Landgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 29. November 2007
Aktenzeichen: 5/31 Qs 27/07, 5/31 Qs 27/07

(LG Frankfurt am Main: Beschluss v. 29.11.2007, Az.: 5/31 Qs 27/07, 5/31 Qs 27/07)

Tenor

Die sofortigen Beschwerden werden verworfen.

Die Kosten des von ihm eingelegten Rechtsmittels treffen den Nebenkläger. Die dem Angeschuldigten im Beschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

I.

Der Angeschuldigte erstellte am 10. Juni 2003 gem. § 130 AktG die notarielle Niederschrift über die ordentliche Jahreshauptversammlung der D Bank AG. Hierzu fertigte der Angeschuldigte vor der Hauptversammlung einen maschinellen Entwurf an, der die aus der Tagesordnung und aus dem Leitfaden des Vorsitzenden des Aufsichtsrates der D Bank AG voraussichtlich sich ergebenden Elemente berücksichtigte. Diesen Entwurf ergänzte er während der Dauer der Hauptversammlung handschriftlich um alle Abweichungen vom erwarteten Verlauf sowie um alle "Variablen", wie beispielsweise Wortmeldungen, Widersprüche und Abstimmungsergebnisse, und unterzeichnete ihn noch am Tage der Versammlung.

Allerdings sollte diese Niederschrift nach seinem Willen nicht mit einer Urkundenrollennummer versehen und zur Urkundensammlung genommen werden. Lediglich für den Fall seines Todes oder seiner Handlungsunfähigkeit hatte er seine Notariatsangestellte zuvor angewiesen, für diese Niederschrift eine Urkundenrollennummer zu "reservieren", sie in das Hauptversammlungsprotokoll einzutragen und zur Urkundensammlung zu nehmen. Einige Tage nach der Hauptversammlung, ließ der Angeschuldigte seine Notariatsangestellte eine vollständig maschinell erstellte Fassung fertigen, in der diese in Abstimmung mit ihm seine handschriftlichen Änderungen und Ergänzungen einarbeitete. Sodann übersandte er diese maschinell erstellte Fassung der D Bank AG und traf sich zur Abstimmung von Feinheiten mit zwei Mitarbeitern der Bank. Aufgrund der Ausführungen der Mitarbeiter nahm er verschiedene Änderungen und Berichtigungen vor, erstellte eine Endfassung des Protokolls, unterzeichnete es, versah es mit der reservierten Urkundenrollennummer und nahm es zur Urkundensammlung. Den maschinenschriftlichen, der Bank zur Prüfung übersandten Entwurf, nahm er zu seinen Nebenakten.

Zu Beginn des Hauptversammlungsprotokolls heißt es:

"F

Verhandelt am 10. Juni 2003

(zehnten Juni zweitausenddrei)

Der unterzeichnende

Notar Dr. ...

mit dem Amtssitz in F

hatte sich heute um 10.00 Uhr auf Ersuchen des Vorstands der

D Bank Aktiengesellschaft

mit dem Sitz in F

in die Festhalle, Messe F, ... begeben, um dort die folgende notarielle Niederschrift über die

Ordentliche Hauptversammlung

dieser Gesellschaft aufzunehmen.

..."

Am Ende des Hauptversammlungsprotokolls € 50 Seiten später € heißt es wörtlich:

"Nachdem weitere Wortmeldungen nicht mehr vorlagen, wurde die Versammlung um 21 Uhr 21 Minuten von dem Herrn Vorsitzenden geschlossen.

Hierüber wurde diese in Urschrift bei mir verbleibende Niederschrift aufgenommen und von mir, dem amtierenden Notar, eigenhändig unterschrieben.

Unterschrift"

Im Rahmen der verbundenen Zivilverfahren 3-05 O 61/03 und 3-05 O 64/03 vor der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main zwischen den Dres. ... und dem Nebenkläger auf der einen Seite und der D Bank auf der anderen Seite wurde der Angeschuldigte am 12.10.2004 als Zeuge vernommen. Er gab bei der Vernehmung an, er vermute, dass sich das handschriftliche Original des Hauptversammlungsprotokolls in seinen Handakten befinde. Er habe keinen Anlass, daran zu zweifeln. In dem Rechtsstreit der nämlichen Parteien mit dem Az.: 3/9 O 98/03 vor der 9. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main hat der Angeschuldigte eine schriftliche Stellungnahme vom 20.4.2005 eingereicht und darin wörtlich ausgeführt:

"Der ursprüngliche unter 1.1 ausführlich erwähnte Entwurf befindet sich € entgegen meiner bei meiner ersten Zeugenvernehmung geäußerten Vermutung € nicht mehr bei meinen Unterlagen, sondern ist nach der endgültigen Fertigstellung des Protokolls mit anderen nicht mehr benötigten Notizen entsorgt worden. Mir ist keine Vorschrift bekannt, nach welcher der Notar verpflichtet wäre, Entwürfe und Notizen zu verwahren."

Nach dem vom Nebenkläger der Staatsanwaltschaft vorgelegten Schriftsatz des die Eheleute ... vertretenden Rechtsanwalts ... hat der Angeschuldigte bei der Vernehmung vor der 9. Kammer für Handelssachen am 20.04.2005 ergänzend bekundet, er habe die Urkunde weder selbst vernichtet noch hierzu Anweisungen gegeben. Er wisse auch nicht, wann und von wem die Urkunde vernichtet worden sei.

Wegen der "Entsorgung des ursprünglichen Protokolls" hat der Nebenkläger bei der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main unter dem 23.04.2005 eine Strafanzeige eingereicht. Mit Verfügung vom 12.05.2005 hat die Staatsanwaltschaft die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgelehnt. Die ursprünglich erstellte vorläufige Niederschrift als Rohversion stelle keine Urkunde dar, weil sie nicht für den Rechtsverkehr bestimmt sei.

Die dagegen gerichtete Beschwerde des Nebenklägers vom 02.06.2005 hat der Generalstaatsanwalt mit Verfügung vom 24.11.2005 verworfen.

Auf den Klageerzwingungsantrag des Nebenklägers vom 10.12.2005 hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 29.11.2006 € 2 Ws 173/05 € die Erhebung der öffentlichen Klage angeordnet. Der Angeschuldigte sei der Urkundenunterdrückung und der Falschbeurkundung im Amt hinreichend verdächtig, weil er das von ihm handschriftlich ergänzte und unterzeichnete Hauptversammlungsprotokoll vernichtet habe bzw., weil er in der von ihm unterzeichneten "Endfassung" vorgegeben habe, diese am 10. Juni 2003 errichtet zu haben, obwohl dies tatsächlich deutlich später geschehen sei. Daraufhin hat die Staatsanwaltschaft unter dem 23.02.2007 Anklage erhoben.

Mit Beschluss vom 19.06.2007 hat das Amtsgericht Frankfurt am Main die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Gegen diese der Staatsanwaltschaft am 28.06.2007 zugestellte Entscheidung hat sie mit dem am 04.07.2007 beim Amtsgericht eingegangenen Telefax vom gleichen Datum sofortige Beschwerde eingelegt. Dem Nebenkläger wurde der Nichteröffnungsbeschluss am 17.07.2007 zugestellt. Die von ihm erhobene sofortige Beschwerde vom 19.07.2007 ging am 21.07.2007 bei den Justizbehörden Frankfurt am Main ein.

Die Staatsanwaltschaft hat sich zur Begründung ihrer sofortigen Beschwerde im Wesentlichen auf die Ausführungen des Oberlandesgerichts bezogen. Der Nebenkläger rügt zunächst eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil er erst mit dem ablehnenden Beschluss vom 19.06.2007 zur Nebenklage zugelassen worden sei. Des Weiteren rügt der Nebenkläger, dass das Amtsgericht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen sei und sich auf die Entscheidung der 9. Kammer für Handelssachen berufen habe, ohne sich mit dem "massiven" Berufungsvorbringen gegen dieses Urteil auseinanderzusetzen. Das Amtsgericht verkenne überdies, dass Notarsakte bedingungsfeindlich seien und es (geheime) Vorbehalte bei ihnen nicht gebe. Außerdem lasse sein Argument, die Vorgehensweise des Angeschuldigten sei vielfach in der Praxis üblich, nicht erkennen, worauf sich diese Feststellung gründe. Angesichts der divergierenden Ansichten zu der Frage des Urkundenbegriffs hätte das Amtsgericht seine Auffassung nicht in einem Nichteröffnungsbeschluss, sondern erst in einem Urteil mit den entsprechenden Rechtsmittelmöglichkeiten darlegen dürfen. Diesen Sachvortrag hat er mit zwei weiteren Stellungnahmen vom 13.9. und 19.9.2007 vertieft und ergänzt.

II.

Die sofortigen Beschwerden haben keinen Erfolg.

Sie sind zwar zulässig, da sie gem. § 210 Abs. 2 bzw. § 401 Abs. 1 S. 1 in Verbindung mit § 210 Abs. 2 StPO statthaft und auch innerhalb der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegt worden sind.

Die Rechtsmittel sind aber nicht begründet. Das Amtsgericht hat die Eröffnung des Hauptverfahrens zu Recht abgelehnt.

Der Beschluss des Amtsgerichts ist nicht formell rechtswidrig. Die auf das Verfahren bezogenen Rügen des Nebenklägers sind nicht begründet.

Seine Rüge, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden, ist nicht erheblich. Es ist nicht ersichtlich, dass sich ein solcher etwaiger Verfahrensverstoß ausgewirkt haben könnte. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens wurden dem Nebenkläger weitere Aktenbestandteile zugesandt. Am 11.9.2007 hat er außerdem Einsicht in die Akte genommen. Er hat jedoch auch danach nichts vorgetragen, was die Kammer zu einer Änderung der amtsgerichtlichen Entscheidung hätte veranlassen können.

Seine Beanstandung, das Amtsgericht sei von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, weil es entgegen der Darstellung des Angeschuldigten falsch ausführe, der Notar habe einen maschinenschriftlichen Entwurf gefertigt, ist nicht gerechtfertigt. Tatsächlich geht genau das aus der schriftlichen Stellungnahme des Angeschuldigten vom 20.4.2005 hervor.

Der Vorwurf, das Amtsgericht berufe sich auf die Entscheidung der 9. Kammer für Handelssachen, ohne sich mit dem "massiven" Berufungsvorbringen gegen dieses Urteil auseinanderzusetzen, ist irrelevant. Denn das Amtsgericht hat zum richtigen Ergebnis gefunden. Im Übrigen hatte das Berufungsvorbringen auch beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main keinen Erfolg; die Berufungen wurden mit Urteil vom 17.7.2007 zurückgewiesen.

Die Rüge des Nebenklägers, das Argument des Amtsgerichts, die Vorgehensweise des Angeschuldigten sei vielfach in der Praxis üblich, lasse nicht erkennen, worauf sich diese Feststellung gründe, ist ebenfalls nicht relevant. Es ist nicht ersichtlich, dass sich diese Annahme in irgendeiner Weise auf das Ergebnis des Beschlusses ausgewirkt hat. Im Übrigen beruht die Annahme des Amtsgerichts offenbar auf dem Aufsatz von Eylmann (ZNotP 2005, 300), in dem die weite Verbreitung behauptet wird und dessen Positionen der Nebenkläger ansonsten für richtig hält.

Die Auffassung des Nebenklägers, das Amtsgericht hätte angesichts der divergierenden Ansichten zu der Frage des Urkundenbegriffs seine Auffassung nicht in einem Nichteröffnungsbeschluss, sondern erst in einem Urteil mit den entsprechenden Rechtsmittelmöglichkeiten darlegen dürfen, trifft nicht zu. Da die Staatsanwaltschaft richtiger Weise nicht wegen der "besonderen Bedeutung der Sache" gem. § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG Anklage beim Landgericht erhoben hatte, sondern beim Strafrichter und die betreffende Strafrichterin die "besondere Bedeutung" und einen hinreichenden Tatverdacht verneinte, musste sie gemäß §§ 203 f. StPO die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen. Eine Eröffnung des Hauptverfahrens "wegen besonderer Bedeutung der Sache" sieht die Strafprozessordnung nicht vor. In Betracht gekommen wäre allenfalls eine Vorlage an das Landgericht gemäß § 209 Abs. 2 StPO. Diese wäre der Strafrichterin aber wohl selbst dann verwehrt gewesen, wenn sie der Sache besondere Bedeutung beigemessen hätte. Denn hält ein Gericht die Voraussetzungen für eine Eröffnung nicht für erfüllt, so verfährt es nicht nach § 209 Abs. 2 StPO, sondern nach § 204 StPO (Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 209 Rn. 3; a. A.: Rieß in Löwe-Rosenberg, § 25. Aufl., § 209 Rn. 33).

Der angegriffene Beschluss ist auch inhaltlich richtig.

Der Angeschuldigte ist der ihm vorgeworfenen Urkundenunterdrückung gem. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht im Sinne von § 203 StPO hinreichend verdächtig. Die Kammer sieht den hinreichenden Tatverdacht bereits aus tatsächlichen Gründen nicht gegeben. Der in der Anklageschrift erhobene Vorwurf, der Angeschuldigte habe "die seine handschriftlichen Ergänzungen enthaltende, von ihm unterzeichnete Fassung des Hauptversammlungsprotokolls vernichtet", findet nach dem Ergebnis der Ermittlungen keine tragfähige Stütze. Der Angeschuldigte hat € nach Belehrung über die Pflicht zur Wahrheit € als Zeuge ausgesagt, der handschriftlich ergänzte Entwurf sei entsorgt worden. Auf Nachfrage ergänzte er, dass er diese Erstfassung weder selbst vernichtet noch dazu Anweisung gegeben habe. Die Möglichkeit, dass ein Notariatsangestellter die Erstfassung versehentlich oder absichtlich weggeworfen hat, ist durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht ausgeschlossen worden. Insbesondere sind die Notariatsmitarbeiter oder -mitarbeiterinnen nicht als Zeugen vernommen worden. Der Gedanke an ein eigenständiges Handeln eines Notariatsmitarbeiters erscheint der Kammer auch nicht unplausibel, zumal es sich nach der den Mitarbeitern wohl bekannten Rechtsauffassung des Notars, bei dieser Erstfassung lediglich um Notizen bzw. um einen Entwurf handelt. Ebenso wenig kann die Kammer ein Versehen eines Mitarbeiters ausschließen. Ob auf der Basis der Rechtsauffassung des Notars dienstordnungsrechtlich eine Pflicht zur Aufbewahrung gem. §§ 5 Abs. 4, 22 Abs. 1 DONot bestand, lässt sich den Vorschriften jedenfalls nicht eindeutig entnehmen.

Die Kammer sieht jedoch davon ab, die Mitarbeiter des Notars gem. § 202 StPO vernehmen zu lassen, weil der erforderliche hinreichende Tatverdacht auch aus weiteren tatsächlichen und rechtlichen Gründen zu verneinen ist.

Selbst wenn man unterstellt, dass der Notar die handschriftlich ergänzte Erstfassung selbst vernichtet oder die Vernichtung angeordnet hat, weil er sie als bloßen Entwurf bzw. bloße Notiz ansah, so fehlen nach dem bisherigen Ermittlungsstand hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme, der Angeschuldigte habe mit Nachteilszufügungsabsicht im Sinne von § 274 Abs. 1 StGB gehandelt.

Unter Nachteil im Sinne dieser Vorschrift ist jede Beeinträchtigung fremder Rechte zu verstehen. Einen Nachteil kann etwa auch die Verschlechterung der Beweislage darstellen. Der Täter muss dann beabsichtigen, die Benutzung gerade des gedanklichen Inhalts der Urkunde in einer aktuellen Beweissituation zu vereiteln (Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., § 274 Rn. 16). Eine solche Beweisvereitelungsabsicht für den Anfechtungsprozess gegen die Deutsche Bank AG ließe sich nur feststellen, wenn feststände, dass die handschriftlich ergänzte Erstfassung des Protokolls von der zum Handelsregister eingereichten Endfassung in einem entscheidungserheblichen Punkt zu Lasten der Anfechtungskläger abwich. Denn wenn die Endfassung mit der handschriftlich ergänzten Erstfassung übereinstimmte, konnte den Anfechtungsklägern kein Nachteil entstehen. Anhaltspunkte für die Annahme einer solchen Abweichung sieht die Kammer nicht. Der Gedanke, dass ein Notar absichtlich ein inhaltlich falsches Hauptversammlungsprotokoll fertigt, drängt sich im Übrigen auch keineswegs auf. Zwei der Kammermitglieder wissen wegen ihrer Tätigkeit im Bereich der Dienstaufsicht über die Notare des Landgerichtsbezirks, dass der Angeschuldigte niemals Anlass für die Besorgnis gegeben hat, er verstoße in derartiger Weise gegen seine Berufspflichten.

Der erforderliche hinreichende Tatverdacht bezüglich der dem Notar vorgeworfenen Urkundenunterdrückung ist auch aus rechtlichen Gründen zu verneinen. Die handschriftlich ergänzte und unterzeichnete Niederschrift "gehörte" dem angeschuldigten Notar im Sinne von § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB "ausschließlich". Für das Merkmal des "ausschließlich Gehörens" kommt es nicht auf die Eigentumsverhältnisse, sondern darauf an, ob ein Dritter einen Anspruch auf Beweisbenutzung oder auf Vorlegung der Urkunde hat (Tröndle/Fischer, 54. Aufl. § 274 Rn. 2). Nach Auffassung der Kammer besaßen Dritte keinen Anspruch, die handschriftlich ergänzte Urfassung als Beweis zu benutzen oder sich vorlegen zu lassen. Denn diese Urfassung war noch kein abgeschlossenes Hauptversammlungsprotokoll. Vielmehr handelte es sich um ein bloßes notarielles Internum, zu dessen Änderung der Notar befugt war.

Die Kammer schließt sich der wohl mittlerweile als herrschend zu bezeichnenden Auffassung an, nach der ein Hauptversammlungsprotokoll gem. § 130 AktG nicht bereits mit der Unterzeichnung durch den Notar im Sinne von § 44 a Abs. 2 S. 1 Beurkundungsgesetz abgeschlossen ist (Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 21.12.2005, 3/9 O 98/03, Maas, ZNotP 2005, 377, 379; derselbe ZNotP 2050, 52 ff.; Wolfsteiner ZNotP 376 f.; Bohrer, NJW 2007, 2019, 2020 f.; Görk, MittBayNot 2007, 382 ff.; Poppe, Urkundsdelikte durch Notare, Tagungsband der 5. Jahresarbeitstagung des Notariats, des deutschen Anwaltsinstitutes € Fachinstitut für Notare €, 309, 320 ff.). Der im Anschluss an Eylmann (ZNotP 2005, 300 ff. und 458 ff.) vom Oberlandesgericht vertretenen Auffassung, dass eine Tatsachenbeurkundung wie die Beurkundung einer Hauptversammlung mit der Unterschrift abgeschlossen ist, weil § 44 a Beurkundungsgesetz zwischen der Beurkundung von Willenserklärungen und sonstigen Beurkundungen im Sinne von § 36 ff. Beurkundungsgesetz nicht unterscheidet, vermag die Kammer nicht zu folgen.

Zwar ist richtig, dass der hier einschlägige § 44 a Abs. 2 BeurkG sowohl für Beurkundungen von Willenserklärungen (§§ 8 ff. BeurkG) als auch für Tatsachenbeurkundungen (§ 36 f. BeurkG) gilt. Nach dieser Vorschrift dürfen in beiden Fällen auch nach Abschluss der Niederschrift Änderungen an dieser vorgenommen werden; geringfügige Änderungen durch einen einfachen Nachtragsvermerk des Notars, nicht geringfügige Änderungen durch eine besondere Niederschrift. Die Vorschrift besagt jedoch nichts zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Niederschrift über Tatsachen, wie das Protokoll einer Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft, abgeschlossen ist. Nach Auffassung der Kammer ist dies erst der Fall, wenn die Niederschrift den inneren Bereich des Notariats verlassen hat.

Der Gegenauffassung ist allerdings darin beizupflichten, dass die Niederschrift über die Verhandlung der Beurkundung von Willenserklärungen mit der eigenhändigen Unterschrift des Notars (§ 13 Abs. 3 Beurkundungsgesetz) abgeschlossen ist. Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass die Niederschrift über eine Tatsachenbeurkundung, wie die Protokollierung einer Hauptversammlung, ebenfalls allein durch Unterschrift und ohne einen Akt der Entäußerung des Protokolls in den Rechtsverkehr abgeschlossen ist. Da die Niederschrift der Beurkundung von Willenserklärungen den Urkundsbeteiligten vorgelesen wird, von ihnen genehmigt und ihnen und dem Notar eigenhändig unterschrieben werden muss, entfaltet eine solche Niederschrift zwangsläufig mit der Unterschrift des Notars Außenwirkung. Nach der Ausgestaltung des Beurkundungsvorgangs kann eine solche vom Notar im Beisein der Beteiligten unterzeichnete Niederschrift kein bloßes Internum sein. Hier versteht sich von selbst, dass der Notar die Niederschrift nach der Unterzeichnung nicht mehr frei ändern kann. Anders liegen die Dinge dagegen bei einer Tatsachenbeurkundung wie der Protokollierung der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft gem. § 130 AktG. Hier kennt niemand außer dem Notar den Inhalt der Niederschrift und solange der Notar die unterzeichnete Niederschrift nicht in Form von Ausfertigungen in den Rechtsverkehr gibt, kann sie bloßes Internum sein.

Aus Sicht der Kammer ist kein Grund ersichtlich, weshalb ein solches Internum bereits dem Schutz des § 274 StGB unterstellt werden sollte. Solche Interna sollten vielmehr frei änderbar sein, wie es auch andere Verfahrensordnungen vorsehen: Solange ein Zivilurteil nicht durch Verkündung (§ 310 Abs. 1 S. 1 ZPO) oder durch Zustellung (§ 310 Abs. 3 ZPO) aus dem inneren Bereich des Gerichts herausgetreten ist, wird es als bloßer abänderbarer Entwurf behandelt, selbst wenn es bereits unterschrieben sein sollte (BGHZ 14, 44 ff.; Zöller 25. Aufl., § 310 Rn. 1). Für zivilprozessuale Beschlüsse gilt nichts anderes: Auch sie verlieren nicht bereits durch die Unterschrift des oder der Richter die Abänderbarkeit. Erforderlich ist vielmehr, dass sie keine reinen Gerichtsinterna, sondern aus dem inneren Geschäftsbetrieb herausgetreten sind (Vollkommer in Zöller, 25. Aufl., § 329 Rn. 16 m. w. N.), zum Beispiel wenn der Beschluss in das Fach des Anwalts oder zumindest in das Auslauffach der Geschäftsstelle gelegt worden ist (Vollkommer in Zöller a. a. O.). Für strafprozessuale Urteile gilt das Gleiche. Solange die Urteilsabsetzungsfrist gem. § 275 Abs. 1 S. 2 StPO noch nicht abgelaufen, und das Urteil noch nicht zugestellt worden ist, darf es selbst dann berichtigt und geändert werden, wenn es bereits unterzeichnet zu den Akten gelangt ist (Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 275 Rn. 11, § 267 Rn. 39).

Die vom Nebenkläger gegen das vom Angeschuldigten gewählte Beurkundungsverfahren vorgetragen Bedenken, dass Notarsakte im Interesse der Rechtssicherheit bedingungsfeindlich seien und es (geheime) Vorbehalte bei ihnen nicht geben dürfe, teilt die Kammer nicht. Entweder die handschriftlich ergänzte Niederschrift bleibt als Internum beim Notar, weil der befürchtete Tod oder die Handlungsunfähigkeit des Notars ausgeblieben sind. Dann ist die Rechtssicherheit schon aus diesem Grunde nicht tangiert (Maaß ZNotP 2005, 377, 379). Oder aber der unwahrscheinliche Fall des Todes bzw. der Handlungsunfähigkeit des Notars tritt ein, dann können € da die Bedingung eingetreten ist € Ausfertigungen der handschriftlich ergänzten Urfassung in den Rechtsverkehr gegeben werden. Auch in diesem Fall ist die Sicherheit des Rechtsverkehrs nicht tangiert, weil das Protokoll dann weder unter einer Bedingung noch unter einem geheimen Vorbehalt steht.

Der Angeschuldigte ist auch der ihm vorgeworfenen Falschbeurkundung im Amt gem. § 348 Abs. 1 StGB aus Rechtsgründen nicht hinreichend verdächtig.

Die Kammer lässt offen, ob durch die Formulierungen am Ende der Endfassung des Protokolls der (falsche) Eindruck hervorgerufen wird, dass der Angeschuldigte die Endfassung des Protokolls noch am 10.06.2003 fertig gestellt und unterschrieben hat. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Notar ein falsches Errichtungsdatum im Hauptversammlungsprotokoll angegeben hat, so hat er dennoch eine rechtlich erhebliche Tatsache im Sinne von § 348 StGB nicht beurkundet. Zwar ist ein Hauptversammlungsprotokoll gem. § 130 AktG eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 415 ZPO. Nicht jede Angabe in einer solchen Urkunde kann aber Gegenstand einer Straftat nach § 348 StGB sein. Falsch beurkundet im Sinne dieser Vorschrift sind nur diejenigen rechtlich erheblichen Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen, auf die sich der öffentliche Glaube der Urkunde, dass heißt die "volle Beweiswirkung für und gegen jedermann", erstreckt (BGHSt 44, 186, 187). Welche Angaben im Einzelnen diese Voraussetzung erfüllen, ergibt sich in erster Linie aus den gesetzlichen Bestimmungen, die für die Errichtung und den Zweck der öffentlichen Urkunde maßgeblich sind. Ergänzend sind die Anschauungen des Rechtsverkehrs zu beachten. Grundsätzlich gilt jedoch, dass die Beurkundung einer Tatsache, die weder nach dem Gesetz noch nach einer anderen Vorschrift zwingend angegeben zu werden braucht und deren unwahre Angabe die Wirksamkeit der Beurkundung nicht berührt, nicht als die Beurkundung einer rechtlich erheblichen Tatsache angesehen werden kann (BGH a.a.O.). Aus diesen Gründen hat der Bundesgerichtshof bei der notariellen Beurkundung eines Grundstückskaufvertrages die falsche Angabe von Ort und Tag der Verhandlung nicht als mittelbare Falschbeurkundung angesehen, weil § 9 Abs. 2 Beurkundungsgesetz lediglich eine Sollvorschrift ist (BGHSt 44 186, 187).

Für den vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass es keine Vorschrift gibt, die die Angabe des Tags der Errichtung des Hauptversammlungsprotokolls in diesem Sinne zwingend vorschreibt. Nach § 130 Abs. 2 AktG ist zwingend lediglich das Datum der Hauptversammlung anzugeben. Zu der Frage, ob auch das Datum der Errichtung der Urkunde anzugeben ist, verhält sich das AktG nicht. Allerdings enthält das Beurkundungsgesetz eine Regelung: Nach § 37 Abs. 2 Beurkundungsgesetz sollen bei der Beurkundung von Tatsachen Ort und Tag der Wahrnehmungen des Notars sowie Ort und Tag der Errichtung der Urkunde angegeben werden. In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob § 37 Abs. 2 Beurkundungsgesetz überhaupt anwendbar ist, oder ob § 130 AktG wegen § 59 BeurkG eine abschließende Sonderregelung darstellt. In jedem Fall handelt es sich bei § 37 Abs. 2 Beurkundungsgesetz € wie bei § 9 Abs. 2 BeurkG € lediglich um eine Sollvorschrift, deren Verletzung nicht zur Unwirksamkeit der Urkunde führt € so dass sich der öffentliche Glaube eines notariellen Tatsachenprotokolls nicht auf das fehlerhaft angegebene Datum der Errichtung der Urkunde bezieht.

Auch die Berücksichtigung der Verkehrsanschauung führt zu keiner anderen Beurteilung. Bei der Prüfung, ob es gerechtfertigt ist, die erhöhte Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde auf eine darin aufgeführte Tatsache zu beziehen, muss ein strenger Maßstab angelegt werden. Eine Beweiswirkung für und gegen jedermann kann nur dann angenommen werden, wenn kein Zweifel besteht, dass dies unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung dem Sinn und Zweck des Gesetzes entspricht (BGH a. a. O.). Die Kammer sieht keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass die beteiligten Verkehrskreise dem Errichtungsdatum bei einem Hauptversammlungsprotokoll eine erhebliche Bedeutung beimessen. Die Überlegung des Oberlandesgerichts, mit der Angabe des unzutreffenden Zeitpunkts der Errichtung des neu gefassten Protokolls werde vorgetäuscht, dass das Protokoll aufgrund frischer Erinnerung niedergeschrieben worden sei, reicht nach Auffassung der Kammer nicht aus, um die öffentliche Beweiskraft auf das Errichtungsdatum zu erstrecken. Nach § 130 Abs. 5 AktG hat der Vorstand einer Aktiengesellschaft unverzüglich, dass heißt ohne schuldhaftes Zögern, nach der Versammlung eine öffentlich beglaubigte Abschrift der Niederschrift und ihre Anlagen zum Handelsregister einzureichen. Bei verzögerter Einreichung kann das Handelsregistergericht Zwangsgelder verhängen. Der protokollierende Notar hat wiederum die Amtspflicht, dem Vorstand unverzüglich so viele beglaubigte Abschriften zur Verfügung zu stellen, wie benötigt werden (Huhn/von Schuckmann, Beurkundungsgesetz, 4. Aufl., § 37 Rn. 25). Darauf, dass der Notar die Fertiggestellung des Protokolls nicht verzögert, wird bereits die Aktiengesellschaft im eigenen Interesse achten. Überdies könnte eine zögerliche Bearbeitung durch den Notar dienstaufsichtsrechtlich geahndet werden. Ist demnach € jedenfalls für den Regelfall € nicht damit zu rechnen, dass zwischen der Hauptversammlung und der Einreichung des Hauptversammlungsprotokolls beim Amtsgericht längere Zeit verstreicht, so dürften bei den beteiligten Rechtskreisen Zweifel an der Richtigkeit der Protokollierung nicht aufkommen. Dementsprechend ist nicht zu erkennen, dass die Verkehrsanschauung Wert darauf legt, dass auch das Datum der Errichtung der Urkunde im Hauptversammlungsprotokoll angegeben wird.

Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 473 Abs. 1 S. 1 StPO und § 473 Abs. 2 S. 1 StPO.






LG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 29.11.2007
Az: 5/31 Qs 27/07, 5/31 Qs 27/07


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/d4f17045ac62/LG-Frankfurt-am-Main_Beschluss_vom_29-November-2007_Az_5-31-Qs-27-07-5-31-Qs-27-07




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share