Oberlandesgericht München:
Beschluss vom 20. Juni 2008
Aktenzeichen: 11 WF 857/08
(OLG München: Beschluss v. 20.06.2008, Az.: 11 WF 857/08)
Tenor
I. Die der Klägerin von dem Beklagten aufgrund des Beschlusses des Oberlandesgerichts München vom 26.11.2007 zu erstattenden Kosten werden festgesetzt auf 381,16 € nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB ab 28.11.2007.
II. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
III. Von den außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Klägerin 1/3, der Beklagte 2/3. Die Gerichtskosten trägt die Klägerin.
IV. Der Beschwerdewert beträgt 543,59 €.
V. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich dagegen, dass ein Erstattungsanspruch für Kosten der Klägervertreterin im Berufungsverfahren nicht anerkannt wurde.
Der mit Endurteil des Amtsgerichts Mühldorf vom 08.10.2007 zur Unterhaltszahlung verurteilte Beklagte legte selbst, also ohne die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes mit Schreiben vom 29.10.2007 Berufung ein. Mit Schriftsatz vom 13.11.2007 beantragte die Klägervertreterin die Berufung zurückzuweisen, weil hinsichtlich der Berufung Anwaltszwang bestehe. Mit Beschluss vom 26.11.2007 hat das OLG München die Berufung des Beklagten verworfen, diesem die Kosten auferlegt und den Streitwert auf 4.188,00 € festgesetzt.
Die Klägerin meldete zur Kostenfestsetzung 542,59 € an (1,6-Verfahrensgebühr gem. VVRVG 3200 aus 4.188,00 €; Auslagenpauschale VVRVG 7002, 19 % Mehrwertsteuer).
Das Amtsgericht Mühldorf wies den Kostenfestsetzungsantrag mit Beschluss vom 17.01.2008 zurück, da die Einschaltung einer Anwältin nicht erforderlich gewesen sei. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin, mit der der ursprüngliche Kostenfestsetzungsantrag in vollem Umfang weiter verfolgt wird.
II.
Die sofortige Beschwerde ist in Höhe einer 1,1-Verfahrensgebühr nebst Kommunikationspauschale und 19 % Mehrwertsteuer begründet; im Übrigen unbegründet.
1. Es ist anerkannt, dass sich der oder die Berufungsbeklagte anwaltlicher Unterstützung bedienen darf, bevor eine Berufungsbegründung eingegangen ist. Die mit einem Rechtsmittel überzogene Partei kann regelmäßig nicht selbst beurteilen, was zur Rechtsverteidigung sachgerecht zu veranlassen ist (BGH NJW 03, 756).
Nichts anderes gilt, wenn die Berufungseinlegung unwirksam ist, weil sie von der Partei selbst vorgenommen wurde. Auch hier weiß eine Partei nicht, dass damit die Berufung ohne weiteres unzulässig ist, und dies vom Gericht von Amts wegen festzustellen ist (§ 522 Abs. 1 ZPO).
Für die Entstehung einer 1,1-Verfahrensgebühr gemäß RVGVV 3201 Anm. Nr. 1 genügt, dass die Klägervertreterin antragsgemäß irgendetwas im Interesse der Klägerin unternommen hat. Dafür genügt, dass sie sich Gedanken gemacht hat, ob etwas zu tun veranlasst ist. Eine solche Prüfung hat die Klägervertreterin vorgenommen wie sich aus ihrem Schriftsatz vom 13.11.2007 ergibt.
Ein Erstattungsanspruch für eine 1,1-Verfahrensgebühr wäre allerdings dann zu verneinen, wenn gleichzeitig mit der Zustellung der Berufungsschrift an die Klägervertreterin der Hinweis des Gerichts vom 12.11.2007, dass die Berufung im Hinblick auf den Anwaltszwangs unzulässig ist, bei der Klägervertreterin eingegangen wäre (vgl. hierzu BGH Rechtspfleger 06, 416, 418 b zu Einspruch gegen Versäumnisurteil). Es ist davon auszugehen, dass, wie von der Klägerin vorgetragen, die Klägervertreterin erst die Berufung und erst später den Hinweis des Gerichts erhalten hat. Die Behauptung der Klägerin steht in Übereinstimmung mit der Vorgehensweise beim 12. Familiensenat des Oberlandesgerichts München. Die Geschäftsstelle stellt erst die Berufung dem Berufungsgegner zu und legt dann die Akte dem Richter vor.
2. 1,6-Verfahrensgebühr.
11Ein Erstattungsanspruch besteht jedoch nicht in Höhe einer 1,6 Verfahrensgebühr. Zwar hat die Klägervertreterin mit Schriftsatz vom 13.11.2007 einen Sachantrag gestellt, was für die Entstehung einer 1,6 Verfahrensgebühr ausreicht. Die 1,6-Verfahrensgebühr ist jedoch nicht zu erstatten, da es unter dem Gesichtspunkt, dass Kosten gering zu halten sind, unnötig war, einen derartigen Antrag zu stellen. Es ist offensichtlich, dass die vom Beklagten selbst eingelegte Berufung wegen des Anwaltszwanges (§ 78 Abs. 1 S. 1 ZPO) unzulässig war. Das ist derart offensichtlich, dass kein Richter beim Oberlandesgericht die Unzulässigkeit, die er von Amts wegen prüfen muss (§ 522 Abs. 1 ZPO), übersehen kann. Deshalb ist es im Interesse der Klägerin nicht erforderlich gewesen, einen Zurückweisungsantrag, gemeint war wohl ein Verwerfungsantrag, zu stellen.
Es ist in der Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass trotz § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO im konkreten Fall geprüft werden muss, ob die anwaltliche Handlung etwas zur Förderung des Rechtsstreits beitragen konnte.
So wird nur eine reduzierte Verfahrensgebühr bei der Erstattung anerkannt, wenn der Berufungsbeklagtenvertreter vor Vorlage der Berufungsbegründung eine Zurückweisung der Berufung beantragt hat (BGH NJW 03, 2992; Gerold, Schmid, Müller-Rabe, RVG 17. Aufl., VV 3200 Rn. 61 m. w. N.). Weiter ist auch ganz herrschende Meinung, dass allein für den Antrag auf Kostenüberbürdung gemäß § 516 Abs. 3 ZPO keine Verfahrensgebühr anfällt, da eine solche Kostenentscheidung vom Gericht von Amts wegen zu treffen ist (Senat FamRZ 05, 738 = JurBüro 04, 280; OLG Brandenburg MDR 06, 1259; Gerold, Schmid, Müller-Rabe RVG, 17. Aufl., VV 3200 Rn. 75 m. w. N.).
Dem letzteren Fall steht der hier zu entscheidende Fall nahe (ebenso OLG Karlsruhe OLGR 01, 76).
Dass die Berufung von einer Partei selbst eingelegt unzulässig ist, ist von Amts wegen zu prüfen. Ebenso wie bei der Kostenentscheidung nach § 516 Abs. 3 bedarf es daher keines Antrags, um zu erreichen, dass die Berufung als unzulässig verworfen wird.
Zu einer ähnlichen Konstellation, derjenigen dass nach ungenutztem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist der Berufungsbeklagtenvertreter die Verwerfung beantragt, hat der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass ein derartiger Antrag unmittelbar nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht zu einem Erstattungsanspruch für eine volle Verfahrensgebühr führt (Beschluss vom 09.08.2001, AZ: 11 W 2027/01; Beschluss vom 01.08.2001, 11 W 1787/01; Beschluss vom 27.09.1996 11 W 2742/96). Weiter hat der Senat entschieden, dass ein Sachantrag überflüssig ist, wenn dieser nach einem Hinweis des Gerichts, dass es wegen Ablauf der Berufungsbegründungsfrist die Berufung als unzulässig verwerfen wird, erfolgt (Senat FamRZ 06, 1695).
Allerdings wird in Rechtsprechung und Literatur auch die Meinung vertreten, dass jedenfalls für einen Verwerfungsantrag nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist ein Erstattungsanspruch auf eine volle Verfahrensgebühr besteht (OLG Nürnberg JurBüro 95, 473; OLG Stuttgart JurBüro 2005, 366; Hansens JurBüro 95, 473; Norbert Schneider BRAGO-Report 01, 65). Die gerichtlichen Entscheidungen befassen sich dabei aber nicht mit der Frage, ob nicht im Hinblick darauf, dass die Unzulässigkeit vom Berufungsgericht von Amts wegen festzustellen ist, ein Verwerfungsantrag überflüssig ist. Sie befassen sich auch nicht damit, dass in dem ähnlich gelagerten Fall des Kostenantrags (nach § 516 Abs. 3 ZPO) die ganz herrschende Meinung einen Erstattungsanspruch hinsichtlich einer Verfahrensgebühr verneint.
Auf Abgrenzungsfragen weist Schneider (a.a.O. ) hin. Hierzu ist auszuführen, dass der Senat nicht die Auffassung vertritt, dass, wenn es um von Amts wegen vom Gericht zu prüfende Zulässigkeitsfrage geht, immer ein Antrag oder Vortrag des Berufungsbeklagtenvertreters überflüssig ist. In Fällen, in denen Zweifel in Betracht kommen, ob die Berufung zulässig ist oder nicht, kann es durchaus prozessfördernd sein, wenn der Beklagtenvertreter sich äußert. In Fällen, in denen jedoch die Unzulässigkeit auf den ersten Blick und unzweifelhaft zu erkennen ist, ist eine Prozessförderung durch einen Verwerfungsantrag des Berufungsbeklagtenvertreters überflüssig.
19Anders ist es in diesen Fällen nur dann, wenn eine angemessene Zeit verstrichen ist, ohne dass das Berufungsgericht eine Verwerfungsentscheidung getroffen hat. In diesem Fall fördert ein Verwerfungsantrag das Verfahren, weil er das Gericht daran erinnert, dass die Verwerfungsentscheidung noch nicht ergangen ist (Senatsbeschluss vom 09.08.2001, AZ: 11 W 2027/01).
Eine solche angemessene Frist war im vorliegenden Fall nicht verstrichen.
3. Der Klägerin steht somit folgender Erstattungsanspruch zu.
1,1-Verfahrensgebühr gemäß RVGVV 3201 Anm. Nr. 1 b aus 4.188,00 € = 300,30 €Kommunikationspauschale gemäß RVGVV 7002 =20,00 €zzgl. 19 % Mehrwertsteuer60,86 €Summe381,16 €III.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
IV.
Die Rechtsbeschwerde war zuzulassen, da wie oben dargelegt zu der hier zu entscheidenden Rechtsfrage unterschiedliche Auffassungen vertreten werden.
OLG München:
Beschluss v. 20.06.2008
Az: 11 WF 857/08
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