Bundespatentgericht:
Beschluss vom 2. März 2004
Aktenzeichen: 23 W (pat) 22/02
(BPatG: Beschluss v. 02.03.2004, Az.: 23 W (pat) 22/02)
Tenor
Der Beschluß des Patentamts vom 28. Januar 2002 wird aufgehoben und das Patent erteilt:
Bezeichnung: Elektrische Klemme Anmeldetag: 12. August 1997 Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:
Patentansprüche 1-4, Beschreibung Seiten 1-10, Zusammenfassung (Seite 13), jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung, 2 Blatt Zeichnungen, Figuren 1-9, wie offengelegt.
Gründe
I Die Prüfungsstelle für Klasse H 01 R des Deutschen Patent- und Markenamts hat die am 12. August 1997 eingereichte Patentanmeldung mit der Bezeichnung "Elektr. Klemme" durch Beschluß vom 28. Januar 2002 aus den Gründen des Bescheids vom 8. März 1999 gemäß § 48 PatG zurückgewiesen.
In dem genannten Bescheid ist ausgeführt, daß in den Entgegenhaltungen - US-Patentschrift 4 299 436 (Druckschrift 2) und - US-Patentschrift 3 363 224 (Druckschrift 3)
elektrische Klemmen für den Klemmanschluß mindestens eines elektrischen Leiters offenbart seien, die jeweils sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1 der vorliegenden Anmeldung aufwiesen und daher neuheitsschädlich seien. Möglicherweise gewährbar erscheine hingegen ein Patentanspruch 1, der im Oberbegriff die Merkmale des ursprünglichen Patentanspruchs 1 und im kennzeichnenden Teil die Merkmale der ursprünglichen Patentansprüche 3 und 4 enthielte.
Zum Stand der Technik sind im Prüfungsverfahren außerdem die Entgegenhaltungen - französische Offenlegungsschrift 2 094 422 (Druckschrift 1) und - deutsches Gebrauchsmuster 77 20 504 (Druckschrift 4)
in Betracht gezogen worden.
Im Rechercheverfahren des Deutschen Patent- und Markenamts ist zum Stand der Technik zudem die - deutsche Patentschrift 39 38 608 (Druckschrift 5)
ermittelt worden.
Gegen den vorgenannten Beschluß richtet sich die Beschwerde der Anmelderin.
Sie verfolgt ihr Schutzbegehren mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüchen 1 bis 4 mit angepaßter Beschreibung weiter und vertritt die Auffassung, daß der Gegenstand des neugefaßten Patentanspruchs 1 gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik patentfähig sei.
Die Anmelderin beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:
Patentansprüche 1 bis 4, Beschreibung, Seiten 1 bis 10, sowie eine Zusammenfassung (Seite 13), jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung, 2 Blatt Zeichnungen, Figuren 1 bis 9, wie offengelegt.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet:
"Elektrische Klemme für den Klemmanschluß mindestens eines elektrischen Leiters (= Leiterklemmanschluß)
- mit einem Kontaktrahmen, der aus einem flachen Metallmaterial (= Flachmaterial) ausgestanzt und in Art eines Tunnels mit einem Tunneleingang (14) und einem Tunnelausgang (15) sowie zwei Tunnelseitenwänden (11, 12) geformt ist, in den der elektrische Leiter (18) über den Tunneleingang in Richtung der Tunnelachse einsteckbar ist,
- wobei zur Bildung eines Leiterklemmanschlusses im Tunneleingang aus dem Flachmaterial der Tunnelseitenwände jeweils eine Blattfeder (16, 17) in Art einer Zunge freigestanzt (ausgestanzt) ist und aus der Ebene des Flachmaterials herausgebogen ist derart, daß das freie Ende der Blattfeder eine gegen den elektrischen Leiter gerichtete Klemmkante bildet, dadurch gekennzeichnet,
- daß die Tunneldecke (13) oberhalb der Blattfedern (16, 17) des unter der Tunneldecke angeordneten Leiterklemmanschlusses eine Deckenöffnung (20) aufweist, durch die ein Drücker (22) von oben zwischen die Blattfedern eingedrückt werden kann, um den Leiterklemmanschluß durch Auseinanderdrücken der Blattfedern zu öffnen."
Wegen der geltenden Unteransprüche 2 bis 4 und der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig und auch begründet; denn die Lehre der geltenden Patentanspruchs 1 ist durch den im Verfahren befindlichen Stand der Technik nicht patenthindernd getroffen.
1. Die geltenden Patentansprüche 1 bis 4 sind zulässig.
Der geltende Patentanspruch 1 findet inhaltlich eine ausreichende Stütze in den ursprünglichen Patentansprüchen 1 (Oberbegriff) und 3 (Kennzeichen).
Die geltenden Unteransprüche 2 und 3 entsprechen inhaltlich - in dieser Reihenfolge - den ursprünglichen Ansprüchen 4 bzw. 5.
Der geltende Unteranspruch 4 ist durch den ursprünglichen Anspruch 2 in Verbindung mit dem Ausführungsbeispiel nach Figur 1 (hinsichtlich der spiegelbildlichen Anordnung der Leiterklemmanschlüsse im Tunneleingang und -ausgang) gedeckt.
2. Gemäß der geltenden Beschreibung (S 1, Abs 1 und 2) wird im Oberbegriff des verteidigten Patentanspruchs 1 von einer elektrischen Klemme für den Klemmanschluß mindestens eines elektrischen Leiters ausgegangen, wie sie aus dem deutschen Gebrauchsmuster 77 20 504 (Druckschrift 4) bekannt ist (vgl dort den Anspruch 1 iVm den Fig 3 und 4 nebst der zugehörigen Beschreibung, insbes S 6, Abs 1, wonach das im Querschnitt U-förmige Federelement (3) mit von den Seitenwänden (hochgestellte Kragen 19) in den Freiraum der U-Form herausgebogen Kontaktzungen (20) versehen ist).
Nach den Angaben in der geltenden Beschreibung (S 2, Abs 2 bis S 3, Abs 1) haben die bekannten gattungsgemäßen Tunnelklemmen für elektrische Leiter jedoch den Nachteil, daß das Tunnelgewölbe den Leiterklemmanschluß verdeckt, so daß optisch nicht kontrolliert werden kann, ob ein in die Klemmstelle des Leiterklemmanschlusses eingesteckter elektrischer Leiter richtig und kontaktsicher geklemmt worden ist. Zudem eignen sich die bekannten gattungsgemäßen Tunnelklemmen nur zum Anschluß steckbarer massiver (eindrähtiger) Leiter, da der im Tunnel liegende Leiterklemmanschluß von außen nicht geöffnet werden kann, um z.B. auch flexible mehrdrähtige elektrische Leiter in die vorher geöffnete Klemmstelle des Leiterklemmanschlusses einführen zu können. Die fehlende Möglichkeit der manuellen Öffnung des Leiterklemmanschlusses verursacht auch Probleme beim Lösen eines in der Klemmstelle des Leiterklemmanschlusses geklemmten elektrischen Massivleiters. Dieser kann nur hilfsweise gelöst werden, indem er mit erheblichem Kraftaufwand durch gleichzeitiges Drehen und Ziehen aus der Klemmstele herausgezogen wird.
Vor diesem Hintergrund liegt der Erfindung als technisches Problem die Aufgabe zugrunde, Tunnelklemmen mit den Gattungsmerkmalen so weiterzuentwickeln, daß sie für elektrische Leiter aller Art verwendbar sind und auch das Lösen eines elektrischen Leiters möglich ist, ohne dabei durch übermäßige Zugkräfte auf den Leiter den Leiterklemmanschluß und/oder die Befestigungsverbindungen der Tunnelklemmen z.B. an einem elektrischen Gerät oder an einem Kabelende zu belasten (geltende Beschreibung, S 3, Abs 2).
Diese Aufgabe wird bei einer gattungsgemäßen elektrischen Klemme mit den Merkmalen nach dem kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs 1 gelöst.
Denn dadurch, daß die Tunneldecke (13) oberhalb der Blattfedern (16, 17) des unter der Tunneldecke angeordneten Leiterklemmanschlusses eine Deckenöffnung (20) aufweist, ist optisch kontrollierbar, ob ein in die Klemmstelle des Leiterklemmanschlusses eingesteckter elektrischer Leiter richtig und kontaktsicher geklemmt worden ist.
Zudem können dadurch, daß durch die Deckenöffnung (20) ein Drücker (22) von oben zwischen die Blattfedern eingedrückt werden kann, um den Leiterklemmanschluß durch Auseinanderdrücken der Blattfedern zu öffnen, auch flexible mehrdrähtige elektrische Leiter in die vorher geöffnete Klemmstelle des Leiterklemmanschlusses eingeführt bzw. in der Klemmstelle des Leiterklemmanschlusses geklemmte elektrische Leiter ohne übermäßige Zugkräfte auf den Leiter von der Klemme gelöst werden. Da hierbei lediglich die Blattfedern auseinandergedrückt werden, bleibt die hervorragende Längs- und Querstabilität gattungsgemäßer Tunnelklemmen (geltende Beschreibung, S 1, le Abs) als Voraussetzung dafür erhalten, daß von der Klemme keine Kräfte auf das dazugehörige elektrische Gerät - insbesondere dessen Isolierteile - ausgeübt werden.
3. Die - zweifelsohne gewerblich anwendbare - elektrische Klemme für den Klemmanschluß mindestens eines elektrischen Leiters nach dem geltenden Patentanspruch 1 ist gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu und beruht diesem gegenüber auch auf einer erfinderischen Tätigkeit des zuständigen Durchschnittsfachmanns, der hier als ein mit der Entwicklung und Herstellung von elektrischen Klemmen für den Klemmanschluß von Leitern befaßter, berufserfahrener Elektroingenieur mit Fachhochschulausbildung zu definieren ist.
a) Die Neuheit des Gegenstands des geltenden Patentanspruchs 1 folgt schon daraus, daß - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit ergibt - keine der eingangs genannten Druckschriften 1 bis 5 eine elektrische Klemme für den Klemmanschluß mindestens eines elektrischen Leiters offenbart, bei der - insoweit entsprechend dem letzten Merkmal nach dem kennzeichnenden Teil des geltenden Patentanspruchs 1 - ein Drücker von oben zwischen die Blattfedern eingedrückt werden kann, um den Leiterklemmanschluß durch Auseinanderdrücken der Blattfedern zu öffnen.
b) Das deutsche Gebrauchsmuster 77 20 504 (Druckschrift 4), von dem - wie dargelegt - im Oberbegriff des geltenden Patentanspruchs 1 ausgegangen wird, kann dem vorstehend definierten Durchschnittsfachmann den Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 weder für sich noch in einer Zusammenschau mit den eingangs weiter genannten Druckschriften 1 bis 3 und 5 nahelegen.
In dem deutschen Gebrauchsmuster 77 20 504 (Druckschrift 4) findet sich nämlich schon kein Hinweis darauf, daß es bei der dortigen gattungsgemäßen elektrischen Klemme von Vorteil sein könnte, die Tunneldecke (Basis 18) oberhalb der Blattfedern (Kontaktzungen 20) des unter der Tunneldecke angeordneten Leiterklemmanschlusses mit einer Deckenöffnung zu versehen. Daher kann der Fachmann durch diese Druckschrift schon gar nicht zu einem Drücker im Sinne des geltenden Patentanspruchs 1 angeregt werden, der durch besagte Deckenöffnung von oben zwischen die Blattfedern eingedrückt werden kann, um den Leiterklemmanschluß durch Auseinanderdrücken der Blattfedern zu öffnen, wie dies der Lehre nach dem kennzeichnenden Teil des geltenden Patentanspruchs 1 entspricht.
Eine Anregung hierzu erhält der Fachmann auch nicht bei Einbeziehung der Druckschriften 1 bis 3 und 5.
Die französische Offenlegungsschrift 2 094 422 (Druckschrift 1) offenbart eine tunnelartige elektrische Klemme (borne) für den Klemmanschluß mindestens eines elektrischen Leiters, die am Tunneleingang und am Tunnelausgang je einen Klemmanschluß nach dem Kneiferprinzip (ailes lateral 6, 7 bzw 6', 7', echancrures 8, 9 bzw 8', 9') aufweist (vgl die Fig 1 bis 3 mit zugehöriger Beschreibung). Dabei wird zwar durch eine Deckenöffnung in der Tunneldecke ein Werkzeug - beispielsweise ein Schraubenzieher (tournevis) - eingedrückt, um die Kneifer-Klemmanschlüsse derart zu öffnen, daß ein elektrischer Leiter eingeführt werden kann (S 1, le Abs bis S 2, Abs 1). Jedoch müssen zu diesem Zweck mittels des Werkzeugs die Tunnelseitenwände (deux flanc 5, 5') auseinander gedrückt werden, da die Kneifer-Klemmanschlüsse (6 bis 9 bzw 6' bis 9') derart an den Rändern der Tunnelseitenwände (5, 5') angeformt sind, daß sie ohne die Tunnelseitenwände (5, 5') nicht auseinanderdrückbar sind. Dementsprechend findet sich in der Druckschrift 1 keinerlei Hinweis in Richtung eines Drückers im Sinne des geltenden Patentanspruchs 1, mit dem - lediglich - die Blattfedern des Leiterklemmanschlusses auseinanderdrückbar sind, um die hervorragende Längs- und Querstabilität der Tunnelklemme beizubehalten.
Die US-Patentschriften 4 299 436 und 3 363 224 (Druckschriften 2 und 3) betreffen keine Klemmen für den Klemmanschluß mindestens eines elektrischen Leiters, sondern den Buchsenteil (female contact) eines elektrischen Steckverbinders, in den ein komplementärer Steckerteil (mating male pin terminal bzw male contact) einsteckbar ist (vgl die Druckschrift 2, Anspruch 1 iVm dem Abstract sowie Sp 1, Abs 2 bis 4 und den Fig 1 bis 4 mit zugehöriger Beschreibung bzw die Druckschrift 3, Anspruch 1 iVm den Fig 1 bis 3 nebst zugehöriger Beschreibung). Auch weisen die Buchsen-Stecker nach den Druckschriften 2 bzw. 3 zwar einen Tunnelaufbau entsprechend den Merkmalen nach dem Oberbegriff des geltenden Patentanspruchs 1 auf, jedoch existiert bei ihnen das dem Anmeldungsgegenstand zugrundeliegende Problem insofern nicht, als Steckverbinder bestimmungsgemäß stets so ausgebildet sind, daß die beiden Steckerhälften leicht zusammensteckbar und ebensoleicht voneinander lösbar sind. Deshalb ist eine Deckenöffnung mit einem Drücker im Sinne des geltenden Patentanspruchs 1 - weil bei Buchsen-Steckern entbehrlich - auch durch die Druckschriften 2 und 3 nicht nahegelegt.
Die im Rechercheverfahren ermittelte, im Prüfungsverfahren aber nicht aufgegriffene deutsche Patentschrift 39 38 608 (Druckschrift 5) betrifft einen elektrischen Druck- bzw. Quetschkontaktverbinder mit einem Tunnelkörper (Korpus 1), an den ein Quetschverbinder (Endstück 2) als Anschlußteil für einen ersten elektrischen Leiter und ein Druckverbinder (Endstück-Verbindungsstück 3) mit zwei Blattfedern für den Anschluß eines weiteren elektrischen Leiters angeformt sind (vgl die Fig 1 mit zugehöriger Beschreibung in Sp 3, Z 10 bis 40). Da die Blattfedern dabei außerhalb des Tunnelaufbaus (1) - in dessen Verlängerung - angeordnet sind, vermag diese Druckschrift den Fachmann ersichtlich nicht einmal dazu anzuregen, bei einer gattungsgemäßen elektrischen Klemme die Tunneldecke oberhalb der Blattfedern des unter der Tunneldecke angeordneten Leiterklemmanschlusses mit einer Deckenöffnung zu versehen, wie dies insoweit einem Teilaspekt der Lehre nach dem kennzeichnenden Teil des geltenden Patentanspruchs 1 entspricht. Zudem findet sich in dieser Druckschrift auch keinerlei Hinweis auf einen Drücker, der von oben zwischen die Blattfedern eingedrückt werden könnte, um den Leiterklemmanschluß durch Auseinanderdrücken der Blattfedern zu öffnen, wie dies der weitergehenden Lehre nach dem kennzeichnenden Teil des geltenden Patentanspruchs 1 entspricht.
Der Leiterklemmanschluß nach dem geltenden Patentanspruch 1 ist demnach patentfähig.
4. An den Patentanspruch 1 können sich die geltenden Unteransprüche 2 bis 4 anschließen, die vorteilhafte und nicht selbstverständliche Ausführungsarten der elektrischen Klemme nach dem Hauptanspruch betreffen.
5. In der geltenden Beschreibung ist der maßgebliche Stand der Technik, von dem die Erfindung ausgeht, angegeben und die beanspruchte elektrische Klemme anhand der Zeichnungen ausreichend erläutert.
Dr. Tauchert Dr. Gottschalk Martens Dr. Häußler Be
BPatG:
Beschluss v. 02.03.2004
Az: 23 W (pat) 22/02
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