Bundespatentgericht:
Beschluss vom 11. Juli 2005
Aktenzeichen: 23 W (pat) 28/03
(BPatG: Beschluss v. 11.07.2005, Az.: 23 W (pat) 28/03)
Tenor
1. Die Verfahrenskostenhilfe wird bewilligt.
2. Das Patent 101 47 245 wird mit folgenden Unterlagen erteilt:
Patentansprüche 1 bis 4, Beschreibung Seiten 1 und 2, sowie 2 Blatt Zeichnungen, Figuren 1 bis 4, jeweils eingegangen am 18. März 2003.
Gründe
I Die vorliegende Patentanmeldung wurde unter der Bezeichnung "Bremslicht-System für Fahrzeuge" am 26. September 2001 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht.
Im Prüfungsverfahren wurden zum Stand der Technik die Druckschriften 1) US-Patentschrift 5 634 708 2) deutsches Gebrauchsmuster 297 19 104 3) japanische Offenlegungsschrift 4-154448 mit englischsprachigem Abstract 4) japanische Offenlegungsschrift 3-297003 mit englischsprachigem Abstract 5) US-Patentschrift 4 892 369 6) deutsche Offenlegungsschrift 197 06 043 7) DE 693 08 274 T2 8) deutsche Offenlegungsschrift 44 27 606 und 9) deutsches Gebrauchsmuster 297 12 250 ermittelt. In den Bescheiden vom 23. August 2002 und 15. Oktober 2002 hat die Prüfungsstelle für Klasse B 60 Q des Deutschen Patent- und Markenamts dargelegt und im einzelnen begründet, dass mit dem damaligen Patentbegehren im Hinblick auf den nachgewiesenen Stand der Technik eine Patenterteilung ausgeschlossen sei.
Mit Beschluss vom 11. März 2003 hat die Prüfungsstelle für Klasse B 60 Q des Deutschen Patent- und Markenamts die Anmeldung aus den Gründen der beiden og Bescheide zurückgewiesen, nachdem der Anmelder innerhalb der Äußerungsfrist zu dem letztgenannten Bescheid vom 15. Oktober 2002 sachlich nicht Stellung genommen hat. In diesem Bezugsbescheid ist u.a. dargelegt, dass sich der Gegenstand des weiterverfolgten unabhängigen Patentanspruchs 4 in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergebe. Im Übrigen wurde von der Prüfungsstelle ein Vorschlag für voraussichtlich gewährbare Patentansprüche 1 bis 4 beigefügt.
Gegen den Zurückweisungsbeschluss richtet sich die Beschwerde des Anmelders.
Der Anmelder hat mit Schriftsatz vom 18. März 2003 eine Reinschrift der vorgeschlagenen Patentansprüche 1 bis 4 sowie eine angepasste Beschreibung und Zeichnung eingereicht und beantragt sinngemäß eine Patenterteilung auf der Grundlage dieser Unterlagen. Zudem hat der Anmelder mit Schriftsatz vom 1. April 2003 Antrag auf Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundespatentgericht gestellt. Seine finanzielle Lage habe sich nicht geändert und er sei weiter nicht in der Lage, die Kosten für die Beschwerde zu bezahlen (vgl hierzu die am 9. März 2004 eingegangenen Belege hinsichtlich der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse).
Die geltenden Ansprüche 1 bis 4 haben folgenden Wortlaut:
"1. Bremslicht-System für Fahrzeuge mit einer Lichtquelle, die einen Lichtstrahl auf eine für ein Bremslicht geeignete Stelle an einer Heckscheibe im Fahrzeuginneren projiziert, dadurch gekennzeichnet, dass das Glas der Heckscheibe an dieser Stelle für eine Streuung und Reflexion des nach aussen abgegebenen Bremslichtes mehrere eingeschlossene Luftblasen oder dicht angeordnete linienförmige, kratzerartige Vertiefungen aufweist.
2. Bremslicht-System für Fahrzeuge nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Luftblasen kugelförmig oder länglich sind.
3. Bremslicht-System für Fahrzeuge nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass die Luftblasen an den Rändern oder Ecken der Fahrzeugscheibe angebracht sind.
4. Bremslicht-System für Fahrzeuge nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Lichtquelle aus mindestens einem Laserstrahler besteht, vorzugsweise einer Laserdiode."
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II Die Verfahrenskostenhilfe wird bewilligt, weil die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde Aussicht auf Erfolg in dem Sinne bietet, dass eine hinreichende Aussicht auf Erteilung des nachgesuchten Patents besteht, §§ 129, 130 Abs 1 Satz 1 iVm § 114 ZPO. Die ursprünglich eingereichten Unterlagen offenbaren zumindest einen patentfähigen Gegenstand, der auch seinen Niederschlag im geltenden Patentanspruch 1 gefunden hat.
1.) Die geltenden Unterlagen, insbesondere die geltenden Patentansprüche 1 bis 4, sind zulässig. Der geltende Patentanspruch 1 stützt sich inhaltlich auf die ursprünglichen Ansprüche 1, 6 und 19 in Verbindung mit der ursprünglichen Beschreibung (insbes S 1 Z 20 bis 22 und S 2 Z 14 bis 18) und Zeichnung der Ausführungsbeispiele gemäß den Figuren 1 bis 4. Die geltenden Patentansprüche 2 bis 4 entsprechen in ihrem technischen Inhalt den ursprünglichen Ansprüchen 8, 9 und 11 (in dieser Reihenfolge).
Die geltende Beschreibung und Zeichnung ist ebenfalls zulässig, denn sie stützen sich auf die ursprüngliche Beschreibung bzw Zeichnung der Ausführungsbeispiele gemäß den ursprünglichen Figuren 1 bis 4.
2.) Ausgehend von dem allgemein bekannten Sicherheitskonzept für Fahrzeuge (geltende Beschreibung S 1 Z 8 bis 12), ein Bremslicht am Fahrzeug möglichst hoch anzubringen, damit es von anderen Verkehrsteilnehmern rechtzeitig gesehen werden kann, liegt der Patentanmeldung die Aufgabe zugrunde, ein Bremslicht-System zu schaffen, dessen Licht aus der Heckscheibe des Fahrzeugs kommt und das sehr gut sichtbar ist (geltende Beschreibung S 1, Z 14 bis 16).
Gelöst wird diese Aufgabe durch die im geltenden Patentanspruch 1 angegebenen Merkmale.
Erfindungswesentlich ist demnach, dass das Glas der Heckscheibe an der für ein Bremslicht geeigneten Stelle, auf die der Lichtstrahl einer Lichtquelle, zB eine an der Decke des Fahrzeugs angeordnete (rote) Laserdiode, im Fahrzeuginneren projiziert wird, für eine Streuung und Reflexion des nach außen abgegebenen Bremslichtes mehrere eingeschlossene Luftblasen oder dicht angeordnete linienförmige, kratzerartige Vertiefungen aufweist. Denn durch die im Glas der Heckscheibe eingeschlossenen Luftblasen oder dicht angeordneten linienförmigen, kratzerartigen Vertiefungen wird erreicht, dass die Lichtstrahlen die Heckscheibe infolge Streuung und Reflexion an dieser Stelle verlassen, so als ob die Glasscheibe die Bremslichtquelle wäre, ohne dass die Sicht des Fahrers beeinträchtigt ist, da die im Glas der Heckscheibe eingeschlossenen Luftblasen bzw linienförmigen Vertiefungen kaum sichtbar sind und erst dann sehr intensiv leuchten, wenn das Bremslicht aktiviert ist.
3.) Das zweifelsohne gewerblich anwendbare (§ 5 PatG) Bremslicht-System für Fahrzeuge ist gegenüber dem nachgewiesenen Stand der Technik neu (§ 3 PatG) und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG), da es sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Zuständiger Durchschnittsfachmann ist vorliegend ein mit Bremslicht-Systemen für Fahrzeuge befasster, berufserfahrener Diplom-Ingenieur der Fahrzeugtechnik bzw Fahrzeugelektrik mit Fachhochschulabschluss. Für das entscheidungserhebliche Lösungsmerkmal, im Glas einer Heckscheibe zur Streuung und Reflexion des projizierten Bremslichts mehrere eingeschlossene Luftblasen oder dicht angeordnete linienförmige, kratzerartige Vertiefungen auszubilden, gibt der nachgewiesene Stand der Technik weder einen Hinweis noch eine Anregung.
Aus der Druckschrift 1) ist ein Bremslicht-System für Fahrzeuge bekannt, bei dem der Lichtstrahl einer Lichtquelle (5) im Fahrzeuginneren mittels eines Lichtleiters (light guide plate 2) an einer für ein Bremslicht geeigneten Stelle auf ein an der Heckscheibe (1) angeordnetes oder in der Heckscheibe (21 - Fig 12) eingebettetes Hologramm (3) gerichtet ist, an dem das Bremslicht nach rückwärts reflektiert wird (Pfeil F), vergleiche Figuren 2 bis 21 mit zugehöriger Beschreibung Spalte 3 Zeile 28 bis Spalte 11 Zeile 34 sowie das Abstract auf der Titelseite.
Entsprechende holographische Bremslicht-Systeme für Fahrzeuge sind auch aus den Druckschriften 3), 4), 5) und 7) bekannt, vergleiche in 3) Figuren 1 bis 11 (hologram element 13, 23, 33, 53, 63); in 4) Figuren 1 bis 8 (hologram 2); in 5) Figuren 2 bis 9 (hologram 8, 14, 30, 50, 60); in 7) Figuren 1 bis 3 (Bremslicht-Hologramm 21).
Eine Anregung, anstelle eines lichtbeugenden und lichtreflektierenden Hologramms im Glas der Heckscheibe zur Streuung und Reflexion des projizierten Bremslichts lediglich mehrere eingeschlossene Luftblasen oder dicht angeordnete linienförmige, kratzerartige Vertiefungen auszubilden, können diese holographische Bremslicht-Systeme betreffenden Druckschriften nicht geben.
Aus der Druckschrift 2) ist ein Bremslicht-System für Fahrzeuge bekannt, bei dem - alternativ zu im Glas der Heckscheibe eingegossenen (roten) Leuchtdioden (16 - Fig 1) oder einer im Glas eingegossenen Gasentladungslampe (36 - Fig 2) - im Glas (42) der Heckscheibe ein Spiegel (46 - Fig 3 und 4) oder eine Mattscheibe als Reflexionselement eingegossen ist, das von einer am Glasrand angeordneten Lichtquelle (52) derart angestrahlt wird, dass das Licht der Lichtquelle (52) durch das Reflexionselement (46) aus dem Glas (42) heraus nach rückwärts reflektiert wird, vergleiche insbesondere Figuren 3 und 4 mit zugehöriger Beschreibung Seite 5 letzter Absatz bis Seite 6 Absatz 1, Seite 3 Absatz 1 sowie die Ansprüche 5 bis 9. Zwar weist eine Mattscheibe eine üblicherweise durch Anätzen oder Sandstrahlen erzeugte lichtstreuende Oberfläche auf. Da eine Mattscheibe (Mattglas) jedoch nicht durchsichtig ist, führt diese bekannte Lehre von der im Anspruch 1 gelehrten Lösung weg, im Glas der Heckscheibe mehrere eingeschlossene Luftblasen oder dicht angeordnete linienförmige, kratzerartige Vertiefungen auszubilden, die eine Streuung und Reflexion des projizierten Bremslichts bewirken, ohne jedoch die Durchsichtigkeit der Heckscheibe an dieser Stelle zu beeinträchtigen.
Entsprechendes gilt auch für die Druckschrift 6), die ein Bremslicht-System für Fahrzeuge offenbart, bei dem ein Spiegelelement (13) in einer aus Kunststoff bestehenden Heckscheibe (104) integriert ist, das den projizierten Lichtstrahl nach hinten reflektiert, vergleiche Figur 9 mit zugehöriger Beschreibung Spalte 5 vorletzter Absatz.
Aus der Druckschrift 8) ist ein Bremslicht-System für Fahrzeuge bekannt, bei dem das Licht einer außerhalb der Heckscheibe (2) angeordneten Lichtquelle (4) mittels eines durchscheinend ausgebildeten Lichtleitelements (5) an seiner Lichtaustrittsfläche mittels einer verspiegelten, lichtablenkenden Fläche (7) ausgekoppelt und nach rückwärts reflektiert wird (Richtung R), vergleiche die Figur mit zugehöriger Beschreibung Spalte 1 vorletzter Absatz bis Spalte 2 Abs 2 sowie die Ansprüche 1 und 2. Eine Anregung, im Glas der Heckscheibe an der Stelle des projizierten Bremslichts zur Streuung und Reflexion mehrere eingeschlossene Luftblasen oder dicht angeordnete streifenförmige, kratzerartige Vertiefungen auszubilden, ist dieser Druckschrift nicht zu entnehmen.
Schließlich ist aus der Druckschrift 9) ein Bremslicht-System für Fahrzeuge bekannt, bei dem eine auf der Heckscheibe angebrachte Folie mit einer speziellen, prismatischen Obeflächenstruktur versehen ist, die von einer Bremslichtquelle angestrahlt wird, vergleiche die Ansprüche 2, 5 und 7 sowie Beschreibung Seite 2 letzter Absatz und Seite 3 vorletzter Absatz zu Figur III.
Eine Anregung, im Glas der Heckscheibe an der Stelle der Bremslichter mehrere eingeschlossene Luftblasen oder dicht angeordnete linienförmige, kratzerartige Vertiefungen zur Streuung und Reflexion des projizierten Bremslichts auszubilden, ist auch dieser Druckschrift nicht zu entnehmen.
Da dieses entscheidungserhebliche Lösungsmerkmal - wie dargelegt - auch den übrigen Druckschriften nicht zu entnehmen ist, kann auch die Zusammenschau der ermittelten Druckschriften 1) bis 9) nicht ohne erfinderisches Zutun zu dem Bremslicht-System für Fahrzeuge gemäß Patentanspruch 1 führen.
Da der geltende Patentanspruch 1, wie dargelegt, dem Vorschlag der Prüfungsstelle entspricht, wurde der ermittelte Stand der Technik auch seitens der Prüfungsstelle ersichtlich nicht als patenthindernd im Hinblick auf das geltende Patentbegehren angesehen.
Bei dieser Sachlage sind die Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe gemäß §§ 129, 130 Abs 1 Satz 1 PatG iVm § 114 ZPO gegeben.
III Mit dem Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wurde die Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr gemäß § 134 PatG gehemmt. Mit der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe treten gemäß § 130 Abs 2 PatG die Rechtsfolge gemäß § 6 Abs 2 PatKostG auf die Nichtzahlung der Beschwerdegebühr nicht ein, so dass die Beschwerde als erhoben gilt.
1.) Die Beschwerde ist zulässig und auch begründet, denn der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist, wie vorstehend in Abschnitt II im einzelnen dargelegt, patentfähig.
2.) Die geltenden Unteransprüche 2 bis 4 betreffen vorteilhafte und nicht selbstverständliche Ausgestaltungen des Bremslicht-Systems für Fahrzeuge gemäß Patentanspruch 1. Deren Patentfähigkeit wird von derjenigen des Gegenstandes des Hauptanspruchs mitgetragen.
3.) Die geltende Beschreibung erfüllt - nach Berichtigung von Druckfehlern und grammatikalischen Fehlern - die an sie zu stellenden Anforderungen hinsichtlich der Angabe des Standes der Technik, von dem die Erfindung ausgeht und - in Verbindung mit der Zeichnung, Figuren 1 bis 4 - hinsichtlich der Erläuterung des beanspruchten Bremslicht-Systems für Fahrzeuge.
Das nachgesuchte Patent war daher - wie beantragt - zu erteilen.
IV Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Dr. Tauchert Dr. Meinel Dr. Gottschalk Schramm Be
BPatG:
Beschluss v. 11.07.2005
Az: 23 W (pat) 28/03
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