Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. Oktober 2002
Aktenzeichen: 19 W (pat) 709/02

(BPatG: Beschluss v. 09.10.2002, Az.: 19 W (pat) 709/02)

Tenor

Das Patent 195 03 560 wird widerrufen.

Gründe

I.

Das Deutsche Patent- und Markenamt hat am 27. März 1997 die Erteilung des Patents 195 03 560 auf die am 3. Februar 1995 eingegangene zugehörige Anmeldung veröffentlicht.

Das Patent betrifft eine Stromsammelschiene.

Gegen das Patent hat die S... AG mit dem am 24. April 1997 beim Deut- schen Patentamt eingegangenen Schriftsatz Einspruch erhoben.

Zur Begründung hat sie auf § 21 PatG verwiesen und behauptet, der Gegenstand des Patents beruhe gegenüber dem aus der US 4,030 794 Bekannten nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Im Verfahren wurden nach Ablauf der Einspruchsfrist weiterer Stand der Technik als patenthindernd entgegengehalten.

Mit der Eingabe vom 20. März 2002 hat die Einsprechende gemäß § 147 Abs 3 Nr 2 PatG den Antrag auf patentgerichtliche Entscheidung gestellt.

Der neue, in der mündlichen Verhandlung übergebene Patentanspruch 1 lautet:

"Stromsammelschiene für Sammelschienensysteme, die mittels Halter an Befestigungsflächen befestigbar ist, an der Anschlussgeräte wie Adapter, Sicherungselemente, Klemmen und dgl. anbringbar sind und die einen im wesentlichen quadratisches Querschnitt mit hinterschnittenen längsgerichteten Aufnahmen in dessen Außenseiten aufweist, dadurch gekennzeichnet, daß pro Außenseite (S1,S2,S3,S4) nur eine Aufnahme (11,12,13,14) mittig angeordnet ist und daß die Aufnahmen (11,12,13,14) ein im wesentlichen quadratisches, ausgefülltes Mittelteil (15) umschließen, dessen Querschnitt an die gewünschte Stromstärke angepaßt ist."

Es soll die Aufgabe gelöst werden, eine Stromsammelschiene der eingangs erwähnten Art zu schaffen, die für große Stromstärken mit ausreichend großem Querschnitt ausgelegt werden kann, ohne die Anbringung von Haltern und Anschlussgeräten zu erschweren oder einzuschränken (S 1 Z 50 bis 55 der geltenden Beschreibung).

Die Einsprechende ist der Ansicht, es sei bei einer vom Streitpatent nicht ausgeschlossenen Anwendung von Wechselströmen ohne Bedeutung, ob das Mittelteil hohl oder ausgefüllt sei. Auch die nunmehr beanspruchte Anordnung von nur einer mittigen Aufnahme pro Seitenfläche ergebe sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus der US 4,030,794, da schon die in der dortigen Figur 8 gezeigte quadratische Stromsammelschiene nach jeder Drehung um 9o¡ in jeweils gleicher Weise anschließbar sei und die Zahl der Aufnahmen bedarfsweise verringert werden könne.

Die DD-PS 2 002 004 und die DE 39 21 665 A1 belegten darüberhinaus die Vielfalt möglicher Querschnitte mit mindestens einer Ausnehmung pro Außenseite.

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:

Patentansprüche 1 bis 3 und Beschreibung, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 9. Oktober 2002, sowie Zeichnung, eine Figur, gemäß Patentschrift.

Die Patentinhaberin führt dazu aus, daß die US 4,030,794 in eine andere Richtung weise, da dort eine möglichst große äußere Montagefläche bei einer Stromsammelschiene mit hohlem Mittelteil angestrebt werde. Auch werde der gesamte Materialquerschnitt zur Stromtragfähigkeit berücksichtigt, wogegen das Streitpatent eine kompakte, stabile und leicht paketierbare Anordnung erziele.

Auch die DD-PS 2 002 004 führe vom Patentgegenstand weg, da dort ein aus dünnwandigen Teilflächen zusammengesetzter Grundquerschnitt mit einer Vielzahl von Aufnahmen am Umfang verwendet werde.

Bei den aus der DE 39 21 665 A1 bekannten Stromsammelschienen müßten aufgrund der unterschiedlichen Seitenlängen für jede Seitenfläche unterschiedliche Montage- und Verbindungselemente bereitgehalten werden.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Der Einspruch ist zulässig und musste zum Widerruf des Patents führen.

1. Einspruchsverfahren Auf den Antrag der Einsprechenden vom 20. März 2002 hin ist die Entscheidungsbefugnis auf den hierfür zuständigen 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts übergegangen.

Dieser hatte - wie in der zur Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidung der Einspruchssache 19 W (pat) 701/02 (mwN) dargelegt ist - aufgrund öffentlicher mündlicher Verhandlung über das Patent zu entscheiden.

2. Patentfähigkeit Der Senat hat keine Bedenken, daß der Fachmann die Merkmale des geltenden Patentanspruchs 1 aus der Patentschrift als zur Erfindung gehörend entnimmt.

Denn im Hinblick auf den relativ einfachen Gegenstand braucht weder für jede Ausführungsform eine gesonderte Zeichnung vorhanden zu sein (zB eine quadratische Ausführungsform) noch müssen alle Zeichnungsmerkmale (zB nur eine mittige Aufnahme je Außenseite) nochmals in der Beschreibung aufgegriffen werden.

Als zuständiger Fachmann ist hier ein Elektrotechniker anzusehen mit Berufserfahrungen in der Konstruktion und dem Betrieb elektrischer Sammelschienensysteme für große Stromstärken.

Das Patent war jedoch zu widerrufen, da der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gegenüber dem Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

Aus der DE 39 21 665 A1 ist in Übereinstimmung mit Merkmalen aus dem Oberbegriff des geltenden Patentanspruchs 1 eine Stromsammelschiene 20 (Fig 2) für Sammelschienensysteme (Fig 5) bekannt, die mittels Halter 52 an Befestigungsflächen befestigbar ist (Fig 5 iVm Sp 3 Z 57 bis 61 sowie Sp 2 Z 65 bis 67), an der Anschlussgeräte anbringbar sind (Sp 1 Z 32 bis 38, Sp 2 Z 46 bis 50), und die einen Querschnitt mit hinterschnittenen längsgerichteten Aufnahmen 4 in dessen Außenseiten aufweist (Sp 2 Z 65 bis 67 iVm Fig 1 und Sp 2 Z 21 bis 31).

In Übereinstimmung mit kennzeichnenden Merkmalen des Patentanspruchs 1, die auf die im Oberbegriff genannten hinterschnittenen Aufnahmen Bezug nehmen, weist die bekannte Stromsammelschiene 20 pro Außenseite nur eine (hinterschnittene) Aufnahme 4 auf (Fig 2).

Eine nicht hinterschnittene parallelwandige Nut 13 ist vom Anspruchswortlaut auch für den Patentgegenstand nicht ausgeschlossen und ist im übrigen auch für die bekannte Stromsammelschiene lediglich fakultativ vorhanden (Sp 1 Z 39 bis 40 und Anspr 1).

Die Aufnahmen 4 (Fig 2) der bekannten Stromsammelschiene 20 umschließen auch ein ausgefülltes Mittelteil A, dessen Querschnitt an die gewünschte Stromstärke angepaßt ist. Denn gerade diese Fläche entscheidet darüber, mit welchen Stromstärken die Stromsammelschiene belastbar ist (Sp 3 Z 9 bis 25).

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 unterscheidet sich demnach vom Bekannten dadurch, daß

a) der Querschnitt der Stromsammelschiene im wesentlichen quadratischist, b) das Mittelteil im wesentlichen quadratisch ist undc) die Aufnahmen mittig (an der jeweiligen Außenseite) angeordnet sind.

Diese Unterschiede können jedoch nicht patentbegründend sein.

Ausgehend von der Stromsammelschiene, wie sie aus der DE 39 21 665 A1 bekannt ist, stellt sich dem Fachmann die Aufgabe, eine Stromsammelschiene der eingangs erwähnten Art zu schaffen, die für große Stromstärken mit ausreichend großem Querschnitt ausgelegt werden kann, ohne die Anbringung von Haltern und Anschlussgeräten zu erschweren oder einzuschränken, in der Praxis von selbst. Denn schon der steigende Strombedarf erfordert eine entsprechende Weiterentwicklung bekannter Stromsammelschienen.

Da für die Strombelastbarkeit einer Sammelschiene deren Form und Querschnitt ein wesentliches Auslegungskriterium sind, wird der Fachmann zur Lösung dieser Aufgabe auch bereits bekannte Schienenquerschnitte in Betracht ziehen.

Hierzu gehören - wie die im Einspruchsverfahren entgegengehaltenen Druckschriften US 4,030,794 (Fig 8 iVm Sp 5 Z 33 bis 42) und DD-PS 2002 004 (S 1 Abs 3 vu Z 3 bis 6) belegen - insbesondere quadratische Querschnitte.

Für Sammelschienenanordnungen, die - im Unterschied zur DE 39 21 665 A1 (Fig 5) - keine Anbringung an einer Seitenwand eines Schaltschranks erfordern, sondern lediglich für die übliche rückwärtige Anordnung im Schaltschrank oder einer Schaltzelle der Schaltanlage vorgesehen sind, liegt es deshalb für den Fachmann auf der Hand, Stromsammelschienen mit im wesentlichen quadratischem Querschnitt vorzusehen (Unterschiedsmerkmal a). Denn diese gewährleisten eine optimale Zugänglichkeit von vorne.

Wie die Einsprechende in der mündlichen Verhandlung zutreffend ausgeführt hat, wird der Fachmann beim Übergang vom dreieckigen auf einen quadratischen Querschnitt auch mittig auf allen vier Außenseiten nur eine Aufnahme vorsehen (Unterschiedsmerkmal c). Denn sowohl im Hinblick auf die Montage der Sammelschiene in einem Schaltschrank oder einer Schaltanlage als auch beim Anschluß von Geräten kann eine quadratische Sammelschiene mit mittiger Aufnahme in jeder der vier um 90¡ gegeneinander verdrehten möglichen Einbaulagen verwendet werden, ohne daß Fehlmontagen möglich sind.

Das Unterschiedsmerkmal b) ergibt sich damit von selbst; denn der Fachmann wird - wie für ihn schon aus der DE 39 21 665 A1 entnehmbar ist - alle Aufnahmen gleichförmig ausbilden, sodaß die vier ebenen Nutgründe der im wesentlichen quadratischen Schiene wiederum ein im wesentlichen quadratisches Mittelteil umschließen.

Die von der Patentinhaberin für den Gegenstand des Patentanspruchs 1 geltend gemachten Vorteile einer höheren Stabilität oder günstigeren Stromverteilung hängen von zahlreichen Randbedingungen wie Abmessungen, Materialwahl, Belegung der Aufnahmen mit Anschlusskontakten usw. ab. Diese Bedingungen sind aber weder im Patentanspruch 1 noch an anderer Stelle der Patentschrift angegeben und müssen deshalb bei der Beurteilung der Patentfähigkeit außer Betracht bleiben.

Die geltenden Unteransprüche 2 und 3 ohne erkennbaren eigenen erfinderischen Gehalt fallen mit dem Hauptanspruch.

Dr. Kellerer Gleichzeitig für den wegen einer Dienstreise verhinderten Richter Schmöger Dr. Kellerer Dr. Mayer Dr. Kaminski Pr






BPatG:
Beschluss v. 09.10.2002
Az: 19 W (pat) 709/02


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