Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. Juni 2002
Aktenzeichen: 15 W (pat) 43/01
(BPatG: Beschluss v. 18.06.2002, Az.: 15 W (pat) 43/01)
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I Auf die am 11. November 1987 beim Deutschen Patentamt eingegangene Patentanmeldung P 34 48 237.7-44, die eine Trennanmeldung aus der am 11. Juli 1984 beim Deutschen Patentamt eingereichten Stammanmeldung P 34 25 424.2-42 darstellt, hat das Deutsche Patentamt ein Patent mit der Bezeichnung
"Silicium, Kupfer und Zink enthaltende Masse zur katalytischen Herstellung von Alkylhalogensilanen und deren Verwendung"
erteilt. Die Patenterteilung wurde am 2. Februar 1995 veröffentlicht.
Nach Prüfung des erhobenen Einspruchs, der mit Schriftsatz vom 8. September 1998 zurückgenommen worden ist, wurde das Patent mit Beschluß der Patentabteilung 44 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 21. September 2001 widerrufen.
Dem Beschluß lagen der mit Schriftsatz vom 9. Februar 1996 eingereichte Patentanspruch 1 und der Patentanspruch 2 gemäß DE 34 48 237 C2 mit folgenden Wortlaut zugrunde:
"1. Silicium, Kupfer und Zink enthaltende Masse zur katalytischen Herstellung von Alkylhalogensilanen, dadurch gekennzeichnet, daß die Masse als weiteren Bestandteil Zinn enthält, wobei ihre Zusammensetzung 0,5 - 10 Gew.-% Cu, bezogen auf Silicium 200 - 3000 TpM Zinn pro Teil Kupfer und 0,01 bis 0,5 Teile Zink pro Teil Kupfer aufweist.
2. Verwendung der Masse nach Anspruch 1 zur Herstellung von Methylchlorsilan aus Methylchlorid und gepulvertem Silicium."
Der Widerruf des Patents wurde hauptsächlich damit begründet, daß die Silicium, Kupfer und Zink enthaltenden Massen zur Herstellung von Alkylhalogensilanen nach Anspruch 1 im Hinblick auf die DE 33 12 775 C2 nicht neu seien. Es könne deshalb dahingestellt bleiben, ob die von der Patentinhaberin vorgenommene Korrektur des Anspruchs 1 zulässig sei.
Gegen diesen Beschluß hat die Patentinhaberin Beschwerde eingelegt und mit Schriftsatz vom 30. April 2002 einen neuen Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag mit folgenden Wortlaut eingereicht:
"Silicium, Kupfer und Zink enthaltende Masse zur katalytischen Herstellung von Alkylhalogensilanen, dadurch gekennzeichnet, daß die Masse als weiteren Bestandteil Zinn enthält, wobei die Zusammensetzung der Masse 0,5 - 10 Gew.-% Cu, ausgenommen in der Kombination aus teilweise oxidiertem Kupfer, das bis zu 0,2 Gew.-% Blei und etwa 0,42 Gew.-% Zinn enthält, während sein Wassergehalt von 0 bis 0,75 Gew.-% variieren kann, mit Kupferformiat, bezogen auf Silicium, 200 - 3000 TpM Zinn pro Teil Kupfer und 0,01 bis 0,5 Teile Zink pro Teil Kupfer aufweist."
Die Hilfsanträge I und II vom 26. April 2002 denen jeweils die nachfolgenden Patentansprüche 1 zugrundeliegen, hat sie weiterhin aufrechterhalten.
Patentanspruch 1 (Hilfsantrag I):
"Silicium, Kupfer und Zinn enthaltende Masse zur katalytischen Herstellung von Alkylhalogensilanen, dadurch gekennzeichnet, daß die Masse als weiteren Bestandteil aus Zinntetrachlorid, Zinnmetallstaub, Zinnoxid, Tetramethylzinn oder einer Alkylhalogenzinnverbindung stammendes Zinn enthält, wobei die Zusammensetzung der Masse 0,5 - 10 Gew.-% Cu, bezogen auf Silicium 200 - 3000 TpM Zinn pro Teil Kupfer und 0,01 bis 0,5 Teile Zink pro Teil Kupfer aufweist."
Patentanspruch 1 (Hilfsantrag II):
"Silicium, Kupfer und Zink enthaltende Masse zur katalytischen Herstellung von Alkylhalogensilanen, dadurch gekennzeichnet, daß die Masse als weiteren Bestandteil aus Zinntetrachlorid stammendes Zinn enthält und daß das Kupfer aus Kupfer(I)chlorid stammt, wobei die Zusammensetzung der Masse 0,5 - 10 Gew.-% Cu, bezogen auf Silicium 200 - 3000 TpM Zinn pro Teil Kupfer und 0,01 bis 0,5 Teile Zink pro Teil Kupfer aufweist."
Zur Begründung ihrer Beschwerde hat die Patentinhaberin schriftsätzlich im wesentlichen geltend gemacht, daß mit dem Disclaimer im Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag jede Berührung mit der nicht vorveröffentlichten DE 33 12 775 beseitigt sei, so daß der Hauptantrag im Hinblick auf die Neuheit ohne weiteres gewährbar sein sollte. Auch die im Patentanspruch 1 vorgenommene Berichtigung des Zinkbereichs in "0,01 bis 0,5" sei zulässig, da dieser korrekte Bereich in der Beschreibung der DE 34 48 237 C2 (Seite 2, Zeile 65) enthalten sei.
Die Patentinhaberin beantragt schriftsätzlich, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent auf der Grundlage der neuen Unterlagen, überreicht mit Schriftsatz vom 30. April 2002 (Patentanspruch 1, daran angepaßte Beschreibung mit unveränderten Anspruch 2 gemäß DE 34 48 237 C2) aufrechtzuerhalten;
hilfsweise das Patent mit dem neuen Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag I, dem Anspruch 2 gemäß DE 34 48 237 C2 und einer gegebenenfalls anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten;
hilfsweise, das Patent mit dem neuen Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag II, dem Anspruch 2 gemäß DE 34 48 237 C2 und einer gegebenenfalls anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten;
hilfsweise, die Sache an das Patentamt zurückzuverweisen.
Auf die Terminsladung zur mündlichen Verhandlung am 2. Mai 2002 hat die Patentinhaberin mit Telefax vom 22. April 2002 mitgeteilt, daß sie an dieser nicht teilnehmen werde. Daraufhin ist der Verhandlungstermin aufgehoben und eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung angekündigt worden.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II Die Beschwerde der Patentinhaberin ist zulässig (PatG § 73). Sie konnte jedoch keinen Erfolg haben.
Gegenstand der Entscheidung gemäß Hauptantrag sind die mit Schriftsatz vom 30. April 2002 eingereichten, am 2. Mai 2002 eingegangenen Unterlagen (Patentanspruch 1, angepaßte Beschreibung und Anspruch 2 gemäß DE 34 48 237 C2).
Mit diesen Unterlagen ist die beantragte Aufrechterhaltung des Patents schon deshalb nicht möglich, weil der Schutzbereich des geltenden Patentanspruchs 1 und damit auch derjenige des hierauf rückbezogenen Verwendungsanspruchs 2 gegenüber den erteilten Ansprüchen erweitert ist.
Aus dem für das Patentnichtigkeitsverfahren geltendem § 22 Abs 1, letzter Halbsatz PatG 1981 folgt, daß eine Erweiterung des Schutzbereichs des Patents auch schon im Einspruchsverfahren unzulässig ist (BGH GRUR 1990, 432 "Spleißkammer").
Mit Schriftsatz vom 19. Januar 1994, eingegangen am 22. Januar 1994, hat die Patentinhaberin den folgenden Patentanspruch 1 eingereicht und beantragt, daß dieser der Erteilung zugrundegelegt werden solle:
"1. Silicium, Kupfer und Zink enthaltende Masse zur katalytischen Herstellung von Alkylhalogensilanen, dadurch gekennzeichnet, daß die Masse als weiteren Bestandteil Zinn enthält, wobei ihre Zusammensetzung 0,5 - 10 Gew.-% Cu, bezogen auf Silicium, 200 - 3000 TpM Zinn pro Teil Kupfer und 0,01 - 0,05 Teile Zink pro Teil Kupfer aufweist."
Mit Erteilungsbeschluß vom 26. August 1994 ist das Patent mit diesem Anspruch 1 und dem Verwendungsanspruch 2 antragsgemäß erteilt worden. Dem Beschluß ist die der Erteilung zugrunde Anspruchsfassung als Beschlußbestandteil in Ablichtung nochmals beigefügt worden.
Gegen diesen Beschluß hat die Patentinhaberin keine Beschwerde eingelegt.
Der Schutzbereich des vorliegenden Patents wird somit durch den Inhalt dieser Patentansprüche bestimmt. Der Schutzbereich eines Patents reicht dabei nur soweit, wie die offenbarte Erfindung in den Patentansprüchen Ausdruck gefunden hat (vgl Schulte PatG 6. Aufl § 14 Satz 1 iVm Rdn 12). Daß der Zinkgehalt im Anspruch 1 der DE 34 48 237 C2 aufgrund eines Druckfehlers der Patentschrift 0,1 bis 0,05 Teile Zink pro Teil Kupfer beträgt, ist für den Inhalt des Patents demgegenüber ohne Belang (vgl Schulte PatG 6. Aufl § 49 Rdn 41).
Der Zinkanteil der geschützten Masse ist mit der Patenterteilung somit auf 0,01 bis 0,05 Teile Zink pro Teil Kupferfestgelegt worden, zumal ein solcher Zinkgehalt in Verbindung mit patentgemäßen Lehre nicht erkennbar unsinnig und im Hinblick auf die Crackkatalysator-Entscheidung des Bundesgerichtshofs auch als ursprünglich offenbart anzusehen ist.
Eine solche eindeutige Zahlenangabe bestimmt und begrenzt den geschützten Gegenstand abschließend. Eine Über- oder Unterschreitung ist daher in aller Regel nicht mehr zum Gegenstand des Patentanspruchs zu rechnen (v. Falck, Festschrift zum 100jährigen Bestehen der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht VCH, 1991, S 543, 577).
Nach Patentanspruch 1 gemäß geltenden Hauptantrag beträgt der Zinkgehalt der damit beanspruchten Masse
"0,01 bis 0,5 Teile Zink pro Teil Kupfer"
Die Obergrenze des Zinkgehalts ist hierbei gemessen am erteilten Gegenstand von 0,05 auf 0,5 Teile, dh um den Faktor 10 erweitert.
Auch wenn dieser erweiterte Zinkgehalt in der Beschreibung der Patentschrift noch enthalten ist (vgl S 2 Z 65) und der Zinkgehalt gemäß Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung auf einem Versehen beruhen mag, so kann nach erfolgter Patenterteilung der Schutzbereich nicht wieder auf diesen ursprünglich offenbarten breiten Bereich ausgedehnt werden. Denn dieser Bereich gehört nicht mehr in den Schutzbereich des Patents (vgl Schulte PatG 6. Aufl § 14 Rdn 13 iVm § 22 Rdn 14 bis 19 und § 49 Rdn 36 sowie BGH Mitt 2001, 25 "Zeittelegramm" insbes S 28 li Sp Abs 2).
Beschränkt sich das Patent bei objektiver Betrachtung auf eine engere Anspruchsfassung, als dies vom technischen Gehalt der Erfindung und gegenüber dem Stand der Technik geboten wäre, darf die Fachwelt nämlich darauf vertrauen, daß der Schutz entsprechend beschränkt ist. Dem Patentinhaber ist es dann verwehrt, nachträglich Schutz für etwas zu beanspruchen, was er nicht unter Schutz hat stellen lassen. Das gilt selbst dann, wenn der Fachmann erkennt, daß die erfindungsgemäße Wirkung als solche über den im Patentanspruch unter Schutz gestellten Bereich hinaus erreicht werden könnte (vgl BGH, Beschl. v. 12. März 2002 X ZB 12/00 "Custodiol I" Mitt 2002, 220, 223 li Sp Abs 4).
Der Patentanspruch 1 und mit ihm der Anspruch 2 gemäß Hauptantrag ist daher nicht bestandsfähig.
Dies gilt gleichermaßen für die Ansprüche gemäß Hilfsantrag I und II. Denn sowohl der Anspruch 1 nach Hilfsantrag I als auch der Anspruch 1 nach Hilfsantrag II, enthält das den Schutzbereich des erteilten Patents erweiternde Merkmal, wonach die Masse
"0,01 bis 0,5 Teile Zink pro Teil Kupfer" aufweist.
Damit sind auch die Anspruchsfassungen gemäß Hilfsantrag I und II aus den vorstehenden Gründen nicht gewährbar.
Der Senat hielt auch eine Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung an das Deutsche Patent- und Markenamt gemäß PatG § 79 Abs 3 Ziffer 1 nicht für geboten, da er über die von der Patentabteilung nicht abschließend geprüfte Frage der unzulässigen Änderung ohne weiteres selbst entscheiden konnte.
Angesichts des entscheidungsreifen Sachverhalts und des Umstands, daß die Patentinhaberin die an sich sachdienliche Erörterung der Sach- und Rechtslage im Rahmen einer mündlichen Verhandlung abgelehnt hat, war im Interesse eines raschen Verfahrensabschlusses von einer Zurückverweisung gemäß PatG § 79 Abs 3 Ziff 1 abzusehen.
Kahr Niklas Hock Egerer Pü
BPatG:
Beschluss v. 18.06.2002
Az: 15 W (pat) 43/01
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