Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 10. Dezember 1999
Aktenzeichen: 1 BvR 1677/99
(BVerfG: Beschluss v. 10.12.1999, Az.: 1 BvR 1677/99)
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor.
1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG).
Diese ist nur gegeben, wenn die Verfassungsbeschwerde eine verfassungsrechtliche Frage aufwirft, die sich nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten läßt und noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt oder die durch veränderte Verhältnisse erneut klärungsbedürftig geworden ist (vgl. BVerfGE 90, 22 <24>). Die hier von der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen zur Relevanz des Börsenkurses bei der Bestimmung von Ausgleich und Abfindung im Rahmen eines aktienrechtlichen Spruchstellenverfahrens und zur Notwendigkeit der Anhörung eines Sachverständigen in einem solchen Verfahren sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt (vgl. BVerfGE 100, 289, sowie BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, DB 1998, S. 1506, mit der dort zitierten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung von Verfassungsrechten angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
Angezeigt ist die Annahme, wenn die geltend gemachte Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten besonderes Gewicht hat oder den Beschwerdeführer in existentieller Weise betrifft. Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten. Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze kraß verletzt. Eine existentielle Betroffenheit des Beschwerdeführers kann sich vor allem aus dem Gegenstand der angegriffenen Entscheidung oder seiner aus ihr folgenden Belastung ergeben (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). Danach bedarf es im vorliegenden Fall keiner Annahme der Verfassungsbeschwerde.
a) Allerdings steht der angegriffene Beschluß des Oberlandesgerichts mit Art. 14 Abs. 1 GG nicht in Einklang. Das Oberlandesgericht hat eine Berücksichtigung des Börsenkurses bei der Bestimmung des angemessenen Ausgleichs und der angemessenen Abfindung unter Berufung auf die herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur sowie in Anbetracht der Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen prinzipiell abgelehnt. Das steht mit den Anforderungen, die von Verfassungs wegen bei der Auslegung und Anwendung der §§ 304, 305 AktG zu beachten sind, nicht in Einklang (vgl. BVerfGE 100, 289 <307 ff.>).
Es bedarf daneben keiner Entscheidung, ob das Oberlandesgericht überdies die Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG verkannt hat, indem es einem Antrag auf Ladung und Anhörung des Sachverständigen nicht nachgekommen ist. Denn die Rüge des Beschwerdeführers, er sei insoweit in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, ist unzulässig. Der Beschwerdeführer kann sich auf die angebliche Gehörsverletzung nicht berufen, weil er selbst keinen Antrag auf eine entsprechende Anhörung des Sachverständigen im Ausgangsverfahren gestellt hat.
b) Die Voraussetzungen, unter denen eine Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt ist, liegen nicht vor.
aa) Der Beschluß des Oberlandesgerichts stellt sich trotz des Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 1 GG nicht als besonders gewichtige Grundrechtsverletzung dar.
Die verfassungswidrige Feststellung des Oberlandesgerichts zur grundsätzlichen Irrelevanz des Börsenkurses bei der Bestimmung einer angemessenen Entschädigung für Minderheitsaktionäre im Rahmen eines aktienrechtlichen Spruchstellenverfahrens beruhte auf einer langjährigen, im Schrifttum und in der Rechtsprechung - bis zum Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 27. April 1999 (BVerfGE 100, 289) - weitgehend unbestrittenen Auffassung. Erst in neuerer Zeit ist die früher herrschende Auffassung auch unter grundrechtlichen Aspekten vorsichtig problematisiert worden (vgl. die Nachweise bei Hüffer, AktG, 4. Aufl. 1999, § 305 Rn. 20 a). Unter diesen Umständen läßt sich nicht von einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen sprechen. Auch eine krasse Verletzung von rechtsstaatlichen Grundsätzen liegt nicht vor. Insbesondere kann dem Oberlandesgericht nicht vorgeworfen werden, es habe die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ignoriert. Zum Zeitpunkt seiner Entscheidung (4. August 1999) konnte das Gericht den DAT-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 27. April 1999 nicht kennen, weil dieser erst durch die Pressemitteilung vom 10. August 1999 bekanntgegeben wurde. Das Oberlandesgericht war trotz der räumlichen Nähe zum Bundesverfassungsgericht nicht verpflichtet, Erkundungen darüber anzustellen, ob das Bundesverfassungsgericht möglicherweise in näherer Zukunft über eine für das Ausgangsverfahren einschlägige Rechtsfrage entscheiden werde.
bb) Auch eine existentielle Betroffenheit des Beschwerdeführers ist nicht ersichtlich. Dabei kann es dahinstehen, ob der Beschwerdeführer den sich aus §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG ergebenden Substantiierungspflichten nachgekommen ist. Daran bestehen Zweifel, weil der Beschwerdeführer trotz der Aufforderung durch das Bundesverfassungsgericht nicht mitgeteilt hat, mit wievielen Aktien er zum Zeitpunkt der Zustimmung der Hauptversammlung der EURAG Holding AG zum Unternehmensvertrag an der abhängigen Gesellschaft beteiligt war. Selbst wenn man für die Bemessung der wirtschaftlichen Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer von einem Bestand von 311 Aktien ausginge, ist es nicht erkennbar, daß der Ausgang des Spruchstellenverfahrens für ihn von existentieller Bedeutung wäre.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
BVerfG:
Beschluss v. 10.12.1999
Az: 1 BvR 1677/99
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