Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 18. September 2012
Aktenzeichen: I-20 U 43/12

(OLG Düsseldorf: Urteil v. 18.09.2012, Az.: I-20 U 43/12)

Tenor

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 1. März 2012 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Antragsgegnerin auferlegt.

Gründe

I.

Zu den satzungsgemäßen Aufgaben des Antragstellers gehört die Bekämpfung unlauterer geschäftlicher Handlungen. Ihm gehören über 1600 Mitglieder an, darunter alle Industrie- und Handelskammern, die Handwerkskammern und etwa 400 Verbände. Die Antragsgegnerin ist ein bundesweit tätiger Telekommunikationsdienstleister. Ihren telefonischen Kundenservice erbringt sie unter einer mit 0185 beginnenden Rufnummer. Auf die entstehenden Kosten weist sie wie folgt hin:

„ 0-19 ct/Min aus dem deutschen Festnetz, ggf. abweichende Mobilfunktarife“.

„ Servicemenü kostenfrei, danach 0 oder 19 ct/Min nach Tarifansage aus dem Festnetz, abweichende Mobilfunkpreise“

Der Antragsteller sieht hierin einen Verstoß gegen die Verpflichtung zur Preisangabe nach § 66a TKG, hilfsweise eine unter dem Gesichtspunkt des Rechtsbruchs wegen Verstoßes gegen die Preisangabeverordnung oder wegen Irreführung durch Unterlassung wettbewerbswidrige Handlung.

Das Landgericht hat der Antragsgegnerin durch Beschluss untersagt, mit einer Kundenservicetelefonnummer mit der Vorwahl 0185 zu werben, ohne gleichzeitig den für die Inanspruchnahme des Dienstes zu zahlenden Preis sowohl aus dem Festnetz als auch aus dem Mobilfunknetz (hier Höchstpreis) anzugeben. Dem Widerspruch der Antragsgegnerin war kein Erfolg beschieden. Das Landgericht hat die Beschlussverfügung durch Urteil bestätigt und zur Begründung ausgeführt, der Anspruch ergebe sich unter dem Gesichtspunkt wettbewerbswidrigen Handelns durch Rechtsbruch aus § 66a TKG. Der Begriff der Service-Dienste sei nicht auf solche unter der Vorwahl 0180 beschränkt, wie sich aus dem vorangestellten Wort „insbesondere“ in § 3 Nr. 8a TKG ergebe. Zumindest aber stelle sich das Verhalten der Antragsgegnerin als Umgehung im Sinne des § 66l TKG dar.

Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Berufung. Sie trägt vor, der Gesetzgeber habe die Service-Dienste nicht inhaltlich, sondern über die Rufnummerngasse „0180“ definiert. Dies ergebe sich aus der Gesetzesbegründung. Durch die Zuteilungspraxis der Bundesnetzagentur sei eine eindeutige Zuordnung möglich, das Wort „insbesondere“ sei lediglich eingefügt worden, um das Gesetz bei einer veränderten Zuteilungspraxis nicht ändern zu müssen. Von daher könne ihr Verhalten auch nicht als Umgehung im Sinne des § 66l TKG gewertet werden, da diese Bestimmung auf eine zuteilungswidrige Verwendungspraxis abziele, die der Antragsteller nicht dargetan habe. Die Zuteilungsregeln der Bundesnetzagentur eröffneten die Nutzung der 018-Rufnummerngasse für telefonische Dienstleistungen, eine Preisangabeverpflichtung sehe § 66a TKG für diese Rufnummerngasse nicht vor. Zudem erlaube nur diese Rufnummerngasse eine preisliche Differenzierung. Die Gefahr einer generellen Verlagerung von Service-Diensten aus der 0180-Rufnummerngasse in die 018-Rufnummerngasse drohe schon deswegen nicht, weil der Anbieter dort keinen Anteil am Verbindungsentgelt erhalte. Ein Verstoß gegen die Preisangabeverordnung sei ebenfalls nicht gegeben. Für Anrufe aus dem Festnetz gebe sie die Preisspanne an, für Anrufe aus dem Mobilfunknetz sei ihr dies nicht möglich, da die Mobilfunkanbieter insoweit in ihrer Preisgestaltung frei seien. Von daher sei auch keine Irreführung durch Unterlassung geben.

Die Antragsgegnerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf (Az. 12 O 607/11) vom 01. März 2012 die einstweilige Verfügung des Landgerichts Düsseldorf vom 21. Dezember 2011 aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Antragsteller verteidigt das landgerichtliche Urteil. Der Gesetzgeber habe das Wort „insbesondere“ eingefügt, um eine Fortentwicklung des Nummerierungs­konzeptes erfassen zu können. Genau dies habe die Antragsgegnerin getan, sie erbringe unter der Vorwahl 0185 Dienste, wie sie für Rufnummern mit 0180 typisch seien. Im Grunde entwickele sie damit das Rufnummernkonzept selbst weiter. Zumindest aber handele es sich um eine Umgehung im Sinne des § 66I TKG. Nach der Gesetzesbegründung stelle es insbesondere eine Umgehung dar, wenn Dienste entgegen ihrer bestimmungsgemäßen Nutzung aufgrund der Zuteilungsregelungen genützt würden, wobei die Bestimmung vor dem Hintergrund der vielfältigen Missbrauchsmöglichkeiten, die immer neue Varianten und Ausgestaltungsmöglichkeiten hervorbrächten, zwingend notwendig sei. Die Regelungsmechanismen der §§ 66a bis k TKG könnten so auf Umgehungen zur Anwendung kommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands erster Instanz wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil, Bl. 110 ff. d. GA., wegen des Parteivorbringens im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin hat in der Sache keinen Erfolg.

Der gemäß §§ 935, 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund ist gegeben. Bei einem fortgesetzten Verstoß gegen eine Verpflichtung zur Preisangabe droht den Nutzern ein Nachteil, der nachträglich nicht mehr beseitigt werden kann.

Der Antragsteller ist gemäß § 44 Abs. 2 TKG in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 2 UKlaG prozessführungs- und anspruchsberechtigt. Das Telekommunikationsgesetz enthält mit § 44 TKG eine eigenständige Regelung des Unterlassungsanspruchs, so dass es eines Rückgriffs auf den Rechtsbruchtatbestand des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb nicht bedarf. Gemäß § 44 Abs. 2 TKG kann, wer in anderer Weise als durch Verwendung oder Empfehlung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegen Vorschriften dieses Gesetzes oder Vorschriften einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung verstößt, die dem Schutz der Verbraucher dienen, im Interesse des Verbraucherschutzes von den in § 3 des Unterlassungsklagengesetzes genannten Stellen in Anspruch genommen werden. Entsprechend dem Gesetzeszweck, die Berechtigung eines Verbandes zur Verfolgung von Verstößen auf die kollektive Wahrnehmung von Mitgliederinteressen zu beschränken, genügt es, wenn dem Wettbewerbsverein Industrie- und Handelskammern oder Handwerkskammern angehören, die nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 UKlaG selbst zur Verfolgung von Verstößen der gegebenen Art prozessführungsbefugt wären (BGH, GRUR 1995, 122 - Laienwerbung für Augenoptiker, zu § 13 Abs. 2 UWG a. F.). Dem Antragsteller gehören alle Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern an (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 30. Aufl., UWG, Einl Rn. 2.29). Auch die erforderliche personelle, sachliche und finanzielle Ausstattung ist zweifelsohne gegeben.

Der Antragsteller hat gegenüber der Antragsgegnerin einen Anspruch auf Unterlassung der Bewerbung einer Kundenservicetelefonnummer mit der Vorwahl „0185“, ohne gleichzeitig den für die Inanspruchnahme des Dienstes zu zahlenden Preis sowohl aus dem Festnetz als auch aus dem Mobilfunknetz anzugeben, aus § 44 Abs. 2 in Verbindung mit § 66a Satz 1 und 6 TKG.

Gemäß § 66a TKG hat, wer gegenüber Endnutzern Premium-Dienste, Auskunftsdienste, Massenverkehrsdienste, Service-Dienste, Neuartige Dienste oder Kurzwahldienste anbietet oder dafür wirbt, dabei den für die Inanspruchnahme des Dienstes zu zahlenden Preis anzugeben, wobei bei Service-Diensten neben dem Festnetzpreis der Mobilfunkhöchstpreis anzugeben ist, soweit für die Inanspruchnahme des Dienstes für Anrufe aus den Mobilfunknetzen Preise gelten, die von den Preisen für Anrufe aus den Festnetzen abweichen. Nach § 3 Nr. 8a TKG sind „Service-Dienste“ Dienste, insbesondere des Rufnummernbereichs (0)180, die bundesweit zu einem einheitlichen Entgelt zu erreichen sind.

Danach trifft die Antragsgegnerin die Verpflichtung zur Angabe des bei Anrufen zu zahlenden Preises, wobei neben dem Festnetzpreis der Mobilfunkhöchstpreis anzugeben ist. Die Antragsgegnerin erbringt unter der Rufnummer ihren Kundenservice zu einem bundesweit einheitlichen Entgelt. Der Anwendungsbereich der Vorschrift ist nicht auf die Rufnummerngasse 0180 beschränkt, wie sich aus dem Wort „insbesondere“ ergibt. Die Formulierung „insbesondere des Rufnummernbereichs (0)180“ bezeichnet nach allgemeinem Sprachgebrauch einen Einzelfall, der zugleich die geregelten Dienste dergestalt konkretisiert, dass es sich um Dienste handelt, wie sie im Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes unter der Rufnummerngasse 0180 erbracht worden sind.

Der Gesetzesbegründung ist kein abweichendes Verständnis zu entnehmen. Mit der Formulierung in der Bundestagsdrucksache 15/5213 auf Seite 20 im Abschnitt „Zu Nummer 2“ „Durch die Nennung der Rufnummernbereiche … ist - auf der Grundlage der aktuellen Zuteilungen - eine eindeutige Zuordnung der Dienste möglich. Zugleich wird durch die Formulierung „insbesondere“ sichergestellt, dass auch weitere Rufnummernbereiche unter den Begriff fallen können, wenn die Fortentwicklung des Nummerierungskonzepts dies erforderlich machen sollte“ hat der Gesetzgeber nur zum Ausdruck gebracht, dass es sich um die Dienste handelt, die derzeit unter der Rufnummerngasse 0180 erbracht werden. Dass nur solche Rufnummernbereiche unter den Begriff fallen sollen, die die Bundesnetzagentur dem Bereich 0180 explizit gleichgestellt hat, kann in diese Aussage nicht hineingelesen werden. Vielmehr wollte der Gesetzgeber für alle Entwicklungen des Marktes offen sein, wie sich aus der einleitenden Formulierung, die Telekommunikationsdienste „werden vor dem Hintergrund der raschen Marktentwicklung sowie der ständig ändernden Erscheinungsformen … technologieneutral und entwicklungsoffen definiert“ ergibt. Eine andere Intention ist ebenso wenig der Bundestagsdrucksache 16/12405 zu entnehmen, wo sich auf Seite 10 im Abschnitt „Zu Nummer 1“ die Formulierung „Der Rufnummernbereich 0180 wird als Service-Dienste bezeichnet“ findet. Auch hier wird nur auf die derzeitige Verwendungspraxis Bezug genommen.

Eine andere Auslegung der Bestimmung verbietet sich aber auch deshalb, weil eine Differenzierung allein nach der Rufnummerngasse zur Verfassungswidrigkeit der Norm führen würde, was dem Gebot der verfassungskonformen Auslegung zuwiderliefe, das verlangt, von mehreren, nach Wortlaut und Gesetzeszweck möglichen Normdeutungen, von denen die eine zu einem verfassungswidrigen, die andere zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führt, diejenige vorzuziehen, die sich mit dem Grundgesetz vereinbaren lässt (BVerfG, NJW 1974, 307, 308). Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (BVerfG, NVwZ 2008, 1102 Rn. 81). Für jede vom Gesetzgeber getroffene Unterscheidung muss es einen sachlichen Grund geben, der so erheblich ist, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise nicht als willkürlich angesehen werden kann (BVerfG, a. a. O., Rn. 85). Dass eine Differenzierung bezüglich der Anwendung beziehungsweise Nichtanwendung verbraucherschützender Vorschriften allein aufgrund einer in das Belieben des Telekommunikationsdienstleisters gestellten Wahl des für seine Dienste genutzten Rufnummernbereichs einen sachlichen Grund darstellen würde, ist nicht ersichtlich.

Im Übrigen wäre vorliegend, selbst wenn man eine unmittelbare Anwendbarkeit von § 66a TKG verneinen wollte, jedenfalls der Umgehungstatbestand des § 66m TKG (= § 66l TKG a.F.) erfüllt, wonach die Vorschriften der §§ 66a bis 66l auch dann anzuwenden sind, wenn versucht wird, sie durch anderweitige Gestaltungen zu umgehen.

Dabei kann dahinstehen, ob es sich bei Nutzung der 018-Rufnum­merngasse durch die Antragsgegnerin um eine zuteilungswidrige Verwendungspraxis handelt. Der Anwendungsbereich des Umgehungsverbots ist nicht auf die Nutzung entgegen den Bestimmungen der Zuteilungsregelungen beschränkt. Der Gesetzgeber hat eine zuteilungswidrige Nutzung zwar als wahrscheinlichste Form der Umgehung erwartet, wie sich aus der Formulierung in der Bundestagsdrucksache 15/5213 auf Seite 27 im Abschnitt „Zu 66l“ ergibt, wonach eine Umgehung insbesondere die zuteilungswidrige Nutzung darstellt, allerdings ohne hierin eine Beschränkung des Anwendungsbereichs zu sehen. Dies kommt nicht nur in der Verwendung des Wortes „insbesondere“, sondern auch im folgenden Satz zum Ausdruck, wonach eine „solche Regelung … vor dem Hintergrund der vielfältigen Missbrauchsmöglichkeiten, die immer neue Varianten und Ausgestaltungen hervorbringen, zwingend notwendig“ ist, der jedem einschränkenden Verständnis der Norm entgegensteht.

Der von der Antragsgegnerin angebotene Kundenservice wird üblicherweise in den Rufnummerngassen 0800 für die unentgeltlichen und 0180 für die entgeltlichen Dienste erbracht. Die Zusammenfassung dieser Dienste unter einer Nummer aus dem Rufnummernbereich 0185 vermag einen Verzicht auf die Preisangabe­verpflichtungen nach § 66a TKG nicht zu rechtfertigen. Es kann nicht im Belieben des Telekommunikationsdienstleisters stehen, ob er sich durch die Wahl des einen oder anderen Rufnummernbereichs einer verbraucherschützenden Vorschrift unterwirft oder ob er entscheidet, dass sie für ihn nicht gelten soll. Der Verbraucher hat gerade bei für ihn zentralen Dienstleistungen wie dem Kundenservice seines Telekommunikationsdienstleisters ein legitimes Interesse daran, vorab zu wissen, welche Kosten auf ihn zukommen. Beim angegriffenen Verhalten ist dies schon hinsichtlich der Festnetzdienstleistungen nicht gewährleistet, weil bei einer Ansage erst zu Beginn des Telefonats immer die Gefahr einer Überrumpelung besteht. Bei Anrufen aus dem Mobilfunknetz weiß der Verbraucher überhaupt nicht, welche Kosten auf ihn zukommen. Demgegenüber ist ein berechtigtes Interesse der Antragsgegnerin an einer Zusammenfassung ihres Services unter einer Rufnummer nicht zu erkennen. Die Einrichtung zweier Rufnummern und die Mitteilung der jeweiligen Nutzungsbereiche erfordert keinen nennenswerten Mehraufwand.

Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bedarf es nicht, die Sache ist kraft Gesetzes nicht revisibel, § 542 Abs. 2 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird in Übereinstimmung mit unbeanstandet gebliebenen erstinstanzlichen Festsetzung auf 20.000,00 Euro festgesetzt.






OLG Düsseldorf:
Urteil v. 18.09.2012
Az: I-20 U 43/12


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