Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 19. Juli 2012
Aktenzeichen: 7 U 1/12
(OLG Köln: Urteil v. 19.07.2012, Az.: 7 U 1/12)
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 07.12.2011 - 1 O 512/10 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen sich durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I.
Die Klägerin brachte im Jahr 2000 ein Produkt namens "O" in Verkehr, das als "fettlösendes" Schlankheitsmittel beworben wurde. Der Vertrieb in Deutschland erfolgte über die C GmbH.
Auf Anfrage der Hamburger Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales (BAGS) erstellte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unter dem 1. November 2000 einen Bescheid nach § 21 Abs. 4 AMG, wonach das Produkt - abgesehen von seiner Bezeichnung als diätetisches Lebensmittel auf der Produktpackung - aufgrund der Präsentation in der Werbung dem Verbraucher den Eindruck eines pharmakologisch wirkenden, nämlich fettzellenabbauenden Wirkstoffes vermittle. Das Produkt sei somit als (zulassungspflichtiges) Arzneimittel einzustufen.
Auf Anfrage der Prozessbevollmächtigten des Verbandes Sozialer Wettbewerb e.V. (im Folgenden: Verband) teilte das BfArM dem Verband den Inhalt seines an die BAGS gerichteten Schreibens mit. Der Verband nahm Ende 2000 die C GmbH erfolgreich im Wege der einstweiligen Verfügung vor dem Landgericht und Oberlandesgericht Saarbrücken auf Unterlassung der Bewerbung und des Vertriebs des Produkts als Arzneimittel in Anspruch. Die Entscheidungen waren vor allem darauf gestützt, dass aufgrund des Bescheides des BfArM verbindlich feststehe, dass es sich bei O um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handele. Die Klägerin erhob später im Juli 2001 vor dem Verwaltungsgericht Köln Klage gegen das BfArM auf Aufhebung des Bescheides nach § 21 Abs. 4 AMG, da es sich bei dem Produkt nicht um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handele und gewann sowohl vor dem Verwaltungsgericht als auch in der Berufungsinstanz vor dem OVG Münster. Im Hauptsacheprozess des Verbandes gegen die C GmbH verlor der Verband in zwei Instanzen vor dem Landgericht und Oberlandesgericht Saarbrücken: da die vor dem Verwaltungsgericht Köln erhobene Klage aufschiebende Wirkung habe, könne die Zulassungspflichtigkeit nicht mehr auf den Bescheid gestützt werden. Eine eigene Prüfung des Gerichts ergebe, dass es sich bei dem Produkt „O“ nicht um ein Arzneimittel handele.
Die Klägerin nimmt nun die Bundesrepublik auf Schadensersatz in Anspruch, da zum einen der Bescheid des BfArM inhaltlich falsch gewesen sei und zum anderen das BfArM dem Verband nicht habe Auskunft erteilen dürfen. Der Schaden leite sich aus dem jahrelangen Ausfall der Provision her (berechnet bis zur Rechtskraft der Entscheidung des OVG Münster vom 24. Januar 2008), welche die Klägerin von dem Vertreiber des Produkts hätte verlangen können, wenn der Vertrieb nicht durch die Zivilgerichte untersagt worden wäre.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie Schadensersatz in Höhe von 1.267.474,02 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie sieht bereits keine Pflichtverletzung; die in dem Bescheid vertretene Rechtsansicht des BfArM sei nach damaliger Sachlage zumindest vertretbar gewesen. Dem Verband habe Auskunft erteilt werden dürfen, da die Verwertung derartiger Informationen zu seinem satzungsmäßigen Aufgabengebiet gehörten. Im übrigen sei die Schadensberechnung nicht nachvollziehbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Auskunft sei zwar - ausweislich der Feststellung der Verwaltungsgerichte - letztlich sachlich falsch gewesen; die BfArM habe aber den Sachverhalt damals ausreichend gründlich geprüft und sei zu einem zumindest vertretbaren Ergebnis gelangt. In der objektiv falschen Auskunft liege daher keine Amtspflichtverletzung. Das BfArM sei auch zur Auskunfterteilung an den Verband berechtigt gewesen, da dieser ein berechtigtes Interesse an der Auskunft gehabt habe. Zudem sei der Verdienstausfall weder hinreichend dargelegt noch dem Grunde nach schützenswert, da er sich nur aus dem Erlös eines wettbewerbswidrig beworbenen Produkts habe herleiten lassen können.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Das Landgericht habe außer Betracht gelassen, dass öffentliche Stellen nur dann marktbeeinflussende Informationen öffentlich machen dürften, wenn diese sorgfältig geprüft und inhaltlich richtig seien. Schon nach damaliger Rechtsprechung sei aber die Einordnung als Arzneimittel eindeutig fehlerhaft gewesen. Zudem hätte das BfArM dem Verband keine Mitteilung über das Ergebnis ihrer Prüfung machen dürfen. Es habe sich nach damaligem Verständnis von § 21 Abs. 4 AMG noch um eine rein verwaltungsinterne Willensbildung gehandelt, zu der kein Auskunftsrecht bestanden habe. Mindestens hätte die Klägerin zeitgleich informiert werden müssen. Der Beklagten sei der Vorwurf zu machen, dass sie gegenüber der Klägerin nicht im Wege des Verwaltungsaktes vorgegangen sei, so dass für die Klägerin keine Möglichkeit des Rechtsschutzes bestanden habe.
Den Schaden eindeutig zu berechnen, sei gerade wegen des Vertriebsverbotes nicht möglich; notfalls müsse er eben geschätzt werden.
Sie beantragt,
das Urteil des Landgerichts Bonn vom 7. Dezember 2011 - Az: 1 O 512/10 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie Schadensersatz in Höhe von 1.267.474,02 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen,
hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, einen Schadensersatz an die Klägerin zu zahlen, dessen Höhe gemäß § 287 ZPO in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung, Bl. 195 ff. d.A., die Berufungserwiderung Bl. 217 ff. d.A., und die weiteren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht begründet. Zumindest im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Ein Anspruch der Klägerin aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG besteht nicht.
1.
Eine schuldhafte Amtspflichtverletzung ist nicht darin zu sehen, dass das BfArM in seinem Bescheid vom 1. November 2000 das O als Arzneimittel eingestuft hat. Wie bereits das Landgericht ausgeführt hat, stellt nicht jede objektiv falsche Rechtsmeinung einer Behörde zugleich eine Amtspflichtverletzung dar. Der Senat nimmt zunächst auf die Ausführungen des Landgerichts zu diesem Punkt Bezug und schließt sich ihnen zur Vermeidung von Wiederholungen an.
Die Berufung hat darauf abgehoben, dass bereits zum damaligen Zeitpunkt gerichtlich klargestellt gewesen sei, dass nur die Bezeichnung und Bewerbung als Arzneimittel ein Lebensmittel nicht zu einem Arzneimittel im Sinne des AMG machen könne und verweist auf die Entscheidungen des VGH München, NJW 1988, 845 und OLG Hamburg, ZLR 2000, 922. Nach Auffassung des Senats kann jedoch weder diesen beiden Entscheidungen noch der sonstigen Rechtsprechung zum Zeitpunkt der Erstellung des Bescheides eine gefestigte Rechtsprechung zur Arzneimitteleigenschaft eines sog. Präsentationsarzneimittels entnommen werden.
Die rechtliche Einschätzung des BfArM, dass auch die bloße Präsentation als Arzneimittel zu einer Einstufung als Arzneimittel führen kann, entspricht der Rechtsprechung des EuGH, wie sie im Urteil vom 28.10.1992, Az. C-219/91, zum Ausdruck gekommen ist. Es gab zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides keine dem entgegenstehende gefestigte nationale Rechtsprechung.
Bei der von der Berufungsklägerin zitierten Entscheidung des VGH München handelt es sich nicht um eine Entscheidung in der Hauptsache. Vielmehr war Gegenstand des Verfahrens eine Beschwerde gegen die Ablehnung eines Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen einen Untersagungsbescheid. Dementsprechend hat der VGH nur die Erfolgsaussichten der Klage geprüft (und bejaht), nicht aber endgültig in der Sache entschieden. Eine lediglich den voraussichtlichen Ausgang des Verfahrens summarisch prüfende Entscheidung ist nicht geeignet, eine derart eindeutige Klärung einer strittigen Rechtsfrage herbeizuführen, dass jedes Abweichen von dieser Meinung eine Amtspflichtverletzung darstellte.
Das OLG Hamburg hat in seiner Entscheidung die Frage, ob ein pharmakologisch unwirksames Mittel allein aufgrund seiner Präsentation unter den Arzneimittelbegriff fallen könne, ausdrücklich offen gelassen. Gleiches gilt für die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 10. Februar 2000 ( I ZR 97/98 - "L-Carnitin", Rz. 31 in juris). Auch hier findet sich keine eindeutige Klärung dieser Rechtsfrage.
Gegen die Unvertretbarkeit der Rechtsauffassung der BfArM spricht auch, dass das OVG Münster in neueren Entscheidungen unter Hinweis auf Entscheidungen des BGH und des BVerwG wieder dahin tendiert, dass auch allein eine äußere Aufmachung und Bewerbung eines Produkts zur Einstufung als Arzneimittel führen könne. So heißt es im Urteil des OVG Münster vom 13. Oktober 2010, ZLR 2011, 234:
"Der Eindruck, ein Erzeugnis könne für sich arzneiliche Eigenschaften in Anspruch nehmen, kann namentlich durch Werbung im Internet, aber auch durch Printmedien vermittelt werden (dazu ausführlich: Stephan, a.a.O., § 2 Rn. 87 ff). Davon ausgehend kann man zwar von einem verständigem Durchschnittsverbraucher im Allgemeinen erwarten, dass er ein ausdrücklich als Nahrungsergänzungsmittel bezeichnetes Produkt nicht für ein Arzneimittel halten wird (BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2007 - 3 C 21.06 -, a.a.O., unter Verweis auf BGH, Urteile vom 11. Juli 2002 - I ZR 273/99 -, ZLR 2002, S. 660 und vom 10. Februar 2000 - I ZR 97/98 -, PharmR 2000, S. 184).
Allerdings gilt das nur dann, wenn nicht durch hinzutretende Umstände wie die Art der Bewerbung oder die preisende Nennung von (vermeintlich) arzneilich wirksamen Bestandteilen ein nicht als Arzneimittel bezeichnetes Produkt dieses gleichwohl für den verständigen Verbraucher als solches erscheint (BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2009 - 3 C 5.09 -, NVwZ 2009, S. 1038 = PharmR 2009, S. 397)."
Demnach ist zwar die rechtliche Auffassung des BfArM im hier vorliegenden Fall von den Verwaltungsgerichten als fehlerhaft eingestuft worden; die dort vertretene Rechtsauffassung ist aber ihrerseits später von der Rechtsprechung revidiert worden, die jetzt wieder eher in die ursprünglich vom BfArM vertretene Richtung tendiert.
Dem BfArM kann auch nicht der Vorwurf gemacht werden, es habe seine Entscheidung auf eine falsche oder unzureichende Tatsachengrundlage gestützt. Die zum "O" gefällten Entscheidungen des OLG Saarbrücken vom 26. Februar 2003 (Anlage K 11) und des OVG Münster vom 24. Januar 2008 (LMuR 2008, 75) beruhen auf den gleichen Tatsachen, die auch schon das BfArM in seinem Bescheid aufgeführt hat. Es ist nur in Bewertungs- und Rechtsfragen zu einer anderen Auffassung gelangt als später die genannten Gerichte, dies aber - wie vom Landgericht erstinstanzlich schon ausgeführt - in vertretbarer Weise.
2.
Eine schuldhafte Amtspflichtverletzung liegt nicht darin, dass das BfArM dem Verband für sozialen Wettbewerb e.V. bzw. dessen Bevollmächtigten Auskunft über den Bescheid erteilt hat. Auch insoweit verweist der Senat zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des landgerichtlichen Urteils. Die Angriffe der Berufung führen nicht zu einer anderen Beurteilung.
a) Zu Recht hat das Landgericht darauf abgestellt, dass der Verband ein berechtigtes Interesse an der Auskunft über den Inhalt des Bescheides vom 1. November 2000 gehabt habe. Auch die Berücksichtigung der von der Berufungsführerin in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Informationstätigkeit öffentlicher Behörden (NJW 2002, 2621 - Glykolwein) führt zu keinem anderen Ergebnis.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts befasst sich mit der Frage, wann die Bundesregierung marktrelevante Faktoren (in diesem Fall: das Auffinden von Glykol in einem bestimmten Wein) an die Öffentlichkeit geben darf. Das Bundesverfassungsgericht bejaht diese Befugnis, wenn zum einen die Information notwendig ist, um der Öffentlichkeit alle relevanten Tatsachen bekannt zu machen, die sie für eine eigenverantwortliche Kaufentscheidung benötigt, und die Information zum anderen sachlich richtig ist und von der zuständigen Behörde verbreitet wurde. Im ersten Punkt lässt sich der vom BVerfG entschiedene Fall schon nicht mit dem vorliegenden vergleichen. Hinsichtlich der beiden anderen Voraussetzungen sind die Vorgaben des BVerfG hier von der BfArM eingehalten worden.
aa) Das Bundesverfassungsgericht befasst sich mit einem Fall der Herstellung von Markttransparenz durch Information der Öffentlichkeit. Im vorliegenden Fall hat das BfArM nicht die Öffentlichkeit unterrichtet, sondern einen einzigen Verband. Die Information wirkte dabei nicht unmittelbar auf das Marktgeschehen ein. Zwischen der Informationserteilung und ihrer Auswirkung auf den Markt in Form des Vertriebsverbotes war noch ein Gerichtsverfahren geschaltet, welches den Antrag des Verbandes zu prüfen hatte. Die Wirkung der Information als solcher war daher eine sehr viel geringere. Somit können auch die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Informationsweitergabe niedriger angesetzt werden. Es besteht kein Grund, hier von dem Grundsatz abzuweichen, dass die Erteilung einer Auskunft an Dritte nur voraussetzt, dass der Dritte ein berechtigtes Interesse an der Informationsweitergabe hat, was hier der Fall war.
bb) Das BfArM hat die Information innerhalb seiner aus § 21 Abs. 4 AMG folgenden sachlichen Zuständigkeit erteilt.
cc) Die Information war auch sachlich richtig. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die vom BfArM vorgenommene rechtliche Einschätzung zutreffend war. Denn die an den Verband erteilte Information unterschied deutlich zwischen einer Information über Tatsachen und der Information über die rechtliche Bewertung des BfArM. Die an den Verband erteilte Auskunft lautete dahingehend, dass und mit welcher Begründung das BfArM einen Bescheid nach § 21 Abs 4 AMG erteilt hatte. Die Tatsachen (Beschreibung des Pulvers auf der Verpackung, Inhaltsstoffe, Inhalt der Werbung etc.) sind zutreffend wiedergegeben. Es ist auch ausreichend deutlich, dass das BfArM hieran eine eigene Bewertung in tatsächlicher ("O wird danach vom Verbraucher nicht zur Ernährung … erworben, sondern um die Beschaffenheit des menschlichen Körpers zu verändern") und rechtlicher Hinsicht ("Navol wird daher als ….. Fertigarzneimittel eingestuft") anschließt. Eine sachlich falsche Information liegt hierin nicht.
b) Ohne Belang für die Zulässigkeit der Informationserteilung ist der Umstand, ob es sich bei dem Bescheid nach § 21 Abs. 4 AMG um einen Verwaltungsakt oder nur um eine interne Willensbildung der Behörde ohne Außenwirkung handelte (vgl. zum Streitstand OVG Münster, PharmR 2010, 607, auch unter Darstellung der Gegenmeinung: es handele sich um einen Verwaltungsakt mit Außenwirkung, gegen den die Anfechtungsklage statthaft sei; Prütting-Guttmann, Fachanwaltskommentar Medizinrecht, 1. Aufl. 2010, § 21 AMG Rn 44: Es handele sich nicht um einen Verwaltungsakt mit Außenwirkung, gegen den Bescheid könne aber im Wege der Feststellungsklage vorgegangen werden).
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch außerhalb eines Verwaltungsverfahrens ein berechtigtes Interesse bestehen kann, Einsicht in verwaltungsbehördliche Akten und Unterlagen zu nehmen bzw. Auskunft aus ihnen zu erhalten. Über die Einsicht bzw. die Auskunft entscheidet die Behörde grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen. Ein subjektives Recht auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens steht demjenigen zu, der ein berechtigtes Interesse an der Einsichtnahme oder der Auskunft hat (BVerwG NJW 1981, 535, 537; OVG Münster, NJW 2005, 2028, 2030). Ein Ermessensfehlgebrauch des BfArM ist hier nicht ersichtlich. Wie bereits ausgeführt und auch von der Klägerin nicht in Frage gestellt wird, hat der Verband ein berechtigtes Interesse an Informationen über die Einstufung eines Produkts als Arzneimittel, da es zu seinen satzungsmäßigen Aufgaben gehört, gegen wettbewerbswidriges Verhalten im Bereich des Lebensmittel- und Arzneihandels vorzugehen. Auf der anderen Seite waren keine Geschäftsgeheimnisse oder sonst schützenswerten Daten der Klägerin betroffen: der Bescheid listete lediglich allgemein zugängliche Daten über das Produkt "O" wie etwa die Packungsaufschrift und die Werbeaussagen auf und ergänzte dies um eine eigene Bewertung und eine eigene Rechtsansicht der Behörde.
3.
Wie bereits oben ausgeführt und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausführlich erörtert worden ist, liegt auch keine schuldhafte Amtspflichtverletzung des BfArM darin, dass es den Bescheid nach § 21 Abs. 4 AMG nicht in Form eines Verwaltungsaktes nach Anhörung der Klägerin erteilt, sondern als Meinungsäußerung im innerbehördlichen Verkehr behandelt hat. Wie die Klägerin selbst an anderer Stelle, nämlich bei der Frage der Schadensabwendung durch Rechtsmittel nach § 839 Abs. 3 BGB zu ihren Gunsten für sich in Anspruch nimmt, entsprach es nämlich einer in der Literatur vertretenen Ansicht, dass der Bescheid nach § 21 Abs. 4 AMG keine Außenwirkung entfalte, deshalb keinen Verwaltungsakt darstelle und auch vom betroffenen Hersteller des bewerteten Produkts nicht angefochten werden könne. Erst die Untersagungsverfügung durch die zuständige Landesbehörde sei als Verwaltungsakt mit Außenwirkung anzusehen. Das BfArM trifft kein Verschulden, wenn es sich dieser Einschätzung angeschlossen und danach gehandelt hat.
Der Klägerin ist zuzugeben, dass hierdurch ihre Rechtsschutzmöglichkeiten im konkreten Fall faktisch eingeschränkt worden sind: nach der einen Rechtsmeinung - welcher das BfArM gefolgt ist - stellte der Bescheid keinen anfechtbaren Verwaltungsakt dar, da ihm keine Außenwirkung zukommen sollte. Dennoch haben die Zivilgerichte, das Landgericht und das Oberlandesgericht Saarbrücken, im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Bescheid enthaltene rechtliche Würdigung des BfArM als allgemein verbindlich angesehen und dem Bescheid damit faktische Außenwirkung verliehen. Diese Diskrepanz ist schließlich von den Verwaltungsgerichten wieder aufgelöst worden, indem sie die Anfechtungsklage der Klägerin gegen den Bescheid als zulässig ansahen; dies hat aber das im einstweiligen Verfügungsverfahren ausgesprochene Vertriebsverbot nicht mehr hindern können.
Ursache der zeitweise eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeit der Klägerin war die in Literatur und Rechtsprechung unterschiedliche Sichtweise von der Rechtsnatur des Bescheides nach § 21 Abs. 4 AMG. Allerdings kann hieraus allein nicht geschlossen werden, dass eine der beteiligten Behörden für den Schaden der Klägerin haften müsse. Denn Voraussetzung hierfür wäre eine schuldhafte Amtspflichtverletzung eines Beamten, die - wie dargestellt - hier nicht vorlag.
4.
Unabhängig vom Vorliegen einer Amtspflichtverletzung steht der Klägerin der geltend gemachte Schadensersatzanspruch auch deshalb nicht zu, weil der ersatzfähige Schaden der Höhe nach nicht bestimmt werden kann.
a) Die Klägerin berechnet ihren Schaden anhand von Verkaufszahlen, die wesentlich auf eine wettbewerbswidrige und damit unzulässige Bewerbung des Produkts zurückgehen. Der hieraus sich ergebende Provisionsausfall wäre jedoch nicht ersatzfähig. Hierauf hat schon das Landgericht erstinstanzlich zu Recht hingewiesen.
aa) Die Bewerbung des "Os" war irreführend und damit unlauter im Sinne der §§ 3 und 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG; desweiteren liegt ein Verstoß gegen § 17 Abs. 1 Ziff. 5 LMBG a.F. vor. Die Werbung, wie sie etwa in der Anlage B4 wiedergegeben ist, spiegelt dem Verbraucher vor, dass die Einnahme des Os überflüssiges Körperfett "zerfließen" lasse, abbaue und ausscheiden lasse, dass der Organismus das Körperfett in Energie umwandle und das Fettzellenwachstum stoppe. Die Werbung der Anlage B4 unterscheidet dabei nicht zwischen O und den - hier nicht streitigen - "O-Caps". Gleiches gilt für die Werbung Bl. 147 d.A.; auch hier werden Pulver und Kapseln gleichermaßen beworben. Abgestellt wird in beiden Fällen allein auf die angebliche Wirkung. Unstreitig besitzt das Produkt die ihm in der Werbung beigelegten Wirkungen nicht, so dass der angesprochene Leser der Werbung über die Zwecktauglichkeit des beworbenen Produkts getäuscht wird. Wegen der weiteren Einzelheiten der rechtlichen Bewertung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf das als Anlage K6 eingereichte Urteil des Landgerichts Hamburg vom 14. März 2001 - 406 O 291/00.
bb) Hätte sich die Klägerin gesetzeskonform verhalten, hätte sie bzw. die von ihr beauftragte C GmbH somit die Werbung für das Produkt nicht verwenden dürfen. Ersatzfähig können jedoch nach dem Schutzzweck des § 839 BGB nur solche Schäden sein, die bei rechtmäßigem Verhalten des Geschädigten und der von ihm Beauftragten selbst entstanden wären.
cc) Für die mangelnde Ersatzfähigkeit des Schadens kommt es nicht darauf an, dass die Klägerin selbst die Werbung nicht entworfen und in Auftrag gegeben haben will. Denn ihre Provision errechnete sich aus dem Umsatz der C GmbH, hing damit gleichfalls vom Erfolg der irreführenden Werbung ab und ist aus dem gleichen Grund somit nicht schutzwürdig (vgl. zur Zurechnung der Werbung auf andere am Vertriebsweg Beteiligte auch EuGH, Urteil vom 28.10.1992, Az. C-219/91; VG Köln, Urteil vom 13.04.2010, Az: 24 K 5687/08).
b) Ein Schadensersatz könnte der Klägerin somit nur insoweit zugesprochen werden, als sie Provision aus dem Verkauf des Produkts "O" auch ohne die wettbewerbswidrige Werbung erzielt hätte. Dass ohne die Werbung überhaupt ein Umsatz hätte erzielt werden können, ist jedoch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dem Senat ist hier auch nicht die Schätzung eines Mindestschadens nach § 287 ZPO möglich.
Die Schätzung eines Mindestschadens an entgangenem Gewinn setzt voraus, dass greifbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, in welcher Höhe ohne das schädigende Ereignis ein Gewinn entstanden wäre (BGH NJW-RR 2004, 1023; Musielak-Foerste, ZPO, 9. Aufl. 2012, § 287 Rn. 9). Solche Anhaltspunkte werden hier von der Klägerin nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. So ist z.B. nicht vorgetragen, ob überhaupt und ggf. mit welchem Erfolg das O seit rechtskräftiger Aufhebung des Vertriebsverbotes Anfang des Jahres 2008 wieder im Handel ist. Ebenso fehlen Vergleichszahlen aus anderen Ländern, in welchen das O nicht einem Vertriebsverbot unterlegen hat. Selbst Verkaufszahlen für Deutschland aus der Zeit vor dem Vertriebsverbot liegen überhaupt nur für drei Monate (September bis November 2000, s. Anlage K 20) vor, wovon der erste und der dritte Monat schon nach Einschätzung der Klägerin selbst nicht zur Schätzung des Verkaufserfolges tauglich sein sollen, weil der Verkauf nicht über den gesamten Monat hinweg erfolgte. Aus den Verkaufszahlen für lediglich drei, erst recht nicht für einen einzigen Monat, in welchem die wettbewerbswidrige Werbung geschaltet war, lässt sich nicht auf einen Verkaufserfolg schließen, der ohne die wettbewerbswidrige Werbung möglich gewesen wäre. Jegliche Zahl wäre hier völlig aus der Luft gegriffen.
Mindestens ebenso gut wie ein Mindestschaden in einer bestimmten Höhe kann auch vermutet werden, dass ohne die wettbewerbswidrige Werbung der C GmbH überhaupt kein Umsatz gelungen wäre. Denkt man die wettbewerbswidrigen Versprechungen zur angeblich körperfettlösenden Wirkung des O hinweg, bleibt kein Grund ersichtlich, warum ein Verbraucher das O zu den verlangten erheblichen Preisen hätte erwerben sollen.
5.
Selbst wenn von einer schuldhaften Amtspflichtverletzung der Beklagten und einem grundsätzlich ersatzfähigen Schaden auszugehen wäre, wäre eine Ersatzpflicht nach § 254 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Denn die Klägerin hat es unterlassen, den Schaden abzuwenden. Sie hätte auf die C GmbH dahingehend einwirken müssen, die wettbewerbswidrige Werbung noch während des Verfahrens im vorläufigen Rechtsschutz vor dem Landgericht Saarbrücken einzustellen. Grundlage für die Einstufung als zulassungspflichtiges Arzneimittel war allein die Präsentation des Produkts als Arzneimittel, wie aus dem Bescheid der BfArM vom 1. November 2000 eindeutig hervorging. Der Bescheid wäre somit bei geänderter Werbung gegenstandslos geworden und hätte nicht mehr Grundlage der Entscheidungen des LG Saarbrücken und OLG Saarbrücken im einstweiligen Rechtsschutzverfahren sein können. Dass ein Abstandnehmen von der beanstandeten Werbung zu einer Erledigung des Untersagungsverfahrens in der Hauptsache geführt hätte, zeigt sich an dem vor dem Landgericht Berlin und Kammergericht geführten Parallelverfahren betreffend die "O-Caps" (5 U 311/01 und 16 O 139/01, Anlagen B10 und B 15): hier hatte der Beklagte, der geschäftsführende Gesellschafter der hiesigen Klägerin, im Berufungsverfahren eine strafbewehrte Unterlassungserklärung zu den wettbewerbswidrigen Werbeaussagen abgegeben; daraufhin hat der auch dort klagende Verband Sozialer Wettbewerb e.V. das Verfahren für in der Hauptsache erledigt erklärt. Wäre eine derartige Erklärung im hier streitgegenständlichen Untersagungsverfahren sofort abgegeben worden, wäre auch dieser Streit für in der Hauptsache erledigt erklärt worden; zum Ausspruch eines Vertriebsverbots wäre es nicht gekommen.
Hierbei kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, sie habe von dem Bescheid der BfArM (noch) keine Kenntnis gehabt. Nach dem Vortrag der Beklagten ist der Bescheid der Klägerin im Dezember 2000 übersandt worden. Die Klägerin hat hierzu, zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 21. Juni 2012, lediglich erklärt, sie könne sich zu dem Datum der Kenntniserlangung nicht äußern. Eine solche Erklärung mit Nichtwissen ist jedoch nach § 138 Abs. 4 ZPO unzulässig, da sie die eigene Wahrnehmung der Klägerin bzw. ihrer vertretungsberechtigten Organe betrifft. Der Vortrag der Beklagten ist somit nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen. Somit hätte die Klägerin noch vor Erlass des Urteils im einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Landgericht Saarbrücken vom 7. Februar 2001 (Anlage K 8) den Schaden abwenden können.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.267.474,02 Euro festgesetzt. Der Hilfsantrag ist mit dem Hauptantrag teilidentisch, weshalb er nach § 45 Abs. 1 Satz 2 und 3 GKG den Streitwert nicht erhöht.
Ein Anlass zur Zulassung der Revision besteht nicht. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch bedarf es einer Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Die Beurteilung des Streitfalls beruht auf einer Würdigung der tatsächlichen Umstände des vorliegenden Einzelfalles.
OLG Köln:
Urteil v. 19.07.2012
Az: 7 U 1/12
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