dieses Teils erfolgt. Dies hat zur Folge, dass der sich innerhalb des "U" befindliche Mörtel mitgenommen wird und sich unterhalb des "U" ein Hohlraum bildet.

Hier setzt die Erfindung an, mit der eine Vorrichtung und ein Verfahren bereitgestellt wird, bei der bzw. dem bei der Verbindung der senkrechten Haltebügel mit der waagerechten Bewehrungsschiene keine Hohlräume und eine dadurch verursachte Verringerung der Tragfähigkeit der Mauerwerksbewehrung entstehen kann.

Zur Lösung dieser Aufgabe ist erfindungsgemäß vorgesehen, dass die Verbindungselemente blechförmig ausgebildet sind, dass sie mindestens zwei Haltezungen aufweisen und außerdem im oberen Bereich mit einer Auflage-Abkantung versehen sind.

Gerade durch die Auflage-Abkantung wird eine Höhenpositionierung der erfindungsgemäßen Vorrichtung zwischen der Oberkante eines Mauersteins und der Bewehrungsschiene erreicht, die auch beim anschließenden Auflegen der Bewehrungsschiene und Umbiegen der Haltezungen nicht mehr verändert wird, so dass zu keinem Zeitpunkt eine Relativbewegung zwischen dem Verbindungselement und der Mörtelfuge stattfindet und so die Bildung von Hohlräumen sicher vermieden wird.

Somit beinhaltet - entgegen der Auffassung der Einsprechenden - der Patentanspruch 1 eine vollständige Lösung der Aufgabe.

c. Die Gegenstände der erteilten Patentansprüche 1 bis 12 sind in den ursprünglichen Unterlagen offenbart, die Patentansprüche sind somit zulässig. Der erteilte Patentanspruch 1 ergibt sich aus den ursprünglichen Ansprüchen 1, 3 und 6, der erteilte Patentanspruch 11 geht auf den ursprünglichen Anspruch 1 i.V.m. S. 5, Z. 17 bis 19 der ursprünglichen Beschreibung zurück und die Unteransprüche 2 bis 10 und 12 lassen sich aus den ursprünglichen Ansprüchen 2 bis 15 herleiten.

d. Die unstreitbar gewerblich anwendbare Vorrichtung zur Bewehrung von Mauerwerk über Fensteröffnungen nach Patentanspruch 1 ist neu.

Die Neuheit des Patentgegenstandes ist lediglich bezüglich der (D2) DE 94 00 252 U1 bestritten worden.

Aus dieser Druckschrift ist eine Vorrichtung mit den Merkmalen des Oberbegriffs des erteilten Patentanspruchs 1 bekannt. Darüber hinausgehende Merkmale sind aus dieser Druckschrift nicht zu entnehmen, insbesondere ist dort kein blechförmiges Verbindungselement gezeigt, das im oberen Bereich mit einer Auflage-Abkantung versehen ist, wie sich auch aus der zutreffenden Merkmalsanalyse der Einsprechenden ergibt (vgl. Seiten 8 und 9 des Einspruchsschriftsatzes).

Hinsichtlich der Neuheit der übrigen im Verfahren befindlichen Druckschriften ist die Neuheit seitens der Einsprechenden nicht bestritten worden, und keiner dieser Druckschriften ist eine Vorrichtung zur Bewehrung von Mauerwerk über Fensteröffnungen mit sämtlichen im Patentanspruch 1 bzw. 11 angegebenen Merkmalen als bekannt zu entnehmen.

e. Die Vorrichtung gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Bei der Beurteilung des Patentgegenstandes muss die Druckschrift (D5) Prospekt "ELMCO-Ripp und -Fol Bewehrungssystem" außer Betracht bleiben, da sie nachveröffentlicht ist. Denn auf der letzten Seite des Prospekts (vgl. Text unten, rechte Sp., zweite Z.) befindet sich ein Hinweis auf eine gutachterliche Stellungnahme vom 5.8.96. Die Erwähnung dieses Datums beweist, dass der Prospekt erst nach dem genannten Datum und damit auch nach dem Anmeldetag des vorliegenden Patents, dem 28.10.94, hergestellt und veröffentlicht sein kann.

Abgesehen davon zeigt der Prospekt weder Merkmale des Patentanspruchs 1 oder des nebengeordneten Patentanspruchs 11 noch legt er diese nahe. Sein Offenbarungsgehalt geht vielmehr nicht über das hinaus, was bereits aus der Entgegenhaltung (D2) DE 94 00 252 U1 bekannt ist.

Die übrigen Druckschriften D1 bis D4 zeigen gattungsgleiche Vorrichtungen, sie gehen aber nicht über die Merkmale des Oberbegriffs des erteilten Patentanspruchs 1 hinaus. Insbesondere ist in keiner der Entgegenhaltungen ein blechförmiges Verbindungselement mit mindestens zwei Haltezungen gezeigt, das im oberen Bereich mit einer Auflage-Abkantung versehen ist.

Die (D1) US 23 25 614 zeigt lediglich die Merkmale des Oberbegriffs des erteilten Patentanspruchs 1. Dort besteht das Verbindungselement aus einem U-förmigen Drahtbügel 13 (vgl. S. 1, rechte Sp., Z. 12), dessen freie Enden 14 verrödelt werden, nachdem eine Bewehrungsschiene 15 eingelegt worden ist (vgl. insbes. Fig. 4). Die U-förmigen Drahtbügel sind jedoch weder blechförmig ausgebildet, noch weisen sie im oberen Bereich eine Auflage-Abkantung auf. Allenfalls die freien Enden 14 der Drahtbügel 13 könnten als Haltezungen bezeichnet werden, diese sind aber nicht - wie erfindungsgemäß vorgesehen - an einem blechförmigen Verbindungselement angeordnet.

Somit kann die (D1) US 23 25 614 keinen Hinweis in Richtung der streitpatentgemäßen Lösung geben.

Die (D2) DE 94 00 252 U1 erläutert ebenfalls eine gattungsgleiche Vorrichtung. Dort besteht die Bewehrungsschiene aus zwei Längsstäben 10, 11, an denen Verbindungselemente anbringbar sind, die als Bügel 13, Platten, stabförmige Elemente 13' oder streifenförmige Elemente 13'' ausgebildet sein können (vgl. Anspruch 1, letzte 3 Zeilen). Außerdem können die Bügel oder Platten aus Flachstahl bestehen (vgl. Anspruch 11). Weiterhin können die stabförmigen Elemente schraubenförmig (vgl. Anspruch 13) und die streifenförmigen Elemente gitterförmig ausgebildet sein (vgl. Anspruch 14). Alle diese Verbindungselemente haben an ihren freien Ende Haken, mit denen sie entweder an beide oder an einen der Längsstäbe anklemmbar sind (vgl. Ansprüche 6 und 7 sowie Fig. 2).

In keinem Fall ist das Verbindungselement aber blechförmig mit Haltezungen und einer im oberen Bereich angeordneten Auflage-Abkantung ausgebildet, wie es erfindungsgemäß vorgesehen sein soll. Selbst wenn man in einer unzulässigen - da rückschauenden - Betrachtungsweise die plattenförmigen Verbindungselemente und deren Haken zum Kontaktieren mit den Längsstäben gemäß der (D2) DE 94 00 252 U1 mit dem blechförmigen Verbindungselement und den Haltezungen beim Streitgegenstand gleichsetzen würde, bliebe als Unterschiedsmerkmal immer noch die im oberen Bereich vorgesehene Auflage-Abkantung, zu welcher die (D2) DE 94 00 252 U1 keine Anregung zu geben vermag.

Die (D3) DE 30 25 672 C2 zeigt eine Vorrichtung zur Bewehrung von Mauerwerk über Fensteröffnungen, bei der ein aus Weichstahl hergestellter Verstärkungsstreifen mit einer Vielzahl von Bohrungen versehen ist (vgl. Sp. 3, Z. 26 bis 29). In diese Bohrungen sind Endanschlagelemente mit einem Ansatz einsetzbar (vgl. Sp. 3, Z. 32 bis 39 und Fig. 1, 2 und 4). Weiterhin ist in dieser Druckschrift ein Bügelelement erläutert, welches als separates Teil und ohne Verbindung zu dem Verstärkungsstreifen als Bewehrungselement dient.

Weitere Übereinstimmungen mit dem Gegenstand des Streitpatents sind aus dieser Druckschrift nicht entnehmbar, so dass auch von dieser Druckschrift keine gedankliche Brücke zum Patentgegenstand führen kann.

Auch die (D4) US 23 61 828 erschöpft sich in der Erläuterung einer Bewehrung von Mauerwerk über Fensteröffnungen mit einer Bewehrungsschiene, an der U-förmige Bügel oder stabförmige Elemente anbringbar sind, ohne jedoch einen weiteren Zusammenhang mit dem Patentgegenstand erkennen zu lassen.

Nach alledem kann der aufgezeigte Stand der Technik weder für sich allein betrachtet noch in einer Zusammenschau zum Patentgegenstand führen, da jeglicher Hinweis zu der Maßnahme, am oberen Ende der Verbindungselemente eine Auflage-Abkantung vorzusehen, fehlt.

Der Patentanspruch 1 hat daher Bestand.

f. Der Gegenstand des nebengeordneten Patentanspruchs 11 ist neu. Dies wird auch seitens der Einsprechenden nicht bestritten.

g. Der Gegenstand des nebengeordneten Patentanspruchs 11 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Einsprechende verweist in diesem Zusammenhang lediglich auf das (D5) Prospekt "ELMCO-Ripp und -Fol Bewehrungssystem", welches jedoch bei der Beurteilung des Streitgegenstandes außer Betracht bleiben muss (siehe oben).

Da aus diesem Prospekt, wie auch im übrigen angezogenen Stand der Technik, kein Verbindungselement mit einer im oberen Bereich angeordneten Auflage-Abkantung zu entnehmen ist, kann folglich von dort auch keine Anregung ausgehen, die patentierte Vorrichtung in der im Patentanspruch 11 angegebenen Art und Weise zu verwenden.

Der Patentanspruch 11 hat daher ebenfalls Bestand.

h. Zusammen mit dem Patentanspruch 1 bzw. 11 sind auch die auf ihn unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 10 bzw. 12 bestandsfähig, da sie nicht platt selbstverständliche Ausgestaltungen der Vorrichtung nach Patentanspruch 1 bzw. des Verfahrens nach Patentanspruch 11 betreffen.

Lischke Heyne Riegler Schneider Cl






BPatG:
Beschluss v. 09.10.2003
Az: 6 W (pat) 302/02


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