Bundespatentgericht:
Urteil vom 6. Oktober 2009
Aktenzeichen: 3 Ni 51/07

(BPatG: Urteil v. 06.10.2009, Az.: 3 Ni 51/07)

Tenor

1.

Das europäische Patent 0 566 709 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

2.

Die Beklagte und die Nebenintervenientin tragen die Kosten des Rechtsstreits.

3.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 3. September 1992 als internationale PCT-Anmeldung mit der Veröffentlichungsnummer WO 93/04675 angemeldeten, die Priorität der US-amerikanischen Patentanmeldung US 755924 vom 6. September 1991 in Anspruch nehmenden, u. a. mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 566 709 B1, das vom Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer 692 26 624 geführt wird. Das Patent, das im Laufe des Nichtigkeitsverfahrens im europäischen Beschränkungsverfahren beschränkt worden ist, betrifft in der danach maßgeblichen Fassung EP 0 566 709 B3 (Streitpatent) betrifft eine "Zusammensetzung, die eine Tramadol-Verbindung und Acetaminophen enthält, und ihre Verwendung". Es umfasst 12 Patentansprüche, die folgendermaßen lauten:

"1. A pharmaceutical composition comprising a tramadol compound and acetaminophen as its sole active ingredients, wherein the ratio of the tramadol compound to acetaminophen is a weight ratio from about 1:1 to about 1:1600.

2.

The pharmaceutical composition of claim 1 wherein the tramadol compound is tramadol hydrochloride.

3.

The pharmaceutical composition of claim 2 wherein the tramadol hydrochloride is racemic.

4.

The pharmaceutical composition of claim 1 wherein the weight ratio is about 1:1.

5.

The pharmaceutical composition of claim 1 wherein the weight ratio is from about 1:5 to about 1:1600.

6.

The pharmaceutical composition of claim 1 wherein the weight ratio is about 1:5.

7.

The pharmaceutical composition of claim 1 wherein the weight ratio is from about 1:5 to about 1: 50.

8.

The pharmaceutical composition of claim 1 wherein the weight ratio is from about 1:5 to about 1:19.

9.

The pharmaceutical composition of claim 1 wherein the weight ratio is from about 1:19 to about 1:50.

10.

The pharmaceutical composition of any preceding claim further comprising a pharmaceutically acceptable carrier.

11.

The pharmaceutical composition of any preceding claim for use in therapy of mammals.

12.

The use of a pharmaceutical composition of any preceding claim for the manufacture of a medicament for the treatment of pain in mammals."

Die Klägerin begründet ihre Klage damit, der Gegenstand des Streitpatentes sei gemäß Artikel Art. II § 6 Abs. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 a), Art. 54 und Art. 56 EPÜ nicht neu und seine Bereitstellung beruhe auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. In diesem Zusammenhang verweist sie auf die Druckschriften:

HE-2 Ganzer, U. et al., Laryng. Rhinol. Otol. 1988, 67, S. 90 bis 93 HE-3 US 3 652 589 HE-4 Rote Liste 1990, "22. Kombinationen" -05 019 bis 05 023 und 05 314 bis 05322 HE-5 Vogel, W. et al., Arzneim.-Forsch./Drug Res. 1978, 28(I), S. 183 bis 186 HE-6 Arend, I. et al., Arzneim.-Forsch./Drug Res. 1978, 28 (I), S. 199 bis 208 HE-7 Yanagita, T., Arzneim.-Forsch./Drug Res. 1978, 28 (I), S. 158 bis 163 HE-8 Flohe, L. et al., Arzneim.-Forsch./Drug Res. 1978, 28 (I), S. 213 bis 217 HE-9 Pircio, A. W. et al., Arch int. Pharmacodyn. 1978, 235, S. 116 bis 123 HE-10 Brinkmann, J., Allg. Med. 1989, 65, S. 166 bis 168 HE-11 Rote Liste 1990, Eintrag 05 018 zu Tramal¨

HE-12 Beaver, W. T., The American Journal of Medicine, 1984, 77 (Supp. 3A), S. 38 bis 53 HE-13 Auswertung der Daten der Figuren 4 und 9 der HE-10 HE-14 "New Oral Analgesic, Tramadol, Gains Marketing Approval" in: American Journal of Health-System Pharmacy, 1995, 52(11), S. 1153 bis 1154 HE-15 Auszug aus dem Orange Book der FDA zum Eintrag "Ultram¨" HE-16 Ausdruck einer Mitteilung von der Internetseite der Patentinhaberin zu "Ultram¨ ER" HE-17 RÖMPP CHEMIE LEXIKON, 9. Aufl. 1991, Georg Thieme Verlag Stuttgart, S. 3215 "Paracetamol", S. 3344 und 3345 "Phenacetin" HE-18 Internetausdruck vom 5. Oktober 2009: WINAPO¨ Lauer-Taxe -Wirkstoffdosier zu "Ethenzamid" HE-19 Nalto, M. et al., JNCI, 1986, 76, S. 115 bis 118 Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 566 709 in der Fassung, die es durch Beschluss des Europäischen Patentamts vom 31. Oktober 2008 erhalten hat, mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Im Übrigen erklärt sie den Rechtsstreit für erledigt.

Die Beklagte schließt sich der Erledigungserklärung an und beantragt im Übrigen, die Klage abzuweisen.

Die Nebenintervenientin schließt sich diesem Antrag der Beklagten an.

Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen und verweist zur Stütze ihres Vorbringens auf folgende Dokumente:

CR-1 Keinänen, S. et al., Europ. J. clin. Pharmacol., 1977, 12, S. 77 bis 80 CR-2 Eandi, M. et al., Arzneim.-Forsch./Drug Res. 1984, 34(II), S. 903 bis 907. CR-3a EP 0 566 709 B3 (Streitpatent) CR-3b Beim Deutschen Patentund Markenamt eingereichte deutscheÜbersetzung des Streitpatentes CR-3a Die Nebenintervenientin verweist im Zusammenhang mit ihrem Vortrag darüber hinaus auf das Dokument:

K & W 8 Raffa, R. B. et al., J. Pharmacol. Exp. Ther., 1992, 260 (1), S. 275 bis 28%:

Im Zusammenhang mit der Übernahme des Rechtsstreites durch die O... als Rechtsnachfolgerin der bisherigen Beklagten erklärt die Klägerin ihr Einverständnis.

Der Beklagtenvertreter erklärt, dass auch die bisherige Beklagte mit der Übernahme einverstanden ist, und dass er die Rechtsnachfolgerin vertritt.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien sowie hinsichtlich der eingereichten Unterlagen wird auf den Akteninhalt verwiesen:

Gründe

Die gegen den deutschen Teil des Streitpatents gerichtete und auf den Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ) gestützte Klage ist zulässig. Insbesondere ist die jetzige Beklagte infolge der während des Verfahrens erfolgten Umschreibung des Patentregisters als Rechtsnachfolgerin der bisherigen Beklagten M... und infolge der in der mündlichen Verhandlung von den Prozessvertretern für die Klägerin und die bisherige Beklagte erklärten Zustimmung wirksam in das Verfahren als Rechtsnachfolgerin eingetreten (§§ 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 265 Abs. 2 ZPO).

Die Klage ist auch begründet, da sich die im Streitpatent beanspruchte Lehre der Patentansprüche 1 bis 12 für den Fachmann nahegelegt war und sich daher nicht als erfinderisch erweist. Das Streitpatent war deshalb mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

I.

1. Das Streitpatent betrifft pharmazeutische Zusammensetzungen, die eine Tramadol-Verbindung und Acetaminophen enthalten sowie die Verwendung dieser Zusammensetzungen zur Schmerzbehandlung bei Säugern.

Im einleitenden Teil des Streitpatentes wird ausgeführt, dass es sich bei dem Wirkstoff Tramadol (= 1RS, 2RS)-[(Dimethylamino)-methyl]-1-(3-methoxyphenyl)cyclohexanol) weder um ein vollständig opioidähnlich noch um ein nicht opioidähnlich wirkendes, oral aktives reines Agonisten-Opioid-Analgetikum handele, das viele für Opioidtagonisten typische Nebenwirkungen nicht aufweise. Wie dort weiter dargelegt wird, würden alternativ zu Opioiden in der Schmerzbehandlung andererseits auch Nicht-Opioide, wie Acetaminophen (= APAP bzw. Paracetamol) und Aspirin, verwendet. Diese seien jedoch nur bei Schmerzen mittlerer Intensität hilfreich, wohingegen zur Behandlung von stärkeren Schmerzen weiterhin der Einsatz von Opioiden erforderlich sei. Um aber die mit deren Verabreichung verbundenen unerwünschten Nebenwirkungen, wie respiratorische Depression, Obstipation, Toleranz und Neigung zum Missbrauch, zu verringern, würden Opioide mit anderen Wirkstoffen, einschließlich nichtopioider analgetischer Mittel, kombiniert. Im Zusammenhang damit werde im Stand der Technik auch beschrieben, dass synergistische analgetische bzw. superadditive Wirkungen zu beobachten seien, wenn die Komponenten innerhalb bestimmter Verhältnisse vorlägen. Nichtsdestotrotz gebe es aber Warnungen vor dem täglichen Gebrauch von Nicht-Opioid-Analgetika-Mischungen und der Einnahme eines einzelnen Nicht-Opioid-Analgetikums in großen Mengen oder über einen langen Zeitraum hinweg. Diesen Angaben weiter folgend, offenbare der Stand der Technik jedoch nicht, dass auch Tramadol mit einem weiteren Analgetikum kombiniert werden könne oder solle, um die Nebenwirkungen eines jeden einzelnen zu verringern oder eine Zusammensetzung zu ergeben, die superadditive Analgesie aufweise (vgl. EP 0 566 709 B3 S. 2 Abs. [0002] bis [0007]).

2.

Die dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabe ist gemäß den Ausführungen der Beklagten in der mündlichen Verhandlung -denen sich der Senat anschließt darin zu sehen, ein Kombinationspräparat auf der Basis von Tramadol zur Behandlung von Schmerzen mit verbesserter Wirkung bereitzustellen.

3.

Gelöst wird diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatentes durch die Bereitstellung einer 1) pharmazeutischen Zusammensetzung, die 2) als einzige aktive Bestandteilea) eine Tramadol-Verbindung und b) Acetaminophen 3) in einem Gewichts-Verhältnis von etwa 1:1 bis etwa 1:1600 umfasst.

Die Aufgabe wird gemäß Patentanspruch 12 ferner gelöst durch die Verwendung dieser Zusammensetzung zur Schmerzbehandlung bei Säugern.

4. Der zuständige Fachmann ist ein Pharmazeut oder pharmazeutischer Chemiker, jeweils mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung und Herstellung von Schmerzmitteln, der mit einem Mediziner, spezialisiert auf dem Fachgebiet der Schmerztherapie, zusammenarbeitet.

II.

1.

Es bestehen zwar erhebliche Zweifel, ob dem Gegenstand der Patentansprüche 1 und 12 entgegen der Auffassung der Klägerin die Neuheit fehlt. Dies kann aber dahingestellt bleiben, denn der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 12 beruht jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, auch wenn für den Fachmann mit der beanspruchten pharmazeutischen Zusammensetzung umfassend als einzige Wirkstoffe eine Tramadol-Verbindung und Acetaminophen ein synergistischer Effekt sowie eine Verringerung der Nebenwirkungen verbunden sein mag.

2.

Die im einleitenden Teil des Streitpatentes als Stand der Technik zitierte und im vorliegenden Verfahren als Dokument HE-3 vorgelegte US-Patentschrift 3 652 589 betrifft die Bereitstellung von 1-msubstituierten Phenyl-2-aminomethylcyclohexanolen der dort angegebenen allgemeinen Formel. Im Rahmen dessen werden auch die mit diesen Wirkstoffen verbundenen Vorteile beschrieben. Dies erfolgt primär am Beispiel der Verbindung 1-(m-Methoxyphenyl)-2-dimethylaminomethylcyclohexanol-(1), d. h. anhand von Tramadol, einer Substanz, die sowohl als Razemat als auch in Form seiner Isomeren vorliegen kann. Den Angaben indiesem Dokument folgend handelt es sich bei Tramadol um ein stark wirksames Analgetikum, das im Vergleich zu anderen bekannten Schmerzmitteln jedoch weniger toxisch ist und bei diesen zu beobachtende Nebenwirkungen, wie z. B. eine atemdepressive Wirkung oder die Entwicklung von Abhängigkeiten, nicht bzw. nur in geringem Maße aufweist (vgl. HE-3 Patentansprüche 1, 6, 7, 14 bis 19 sowie Sp. 1 Z. 26 bis 32, Sp. 2 Z. 52 bis 59, Sp. 3 bis 5, Beispiele 1 bis 4 i. V. m. Sp. 7/8 bis 9/10 Tabelle I Verbindungen 6 bis 10, Sp. 9 Z. 37 bis 70 und Sp. 10 Z. 62 (Beispiel 17) bis Sp. 12 Z. 44). Der amerikanischen Patentschrift HE-3 ist darüber hinaus zu entnehmen, dass sich die dort beschriebenen Verbindungen auch in Kombination mit anderen Wirkstoffen als therapeutisch wertvoll erwiesen hätten, wobei oft ein synergistischer Effekt beobachtet worden sei. Als besonders nützliche Kombinationen werden in diesem Zusammenhang u. a. solche mit nichtsteroiden Analgetika, wie Acetylsalicylsäure, Phenacetin oder dergleichen, angegeben (vgl. HE-3 Sp. 12 Z. 45 bis 51). Bei Phenacetin handelt es sich im Übrigen um einen Wirkstoff, der aus Toxizitätsgründen zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr im Interesse der Fachwelt stand, war er doch z. B. in der Bundesrepublik Deutschland bereits seit dem Jahr 1986 nicht mehr zugelassen (vgl. HE-17 S. 3344/3345 "Phenacetin"). Ersetzt worden ist dieser Arzneistoff in der Folge durch Paracetamol, dem Hauptmetaboliten von Phenacetin. Auf eine Kombination dieses nichtsteroiden Analgetikums mit Tramadol ist sodann auch das einzige solche Kombinationen betreffende Beispiel 23 gerichtet. Als Wirkstoffkomponenten in einer Formulierung als Tablette nennt dieses Tramadol und p-Acetaminophenol, d. h. Paracetamol (vgl. dazu auch HE-17 S. 3215 "Paracetamol), neben zwei weiteren Arzneistoffen, dem Natriumsalz des Schlafund Beruhigungsmittels Pentobarbital und dem Salicylat Ethoxybenzamid (= Ethenzamid) ebenfalls ein Analgetikum (vgl.

z. B. The Merck Index. 9th Ed., 1976, Merck & Co., Inc., Rathway, N. J., U. S. A., "3658. Ethenzamide").

3. Von diesem Stand der Technik ausgehend bedurfte es keines erfinderischen Zutuns, zur Lösung der dem Streitpatent zugrunde liegenden Aufgabe, die im Patentanspruch 1 angegebene Zusammensetzung vorzuschlagen, die sich von der in der US-Patentschrift HE-3 beschriebenen lediglich darin unterscheidet, dass sie ausschließlich die beiden Wirkstoffe Tramadol und Paracetamol enthält.

a) Dem Fachmann war zum Prioritätszeitpunkt nämlich auch die gleichzeitige Verabreichung dieser beiden in Rede stehenden Analgetika in getrennten Formulierungen ohne die zusätzliche Gabe weiterer gleichwirkender Arzneistoffe bekannt. Beschrieben wird diese Kombination als ein in Betracht zu ziehender Weg bei der Behandlung starker Schmerzen in der wissenschaftlichen Veröffentlichung von J. Brinkmann in "Allgemeine Medizin" aus dem Jahr 1989 (= HE-10) (vgl.

S. 166 re. Sp. Abs. 4, S. 167 li. Sp. Abs. 1 und 3). In diesem Artikel wird die Kombination von peripher wirksamen Substanzen, wie Acetylsalicylsäure, Paracetamol, Metamizol oder Diclofenac, mit zentral wirksamen Analgetika als in Erwägung zu ziehende Medikation genannt, für den Fall die peripher wirksamen Substanzen alleine seien nicht mehr ausreichend zur Schmerzbehandlung in der chronischen Phase. Übereinstimmend mit dem Hinweis, der Arzt solle sich dabei auf jene Wirkstoffe beschränken, mit denen er regelmäßig arbeite, werden im Dokument HE-10 in der Folge sodann vier zentral wirkende Arzneistoffe als hervorragend kombinierbar mit den peripheren Analgetika angegeben. Dabei handelt es sich neben Codeinphosphat, Dextropropoxyphen und Tilidin auch um Tramadol (vgl.

S. 166 re. Sp. Abs. 1, 3 und 4 sowie S. 167 li. Sp. Abs. 1). Als therapeutisch sinnvolle Vorgehensweise erachtet der Autor dieser Publikation die Kombination von Schmerzmitteln -hier in der Onkologie -deshalb, weil dabei die Möglichkeit bestehe, die Einzeldosen der Wirkstoffe zu reduzieren und die mit den Einzelkomponenten verbundenen Nebenwirkungen deutlich zu verringern. Im Zusammenhang mit dem Vorschlag zur Reduktion der mit der Gabe dieser Wirkstoffe weiterhin verbundenen Nebenwirkungen ein Neuroleptikum begleitend zu verabreichen, werden diese zunächst in allgemeinem Kontext vorgeschlagenen Kombinationen sodann auch anhand zweier Beispiele konkret beschrieben. Dabei wird in dem den Wirkstoff Tramadol betreffenden Beispiel wiederum Paracetamol als einziges weiteres Schmerzmittel genannt, wobei diese beiden Wirkstoffe zusammen mit einem Neuroleptikum in einem Zeitabstand von 4 Stunden gegeben werden sollen (vgl. S. 166 re. Sp. Abs. 2 und S. 167 li. Sp. Abs. 2 und 3). Dass diese WirkstoffKombination zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits erfolgreich Eingang in der Praxis gefunden hat, belegt auch die Veröffentlichung von U. Ganzer und H. Bier in Laryng. Rhinol. Otol. aus dem Jahr 1988 (= HE-2). Dort wird die Kombination von peripher wirksamen Schmerzmitteln und zentral wirksamen Schmerzmitteln nicht nur ebenfalls empfohlen, es wird darüber hinaus auch beschrieben, dass für den Fall mit Tramadol (= Tramal¨) alleine werde keine ausreichende Schmerzfreiheit erzielt, dieses zusammen mit Paracetamol (= benuron¨) gegeben werde (vgl.

S. 91 re. Sp. Gesichtspunkt 4. und S. 92/93 übergreifender Absatz i. V. m. S. 93 Tabelle 6). Somit vermitteln diese Dokumente dem Fachmann nicht nur die Lehre, dass die Autoren die dort jeweils konkret benannte Kombination der zwei Analgetika Tramadol und Paracetamol als sinnvoll zur Behandlung von Schmerzen erachten, weil ihnen auf diese Weise der Weg eröffnet wird, die Einzeldosen der jeweiligen Analgetika sowie gleichzeitig die mit deren Gabe jeweils zu beobachtenden Nebenwirkungen zu reduzieren, sondern auch, dass mit einer derartigen Wirkstoff-Kombination bei der Behandlung stärkerer Schmerzen eine bessere Wirkung erzielt wird als mit Tramadol alleine. Angesichts dieses Sachstandes ist es daher als nahe liegend anzusehen, den in den Dokumenten HE-10 bzw. HE-2 beschriebenen Vorgehensweisen zu folgen und die dort genannte Kombination von Tramadol mit Paracetamol als geeignete Wirkstoff-Zusammensetzung dann in Betracht zu ziehen, wenn der Fachmann mit der Auffindung eines Kombinationspräparates auf der Basis von Tramadol zur Behandlung von Schmerzen mit verbesserter Wirkung betraut ist.

b) Wollte der Fachmann sodann diese beiden Wirkstoffe in einer fixen Formulierung als weitere Alternative zu der aus dem Stand der Technik bekannten flexiblen Darreichung der beiden Wirkstoffe in jeweils eigener Formulierung bereitstellen, so vermittelte ihm dazu die US-Patentschrift HE-3 die erforderliche Anregung. Dort werden feste Formulierungen als geeignete Darreichungsformen für die in dieser Druckschrift beschriebenen Wirkstoffe nämlich nicht nur in allgemeinem Kontext beschrieben (vgl. Sp. 9 Z. 71 bis Sp. 10 Z. 56), sondern es wird mit dem Beispiel 23 auch konkret die Bereitstellung von festen Formulierungen in Form von Tabletten angegeben, die auch diese beiden Wirkstoffe enthalten. Dem von der Beklagten -auch unter Hinweis auf das Dokument HE-12 S. 38. Abs. 3 und 4 -in diesem Zusammenhang vorgetragen Argument, der Fachmann ziehe solche sogenannten fixen Formulierungen vorliegend nicht ohne weiteres in Betracht, da diese einer individuellen Dosierung, die gerade im Zusammenhang mit opioiden Schmerzmitteln, wie dem Tramadol, üblich seien, entgegen stünden und dieses zudem eine Einschränkung der Therapiefreiheit bedeute, kann sich der Senat nicht anschließen. Nach Auffassung des Senates stellt die Zusammensetzung gemäß geltendem Patentanspruch 1 lediglich eine weitere vom Fachmann -wie das Dokument HE-3 zeigt -ebenfalls in Betracht gezogene Möglichkeit der Medikation dar. Dieses trifft umso mehr zu, als auch die Autoren des Artikels HE-10 darauf hinweisen, dass mit Rücksicht auf die oft sehr schwierige Compliance-Frage bei Tumorpatienten, fixe Kombinationen von Analgetika erwünscht seien (vgl. S. 166 re. Sp. Abs. 2).

c) Die im Hinblick auf das Beispiel 23 der US-Patentschrift HE-3 erfolgende Reduzierung der dort genannten vier aktiven Bestandteile auf nur noch zwei von diesen, kann keinen Beitrag zur Begründung der erfinderischen Tätigkeit leisten. Die Fachwelt sah es zum maßgeblichen Zeitpunkt nämlich als nicht mehr sinnvoll an, die im Beispiel 23 des Dokumentes HE-3 neben Tramadol und Paracetamol genannten Wirkstoffe, das Barbiturat und das Salicylat zusätzlich in solchen Kombinationen einzusetzen. So wird in der Druckschrift HE-2 im Zusammenhang mit der Verwendung von Barbituraten in Analgetika-Zubereitungen darauf verwiesen, dass diese keinen therapeutischen Vorteil böten, sondern lediglich das Risiko von Nebenwirkungen erhöhten (vgl. HE-2 S. 92 li. Sp. Abs. 1). Auch der Einsatz einer Nicht-Opioid-Analgetika-Mischung, wie sie im Beispiel 23 mit Paracetamol und Ethoxybenzamid vorliegt, wurde -wie im Streitpatent ausgeführt wird -zum Prioritätstag von der Fachwelt kritisch beurteilt (vgl. CR-3a S. 2 Abs. [0006] le. Satz). Entsprechend wird in der Veröffentlichung HE-2 darauf hingewiesen, dass peripher wirksame Analgetika, wie z. B. Acetylsalicylsäure und Paracetamol, als Monosubstanzen verwendet werden sollten (vgl. S. 91/92 re./li. Sp. übergreifender Absatz).

d) Ein erfinderisches Zutun erforderte auch nicht die Einstellung der im geltenden Patentanspruch 1 angegebenen Gewichtsverhältnisse der Wirkstoffe, entsprechend dem Merkmal 3) der Merkmalsanalyse I. 3.. Diese konnte der Fachmann ausgehend vom Beispiel 23 der US-Patentschrift HE-3 bzw. den in den Artikeln HE-2 und HE-10 bereits angegebenen Dosierungsvorschlägen im Rahmen von üblichen Dosis-Findungs-Studien ermitteln. Diese aber sind der Routinetätigkeit des Fachmannes zuzurechnen.

Nachdem somit bereits die Kombination der Wirkstoffe nahe liegend ist, kann - wie in der BGH-Entscheidung "Kosmetisches Sonnenschutzmittel" (vgl. BGH GRUR 2003, 317 Ls.) ausgeführt -der von der Beklagten geltend gemachte synergistische Effekt nichts zur Begründung der erfinderischen Tätigkeit beitragen. Abgesehen davon war dieser in Kenntnis des Dokumentes HE-3, in dem darauf hingewiesen wird, dass im Zusammenhang mit Wirkstoffkombinationen mit Verbindungen der dort angegebenen allgemeinen Formel häufig ein synergistischer Effekt zu beobachten sei, von vornherein zu erwarten gewesen (vgl. Sp. 12 Z. 45 bis 48). Dies gilt im Übrigen aufgrund der Ausführungen im Artikel HE-10 ebenso für die von der Beklagten geltend gemachte Reduzierung der Nebenwirkungen (vgl. S. 166 re. Sp. Abs. 2 le. Satz).

Der Gegenstand des geltenden Patentanspruches 1 ist daher mangels erfinderischer Tätigkeit nicht bestandsfähig.

4. Für den unabhängigen Verwendungsanspruch 12 gelten die vorstehend dargelegten Gründe sinngemäß, so dass es auch seinem Gegenstand an der erfinderischen Tätigkeit mangelt.

Die Verwendung der in Rede stehenden Kombination von Tramadol und Paracetamol wird -wie z. B. aus den Dokumenten HE-2, HE-3 und HE-10 zu ersehen ist primär im Zusammenhang mit der Schmerzbehandlung bei Menschen beschrieben. Diese Maßnahme kann daher ebenfalls keinen Beitrag zur Begründung der erfinderischen Tätigkeit leisten.

Auch der Gegenstand des Patentanspruches 12 ist daher mangels erfinderischer Tätigkeit nicht rechtsbeständig.

5. Ein bestandsfähiger Rest ist für den Senat auch nicht in den nachgeordneten Patentansprüchen 2 bis 11 zu erkennen. Die Beklagte hat auch nicht vorgetragen, dass ihnen ein eigenständiger patentfähiger Gehalt zukäme. Diese Patentansprüche, deren selbständiger erfinderischer Gehalt von der Klägerin unter Angabe von Gründen in Abrede gestellt wurde, fallen daher ebenfalls der Nichtigkeit anheim.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 Satz 2 1. Halbs. PatG i. V. m. §§ 91 Abs. 1 ZPO. 91a und §§ 101 Abs. 2, 100 ZPO, da die Nebenintervenientin, die als ausschließliche Lizenznehmerin der Beklagten zur Unterstützung beigetreten ist und hierdurch als streitgenössische Nebenintervenientin i. S. v. § 69 ZPO nach § 101 II ZPO Streitgenossin der unterstützen Beklagten gilt und deshalb auch als Streitgenossin -hier als notwendige Streitgenossin i. S. v. § 62 ZPO -der Beklagten gemeinsam mit dieser für die Kosten haftet (BPatG Mitt. 2009, 400 -Cetirizin), welche auch den teilerledigten Schutzgegegenstand umfassen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

Dr. Schermer Engels Dr. Proksch-Ledig Dr. Gerster Dr. Münzberg Pr






BPatG:
Urteil v. 06.10.2009
Az: 3 Ni 51/07


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