Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. April 2006
Aktenzeichen: 20 W (pat) 39/03
(BPatG: Beschluss v. 19.04.2006, Az.: 20 W (pat) 39/03)
Tenor
Der Beschluss des Patentamts vom 28. November 2002 wird aufgehoben. Die Sache wird zur Fortführung des Prüfungsverfahrens an das Patentamt zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die Anmeldung wurde von der Prüfungsstelle für H 03 F durch Beschluss vom 28. November 2002 mangels Neuheit des Patentanspruchs 1 gegenüber der Druckschrift
(1) Tietze, U.; Schenk, Ch.: Halbleiter-Schaltungstechnik, 9. Aufl., Berlin: Springer, 1990, S. 51-58 zurückgewiesen.
In der mündlichen Verhandlung wurden außerdem noch die bei einem Familienmitglied zur vorliegenden Anmeldung genannten Druckschriften
(2) EP 0 380 789 A2 und
(3) US 47 45 464 diskutiert.
Die Anmelderin beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent unter Zugrundelegung von Patentanspruch 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung, zu erteilen.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet:
1. Verfahren zur Einstellung des Arbeitspunktes einer Verstärkerstufe (1) mit einem Transistor (TV06) und einer dem Transistor (TV06) der Verstärkerstufe (1) nachgeschalteten Gegentaktendstufe (2) mit komplementären Emitterfolgern (TV07, TV08), dadurch gekennzeichnet, dass eine vom Kollektorstrom eines der beiden Emitterfolger (TV07) der Gegentaktendstufe (2) abgeleitete Regelgröße frequenzabhängige Kollektorströme des Emitterfolgers (TV07) erfasst und solcherart an den Transistor (TV06) zurückgeführt wird, dass ein gleichspannungsmäßig eingestellter Arbeitspunkt des Transistors (TV06) mit steigender Frequenz des erfassten Kollektorstroms so verändert wird, dass der Kollektorstrom des Transistors (TV06) erhöht wird.
Die Anmelderin vertritt die Auffassung, die Merkmale des nunmehr geltenden Patentanspruchs 1 seien den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend entnehmbar. Im Übrigen sei der Gegenstand gemäß Patentanspruch 1 gegenüber dem durch die bisher genannten Druckschriften belegten Stand der Technik neu und beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Deutsche Patent- und Markenamt nach § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 PatG.
Der geltende Patentanspruch 1 ist ebenfalls zulässig. Er umfasst Merkmale der ursprünglich eingereichten Patentansprüche 1-3 und der ursprünglichen Beschreibung, vgl. Anmeldungsunterlagen Seite 3 (Blatt 7) Abs. 1 u. Seite 5 (Blatt 9) Abs. 3, 4 i. V. m. Fig. 1 u 6.
Das Patentbegehren ist im Beschwerdeverfahren wesentlich geändert worden. Damit ist der dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegende Zurückweisungsgrund der mangelnden Patentfähigkeit gegenüber dem Stand der Technik nach der Druckschrift (1) entfallen.
Das Verfahren zur Einstellung des Arbeitspunktes einer Verstärkerstufe nach dem geltenden Patentanspruch 1 ist unzweifelhaft gewerblich anwendbar und auch gegenüber dem bisher bekannt gewordenen Stand der Technik nach den Druckschriften (1) bis (3) neu, da keinem der dort beschriebenen Verstärkungsverfahren alle Merkmale des Patentanspruchs 1 entnehmbar sind. Darüber hinaus ergibt sich sein Gegenstand auch nicht in nahe liegender Weise aus dem zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit bisher in Betracht gezogenen Stand der Technik nach den Druckschriften (1) bis (3).
Druckschrift (1) beschreibt ein grundlegendes Verfahren zur Einstellung des Arbeitspunktes einer Verstärkerstufe mit einem Transistor (S. 58 Abb. 4.31: linker Transistor) und einem diesem Transistor nachgeschalteten Emitterfolger als Endstufentransistor (S. 58 Abs. 1 i. V. m. Abb. 4.31). Wegen der Koppelkondensatoren am Eingang und am Ausgang der Schaltung in Abb. 4.31 ist dieses Verfahren für Wechselspannungsverstärkung und daher für frequenzabhängige Ströme ausgelegt. Dabei wird durch einen zwischen den Emitteranschluss des linken Transistors und das Bezugpotential geschalteten Widerstand eine Regelspannung erfasst, die durch einen zu dem genannten Widerstand parallel geschalteten Kondensator frequenzabhängig ist. Durch die frequenzabhängige Regelspannung wird das Emitter-Potential des linken Transistors so weit angehoben, dass der durch in Abb. 4.31 nicht näher bezeichnete Widerstände offensichtlich gleichspannungsmäßig eingestellte Arbeitspunkt des linken Transistors in Abhängigkeit von der Frequenz des Eingangssignals Ue verändert wird.
Die Druckschrift (2) offenbart ein Verfahren zur Einstellung des Arbeitspunktes einer Verstärkerstufe mit einem Transistor TV und einer Gegentaktendstufe mit komplementären Emitterfolgern TK, TM, wobei eine Messschaltung 3 eine vom Kollektorstrom des Transistors TM der Gegentaktendstufe TK, TM abgeleitete Regelgröße (Sp. 2 Z. 10-12: Gleichspannungswert GL; Sp. 4 Z. 4: Stellgröße) an den Transistor TV zurückführt (vgl. die einzige Figur). Die Stellgröße liegt in Form eines Gleichspannungswertes GL vor und verändert damit den Arbeitspunkt des Transistors TV selbstverständlich gleichspannungsmäßig (Sp. 4 Z. 4-9 i. V. m. der Figur). Zwar wird die Regelgröße (Gleichspannungswert GL) von der Messschaltung 3 lediglich während der vertikalen Austastlücken des Videosignales ermittelt, jedoch wird die so ermittelte Stellgröße (Regelgröße) auch außerhalb der vertikalen Austastlücken für die Arbeitspunkteinstellung des Videoverstärkers verwendet (Sp. 4 Z. 4-9).
Druckschrift (3) beschreibt ein Verfahren zur Einstellung des Arbeitspunktes einer Video-Verstärkerendstufe (Zusammenfassung Z. 1). Als Verstärkerendstufe dient ein Emitterfolger 20, dem ein invertierender Verstärker 18 vorgeschaltet ist. Eine vom Kollektorstrom des Emitterfolgers 20 über einen Widerstand 21 abgeleitete Spannung (Regelgröße) erfasst durch die ohmsche Eigenschaft des Widerstandes 21 offensichtlich auch frequenzabhängige Ströme des Videosignales in dem Emitterfolger 20. Die Regelgröße wird über einen Differenzverstärker 24, einen gegen Masse geschalteten (Filter- bzw. Glättungs-) Kondensator 27, einen weiteren Verstärker 28 und einen regelbaren Widerstand 37 an den Eingang des invertierenden Verstärkers 18 zurückgeführt.
Eine Anregung für den Fachmann, gemäß den im Patentanspruch 1 genannten Merkmalen ein Verfahren zur Einstellung des Arbeitspunktes einer Verstärkerstufe mit einem Transistor und einer dem Transistor der Verstärkerstufe nachgeschalteten Gegentaktendstufe mit komplementären Emitterfolgern so auszubilden, dass eine vom Kollektorstrom eines der beiden Emitterfolger der Gegentaktendstufe abgeleitete Regelgröße frequenzabhängige Kollektorströme des Emitterfolgers erfasst und solcherart an den Transistor zurückgeführt wird, dass ein gleichspannungsmäßig eingestellter Arbeitspunkt des Transistors mit steigender Frequenz des erfassten Kollektorstroms so verändert wird, dass der Kollektorstrom des Transistors erhöht wird, ist dem derzeit in Betracht gezogenen Stand der Technik nicht entnehmbar.
Der Senat hat davon abgesehen, in der Sache selbst zu entscheiden. Wie aus der Akte ersichtlich ist, hat zu diesen vorgenannten Merkmalen das Patentamt im Verfahren nach § 44 PatG für die Prüfung, ob der Anmeldungsgegenstand die Patentierungsvoraussetzungen nach §§ 3 und 4 PatG erfüllt, noch nicht recherchiert. Nachdem vorliegend nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein einer Patenterteilung möglicherweise entgegenstehender Stand der Technik existiert und eine sachgerechte Entscheidung nur aufgrund einer vollständigen Recherche des relevanten druckschriftlichen Standes der Technik ergehen kann, wofür in erster Linie die Prüfungsstellen des Deutschen Patent- und Markenamts mit ihrem Prüfstoff und den ihnen zur Verfügung stehenden Recherchemöglichkeiten in Datenbanken berufen sind, ist die Sache zur weiteren Prüfung und Entscheidung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.
BPatG:
Beschluss v. 19.04.2006
Az: 20 W (pat) 39/03
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