Bundespatentgericht:
Beschluss vom 18. April 2002
Aktenzeichen: 17 W (pat) 3/02

(BPatG: Beschluss v. 18.04.2002, Az.: 17 W (pat) 3/02)

Tenor

Die Beschwerde der Einsprechenden wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1. Auf die am 23. Dezember 1996 beim Deutschen Patentamt eingegangene Patentanmeldung 196 54 120.4-34 wurde unter der Bezeichnung

"Erdungsschalter mit möglicher Geräteanordnung innerhalb des Erders"

am 8. Dezember 1997 durch Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse H01H das Patent (Streitpatent) erteilt. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 23. April 1998.

Nach Prüfung eines für zulässig erachteten Einspruchs hat die Patentabteilung 34 des Deutschen Patent- und Markenamts mit Beschluß vom 26. Juli 2001 das Patent in vollem Umfang aufrechterhalten. Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden, mit der sie weiterhin den Widerruf des Patents verfolgt.

Der geltende Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:

Erdungsschalter oder Kurzschließer mit einer einpoligen oder der Polzahl entsprechenden Anzahl von drehbar gelagerten Kontaktmessern (15), die beim Schaltvorgang in parallelen Ebenen zueinander, in Richtung der Primärleiter (16) verschwenken und mit diesen kontaktieren, dadurch gekennzeichnet, daß die Kontaktmesser (15) an dem quer zu den Polen verlaufenden Steg (12) eines uförmigen Bügels (12, 13) angeordnet und dessen Schenkel (13) am vom Steg (12) beabstandeten Ende mittels Lagerzapfen (14, 21) in Lagerstellen (18, 21) gelagert sind, so daß der Raum innerhalb des Schwenkbereiches des uförmigen Bügels (12, 13) für den Einbau von Geräten (17) nutzbar ist.

Wegen der abhängigen Ansprüche 2 bis 4 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

2. Die beschwerdeführende Einsprechende stützt ihren Einspruch auf offenkundige Vorbenutzung durch dreipolige Lasttrennschalter mit Drehtraverse, die vor dem Anmeldetag an die Firmen Calor-Emag, Ratingen sowie Landis & Gyr, Frankfurt geliefert worden seien. Sie hat hierfür Zeugen benannt und folgende Dokumente eingereicht:

[1] Werkszeichnung 13 HB 11468, "Drehtraverse", 08. Juni 1969 mit Änderungen vom 25. Februar 1972 und 19. September 1972

[2] Werkszeichnung 13 HK 5391, 12. September 1969 "Dreipoliger Lasttrennschalter Typ LDTP 10/400 SEA spez. mit Druckluftantrieb und zwangsläufig vom Druckluftantrieb betätigten Entladewiderständen"

[3] Kommissionsblatt 328/128, 145/445 vom 05. Dezember 1969

[4] Kommissionsblatt 3657/207 vom 19. September 1972 3. In der Anhörung vor der Patentabteilung wurde der Zeuge Werner Groß zur geltend gemachten Vorbenutzung einvernommen, außerdem wurden folgende Dokumente vorgelegt:

[5] Werkszeichnung LK3-23671 vom 11. Januar 1971, "Entladewiderstände für Kondensatorenschalter" (von der Einsprechenden)

[6] zweiseitiges Kommissionsblatt 2692/395 vom 20. Juni 1967 über einen dreipoligen Lasttrennschalter LDTP 10/630 EA spez. mit Meldeschalter und zwangsläufig betätigten Entladewiderständen (vom Zeugen Groß)

[7] Zeichnung Ew14078 - 001 vom 10. Mai 2001, "Drehtraverse mit Entladewiderständen" (von der Einsprechenden)

Wegen weiterer Einzelheiten zur Anhörung vor der Patentabteilung wird auf die zugehörige Niederschrift verwiesen.

4. Die Einsprechende begründet ihre Beschwerde mit mangelnder Neuheit des Streitpatentgegenstandes sowie fehlender erfinderischer Tätigkeit gegenüber der geltend gemachten Vorbenutzung durch den Lasttrennschalter LDTP 10. Sie macht außerdem geltend, der erteilte Patentanspruch 1 gehe mit der Änderung von "nutzbar bleibt" in "nutzbar ist" über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und enthalte somit eine unzulässige Erweiterung.

In der mündlichen Verhandlung führt die Einsprechende ein Modell der behaupteten Vorbenutzung vor und reicht hierzu 3 Abbildungen ein. Sie stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Der Patentinhaber beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen Die Vorbenutzung des Lasttrennschalters LDTP 10 und dessen öffentliche Zugänglichkeit werden von ihm nicht bestritten. Er macht jedoch geltend, dieser Schalter erfülle nach den von der Einsprechenden vorgelegten Unterlagen nicht die Merkmale des Patentanspruchs 1 und lege den Streitpatentgegenstand auch nicht nahe.

II.

Die frist- und formgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig, bleibt aber ohne Erfolg, weil der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 die Kriterien der Patentfähigkeit gem. §§ 1 - 5 PatG erfüllt.

1. Der Fachmann, ein mit der Entwicklung von Schaltgeräten für die Hochspannungs- und Energietechnik befaßter Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik mit Fachhochschulabschluß, entnimmt dem angegriffenen Patent einen Erdungsschalter, mit dem Leiter geerdet und kurzgeschlossen werden können. Um im ausgeschalteten Zustand Überschläge zu vermeiden, müssen in einem derartigen Schalter Sicherheitsabstände eingehalten werden, die bei der Schaltbewegung des Erders durch eine ausladende Schwenkbewegung der Kontaktmesser zu überbrücken sind. Um hier Platz für Einbauten zu schaffen, sind die Kontaktmesser streitpatentgemäß am Mittelsteg eines verschwenkbaren U-förmigen Bügels angeordnet, so daß zwischen den Schenkeln des Bügels innerhalb des Schwenkbereichs, den der Quersteg vollführt, ein Freiraum bleibt, der für den Einbau von Geräten nutzbar ist.

2. Der geltende Patentanspruch 1 ist zulässig. Die Formulierung, "so daß der Raum innerhalb des Schwenkbereiches des U-förmigen Bügels für den Einbau von Geräten nutzbar ist" besagt für den Fachmann nichts anderes als die ursprüngliche Fassung, wonach "der Raum innerhalb des Bügelschwenkbereichs für den Einbau von andere Bauteilen nutzbar bleibt". Hierbei handelt es sich lediglich um eine andere sprachliche Einkleidung desselben Sachverhalts, wie er sich bei verständiger Auslegung im oben beschriebenen Sinne in gleicher Weise aus den ursprünglichen Unterlagen wie auch aus dem geltenden Patentanspruch 1 ergibt.

3. Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 ist im Vergleich mit den unstreitig vorbenutzten dreipoligen Lasttrennschaltern LDTP 10 mit Drehtraverse neu. Ausweislich der vorgelegten Dokumente umfassen diese eine mit dem eigentlichen Lasttrennschalter (Werkszeichnung [2] oberer Teil) mechanisch gekoppelte Entladevorrichtung (Werkszeichnung [2] unterer Teil), mit der nach der eigentlichen Lasttrennung die noch verbleibende, kapazitiv gespeicherte Energie abgeführt wird. Dies erfolgt durch Einschwenken von Entladewiderständen von 150 ½ bzw. 100 ½ (Werkszeichnung [5]). Insoweit handelt es sich bei dieser Entladevorrichtung nicht um einen Erdungsschalter i.S. des Streitpatents, d.h. um einen Schalter mit dem lediglich die Leitungen zur Absicherung eines Ausschaltzustands auf Potential Null gelegt werden. Zum einen wird mit der vorgenannten Entladevorrichtung immer noch unter merklicher Last geschaltet. Zum anderen kann sich wegen der verbleibenden Widerstände keine vollkommene Erdung ergeben. Insoweit verfehlt die geltend gemachte Vorbenutzung bereits die streitpatentgemäße Gattung.

Darüber hinaus besitzt die Entladevorrichtung gemäß der geltend gemachten Vorbenutzung anstelle von Kontaktmessern einschwenkbare Entladewiderstände, die an einer U-förmigen Traverse befestigt sind. Der vergleichsweise geringe Versatz dieser Quertraverse gegen die Schwenkachse ist dabei durch die zu große Baulänge der vorgegebenen Entladewiderstände bedingt, mit denen ein durch bestehende Abmessungen vorgegebener Abstand zu überbrücken war; vgl. die Abmessungen der Entladewiderstände mit dem zur Verfügung stehenden Abstand gemäß den bemaßten Zeichnungen [2] und [5] iVm Zeichnung [7]. Die Entladewiderstände sind dabei Teil des Schalters selbst und entsprechen, wie die Einsprechende diesbezüglich zutreffend dargelegt hat, den Kontaktmessern im Streitpatent. Danach fehlt es aber an zusätzlich einbaubaren Geräten und vor allem an einem Freiraum hierfür innerhalb des von der Schwenkbewegung umschriebenen Bereichs. Somit erfüllt die geltend gemachte Vorbenutzung weder inhaltlich noch dem reinen Wortlaut nach alle Merkmale des Patentanspruchs 1.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist darüber hinaus erfinderisch, weil der geltend gemachte Stand der Technik dem Fachmann keinen Weg weist, wie er zum Gegenstand des Streitpatents gelangen könnte. Ausgehend vom Lasttrennschalter LDTP 10 und seiner speziellen Zweckbestimmung gibt es für den Fachmann weder eine Veranlassung noch überhaupt die Möglichkeit, hier noch weitere Geräte oder schalterunabhängige Bauteile im von der Bewegung der Quertraverse umschriebenen Bereich vorzusehen. Dies gilt in gleicher Weise, wenn der Fachmann unter Einbeziehung seines Fachwissens von gängigen Erdungsschaltern nach dem Oberbegriff des geltenden Patentanspruchs 1 ausgeht. Zwar mögen, wie die Streitpatentschrift einleitend ausführt (Sp. 1, Z. 49-68), durchaus Zwänge des Marktes vorliegen, die eine bessere Nutzung des von üblichen Erdungsschaltern beanspruchten Raumes fordern; die geltend gemachte Vorbenutzung gibt dem Fachmann aber hierfür keine Lösung an die Hand, weil er dem vorbenutzten Schalter lediglich die Lehre entnimmt, eine U-förmige Traverse zum Versatz der Schwenkachse vorzusehen, wenn vorgegebene, nicht passende Baulängen schwenkbarer Teile auszugleichen sind und der wirksame Hebelarm bei einer solchen Schwenkbewegung durch eine gegen die Drehachse versetzte Traverse verkürzt oder verlängert werden muß. Nichts anderes zeigen auch das in der mündlichen Verhandlung vorgeführte Modell und die hierzu vorgelegten Abbildungen. Die Kontaktmesser eines Erdungsschalters an einem U-förmigen Bügel anzubringen, um so Platz für nicht unmittelbar zum Schalter gehörige Einbauten zu schaffen, ist dagegen dem vorbenutzten Lasttrennschalter nicht zu entnehmen, so daß die Lehre des Streitpatents hierdurch auch nicht nahegelegt sein kann.

4. Die Überprüfung des im Erteilungsverfahren angezogenen Standes der Technik, hat ergeben, daß dieser noch weiter abliegt und zu keiner andere Beurteilung führt. Gegenteiliges hat die Einsprechende auch nicht geltend gemacht.

5. Der Patentanspruch 1 hat somit Bestand. Hiervon werden auch die abhängigen Ansprüche 3 bis 4 mitgetragen, die nichttriviale Weiterbildungen des in Anspruch 1 ausgewiesenen Erdungsschalters betreffen.

Grimm Dr. Schmitt Dr. Greis Schuster Fa






BPatG:
Beschluss v. 18.04.2002
Az: 17 W (pat) 3/02


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