Bundesgerichtshof:
Urteil vom 26. September 2003
Aktenzeichen: V ZR 50/03
(BGH: Urteil v. 26.09.2003, Az.: V ZR 50/03)
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 23. Januar 2003 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Klägerin, ein kommunales Wohnungsbauunternehmen, schloß im Jahr 1993 für eine Vielzahl ihrer Liegenschaften mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten Gestattungsverträge. Nach diesen durfte die Rechtsvorgängerin der Beklagten in den bezeichneten Häusern Breitbandverteileranlagen für Kabelfernsehen und Hörfunk einrichten und die Bewohner auf diesem Weg mit Programmangeboten versorgen. Jeweils unter Nr. 9.3 der Gestattungsverträge war vereinbart, daß bei Vertragsende "in Ausnahmefällen" hinsichtlich der Übernahme der Anlage durch die Klägerin verhandelt werden könne und "ansonsten die Pflicht" der Rechtsvorgängerin der Beklagten "zur kostenlosen Demontage der Anlage" bestehe. Sie hatte sich unter Nr. 9.4 der Verträge ferner "für den Fall der Demontage bei Vertragsbeendigung" verpflichtet, auf ihre Kosten "den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen."
Die Vertragsverhältnisse endeten auf Grund von Kündigungen der Klägerin mit Ablauf des 31. Dezember 2001. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin von der Beklagten die Beseitigung der von dieser in den Gebäuden installierten Breitbandverteileranlagen, zu denen insbesondere Linienkabel, Linienverstärker, Hausverteiler, Hausverkabelung und Anschlußdosen zählen, sowie die Wiederherstellung des vorherigen Zustandes. Demgegenüber ist die Beklagte der Ansicht, sie schulde keine Beseitigung, weil die Klägerin nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG verpflichtet sei, die Anlagen zu dulden. Die Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolgreich gewesen. Mit ihrer von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter.
Gründe
Die Revision ist nicht begründet.
I.
Das Berufungsgericht meint, die Beklagte sei auf Grund der Vereinbarungen im Rahmen der Gestattungsverträge zur Beseitigung der Breitbandverteileranlagen und zur Wiederherstellung des vorherigen Zustandes verpflichtet. Da die Beklagte nicht nach § 57 Abs. 1 TKG berechtigt sei, in den betreffenden Häusern das Breitbandkabelnetz nach dessen Deinstallation erneut einzurichten, stehe den von der Klägerin geltend gemachten Ansprüchen nicht der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegen. § 57 Abs. 1 TKG beziehe sich allein auf Grund und Boden, also auf das Grundstück im eigentlichen Sinne. Nicht erfaßt seien hingegen die auf einem Grundstück befindlichen Gebäude, in denen hier die zu beseitigende Anlage installiert sei.
Dies hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
II.
1.
Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, daß die Beklagte auf Grund der Vereinbarungen in den Gestattungsverträgen verpflichtet ist, nach der wirksamen Beendigung der Vertragsverhältnisse die in den Gebäuden installierten Breitbandverteileranlagen zu beseitigen und den Zustand vor Installation dieser Einrichtungen wiederherzustellen. Insoweit nimmt auch die Revision das Berufungsurteil hin.
2.
Zu Recht hat das Berufungsgericht ferner die Klägerin nicht durch das Verbot unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) gehindert gesehen, die vertraglichen Ansprüche auf Beseitigung und Wiederherstellung gegenüber der Beklagten geltend zu machen. Die Revision wendet ohne Erfolg ein, die Klägerin sei nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG verpflichtet, die erneute Verlegung gleicher Kabelnetze in den betreffenden Gebäuden durch die Beklagte zu dulden und handele daher rechtsmißbräuchlich, wenn sie deren Deinstallation verlange.
Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung ("dolo facit, qui petit, quod statim redditurus est", vgl. Senat, Urt. v. 3. Mai 2002, V ZR 17/01, NJW 2002, 3021, 3024) scheitert daran, daß der Beklagten ein Gegenanspruch aus § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG nicht zusteht. Zwar liegt die Annahme nahe, die Rechtsvorgängerin der Beklagten habe durch die 1993 übernommene Verpflichtung zur Deinstallation nicht im voraus auf eine erst später durch Inkrafttreten des Telekommunikationsgesetzes am 1. August 1996 geschaffene Rechtsposition verzichtet. Auf § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG kann sich die Beklagte aber gleichwohl nicht berufen, weil aus dieser Vorschrift keine Verpflichtung der Klägerin folgt, auch solche Kabelanlagen zu dulden, die in den Gebäuden auf ihren Grundstücken installiert sind und allein der Versorgung der dortigen Bewohner mit Programmangeboten dienen. Selbst wenn der Wortlaut des § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG ein Verständnis in dem von der Revision erstrebten Sinne zulassen sollte (vgl. Heun, Handbuch Telekommunikationsrecht, 2002, Teil 6 Rdn. 45 -46; anders zum früheren Recht dagegen BVerwG, NJW 1976, 906, 907), folgt doch die Notwendigkeit einer einschränkenden Auslegung aus (a) der Entstehungsgeschichte der Norm, ferner aus (b) dem mit ihr verfolgten Zweck sowie schließlich aus (c) der Systematik des Gesetzes (a.A. wohl Heun, aaO, Teil 6 Rdn. 336, jedoch in Rdn. 338 mit einer Ausnahme für Kabelanlagen im Hausinnern).
a) Der Sache nach enthält § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG gegenüber dem früheren Rechtszustand keine grundlegend neue Regelung (BVerfG, NJW 2000, 798, 799). Bereits das -mit Inkrafttreten des Telekommunikationsgesetzes außer Kraft getretene (§ 100 Abs. 3 TKG) -Telegrafenwegegesetz (TWG) gab in § 10 Abs. 1 zuletzt der Deutschen Telekom AG die Befugnis, Fernmeldelinien durch den Luftraum über -nicht als Verkehrswege zu qualifizierende Grundstücke zu führen. Durch die Nachfolgevorschrift des § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG soll -neben der Beseitigung des Monopols der Deutschen Telekom AG eine Erweiterung der Duldungspflicht nur insofern erfolgen, als nun auch unterirdische Telekommunikationslinien von den Grundstückseigentümern hinzunehmen sind (Nienhaus, Wegerechte für Telekommunikationslinien auf Privatgrundstücken, 2000, S. 162 ff; Haidinger/Rädler, MMR 1999, 330, 331). Für den zunächst in § 10 Abs. 1 TWG geregelten Fall der Kreuzung des Luftraums liegt auf der Hand, daß damit nur das Überqueren eines Grundstücks mit -nach aktueller Terminologie (vgl. Fangmann, Telekommunikationsund Postrecht, 2. Aufl., S. 297) -Telekommunikationslinien geduldet werden mußte. Nachdem die durch die Vorgängerregelung bereits ermöglichte oberirdische Leitungsführung lediglich um die Alternative einer unterirdischen Leitungsführung ergänzt wurde, erstreckt sich die Duldungspflicht nun zusätzlich auch auf das Durchqueren eines Grundstücks. Hingegen findet sich im Zusammenhang mit der Entstehung der Vorschrift kein Anhaltspunkt dafür, daß die Neuregelung auch für Anschlußleitungen nebst Zubehör, namentlich in Form von Kabelanlagen in Gebäuden, gelten soll.
b) Auch der mit der Norm verfolgte Zweck steht ihrer Anwendung auf Kabelanlagen entgegen, die in Gebäuden zur Versorgung der dort lebenden Bewohner installiert sind. Ziel der gegenüber § 10 Abs. 1 TWG erweiterten Duldungspflicht ist es, den Aufund Ausbau eines Telekommunikationsnetzes auch in solchen Fällen zu ermöglichen, in denen eine Realisierung nur durch unterirdisch geführte Leitungswege möglich ist. Auf diese Weise sollen im volkswirtschaftlichen Interesse sowie zur Förderung des Wettbewerbs vorhandene Telekommunikationsstrukturen nutzbar gemacht und der Aufbau neuer Netze erleichtert werden (Begründung zu § 56 des Gesetzentwurfs,
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13/3609, S. 50). Im Hinblick auf den unmittelbaren Gesetzeszweck der Erleichterung des Aufund Ausbaus von Telekommunikationsnetzen kann derdurch § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG erweiterte sachliche Anwendungsbereich lediglich dazu führen, daß der Eigentümer nun auch das Durchqueren eines Grundstücks mit Telekommunikationslinien dulden muß. Hingegen erfordert es der Gesetzeszweck nicht, daß sich die Duldungspflicht auch auf solche Leitungen und Anlagen erstreckt, die auf einem Grundstück bzw. den hierauf errichteten Gebäuden mit Abschlußeinrichtungen (vgl. § 3 Nr. 3 TKG) enden. Da der Betreiber keine Abnahme von Telekommunikationsdienstleistungen über solche Kabelanlagen von dem Grundstückseigentümer erzwingen kann, handelt es sich bei fehlendem Nutzungsrecht -etwa auf Grund eines vertraglichen Gestattungsverhältnisses (vgl. BGH, Urt. v. 17. Juli 2002, XII ZR 86/01, NJW 2002, 3322) -lediglich um ungenutzte Anschlußleitungen (nebst Zubehör), deren es zum Betrieb eines wettbewerbsfähigen Telekommunikationsnetzes nicht bedarf. Die Versorgung Dritter, insbesondere von Mietern, mit Telekommunikationsdienstleistungen erlangt in diesem Zusammenhang keine Bedeutung, weil der Netzbetreiber hierdurch keine unmittelbaren Rechte gegenüber dem Grundstückseigentümer erlangt (vgl. Heun, aaO, Teil 6 Rdn. 341). Letztlich geht es in solcher Situation, wie gerade der vorliegende Fall zeigt, in erster Linie darum, dem Betreiber die Kosten für die Deinstallation einer nutzlos gewordenen Kabelanlage zum Nachteil des Grundstückseigentümers zu ersparen. Dies ist indessen nicht der Zweck, den das Gesetz mit der in § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG geregelten Duldungspflicht verfolgt.
c) Zudem folgt aus der -auf Grund der Ermächtigung in § 41 TKG erlassenen -Telekommunikations-Kundenschutzverordnung (TKV), daß für Anschlußleitungen eine Regelung nicht in § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG, sondern an anderer Stelle getroffen ist (Piepenbrock, in: Beck'scher TKG-Kommentar, 2. Aufl., § 10 TKV Rdn. 2; vgl. auch Schuster, MMR 1999, 137, 140). Insbesondere mit Blick auf den Kontrahierungszwang der Universaldienstverpflichteten (§ 9 Abs. 1 TKV) macht nämlich § 10 Abs. 1 TKV die Verpflichtung zum Vertragsschluß davon abhängig, daß dem Netzbetreiber für die Inanspruchnahme des Grundstücks eine Einwilligungserklärung des dinglich Berechtigten ("Grundstückseigentümererklärung") vorgelegt wird (Begründung der Bundesregierung zu § 10 TKV, BR-Drucks. 551/97, S. 30). Der Bestimmung liegt mithin die Erwägung zugrunde, daß sich aus § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG für einen Netzbetreiber kein Recht ergibt, Anschlußleitungen auf fremden Grundstücken zu verlegen (so auch die Begründung der Bundesregierung zu § 10 TKV, BR-Drucks. 551/97, S. 30). Könnte ein Netzbetreiber ohnehin über § 57 Abs. 1 Nr. 2 TKG die Installation von Anschlußleitungen und -einrichtungen erzwingen, wäre eine derart umfassende Ausnahme von dem Kontrahierungszwang nicht gerechtfertigt, sondern lediglich für die Fälle angezeigt, in denen die Voraussetzungen einer Duldungspflicht des Eigentümers nicht erfüllt sind. Überdies enthalten sowohl die Grundstückseigentümererklärung als auch die Gegenerklärung des Netzbetreibers -die jeweils als Anlage zu § 10 Abs. 1 TKV formuliert sind -die Verpflichtung des Netzbetreibers zur Deinstallation der "Vorrichtungen", die er auf dem fremden Grundstück und in darauf befindlichen Gebäuden "errichtet" hat. Da sich der Netzbetreiber dieser Verpflichtung nach dem Inhalt der genannten Erklärungen nur im Fall entgegenstehender schutzwürdiger Belange Dritter entziehen kann, sprechen die Anlagen zu § 10 Abs. 1 TKV ebenfalls dafür, daß eine Duldungspflicht aus § 57 Abs. 1 TKG in solcher Konstellation nicht einschlägig sein kann.
III.
Die Kostentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Wenzel Krüger Klein Gaier Stresemann
BGH:
Urteil v. 26.09.2003
Az: V ZR 50/03
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