Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 17. Januar 2006
Aktenzeichen: 4 U 118/05

(OLG Hamm: Urteil v. 17.01.2006, Az.: 4 U 118/05)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 9. Juni 2005 verkündete Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000 EUR abzuwenden, falls nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger ist eine Vereinigung zur Förderung gewerblicher Belange, zu dessen Mitgliedern Bundes- und Landesverbände aus dem Bereich des Einzelhandels sowie auch Einzelunternehmen gehören. Die Beklagte betreibt bundesweit mehr als 300 Filialen unter der Bezeichnung "F".

Ende September 2004 warb die Beklagte im Rundfunk, im Internet und durch Zeitungsbeilagen unter der Überschrift "JEDER 100. EINKAUF GRATIS" damit, dass in der Woche ab Montag, dem 27.09.04 jeder 100. Kunde seinen Einkauf als Geschenk erhalten würde (vgl. Beilagenwerbung Bl. 20).

Der Kläger hält diese Werbung für wettbewerbswidrig. Er hat dazu unter anderem ausgeführt, in der Werbung liege ein Verstoß gegen § 4 Nr. 6 UWG, weil die beworbene Aktion ein Gewinnspiel darstelle, an dem man durch Zahlung des Kaufpreises teilnehmen könne. Damit sei das Gewinnspiel mit dem Absatz von Waren gekoppelt. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 4 Nr. 6 UWG genüge allein eine solche Kopplung, ohne dass es weiterer Umstände bedürfe. Nur wenn eine solche Kopplung fehle, müsse nach § 4 Nr. 1 UWG geprüft werden, ob die Werbung mit dem Gewinnspiel einen unangemessenen unsachlichen Einfluss auf die angesprochenen Verbraucher ausüben könne. Insoweit hat der Kläger auf eine Entscheidung des OLG Hamburg vom 21. Oktober 2004 betreffend die Werbung mit "Glücksbon-Tagen" (Bl. 28 ff.) verwiesen, in der eine entsprechende Werbung der L AG verboten worden sei. Der Kläger hat gemeint, die gegenteilige Entscheidung des Landgerichts Essen und des Senats in der Sache 4 W 163 / 03 sei im Hinblick auf den neu geschaffenen § 4 Nr. 6 UWG nicht mehr haltbar. Im Übrigen hat er geltend gemacht, die Werbung verstoße hier auch gegen § 4 Nr. 1 UWG, weil damit ein unangemessener unsachlicher Einfluss auf die angesprochenen Verbraucher ausgeübt werde. Angesichts der hohen Gewinnquote sähen sich die Verbraucher veranlasst, die ohnehin benötigten Lebensmittel diesmal in den Geschäften der Beklagten einzukaufen, ohne auf deren Qualität und Preise im Verhältnis zu den Mitbewerbern zu achten. Dies gelte insbesondere auch, weil bei den Discountern bekanntermaßen die Preisunterschiede gering seien. Als weitere Anspruchsgrundlage hat der Kläger auch noch einen denkbaren Verstoß gegen § 287 StGB angesprochen, weil eine unzulässige Lotterie vorliegen könnte.

Die Beklagte hat sich gegen die Klage verteidigt. Sie hat darauf verwiesen, dass das Landgericht Essen und der Senat in der Entscheidung betreffend die Glücksbon-Tage zu Recht einen Wettbewerbsverstoß verneint hätten und dass sich die Rechtslage durch das neue UWG auch nicht geändert habe. Der vorliegende Fall sei nicht unter § 4 Nr. 6 UWG zu subsumieren, weil hier nicht die Teilnahme an einem Gewinnspiel von dem Erwerb einer Ware abhängig gemacht werde. Nach dem Sinn und Zweck des jetzt kodifizierten Kopplungsverbotes sei es Voraussetzung für ein solches verbotenes Gewinnspiel, dass die Kunden durch die Aussicht auf einen zusätzlichen Gewinn zum Kauf animiert würden. Das Gewinnspiel müsse ein getrennter Vorgang sein im Hinblick auf einen zuvor stattgefundenen entgeltlichen Warenerwerb und wie ein Köder wirken. Nur dann könne der Verbraucher veranlasst werden, eine Ware ungeachtet ihrer Preiswürdigkeit und Eigenschaft zu kaufen, weil es ihm entscheidend auf den Gewinn ankomme. Die bloße Verknüpfung bestimmter aleatorischer Reize mit dem Warenabsatz reiche wie schon früher nicht aus, um eine darauf gerichtete Werbung unzulässig zu machen. Hier kaufe der Kunde nicht, um an einem Gewinnspiel teilnehmen zu können, sondern um seinen Bedarf an Gebrauchsgütern zu decken. Da die Wahrscheinlichkeit, den Kauf wie üblich bezahlen zu müssen, so viel höher sei als die Wahrscheinlichkeit eines unentgeltlichen Warenerwerbs, hätte der durchschnittlich informierte, situationsbedingt aufmerksame und verständige Verbraucher als Kunde auch keine Veranlassung, beim Einkauf nicht auf Preiswürdigkeit und Qualität der Ware zu achten. Die Beklagte hat insoweit unter Beweisantritt behauptet, dass sich durch eine solche Aufmerksamkeitswerbung in der Werbewoche weder die Kundenfrequenz noch der durchschnittliche Einkaufswert tatsächlich erhöht habe. Die Beklagte hat gemeint, es könne schon deshalb keine unzulässige Lotterie im Sinne des § 287 ZPO vorliegen, weil es hier keinen Einsatz gebe, der verloren werden könne.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass zunächst kein Verstoß gegen § 4 Nr. 6 UWG vorliege. Die beanstandete Werbung sei nicht als verbotene Veranstaltung eines Gewinnspiels im Sinne dieser restriktiv auszulegenden Vorschrift anzusehen. Es gehe vielmehr um die Werbung für einen normalen Einkauf, der mit aleatorischen Kaufanreizen verbunden worden sei. Es ergebe sich schon aus der Gesetzesbegründung, dass solche Werbung nicht unter den neu geschaffenen Tatbestand des § 4 Nr. 6 UWG fallen sollte, weil die frühere Rechtslage perpetuiert, aber nicht durch Einbeziehung anderer Werbeformen erweitert werden sollte. Wettbewerbshandlungen wie die hier beanstandete Werbung seien nur dann wettbewerbswidrig, wenn sie gegen § 4 Nr. 1 UWG verstießen, weil sie einen unangemessenen unsachlichen Einfluss auf die Entscheidungsfreiheit der Marktteilnehmer ausüben könnten. Diese Voraussetzungen seien hier aber nicht gegeben, weil von der Aufmerksamkeitswerbung der Beklagten kein unangemessener Kaufanreiz ausgehe und schon gar kein Kaufzwang. Der Kunde müsse damit rechnen, dass er seinen Einkauf bezahlen müsse und erfahre erst an der Kasse, ob er zufällig einer der wenigen Kunden sei, dessen Einkaufsrechnung storniert werde.

Der Kläger greift das Urteil mit der Berufung an. Er verfolgt seine bisherigen Unterlassungsanträge weiter und regt an, die Revision zuzulassen. Er ist weiter der Ansicht, dass sowohl ein Verstoß gegen § 4 Nr. 6 UWG als auch gegen § 4 Nr. 1 UWG vorliege. Er hält den Ansatz des Landgerichts, § 4 Nr. 6 UWG sei restriktiv auszulegen, für schon dem Ansatz nach verfehlt. Er hält vielmehr eine weite Auslegung des Teilnahmebegriffes für erforderlich, um den Einfluß aleatorischer Reize auf die Kaufentscheidung des Verbrauchers in Grenzen zu halten. Dem entspreche es auch, dass nach den Gesetzesmaterialien jede Form der Kopplung des Gewinnspiels mit dem Warenabsatz ausreiche. Vorliegend könne aber nur der zu einem Gratiseinkauf kommen, der einkaufe. Die Chance, der 100. Kunde zu sein, sei dabei im Verhältnis zu der Wahrscheinlichkeit eines Lottogewinns so hoch, dass ein nicht unerheblicher Teil der Verbraucher diesmal bei der Beklagten seinen Wochenendeinkauf vornehme und nicht bei einem der Wettbewerber. Der Kläger verweist erneut darauf, dass eine solche Umlenkung von Kundenströmen umso eher möglich sei, weil der Verbraucher wisse, dass es bei Discountern keine großen Preisunterschiede gebe. Der Verbraucher werde hier auch unsachlich beeinflusst im Sinne des § 4 Nr. 1 UWG. Das beworbene System sei nämlich deshalb perfide, weil die Beklagte den Verbraucher selbst bestimmen lasse, wie hoch der mögliche Gewinn ausfalle. Je voller der Kunde seinen Einkaufswagen packe, umso mehr könne er gewinnen. Auf diese Art werde der Verbraucher unter Ausnutzung der Spiellust dazu bewegt, auch Einkäufe zu machen, die er ohne die Gewinnmöglichkeit nicht oder nicht zu diesem Zeitpunkt gemacht hätte. Deshalb sei hier für die Kaufentscheidung die Gewinnchance maßgebend und nicht Qualität und Preiswürdigkeit. Schließlich ist der Kläger nach wie vor der Auffassung, die Aktion der Beklagten sei auch als verbotene Lotterie oder Ausspielung im Sinne von § 287 StGB anzusehen, weil der versteckte Einsatz hier eben darin bestehe, gegen Entgelt bestimmte Waren einzukaufen.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen,

1) wie folgt zu werben:

"Jeder 100. Einkauf gratis! Diese Woche schenkt F jedem 100. Kunden

seinen Einkauf."

bzw.

"Jeder 100. nimmt alles gratis mit! F schenkt ihnen den kompletten

Einkauf";

2) entsprechend der vorstehenden Ankündigung zu verfahren, mithin jedem

100. Kunden den Einkauf ohne besondere Berechnung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte macht unter Vertiefung des bisherigen Vorbringens zunächst weiter geltend, es liege kein Wettbewerbsverstoß vor. Die Werbung verstoße nicht gegen § 4 Nr. 6 UWG, der nur die frühere Rechtslage perpetuieren wolle. Es fehle hier aber daran, dass ein zusätzlicher Gewinn in Aussicht gestellt werde. Ohne diese Voraussetzung könne der Kunde nicht veranlasst werden, ohne nähere Qualitäts- und Preiswürdigkeitsprüfung etwas zu kaufen, weil er etwas anderes, das ihm den Blick trübe, gewinnen wolle. Die Beklagte meint, es liege hier ein Nebeneinander von Gewinnspiel und Erwerb vor, dass für eine Anwendbarkeit des § 4 Nr. 6 UWG nicht ausreiche. Er verweist auf die Entscheidung "Umgekehrte Versteigerung II" des Bundesgerichtshofs, nach der eine Werbung, die mit einem aleatorischen Reiz verbunden sei, ohne zusätzliche besondere Umstände nicht wettbewerbswidrig sei. Soweit der Kläger meine, die Werbung sei geeignet, einen unsachlichen Einfluss im Sinne des § 4 Nr. 1 UWG auf die Kaufentscheidung der Verbraucher zu nehmen, gehe er von einem unzutreffenden Verbraucherleitbild aus. Der Durchschnittsverbraucher lasse sich auch durch ein attraktives Gewinnspiel nicht unkritisch auf einen Kauf bei dem Werbetreibenden ein. Das zeige sich auch an den schon vorgetragenen Erfahrungen, die die Beklagte im Rahmen dieser Werbeaktion gemacht habe.

II.

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg, weil ihm wegen der beanstandeten Werbung kein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte zusteht. Insbesondere liegen weder die Voraussetzungen des § 4 Nr. 6 UWG noch die des § 4 Nr. 1 UWG vor.

1) Der Unterlassungsanspruch des Klägers ergibt sich hier zunächst nicht aus § 8 Abs. 3 Nr. 2, 3, 4 Nr. 6 UWG.

a) Nach der Regelung des § 4 Abs. 6 UWG hätte die Beklagte mit ihrer Werbung unlauter im Sinne des § 3 UWG gehandelt, wenn sie die Teilnahme von Verbrauchern an einem Gewinnspiel von dem Erwerb einer Ware abhängig gemacht hätte. Der Kläger meint, dass diese Voraussetzungen hier vorliegen. Er sieht in dem Erlass der Kaufpreisforderung einen Gewinn, den die Beklagte von dem Einkauf von Waren bei ihr abhängig gemacht hat. Eine Verknüpfung von Wareneinkauf und versprochenem Geschenk wird man hier zwar nicht in Frage stellen können. Es ist sogar so, dass der vorherige Einkauf und damit der Erwerb der beworbenen Ware die Grundlage des Geschenkes ist. Wirtschaftlich gesehen wird der Einkauf geschenkt. Fraglich ist aber, ob es sich um ein Gewinnspiel im Sinne des § 4 Nr. 6 UWG gehandelt hat. Das ist nach Ansicht des Senats zu verneinen, weil kein gesonderter Gewinn versprochen wird.

aa) Sinn und Zweck der neuen Regelung des § 4 Nr. 6 UWG ist es, die schon früher für wettbewerbswidrig angesehene Kopplung vom Warenabsatz mit Preisausschreiben oder Gewinnspielen nun als Beispiel für unlauteres Verhalten auch gesetzlich zu regeln. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dadurch der Anwendungsbereich vergrößert, insbesondere jede Förderung eines Warenabsatzes durch aleatorische Reize davon erfasst werden sollte. Denn die Vorschrift soll nach wie vor allein dazu dienen, den Verbraucher vor unsachlicher Beeinflussung durch Ausnutzung der Spiellust und des Gewinnstrebens zu schützen. Der Schutz wird gerade deshalb für erforderlich gehalten, weil die Hoffnung auf einen bestimmten Gewinn das Urteil der Verbraucher über die Preiswürdigkeit und Qualität der angebotenen Ware trüben und dadurch seine rationale Entscheidung beeinträchtigen kann. Die Gefahr besteht somit darin, dass die Ware nicht im Hinblick auf ihre Qualität und Preiswürdigkeit und aufgrund sachgemäßen Produktvergleichs erworben wird, sondern mehr oder weniger unbesehen, um den als Köder ausgesetzten Gewinn einzustreichen (vgl. Hefermehl / Köhler / Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 24. Auflage, § 4 UWG Rdn. 6.2).

bb) Berücksichtigt man diesen Schutzzweck, liegt hier kein solches Gewinnspiel vor. Die Verbraucher kaufen hier nicht etwas, um an einem besonderen Gewinnspiel teilnehmen zu können, bei dem ein Gewinn ausgelobt und der Gewinner durch ein Zufallselement ermittelt wird. Sie tätigen vielmehr ihren Kauf von Waren des täglichen Gebrauchs und erhalten im Hinblick auf die von ihnen erworbene Ware und deren Preis unter bestimmtem zufälligen Voraussetzungen "ein Geschenk", das über einen Rabatt weit hinaus geht. Sie müssen die Ware letztlich überhaupt nicht bezahlen, wenn sie der 100. Kunde sind (vgl. dazu auch den Beschluss des Senats in der Sache 4 W 163 / 03, der die Stornierung des tausendsten Glücksbons betraf). Im Unterschied zum üblichen Fall einer Kopplung des Warenabsatzes mit einem Gewinnspiel, wie sie die frühere Rechtsprechung und somit auch der Gesetzgeber im Auge hatten, steht nicht ein als Köder ausgelegter Gewinn im Vordergrund der Kaufentscheidung, sondern die abzusetzende Ware. Der Verbraucher ist nicht gezwungen, eine sonst nicht vorgesehene Anschaffung zu tätigen, um teilnehmen zu können (vgl. dazu Köhler, GRUR 2005, 6). Er prüft vielmehr die gekaufte Ware mindestens wie üblich auf Qualität und Preiswürdigkeit, weil sie ja das "zu gewinnende" Geschenk sein kann und soll. Ein nicht unbeträchtlicher aleatorischer Anreiz ist somit zwar vorhanden. Er geht aber dahin, dass der Verbraucher die von ihm nach Art und Umfang ausgesuchte Ware kostenlos mit nach Hause nehmen darf, wenn er Glück hat. Somit stehen Erwerb der Ware und Geschenk in einem gewissen Sinne nebeneinander (vgl. Ullmann GRUR 2003, 818). Zur missbräuchlichen Kopplung bedarf es der Verknüpfung eines Gewinnspiels mit dem Absatzgeschäft. Die Ware muss dabei erworben werden, bevor um den Gewinn gespielt werden darf. Ein Nebeneinander von Gewinnspiel und Erwerb reichen dazu nicht aus. Damit unterscheidet sich dieser Fall so wesentlich von den typischen Fällen einer Kopplung von Warenabsatz und Gewinnspiel, dass er nicht unter die Sondervorschrift des § 4 Nr. 6 UWG fällt. Scheidet ein Anspruch aus § 4 Nr. 6 UWG aus, ist die hier vorliegende Absatzwerbung mit einem aleatorischen Reiz nur darauf zu prüfen, ob sie ein übertriebenes Anlocken als Unterfall der unsachlichen Beeinflussung der Verbrauchers im Sinne des § 4 Nr. 1 UWG darstellt.

b) Dazu müsste die Werbung geeignet gewesen sein, die Entscheidungsfreiheit der angesprochenen Verbraucher durch sonstigen unangemessenen unsachlichen Einfluss zu beeinträchtigen. Hier kommt nur der Fall der unangemessenen unsachlichen Beeinträchtigung durch übertriebenes Anlocken in Betracht. Von der beanstandeten Werbung, die in bestimmter Weise den Spieltrieb der Verbraucher ansprechen will, geht zwar grundsätzlich eine besondere Anlockwirkung aus, die von der Prüfung des Angebots nach Qualität und Preiswürdigkeit ablenken kann. Diese Anlockwirkung macht die Werbung aber erst dann wettbewerbswidrig, wenn der Einsatz solcher aleatorischen Reize dazu führt, die freie Entschließung der angesprochenen Verbraucher so nachhaltig zu beeinflussen, dass ein Kaufentschluss nicht mehr von sachlichen Gesichtspunkten, sondern maßgeblich vom Streben nach der in Aussicht gestellten "Gewinnchance" bestimmt wird. Der situationsadäquat aufmerksame und verständige Verbraucher lässt sich nämlich allein aufgrund des aleatorischen Anreizes in der Regel nicht von einer Prüfung der Angebote im Vergleich zu Konkurrenzangeboten abhalten (vgl. BGH GRUR 2003, 626, 627 -Umgekehrte Versteigerung II; WRP 2004, 345, 347 -Umgekehrte Versteigerung im Internet). Das gilt jedenfalls unter den hier vorliegenden Umständen auch für Käufe von Gegenständen des täglichen Gebrauchs.

aa) Der somit erforderliche außergewöhnliche Anreiz geht von der beanstandeten Werbung als solcher aber nicht aus. Die Möglichkeit, als 100-ster Käufer den Einkauf gratis zu bekommen, ist nicht geeignet, die angesprochenen Verbraucher dazu zu verleiten, die Qualität oder Preiswürdigkeit der gewählten Artikel aus dem Auge zu verlieren oder entgegen der Gewohnheit bei der Beklagten zu kaufen, ohne Preisvergleiche mit den Angeboten anderer Discounter anzustellen. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit, gratis einzukaufen mit 1: 100 in diesem Falle schon erheblich höher für den Verbraucher als in dem Fall, in dem nur jeder tausendste Bon "gewann". Die Chance ist aber immer noch so ungünstig, dass der dem neuen Verbraucherleitbild entsprechende Verbraucher damit rechnet, den Einkauf wie immer bezahlen zu müssen und sich deshalb nicht dazu verleiten lässt, in der Erwartung des "Gewinns" sein Verbraucherverhalten wesentlich zu ändern und sich maßgeblich von der immer noch geringen "Gewinnchance" dazu bestimmen zu lassen, wo und was er kauft. Eine Umleitung der Käuferströme in einer erheblichen Weise ist nicht zu erwarten, zumal die Verbraucher an Sonderaktionen unterschiedlichster Art auch in diesem Geschäftsbereich gewohnt sind und sich angesichts des Zeitrahmens, der ihnen für den chancenreicheren Einkauf zur Verfügung steht, über günstige Gelegenheiten bei Wettbewerbern informieren können. Auch der vom Kläger gezogene Vergleich der hiesigen Gewinnchance mit der von zahlreichen Spielern für attraktiv genug gehaltenen Chance eines Lottogewinns ist schon insoweit nicht aussagekräftig genug, weil beim Lotto die denkbare Höhe des Gewinns trotz viel geringerer Wahrscheinlichkeit den entscheidenden Anlockeffekt ausmacht.

bb) Ein besonderer Umstand ist hier auch nicht darin zu sehen, dass der Verbraucher veranlasst wird, die Höhe des möglichen "Gewinns" selbst zu bestimmen. Darin ist keine besondere Perfidität zu erkennen, wie der Kläger meint, sondern gerade die wirtschaftliche Identität von Einkauf und möglichem Gewinn ist die hinter der Aktion stehende Geschäftsidee. Es ist nicht von entscheidender Bedeutung, dass der Verbraucher im Hinblick auf die Aussicht auf einen Gratiseinkauf veranlasst werden könnte, zusätzliche Waren zu kaufen, die er sonst nicht oder noch nicht erworben hätte. Die Tatsache, dass der Verbraucher aller Voraussicht nach die in den Korb gelegte Ware auch sofort bezahlen muss, hält ihn vor irrationalen Mehrkäufen zurück. Soweit er aber den Kauf bestimmter Waren, die er ohnehin benötigt, wegen der Aktion vorzieht, oder soweit er ausnahmsweise eine bessere Qualität wählt, wie er es schon immer einmal tun wollte, wird er dadurch nicht in wettbewerbswidriger Weise unsachlich und unangemessen beeinträchtigt. Er nimmt dann vielmehr selbstbestimmt die ihm gebotene Möglichkeit wahr, einen hochpreisigen Artikel durch den vorzeitigen oder außergewöhnlichen Kauf eventuell nicht bezahlen zu müssen. Nicht die allgemeine Entschließungsfreiheit der zutreffend informierten Verbraucher, sich auch einmal für andere -auch kostspieligere- Waren des täglichen Gebrauchs zu entscheiden, ist Schutzgegenstand des § 4 Nr. 1 UWG, sondern nur die unlautere Beeinträchtigung ihrer Willensentscheidung.

An der fehlt es hier aber.

3) Ein Unterlassungsanspruch kann sich auch nicht aus einem Verstoß gegen das gesetzliche Verbot einer unerlaubten Lotterie als Unterart des Glücksspiels ergeben (§§ 3, 4 Nr.11 UWG in Verbindung mit § 287 StGB). Zwar hängt hier der "Gewinn" des Gratiseinkaufs für die betreffenden Käufer vom Zufall ab. Es fehlt aber an einem Einsatz in dem Sinne, dass der Teilnehmer ein gesondertes Vermögensopfer erbringt, um an der "Gewinnchance" teilzuhaben. Als Einsatz ist nämlich jede nicht unbeträchtliche Leistung zu verstehen, die auch in der Befürchtung erbracht wird, dass sie im Falle des "Verlierens" dem Veranstalter anheim fällt (vgl. BGH NJW 1987, 851, 852; Baumbach/Hefermehl/Köhler, a.a.O. § 4 UWG Rdn. 11.176). Die Tatsache, dass die Verbraucher hier die Ware, die sie gewinnen wollen, zunächst bezahlen, ist nicht als Einsatz in diesem Sinne zu verstehen. Denn die Käufer opfern nichts, sondern müssen nur die Ware wie immer bezahlen.

Die Revision ist hier zur Fortbildung des Rechts und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziffer 10, 711 ZPO.






OLG Hamm:
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Az: 4 U 118/05


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