Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. Januar 2004
Aktenzeichen: 30 W (pat) 233/02
(BPatG: Beschluss v. 19.01.2004, Az.: 30 W (pat) 233/02)
Tenor
Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Für verschiedene Waren und Dienstleistungen ua für
"Arzneimittel, Vitamine, Mineralstoffe"
ist unter der Nr 300 27 633 seit 12. Juli 2000 eingetragen das Zeichen Multivit STADA.
Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der beiden nachstehenden älteren Marken, nämlich 1. der Marke HERMES MULTIVIT, die unter der Nr 1 091 197 seit 1986 ua für die Waren "Arzneimittel, nämlich Vitaminpräparate; vitaminisierte diätetische Erzeugnisse (ausgenommen Reis-, Mehl- und Getreidepräparate)" eingetragen und zuletzt 2001 verlängert worden ist.
2. der Marke MULTIVIT, die seit 6. April 2000 unter der Nr 398 47 855 für "Arzneimittel; pharmazeutische- und veterinärmedizinische Erzeugnisse; pharmazeutische Präparate zur Nahrungsergänzung; Präparate für die Gesundheitspflege; diätetische Erzeugnisse für Gesundheitszwecke, insbes vitaminisierte Erzeugnisse; Vitamin-, Mineralstoff- und Spurenelemente-Erzeugnisse und deren Kombinationen; Erzeugnisse auf Pflanzenbasis in Form von Kräutertees und Zubereitungen aus pflanzlichen Extrakten und deren Kombinationen; Nahrungsergänzungsmittel und Nahrungsergänzungsmittel auf der Basis von Vitaminen und/oder Mineralstoffen und/oder Spurenelementen, vorgenannte Waren - soweit möglich - auch in Form von Brausetabletten und zur Herstellung alkoholfreier Getränke geeignet; Mineralwässer und kohlensäurehaltige Wässer; Brausetabletten und andere Präparate für die Zubereitung von alkoholfreien Getränken" eingetragen ist.
Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat durch Beschluß des Erstprüfers beide Widersprüche und sodann in einem weiteren Beschluß auch die dagegen eingelegte Erinnerung der Widersprechenden zurückgewiesen. Begründend ist im wesentlichen dargelegt, aufgrund der nicht sehr hohen Kennzeichnungskraft des für die Kollision allein in Betracht zu ziehenden Bestandteils "Multivit" habe der Firmenname in der angegriffenen Marke zumindest mitprägende Funktion, so daß für eine Verwechslungsgefahr keine ausreichende Zeichenähnlichkeit bestehe.
Die Widersprechende hat Beschwerde eingelegt. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens hat die Inhaberin der angegriffenen Marke die Benutzung der Marke 1 091 197 bestritten, nach Vorlage von Unterlagen jedoch anerkannt für die Waren "vitaminisierte diätetische Erzeugnisse". In der mündlichen Verhandlung hat die Widersprechende beide Widersprüche beschränkt, sie richten sich nur noch gegen die Waren "Arzneimittel, Vitamine, Mineralstoffe".
Mit näheren Ausführungen stützt sie ihre Beschwerde insbesondere darauf, daß sich die Zeichen auf identischen Waren begegnen könnten, bei denen breiteste Verkehrskreise angesprochen seien, wobei aufgrund des Charakters solcher Präparate auch nicht von einer nennenswert gesteigerten Aufmerksamkeit der Verkehrskreise ausgegangen werden könne.
Der für die Kollision in Betracht zu ziehende Bestandteil Multivit möge zwar eine sprechende Funktion in sich tragen, das Publikum sei jedoch auch an stark sprechende Zeichen gewöhnt und sehe sie ohne weiteres als Marken. Von der Sachangabe Multivitamin entferne sich Multivit hinreichend deutlich, zumal vit auch im Sinne von Vita verstanden werden könne.
STADA sei als Firmenname allgemein geläufig und somit ungeeignet, einzelne Waren näher zu kennzeichnen. Dies gelte auch bei ihrer Marke HERMES MULTIVIT in Bezug auf Hermes. Deshalb richte sich die Aufmerksamkeit des Verkehrs vorzugsweise auf den Bestandteil Multivit. Insoweit sei der Streitfall vergleichbar mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs Nitrangin (GRUR 1998, 815).
Die Widersprechende beantragt, die Beschlüsse der Markenstelle aufzuheben und die Löschung des angegriffenen Zeichens anzuordnen.
Vorsorglich regt sie an, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, Multivit sei schutzunfähig oder allenfalls so schwach kennzeichnend, daß daneben die Firmenbezeichnung STADA nicht vernachlässigt werden könne. Die von der Widersprechenden zitierte Entscheidung Nitrangin sei durch die neuere Entscheidung ASTRA/ESTRA-PUREN des Bundesgerichtshofs (GRUR 2002, 342) weitgehend überholt. Dem wesentlich weniger sprechenden Markenteil ESTRA hat dort der Bundesgerichtshof aufgrund seiner Ähnlichkeit zu dem INN Estradiol eine hinreichend selbständige Kennzeichnungskraft abgesprochen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, sachlich jedoch ohne Erfolg. Es besteht keine Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Absatz 1 Nr 2 MarkenG. Der Rechtsbegriff der Verwechslungsgefahr beurteilt sich nach allen hierfür maßgebenden, zueinander in Wechselbeziehung stehenden Kriterien, insbesondere der Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarken, der Ähnlichkeit der Waren und der Ähnlichkeit der Marken. Die Wertung dieser Umstände führt hier zu folgenden Ergebnissen:
Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke 1 091 197 ist als normal zu beurteilen, da sie über den jedenfalls kennzeichnungskräftigen Markenteil HERMES verfügt.
Dagegen ist die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke 398 47 855 deutlich unterdurchschnittlich. Multivitaminpräparate sind eine eigene Untergruppe der Vitamine (Rote Liste 2002 Hauptgruppe 84 ab Nr 171). Den Fachbegriff, den rein beschreibenden Begriff Multivitamin, verkürzt die Widerspruchsmarke 39 847 855 lediglich in der Weise, daß sie statt Vitamin, die dafür ebenfalls gängige Abkürzung VIT verwendet. Soweit im Eintragungsverfahren die Schutzfähigkeit im Erinnerungsverfahren mit der Begründung bejaht hat, die Silbe VIT würde nicht nur an Vitamine, sondern ebenso auch an die Wörter vital oder Vita erinnern, so daß das angesprochene Publikum im Rahmen des Gesamtwortes VIT als Phantasiebestandteil werte, vermag dem der Senat nicht beizutreten. Auch ohne Abkürzungspunkt hinter dem VIT (für diesen gibt es keine festen Regeln, vgl etwa Abs neben Abs) scheint das Fachwort Multivitamin in dieser Bezeichnung so deutlich und jedenfalls dann auch eindeutig durch, wenn das Zeichen im Zusammenhang mit Multivitaminpräparaten eingesetzt wird. Die Waren dürfen aber bei der Beurteilung der Kennzeichnungskraft von Marken nicht unberücksichtigt bleiben.
Bei den Waren, gegen die sich die beiden Widersprüche noch richten, ist bezüglich beider Widerspruchsmarken Identität nicht auszuschließen.
Zutreffend weist die Widersprechende darauf hin, daß sich Vitaminpräparate an breite Verkehrskreise jeglichen Alters und jeglichen Bildungsgrades wenden und daß sie auch apothekenfrei in Selbstbedienungsläden feilgehalten werden, so daß hier keine größere Aufmerksamkeit des Publikums zu erwarten ist.
Den unter diesen Umständen zur Vermeidung von Verwechslungen erforderlichen deutlichen Zeichenabstand hält jedoch das angegriffene Zeichen von beiden Widerspruchsmarken ein. Zwischen den Marken als Ganzes besteht dabei wie auch die Widersprechende nicht näher in Zweifel zieht, hinreichende Differenz, nämlich zur Marke Multivit, schon wegen des bei der angegriffenen Marke zusätzlichen Bestandteils STADA, bei der Marke HERMES MULTIVIT wegen der hinreichend deutlichen Unterschiede in den Bezeichnungen HERMES im Vergleich zu STADA.
Eine Verwechslungsgefahr kann demnach nur dann in Betracht kommen, wenn der Bestandteil STADA in der angegriffenen Marke vom Publikum so vernachlässigt würde, daß er für den Gesamteindruck weitgehend in den Hintergrund tritt und ihm daher bei der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit keine Relevanz mehr zukommt. Beschreibenden oder auch nur kennzeichnungsschwachen Angaben kann jedoch eine den Gesamteindruck allein prägende Wirkung nicht beigemessen werden und zwar auch dann nicht, wenn die vom Bundesgerichtshof für die Vernachlässigung des Firmenbestandteils aufgestellten Grundsätze dem Grunde nach zutreffen, nämlich Bekanntheit bzw Erkennbarkeit als Firmenname und größere Breite von Einzelprodukten, bei denen dem Firmennamen der die eigentliche Produktbezeichnung angebende weitere Bestandteil hinzugefügt ist (vgl Ströbele/Hacker, MarkenG, 7. Aufl, § 9 Rdn 414 f). Denn auch in diesen Fällen ist Voraussetzung einer Verlagerung des kennzeichnenden Charakters auf den anderen Markenteil, daß dieser seine Aufgabe erfüllen kann, als produktidentifizierendes Kennzeichenmittel verstanden zu werden (vgl zB BGH GRUR 1996, 404, 405 Blendax Pep; GRUR 1997, 897, 899 IONOFIL; GRUR 1998, 815, 117 Nitrangin; GRUR 2002, 342, 344 ASTRA/ESTRA-Puren). Das ist bei der angegriffenen Marke nicht der Fall. Zum einen verwendet die Fa. STADA für zahlreiche Arzneimittel Marken, die lediglich aus dem Firmennamen und einem rein beschreibenden Zusatz gebildet sind (vgl ROTE LISTE 2003 S 504 zB Amoxicillin STADA; Calcium STADA, Captopril STADA, Cimetidin STADA usf.). Hierdurch ist nicht nur der Fachmann, sondern auch der Laie bei diesen Präparaten gezwungen, stets die vollständige Markenbezeichnung zu nehmen, weil ohne Firmenname keine hinreichende Identifizierung des Gewollten möglich ist. Dies unterstützt dann die Tendenz, die im Arzneimittelbereich ohnehin eher die Ausnahme bildende Verkürzungstendenz beim Firmennamen STADA auch dann nicht zu praktizieren, wenn der weitere Zeichenteil nicht schutzunfähig, sondern nur mehr oder weniger kennzeichnungsschwach ist. Im Gegensatz zu der von der Widersprechenden angeführten Entscheidung Nitrangin (BGH aaO), bei der der Bundesgerichtshof aus der Zusammenziehung der Bestandteile Nitroglycerin und Angina zu Nitrangin keine maßgebliche Kennzeichnungsschwäche dieses Markenteils anerkannt hat, ist hier die Kennzeichnungsschwäche von Multivit auch für den Laien ohne weiteres erkennbar. Die Verfremdung des Fachbegriffs Multivitamin ist wesentlich simpler als die Zusammenfügung der Wörter Nitroglycerin und Angina zu Nitrangin. Eine Bezeichnung des Wirkstoffs lässt sich nämlich schon nicht einmal unverkürzt sprachregelgerecht mit der Krankheitsbezeichnung zu einem zusammengesetzten Hauptwort verbinden. Erst recht gilt dies für die Verbindung der jeweils verkürzten Wörter, wobei sich angin auch nicht als Abkürzung von Angina nachweisen läßt. Zutreffend weist demgegenüber die Inhaberin der angegriffenen Marke darauf hin, dass estra, das wohl nur für den Fachverkehr erkennbar auf den Wirkstoff Estradiol hinweist, gleichwohl für den Bundesgerichtshof wegen dieses sprechenden Charakters nicht geeignet erscheint, die Marke ESTRA-PUREN allein zu prägen (BGH aaO ASTRA/ESTRA-PUREN).
Die Beschwerde ist deshalb ohne Erfolg. Der Anregung der Widersprechenden, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, kann nicht gefolgt werden, da die Voraussetzungen des § 83 Absatz 2 MarkenG nicht vorliegen. Die Entscheidung wirft keine neuen, vom Bundesgerichtshof noch nicht entschiedenen Rechtsfragen auf.
Zu einer Auferlegung von Kosten gemäß § 71 Absatz 1 Satz 1 MarkenG besteht keine Veranlassung.
Dr. Buchetmann Winter Schramm Hu
BPatG:
Beschluss v. 19.01.2004
Az: 30 W (pat) 233/02
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/d022fc3d2bcb/BPatG_Beschluss_vom_19-Januar-2004_Az_30-W-pat-233-02