Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Urteil vom 26. Februar 2001
Aktenzeichen: 9 S 902/00

(VGH Baden-Württemberg: Urteil v. 26.02.2001, Az.: 9 S 902/00)

Es verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen Art 3 Abs 1 iVm Art 6 Abs 1 GG, dass die Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg von den Mitgliedern auch während der Zeiten des Mutterschutzes und der Kindererziehung Beitragsleistungen verlangt.

Tatbestand

Die Klägerin erstrebt ihre beitragsfreie Mitgliedschaft beim beklagten Versorgungswerk.

Die Klägerin war als selbständige bzw. angestellte Rechtsanwältin seit April 1996 Pflichtmitglied des beklagten Versorgungswerks. Von der Angestelltenversicherungspflicht war sie gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI befreit. Vom 25.12.1996 bis 06.04.1997 befand sich die Klägerin im Mutterschutz, anschließend nahm sie einen dreijährigen Erziehungsurlaub für ihre am 09.02.1997 geborene Tochter in Anspruch. Ihre Zulassung als Rechtsanwältin war vom 01.06.1997 bis 30.04.1998 widerrufen. Für die Zeit vom 01.01. bis 31.05.1997 veranlagte der Beklagte die Klägerin zu einem (Mindest-) Beitrag von monatlich 123,83 DM (vgl. dazu das Parallelverfahren 9 S 901/00). Zum 01.05.1998 wurde die Klägerin wieder als Rechtsanwältin zugelassen, sie nahm aber keine Berufstätigkeit auf. Seit 17.07.1999 befand sie sich erneut im Mutterschutz. Für die Zeit ab Mai 1998 ergingen gegen sie Beitragsbescheide vom 15.03.1999, die Gegenstand eines noch anhängigen Widerspruchsverfahrens sind.

Am 27.11.1997 beantragte die Klägerin beim Beklagten, ihre beitragsfreie Mitgliedschaft "während des Erziehungsurlaubs" gemäß § 10 Abs. 2 S. 2 der Satzung des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg vom 29.11.1991 (Die Justiz 1994 S. 5), geändert durch Satzung vom 22.06.1995 (Die Justiz S. 465) - RAVwS - festzustellen. Daraufhin entschied der Beklagte mit Bescheid vom 24.02.1998, dass die Klägerin keinen wirksamen Antrag gestellt habe, weil nach § 10 Abs. 2 S. 2 RAVwS nur die Fortsetzung der Mitgliedschaft mit allen Rechten und Pflichten, also auch der Beitragspflicht, begehrt werden könne. Die Klägerin sei folglich nicht mehr Mitglied des Versorgungswerks.

Der Widerspruch der Klägerin vom 10.03.1998 wurde vom Beklagten durch Bescheid vom 20.05.1998 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Antrag vom 27.11.1997 abgelehnt wurde.

Am 16.06.1998 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Karlsruhe Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt hat. Sie hat vorgebracht, § 10 Abs. 2 S. 2 RAVwS sei wegen Verstosses gegen Art. 3 Abs. 1, 6 Abs. 1 GG verfassungswidrig, soweit er für Zeiten des Mutterschutzes und der Kinderbetreuung keine beitragsfreie Mitgliedschaft vorsehe. Unter Berufung auf die (vom BVerfG mit Beschluss vom 26.06.1997 - 1 BvL 1/94 - für unzulässig gehaltene) Vorlage des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 16.12.1993 - 6 K 1722/93 - hat die Klägerin diese Ansicht damit begründet, dass angestellte Rechtsanwältinnen als Zwangsmitglieder des Beklagten gegenüber anderen Frauen in Angestelltenberufen eindeutig benachteiligt seien. Diesen werde nämlich eine beitragsfreie, leistungsbegründende Mitgliedschaft ermöglicht.

Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt und die angefochtenen Bescheide verteidigt. Er hat den behaupteten Verstoss von § 10 Abs. 2 S. 2 seiner Satzung gegen höherrangiges Recht bestritten. Auf eine Anrechnung von Mutterschutz- und Kindererziehungszeiten habe der Satzungsgeber bewusst verzichtet, da dies zu einer Umverteilung wie in der gesetzlichen Rentenversicherung führen würde. Anders als diese finanziere sich das Versorgungswerk der Rechtsanwälte jedoch nach dem Kapitaldeckungsprinzip. Für Mehrleistungen zu Gunsten kindererziehender Mütter komme anders als bei der gesetzlichen Rentenversicherung nicht der Steuerzahler auf. Da die Klägerin wegen des eigenständigen Finanzierungssystems im Versorgungswerk auch ohne Beitragsfreiheit für Kindererziehungszeiten wenigstens eine gleichhohe Rente zu erwarten habe als in der gesetzlichen Rentenversicherung, sei auch Art. 6 Abs. 1 GG nicht verletzt.

Mit Urteil vom 09.11.1999 hat das Verwaltungsgericht die als zulässige Feststellungsklage angesehene Klage abgewiesen. Die Klägerin sei durch ihren Antrag vom 27.11.1997 kein Mitglied des beklagten Versorgungswerks geblieben, da § 7 Abs. 2 S. 2 des Rechtsanwaltsversorgungsgesetzes vom 10.12.1984 (GBl. S. 671) - RAVG - i.V.m. § 10 Abs. 2 S. 2 RAVwS eine Pflichtmitgliedschaft auf Antrag nur mit allen Rechten und Pflichten, also auch der Beitragspflicht, vorsehe. Die dagegen erhobenen Einwände der Klägerin griffen nicht durch. Es sei verfassungsrechtlich nicht geboten, einer Rechtsanwältin für Kindererziehungszeiten ebenso wie in der gesetzlichen Rentenversicherung Beitragsfreiheit und zugleich Versicherungsanwartschaften zu gewähren. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sei der Landesgesetzgeber nicht verpflichtet, die Beitragslast im berufsständischen Versorgungsrecht derjenigen in der gesetzlichen Rentenversicherung anzupassen. Art. 3 Abs. 1 GG werde durch die unterschiedlichen Regelungen schon wegen der verschiedenen Kompetenzbereiche nicht verletzt. Auch ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 und 4 GG liege nicht vor. Denn dem sich daraus ergebenden Gebot, einen Familienlastenausgleich zu Gunsten kindererziehender Eltern zu schaffen, habe der Beklagte durch Einführung des § 22 a RAVwS durch Änderungssatzung vom 22.06.1995 mit Wirkung vom 01.01.1997 genüge getan. Durch diese Satzungsänderung sei jetzt auch eine andere Rechtslage entstanden als die, welche dem Vorlagebeschluss des Gerichts vom 16.12.1993 zu Grunde gelegen habe. Die Aussagen des BVerfG (BVerfGE 87, 1) zur Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung liessen sich nicht ohne weiteres auf das Recht der berufsständischen Versorgung übertragen. Die gesetzliche Rentenversicherung beruhe auf dem Prinzip der Umlagefinanzierung (Generationenvertrag), schaffe also eine Solidargemeinschaft zwischen denen, die durch bezahlte Arbeit Beiträge erwirtschafteten und denen, die durch Kindererziehung zum Funktionieren des Generationenvertrags beitrügen. Eine solche Solidargemeinschaft bestehe im Recht der berufsständischen Versorgung nicht, da diese auf dem Kapitaldeckungsprinzip beruhe. Die gegenwärtigen Mitglieder sparten durch ihre Beiträge ihre spätere Versorgung selbst an. Deshalb müssten alle Mitglieder des Versorgungswerks zu dessen Finanzierung beitragen. Das Fehlen eines Befreiungstatbestandes zu Gunsten Kindererziehender verstoße auch nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip, zumal die Satzung des Beklagten in ihrem § 15 Ausnahmeregelungen für Härtefälle enthalte.

Auf Antrag der Klägerin vom 21.02.2000 hat der Senat durch Beschluss vom 17.04.2000 die Berufung gegen das ihr am 21.01.2000 zugestellte Urteil zugelassen. Die Klägerin begründet diese wie folgt: Das Verwaltungsgericht habe die Gestaltungswirkung der gesetzlichen Rentenversicherung im Verhältnis zur berufsständischen Versorgung unzutreffend gewürdigt. Der Bundesgesetzgeber habe in § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI nur deshalb einen Vorbehalt zu Gunsten des Landesgesetzgebers zur Schaffung eines berufsständischen Pflichtversorgungssystems eingeführt, weil er von der Gleichwertigkeit der beiden Alterssicherungssysteme ausgegangen sei. Deshalb habe der Landesgesetzgeber ebenso wie der Satzunggeber nur einen eingeschränkten Gestaltungsspielraum. Das habe das Verwaltungsgericht verkannt. Es habe auch zu Unrecht einen Verstoß des § 10 Abs. 2 S. 2 RAVwS gegen Art. 3 Abs. 1, 6 Abs. 1 GG verneint. Art. 6 Abs. 1 GG als verfassungsrechtliche Grundentscheidung verlange es, einen Familienlastenausgleich vorzusehen. Das sei auch durch die Einführung des § 22 a RAVwS nicht in ausreichendem Maß geschehen. Dadurch sei nämlich die Benachteiligung von Rechtsanwältinnen während Mutterschutz- und Kindererziehungszeit nur auf der Leistungsseite in geringfügigem Umfang gemindert. Ein ausreichender Familienlastenausgleich sei aber nur bei gleichzeitiger Beitragsfreiheit gewährleistet.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 09.11.1999 - 1 K 1755/98 - zu ändern, den Bescheid des Beklagten vom 24.02.1998 in Gestalt seines Widerspruchsbescheids vom 20.05.1998 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihre beitragsfreie Mitgliedschaft für die Zeit vom 01.01.1997 bis 16.07.1999 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen, wonach das Rechtsanwaltsversorgungsgesetz und seine Satzung eine beitragsfreie Mitgliedschaft nicht vorsähen und nicht vorsehen müssten. Hierbei falle besonders ins Gewicht, dass in der berufsständischen Versorgung anders als in der gesetzlichen Rentenversicherung keine Bundeszuschüsse für Rentenleistungen wegen Kindererziehung gezahlt würden (wie dies seit 01.01.1999 aus § 279 f. SGB VI deutlich hervorgehe). Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung an Kindererziehende seien ohnehin nur dann höher als die des Rechtsanwaltsversorgungswerks, wenn entweder keine oder wesentlich weniger als 60 Monatsbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung erbracht würden. Erhielte die Klägerin z.B. ab August 2000 Rente wegen Berufsunfähigkeit, wäre diese infolge der Regelung in § 22 a RAVwS mit 1.758,54 DM um rund 47,-DM höher als ohne Anwendung dieser Vorschrift (die Rente betrüge dann nur 1.711,07 DM).

Dem Gericht liegen die zur Sache gehörenden Akten des Beklagten und die Prozessakten des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vor. Wegen aller Einzelheiten wird auf sie und auf die Schriftsätze der Beteiligten im Berufungsverfahren Bezug genommen.

Gründe

Die nach Zulassung durch den Senat statthafte (§ 124 Abs. 2 VwGO) und auch sonst zulässige Berufung ist nicht begründet.

Die Klägerin hat ihren Klageantrag im Berufungsverfahren sachdienlich nicht auf die Feststellung ihrer beitragsfreien Mitgliedschaft gemäss § 7 Abs. 2 S. 2 RAVG, § 10 Abs. 2 RAVwS durch das Gericht, sondern auf Verpflichtung der Beklagten gerichtet, eine derartige Feststellung durch Verwaltungsakt zu treffen. Denn es ist zumindest wegen der damit erreichten Rechtssicherheit sinnvoll und auch üblich, das Bestehen oder Nichtbestehen von Mitgliedschaften, zumal beitragsfreier, in der berufsständischen Versorgung durch förmlichen Verwaltungsakt festzustellen (vgl. z.B. Senatsurteil vom 07.10.1997 - 9 S 1128/96 - und Senatsbeschluss vom 19.10.1999 - 9 S 1312/99 -). Den Erlass eines solchen Verwaltungsakts, zu dem § 10 Abs. 2 Satz 2 RAVwS ermächtigt, hat die Klägerin auch am 27.11.1997 beim Beklagten beantragt. Als Feststellungsklage wäre die Klage damit nach § 43 Abs. 2 VwGO unzulässig. Als Verpflichtungsklage ist das Begehren dagegen zulässig, insbesondere hat auch das gemäss §§ 68 ff. VwGO erforderliche Vorverfahren stattgefunden. Anders als das Verwaltungsgericht (im Streitwertbeschluss) meint, begehrt die Klägerin vom Beklagten die Feststellung ihrer beitragsfreien Mitgliedschaft allerdings nicht nur für die Zeit von Juni 1997 bis April 1998, sondern für die Zeit vom 01.01.1997 bis 16.07.1999 (Beginn des Mutterschutzes für das erste Kind bis zum Beginn dieser Schutzfrist für das zweite Kind). In ihrem Antrag vom 27.11.1997 spricht sie zwar nur von der Zeit ihres Erziehungsurlaubs, der erst nach Ende der Mutterschutzfrist (06.04.1997) begann. Aus den jeweiligen Begründungen ihrer Rechtsmittel geht jedoch deutlich hervor, dass sie auch die Zeit des Mutterschutzes als beitragsfrei behandelt wissen will, die Zeit also, in der sie noch als Rechtsanwältin zugelassen war, folglich der Rechtsanwaltskammer angehörte (§ 60 Abs. 2 BRAO) und gesetzliches Pflichtmitglied des Beklagten war (§§ 5 Abs. 2, 7 Abs. 2 RAVG). Die Einbeziehung der Zeit von Januar bis Mai 1997 bietet sich hier um so mehr an, als der am 01.01.1997 in Kraft getretene § 22 a RAVwS bei "Kinderbetreuungszeiten" das Geburtsjahr des Kindes insgesamt der Vergleichsberechnung zu Grunde legt und so auch für die Zeit des Mutterschutzes insoweit dieselben Rechtsfragen auftreten. Auch auf die Zeit nach April 1998 bis 16.07.1999 wurde die Klage zu Recht erstreckt, da der Erziehungsurlaub der Klägerin nicht mit ihrer erneuten Zulassung zur Rechtsanwaltschaft endete. Der Klageänderung hat der Beklagte zugestimmt (§§ 91 Abs. 1, 125 Abs. 1 VwGO). Die Mutterschutz- und Kinderbetreuungszeit anlässlich der Geburt des zweiten Kindes hat die Klägerin dagegen zu Recht nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, weil insoweit das Vorverfahren fehlt.

Für den Klagezeitraum vom 01.01.1997 bis 16.07.1999 hat die Klägerin keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte ihre beitragsfreie Mitgliedschaft feststellt. Die Bestimmungen der §§ 11 ff. RAVwS, die unausgesprochen davon ausgehen, dass jedes Mitglied (ausgenommen bei Berufsunfähigkeit, § 15 Abs. 8 Nr. 4 RAVwS) beitragspflichtig ist, auch bei aufrechterhaltener Mitgliedschaft nach Ausscheiden aus der Rechtsanwaltskammer nach § 10 Abs. 2 S. 2 RAVwS, sind mit höherrangigem Recht vereinbar.

Sie verstoßen nicht gegen die gesetzliche Ermächtigung für die Beitragserhebung in § 8 RAVG. Denn auch diese Vorschrift geht vom Grundsatz der Beitragspflicht aller Mitglieder aus. Auch sonst verlangt das Rechtsanwaltsversorgungsgesetz vom Beklagten als Satzungsgeber nicht, beitragsfreie Mitgliedschaften vorzusehen. Ob es das Gesetz dem Satzungsgeber gestattet, solche Mitgliedschaften zu begründen (vgl. dazu den Beschluss des BVerfG vom 26.08.1997 - 1 BvL 1/94 - auf den Vorlagebeschluss des VG Karlsruhe vom 16.12.1993 - 6 K 1722/93 -), braucht hier nicht untersucht zu werden. Denn das Beharren des Satzungsgebers auf Beitragsleistungen auch während Mutterschutz- und Kinderbetreuungszeiten ist nicht zu beanstanden.

Anlass zu einer verfassungsrechtlichen Überprüfung der Rechtslage ist hier - auch aus der Sicht der Beteiligten und des Verwaltungsgerichts - insbesondere der Umstand, dass in der gesetzlichen Rentenversicherung, welcher die Klägerin unterläge, falls sie nicht durch § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI wegen des Bestehens der berufsständischen Versorgung durch den Beklagten davon befreit wäre, sowohl für Zeiten des Mutterschutzes als auch für solche der Kindererziehung keine finanziellen Rentenbeiträge zu entrichten wären. Diese Zeiten werden vielmehr beim Mutterschutz als beitragsfreie Anrechnungszeiten (§§ 54 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4, 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VI) und bei der Kindererziehung als Beitragszeiten mit fingierten Beitragsleistungen (§§ 54 Abs. 1 Nr. 1 a, 55 Abs. 1 S. 2, 56 Abs. 1 S. 1 und 2 sowie Abs. 2 S. 1 SGB VI) behandelt. Für die Rechtsanwaltsversicherung müssen dagegen - wie dargelegt - stets Beiträge entrichtet werden. Jedenfalls auf der "Beitragsseite" wird eine Mutterschutz- und Kinderbetreuungszeit angestellter Rechtsanwältinnen in der berufsständischen Versorgung also schlechter behandelt als in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Wie schon das Verwaltungsgericht zutreffend hervorgehoben hat, ist Prüfungsmaßstab demnach das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG, das hier freilich in Verbindung mit dem Gebot der Familienförderung des Art. 6 Abs. 1 GG gesehen werden muss. Aus dieser Wertentscheidung der Verfassung zu Gunsten der Familie ist die allgemeine Pflicht des Staates (und sonstiger Versorgungsträger) zu einem Familienlastenausgleich zu entnehmen. Das ist auch bei der Prüfung der Frage zu beachten, in welchem Umfang der Gesetz- (hier: Satzung-) Geber zum Nachteil der Familie differenzieren darf, wenn er von seiner - grundsätzlich weiten - Gestaltungsfreiheit bei der Schaffung von Normen Gebrauch macht, welche die Familie betreffen. Der Normgeber muss demnach auch darauf achten, dass Kindererziehende in den bestehenden Alterssicherungssystemen gegenüber Erwerbstätigen benachteiligt sind, er darf also diese Nachteile nicht sachwidrig außer Acht lassen (vgl. zum ganzen BVerfGE 87, 1/36 ff.). Solche Nachteile bestehen auch bei der berufsständischen Versorgung der Rechtsanwälte, wenn die Mitglieder sogar während Mutterschutz- und Kindererziehungszeiten Versorgungsbeiträge leisten müssen. Allerdings ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1, 6 Abs. 1 GG keine Pflicht des Normgebers, bei der Begründung von Rentenanwartschaften die Kindererziehungszeiten der Beitragszahlung gleichzustellen (BVerfGE 87, 1/39 f.), also den Kindererziehenden für ihren nicht "monetären" Beitrag zur Aufrechterhaltung des Alterssicherungssystems in jedem Fall finanzielle Betragsfreiheit zu gewähren.

Wendet man diese Grundsätze auf die Versorgung der Mitglieder des Beklagten, insbesondere der angestellten Rechtsanwältinnen an, lässt sich eine Pflicht des Beklagten, diesen Mitgliedern während der Mutterschutz- und Kindererziehungszeiten Beitragsfreiheit einzuräumen, nicht feststellen.

Seiner Verpflichtung, einen angemessenen Familienlastenausgleich zu schaffen, hat der Beklage allerdings nicht schon mit dem Erlass des § 22a RAVwS durch Änderungssatzung vom 22.06.1995 (Die Justiz S. 465), in Kraft getreten am 01.01.1997, Genüge getan. Nach § 22a Abs. 2 S. 1 RAVwS bleibt für die Betreuung jedes Kindes zu Gunsten des Mitglieds ein Kalenderjahr außer Betracht, und zwar dasjenige, das den niedrigsten durchschnittlichen Beitragsquotienten innerhalb von fünf Kalenderjahren (Geburtsjahr und die nachfolgenden vier Kalenderjahre) ausweist, wenn sich bei Berücksichtigung dieses Jahres eine niedrigere Anwartschaft ergeben würde. Das bewirkt, dass sich der neben dem Rentensteigerungsbetrag und der Anzahl der anzurechnenden Versicherungsjahre maßgebliche dritte Faktor der Rente, nämlich der persönliche Beitragsquotient (§ 22 Abs. 1 bis 4 RAVwS), durch Weglassen eines Teils der Beitragszeit verbessert. Im Fall der Klägerin würde dies bedeuten, dass sie - bei angenommener Berufsunfähigkeit zum 01.08.2000 und jeweiliger Leistung des Mindestbeitrags während der Kinderbetreuungszeit -wegen des Wegfalls des für sie ungünstigsten Beitragsjahrs 1998 lebenslang eine um rund 47,-- DM höhere Monatsrente erhielte als ohne Anwendung des § 22 a RAVwS, d.h. bei Leistung eines Mindestbeitrags für Erwerbstätigkeit in derselben Zeit (vgl. die vom Beklagten dazu erstellten "Simulationen" im Schriftsatz vom 09.08.2000). Daraus wird zwar ersichtlich, dass die während der Kindererziehungszeit geleisteten Beiträge ein höheres Gewicht besitzen als andere Beiträge. Im Termin zur mündlichen Verhandlung wurde jedoch geklärt, dass § 22a RAVwS die Mitglieder des Beklagten nur im Fall einer Rentengewährung nach § 21 RAVwS wegen (verhältnismäßig früh eingetretener) Berufsunfähigkeit begünstigt. Bei langer Berufstätigkeit, also für die Gewährung einer Altersrente gemäß § 20 RAVwS, verliert § 22a RAVwS weitgehend seine Bedeutung, die im Außer-Acht-Lassen des Jahres mit den niedrigsten durchschnittlichen Beitragsquotienten liegt. Auf einen Vergleich der Altersrenten in der gesetzlichen Rentenversicherung und in der berufsständischen Versorgung der Rechtsanwälte kommt es aber in erster Linie an, weil die Alterssicherung der Hauptzweck beider Sozialleistungssysteme ist. Bei der Alterssicherung verbleibt es jedoch trotz des § 22a RAVwS bei einer Benachteiligung der Mitglieder der Rechtsanwaltsversorgung gegenüber denen der gesetzlichen Rentenversicherung.

Diese Benachteiligung ist aber trotzdem nicht so sachwidrig, dass sie zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG führen würde. Denn es gibt zwischen beiden Sozialleistungssystemen Unterschiede, welche die Ungleichbehandlung (noch) rechtfertigen.

Die gesetzliche Rentenversicherung beruht, anders als die berufsständische Versorgung der Rechtsanwälte, auf dem aus dem sogenannten Generationenvertrag folgenden Umlageprinzip. Danach werden die Ausgaben eines Kalenderjahres durch die Einnahmen aus demselben Zeitraum gedeckt ( § 153 Abs. 1 SGB VI). Der Alterssicherung der Rechtsanwälte liegt dagegen das sogenannte offene Deckungsplanverfahren - oder Anwartschaftsdeckungsverfahren - zugrunde, welches bewirkt, dass die Versorgungsleistungen grundsätzlich aus den von den Mitgliedern selbst angesammelten Beiträgen finanziert werden. Die individuelle Beitragsleistung der Mitglieder erhält damit ein höheres Gewicht als in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der Gesetz- und Satzunggeber der berufsständischen Versorgung darf daher eher auf Beitragsleistungen auch während Mutterschutz- und Kinderbetreuungszeiten bestehen als derjenige der gesetzliche Rentenversicherung. Denn der Träger der berufsständischen Versorgung ist ausschließlich auf Beiträge der Mitglieder angewiesen. Er erhält insbesondere keine Bundes- oder Landeszuschüsse zum Ausgleich "versicherungsfremder" Leistungen wie Rentenanwartschaften für Mutterschutz- und Kinderbetreuungszeiten, wie dies bei der gesetzlichen Rentenversicherung der Fall ist. Gemäss § 213 Abs. 1 und 3 SGB VI leistete der Bund in der hier maßgeblichen Zeit solche Zuschüsse zu den Ausgaben der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, die - wie sich aus § 213 Abs. 2 S. 2 SGB VI ergibt - den Beitragssatz niedriger halten sollen. Erhöhungen des Beitragssatzes drohen in der gesetzlichen Rentenversicherung aber u.a. wegen der verbesserten Rentenleistungen für Kindererziehung, weshalb der Bundeszuschuss gerade auch deshalb für notwendig gehalten wird (vgl. z.B. schon Ruland, NJW 1992, 1/5; Kasseler Kommentar - Polster, § 213 SGB VI RdNr. 4). Wie der Beklagte zu Recht betont, ist dies seit 01.01.1999 besonders deutlich an § 279 f. SGB VI zu sehen, welcher durch Art. 4 des Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19.12.1998 (BGBl. I S. 3843) geschaffen wurde. Danach wird bis zur Einführung einer individuellen Beitragszahlung des Bundes für die Kindererziehung zu deren Abgeltung an die Rentenversicherung ein bestimmter Pauschalbetrag gezahlt.

Der Senat verkennt nicht, dass gegen die in der Satzung des Beklagten fehlende Beitragsfreiheit für Mutterschutz- und Kindererziehungszeiten trotz der unterschiedlichen Bedarfsdeckungs- und Finanzierungssysteme zwischen der gesetzlichen Rentenversicherung und der Versorgung der Rechtsanwälte noch Bedenken bestehen, ob der Beklagte einen den Anforderungen der Art. 3 Abs. 1 und 6 Abs. 1 GG entsprechenden Familienlastenausgleich geschaffen hat. Diese Bedenken beruhen darauf, dass der Bund dem Beklagten anders als den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung keine Zuschüsse zur Abgeltung von Versicherungsleistungen an werdende Mütter und Kindererziehende gewährt. Die Bedenken können aber nicht zur Verfassungswidrigkeit der Satzung des Beklagten bzw. des Rechtsanwaltsversorgungsgesetzes führen. Der Beklagte könnte Beitragsfreiheit für Zeiten des Mutterschutzes und der Kindererziehung nur durch "Umverteilung" gewähren, also durch Verringerung aller oder bestimmter Versicherungsleistungen und/oder durch Beitragserhöhungen. Solche Maßnahmen könnten aber ebenfalls im Hinblick auf höherrangiges Recht (Art. 3 Abs. 1, 6 Abs. 1, 14, 20 Abs. 3 GG) verfassungsrechtlich bedenklich sein, diesmal zum Nachteil anderer Versicherter. Mutterschutz- und Kindererziehungszeiten beitragsrechtlich nicht zu begünstigen, überschreitet den Gestaltungsspielraum des Beklagten deshalb solange nicht, als er dafür keine Zuschüsse erhält. Solche wären aber wie bei der gesetzlichen Rentenversicherung nur durch den Bund zu erbringen. Denn dieser erlaubt es den Rechtsanwälten durch seine eigene Gesetzgebung (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI), die gesetzliche Rentenversicherung zu verlassen, womit er die oben bereits genannten Leistungen nach §§ 54 ff. SGB VI an diesen Personenkreis erspart.

Die Regelungen der Satzung des Beklagten, die keine beitragsfreie Mitgliedschaft wegen Mutterschutzes und Kindererziehung zulassen, insbesondere also § 10 Abs. 2 Satz 2 RAVwS, verstoßen demnach auch nicht dadurch unmittelbar gegen Art. 3 Abs. 1 GG, als der Satzungsgeber angestellte Rechtsanwälte zum Verlassen der gesetzlichen Rentenversicherung zwingt, obwohl diese hinsichtlich der Beitragsleistung für sie vorteilhafter ist (vgl. dazu den bereits genannten Vorlagebeschluss des VG Karlsruhe vom 16.02.1993, a.a.O., S. 17 f.). Der Senat kann es deshalb dahingestellt lassen, ob sich daraus trotz der Kompetenz des Landesgesetzgebers, die berufsständische Versorgung eigenständig zu regeln (BVerwG, Beschluss vom 21.02.1994, Buchholz 430.4 Nr. 21), und der Bindung an das Gleichbehandlungsgebot nur innerhalb des eigenen Kompetenzbereichs (ständige Rechtsprechung, auch des Senats, seit BVerfGE 10, 354) ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ergeben kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Satz 1 VwGO).






VGH Baden-Württemberg:
Urteil v. 26.02.2001
Az: 9 S 902/00


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