Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 9. April 2008
Aktenzeichen: 12 O 190/07

(LG Düsseldorf: Urteil v. 09.04.2008, Az.: 12 O 190/07)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche wegen Verletzung von Urheberrechten an hinterbeinlosen Stahlrohrstühlen geltend.

Die Klägerin firmierte nach dem von ihr als Anlage rop2 vorgelegten Handelsregisterauszug bis 2002 unter "Gebrüder xxx". Diese Gesellschaft entstand durch Umwandlung der Gebrüder xxx Aktiengesellschaft durch Beschluss der Hauptversammlung vom 17. November 1978. Am 28.02.1978 schloss xxx mit der Gebr. xxx AG den als Anlage rop 1 vorgelegten Lizenzvertrag, wonach letztere ausschließlich befugt sein sollte, den von xxx geschaffenen und nachfolgend abgebildeten Stuhl zu vervielfältigen und zu verbreiten.

Auf der Möbelmesse IMM Cologne 2007 stellte die Beklagte die im Klageantrag wiedergegebenen hinterbeinlose Stühle aus. Nachdem die Klägerin auf dem Messestand der Beklagten die dort gezeigten Stühle monierte, entfernte sie die dort gezeigten vier ausgestellten Exemplare des Stuhlmodells 27V und das ausgestellte Muster des Modells 28H und beschloss, keine Aufträge für jene Stühle anzunehmen.

Die Klägerin trägt vor:

Der von xxx geschaffene Stuhl genieße Urheberrechtsschutz. Die von der Beklagten auf der IMM Cologne 2007 angebotenen Stühle stimmten in dem ästhetischen Gesamteindruck mit den den xxx-Stuhl bestimmenden Merkmalen überein. Die Beklagte habe die von ihr angebotenen Stühle auf einer internationalen Messe und damit bundesweit angeboten.

Die Klägerin, die zunächst den in der Klageschrift vom 21.03.2007 formulierten Klageantrag angekündigt hat (Bl. 1 ff. d.A.), beantragt nunmehr,

I.

die Beklagte zu verurteilen,

es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle mehrfacher Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, zu unterlassen,

hinterbeinlose Metallrohrstühle in der Bundesrepublik anzubieten oder in den Verkehr zu bringen oder Abbildungen solcher Stühle zu vervielfältigen oder zu verbreiten,

bei denen von dem U-förmig ausgebildeten Bodengestell die beiden Rohrteile nach viertelkreisförmiger Biegung senkrecht emporsteigen, wonach sie nach weiterer viertelkreisförmiger Biegung die beiden Sitzstangen parallel oder nahezu parallel zu den Außenseiten des Bodengestells bilden und nach weiterer viertelkreisförmiger Biegung als Träger der Rücklehne nahezu senkrecht ansteigen, und zwar unabhängig vom Material und von der Materialfarbe des Sitzes und der Rückenlehne nach Maßgabe der nachstehenden Abbildungen:

der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses vollständig Auskunft zu erteilen über die Herkunft und den Vertriebsweg der unter I. 1. bezeichneten Stühle, und zwar unter Angabe der Artikelbezeichnungen, der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer und Auftraggeber sowie über die Menge der erhaltenen, ausgelieferten und für eine Auslieferung in der Bundesrepublik Deutschland von der Beklagten und/oder bei der Beklagten bestellten Stühle, wobei die Auskunft durch Vorlage von Bestellschreiben, Liefer- und Frachtpapieren und Rechnungen zu belegen ist,

der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, chronologisch geordneten Verzeichnisses vollständig darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagten die zu Ziff. I. 1. bezeichneten Handlungen begangen hat, und zwar unter Angabe

der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,

der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,

der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns, der nicht durch den Abzug von Fixkosten und variablen Gestehungskosten gemindert ist, es sei denn, diese können ausnahmsweise den unter Ziff. I. 1. bezeichneten Stühlen unmittelbar zugeordnet werden,

II.

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die unter Ziff. I. 1. bezeichneten Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird,

III.

die Beklagte zu verurteilen, an sie € 2.893,00 nebst Zinsen seit Klageerhebung in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet den gesamten Sachvortrag soweit er die Klägerin selbst und ihre Rechte betrifft mit Nichtwissen. Sie trägt vor, es sei zweifelhaft, ob xxx und nicht xxx bereits im Jahr 1924 den hinterbeinlosen Stuhl als erster konzipiert habe. Die Beklagte habe weder die streitgegenständlichen Stühle noch ähnliches zu irgendeinem Zeitpunkt in Deutschland in Verkehr gebracht und auch nicht beabsichtigt, dies zu tun. Im übrigen aber seien die von ihr gefertigten Stühle keine Nachbildung des angeblich vonxxx geschaffenen Stuhls. Der Gesamteindruck der Stühle weiche gravierend voneinander ab.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze nebst anlagen verwiesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 05.11.2007 die Klage teilweise umformuliert hat und sich darüber hinaus gegen die Vervielfältigung und Verbreitung von Abbildungen (solcher Stühle) wendet, handelt es sich nicht um eine Klageänderung, da der Klageantrag lediglich konkretisiert und im Sinne von § 264 Nr. 2 ZPO erweitert worden ist.

Die Anträge sind auch hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, denn sie enthalten neben der Beschreibung der angegriffenen Ausführungsform die Abbildungen der angegriffenen Stuhlmodelle.

Das Landgericht Düsseldorf ist auch zuständig. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ist nach Artikel 5 Nr. 3 EuGVO gegeben, da die Ansprüche wegen einer Urheberrechtsverletzung in Deutschland, d. h. wegen einer unerlaubten Handlung, nach dem deutschen Urhebergesetz geltend gemacht werden. Die örtliche Zuständigkeit folgt aus dem Umstand, dass die Beklagte ihre Möbel auf einer internationalen Messe in Deutschland angeboten hat, die sich jedenfalls auch an Möbelhändler richtet, die ihren Sitz im OLG-Bezirk Düsseldorf haben.

Die Klage ist unbegründet, da die jedenfalls kurzfristig von der Beklagten auf der IMM in Köln angebotenen Stühle keine Nachbildung des xxx-Stuhls darstellen und deshalb sämtliche geltend gemachten Ansprüche ausscheiden.

Zwar ist davon auszugehen, dass der von xxx geschaffene hinterbeinlose Stahlrohrstuhl als Werk im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG Urheberrechtsschutz genießt, jedoch beinhalten die von der Beklagten angebotenen Stühle lediglich eine freie Benutzung dieses Werks im Sinne von § 24 Abs. 1 UrhG. Die Urheberrechtsfähigkeit des xx-Stuhls ist anerkannt, da es sich unter Berücksichtigung des Formenschatzes zu der Zeit der Entstehung des Stuhls um eine herausragende eigentümliche geistige Schöpfung handelt (OLG Köln, GRUR 1990, 356, 357 - "Freischwinger"). Bei diesem Stuhl liegt eine starke künstlerische Leistung mit einem dementsprechend weit zu ziehenden Schutzbereich vor. Das künstlerische Hauptmerkmal ist die Einhaltung der geometrischen Grundform des Würfels und die strenge und einheitliche Linienführung des in einem Zuge verlaufenden, geschlossenen Rohrstrangs. Dadurch erhält der Stuhl seinen charakteristischen ästhetischen Gehalt und seine ausgeprägte individuelle Gestalt (BGH GRUR 1981, 820, 823 - "Stahlrohrstuhl II"). Der Einwand der Beklagten, xxx habe einen ähnlichen Stuhl bereits vor xxx geschaffen, ist ohne Bedeutung. Die Beklagte müsste dies darlegen und beweisen, denn denjenigen, der sich mit dem Einwand verteidigt, die Schutzfähigkeit entfalle oder sei eingeschränkt, weil der Urheber auf vorbekanntes Formengut zurückgegriffen habe, trifft die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Aussehens des älteren Werks (BGH GRUR 1981, 820, 822 - "Stahlrohrstuhl II). Das Vorbringen der Beklagten insoweit ist schon nicht hinreichend substantiiert und zudem nicht unter Beweis gestellt.

Bei den im Klageantrag wiedergegebenen Stühlen handelt es sich um freie Nachbildungen im Sinne von § 24 Abs. 1 UrhG, die das ausschließliche Nutzungsrecht der Klägerin, das diese durch die vorgelegten Anlagen rop 1 und 2 nachgewiesen hat, nicht verletzt.

Ein Werk ist in seiner jeweiligen Individualität, also in seiner jeweiligen charakteristischen Ausprägung geschützt. Unzulässig ist die Nachahmung derjenigen charakteristischen Züge, die dem Werk insgesamt seine schutzfähige eigenpersönliche Prägung verleihen. Die Frage, wie weit die Abweichung von dem Werk gehen darf, ohne den Schutzbereich des Urheberrechts zu verlassen, hängt davon ab, wie stark die im Werk zum Ausdruck kommende künstlerische Schöpfung ist. Bei dem von xxx geschaffenen Stuhl handelt es sich um eine künstlerische Leistung von hohem Rang (vgl. BGH GRUR 1961, 635, 638 f. - "Stahlrohrstuhl"). Auch unter Zugrundelegung des danach anzunehmenden weiten Schutzbereiches des xxx-Stuhls sind die Stühle der Beklagten keine Nachbildung dieses Stuhls, da sie in so vielen einzelnen Merkmalen von dem xxx-Stuhl abweichen, dass der Gesamteindruck nach den vorgelegten Abbildungen - die Orginale der streitgegenständlichen Stühle hat die Klägerin nicht vorgelegt - ein deutlich anderer ist. Die Schaffung der streitgegenständlichen Stühle beinhaltet eine eigenständige Leistung. Eine Nachahmung der künstlerischen Züge des xx-Stuhls ist nicht feststellbar. Letztlich beschränkt sich die Gemeinsamkeit der Stühle auf ihre Hinterbeinlosigkeit.

Die auffallendste Abweichung, die den Gesamteindruck maßgeblich bestimmt, besteht darin, dass die streitgegenständlichen Stühle nicht aus einem Stahlrohr gefertigt sind, sondern aus einer rechteckigen, flachen Metallschiene. Der Stuhl erhält hierdurch eine kantige und strenge Gestalt, die im Gegensatz zu der weichen und fließenden Form des runden xxx-Stahlrohrs steht, die dem Stuhl den Eindruck der einheitlichen Linienführung verleiht. Die von der Beklagten ausgestellten Stühle weisen zudem im Gegensatz zu dem xx-Stuhl keine geschlossene Stahlrohrkonstruktion auf, sondern eine nach oben offene Schienenkonstruktion.

Unterstützt wird das eckige Design der streitgegenständlichen Stühle dadurch, dass das Bodengestell nicht uförmig abgerundet ist, sondern die Metallschiene die Bodenfläche nach hinten rechtwinklig begrenzt. Die Metallschiene steigt zwar - ebenso wie das Stahlrohr bei dem xxx-Stuhl - nach viertelkreisförmiger Biegung senkrecht empor, jedoch wird der Gesamteindruck von der eckigen Begrenzungslinie bestimmt. Die viertelkreisförmigen Biegungen verlieren durch die flache eckige Metallschiene die ästhetische Bedeutung, die sie bei dem vom runden und fließenden Metallrohr bestimmten xxx-Stuhl haben.

Beim Modell 27V wird der kantige Gesamteindruck ausweislich der von der Beklagten vorgelegten und zum Gegenstand des Klageantrags gemachten Abbildung LS 3 dadurch verstärkt, dass die Sitzfläche die eckige Schiene nicht umgreift, sondern von der eckigen Schiene eingefasst wird. Bei diesem Modell wird durch den Umstand, dass die Rückenlehne mit der Stahlschiene endet, deutlich, dass der angegriffene Stuhl im Gegensatz zu dem von xxx geschaffenen Stuhl gerade nicht durch eine einheitliche Linienführung des in einem Zuge verlaufenden, geschlossenen Rohrstrangs bestimmt wird. Wie die Nieten auf der Rückenlehne und der Sitzfläche zeigen, sind Sitzfläche und Lehne zwar jeweils an Querstreben befestigt. Diese Querstreben dienen insoweit aber lediglich der technischen Konstruktion des Stuhles und bestimmen nicht dessen ästhetischen Gehalt. Entsprechendes gilt für das streitgegenständliche Modell 28H, bei dem die Rückenlehne über die eckige Metallschiene bis zu deren seitlicher Begrenzung ragt und von dort weiter emporsteigt, wobei dem von der Klägerin vorgelegten Ablichtungen die genauen Maße nicht entnommen werden können. Beide angegriffenen Stühle weisen ein sichtbares Querrohr der Rückenlehne nicht auf. Vielmehr wird die "offene" Schienenkonstruktion nach oben von der Rückenlehne begrenzt. Die Stühle enden gerade nicht mit dem geschlossenen Stahlrohr, das die einheitliche Linienführung des xxx-Stuhls prägt. Die angegriffenen Stühle wiederholen damit nicht die treppenförmige Anmutung des xxx-Stuhls. Der Eindruck eines "Endlosrohrs" ist bei beiden streitgegenständlichen Stühlen nicht gegeben. Bei dem Modell 28H wird der kantige eckige Eindruck unterstützt durch die Sitzfläche, die auf die eckige Stahlschiene aufgesetzt ist und nach vorne jedenfalls bis zu der aufsteigenden Schiene ragt und eventuell auch über diese hinausragt. Die genauen Abmessungen können den vorgelegten Abbildungen nicht entnommen werden.

Nach alledem weist die Gestaltung der streitgegenständlichen Stühle einen solchen Abstand zu der persönlichen geistigen Schöpfung des Urhebers xxx auf, dass demgegenüber die Wesenszüge des xxx-Stuhls verblassen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91, 709 ZPO.

Streitwert: 150.000,00 €.






LG Düsseldorf:
Urteil v. 09.04.2008
Az: 12 O 190/07


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