Oberlandesgericht Karlsruhe:
Urteil vom 22. Dezember 2009
Aktenzeichen: 13 U 102/09

(OLG Karlsruhe: Urteil v. 22.12.2009, Az.: 13 U 102/09)

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Zwischen-Urteil des Landgerichts Freiburg vom 24.04.2009 - 6 O 431/08 - wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 52.953,39 EUR festgesetzt.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Es geht vorliegend um die Frage der internationalen und örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Freiburg für eine Klage des Insolvenzverwalters aus Geschäftsführerhaftung gem. § 64 Abs. 2 GmbH a.F. (= § 64 S. 1 und 2 GmbHG n.F.) gegen den bei Klageerhebung bereits in Frankreich wohnhaften ehemaligen Geschäftsführer der & GmbH, über deren Vermögen das Amtsgericht Freiburg das Insolvenzverfahren eröffnet hat.

Mit dem angefochtenen Zwischenurteil hat das Landgericht Freiburg seine Zuständigkeit bejaht.

Im Übrigen wird hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.

Der Beklagte verfolgt mit seiner Berufung weiterhin die Abweisung der Klage als unzulässig wegen fehlender internationaler Zuständigkeit des Landgerichts Freiburg.

Der Kläger beantragt

Zurückweisung der Berufung.

II.

Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Dem steht nicht die Vorschrift des § 513 Abs. 2 ZPO entgegen, wonach die Berufung nicht darauf gestützt werden kann, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen habe.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt § 513 Abs. 2 ZPO jedoch nicht, wenn die internationale Zuständigkeit im Streit ist. Außerdem ist Art. 25 EuGVVO zu beachten, der eine Pflicht zur Amtsprüfung der Zuständigkeit in allen Instanzen begründet, so dass auch danach die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts gegeben ist (Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl. 2010 § 513 RndNr. 8 m.w.N.).

In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Das Landgericht Freiburg hat zu Recht seine internationale und örtliche Zuständigkeit angenommen.

1. Wenn die Ansicht des Beklagten zuträfe, dass der vorliegende Rechtsstreit unter den Tatbestand des Art. 1 Abs. 2 b) EuGVVO fiele und damit vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgenommen wäre, würde sich die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Freiburg aus Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) ergeben, die seit dem 31.05.2002 in Kraft ist.

Es geht im vorliegenden Verfahren um Handlungen des Beklagten, die nach diesem Zeitpunkt stattgefunden haben.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) hat in seinem auf den Vorlagebeschluss des Bundesgerichtshofs hin ergangenen Urteil vom 12. Februar 2009 (ZIP 2009, 427) für Recht erkannt: Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren ist dahin auszulegen, dass die Gerichte des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner, der seinen satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedsstaat hat, zuständig sind.

Der Bundesgerichtshof hat daraufhin in seinem Urteil vom 19.05. 2009 (ZIP 2009, 1287) ebenfalls in diesem Sinne entschieden und darüber hinaus festgelegt, dass dann, wenn die deutschen Gerichte für eine Insolvenzanfechtungsklage europarechtlich international zuständig sind, ohne dass nach den allgemeinen deutschen Gerichtsstandsbestimmungen eine örtliche Zuständigkeit begründet wäre, das sachlich zuständige Streitgericht für den Sitz des eröffnenden Insolvenzgerichts ausschließlich örtlich zuständig ist.

Wenn also, wie der Beklagte meint, Haftungsklagen gegen den GmbH-Geschäftsführer gem. § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. bzw. § 64 GmbHG n. F. wegen bestehender Parallelen zu Konkurs-Anfechtungsklagen unter Art. 1 Abs. 2 b EuGVVO fielen, müsste man konsequenterweise davon ausgehen, dass sie gem. der genannten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs und der darauf basierenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19.05.2009 - ebenso wie die Konkurs- bzw. jetzt Insolvenzanfechtungsklagen - in den Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO fielen, was im vorliegenden Fall dann nach dieser Vorschrift zu einer internationalen und auch örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Freiburg führen würde, da das Insolvenzverfahren am 01.07.2006 vom Amtsgericht Freiburg eröffnet wurde.

Der Senat hat jedoch Zweifel daran, dass eine Haftungsklage gem. § 64 GmbHG in dem hier relevanten Zusammenhang mit einer Insolvenzanfechtungsklage gleichzusetzen ist. Denn die Haftung des Geschäftsführers nach § 64 GmbHG setzt - anders als die Insolvenzanfechtung - nicht unbedingt die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens voraus. Vielmehr greift sie auch bei Ablehnung der Insolvenzeröffnung mangels Masse ein, weil kein vernünftiger Grund besteht, den Geschäftsführer gerade in diesem besonders krassen Fall einer Vermögensverschlechterung der GmbH von der Haftung freizustellen. Ist die Eröffnung des Konkurs- bzw. Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden, spielt der insolvenzrechtliche Gesichtspunkt der verhältnismäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger keine ausschlaggebende Rolle mehr und ist daher dem einzelnen Gläubiger der Zugriff auf den gem. § 64 Abs. 2 GmbHG der Gesellschaft zugeordneten Anspruch im Wege der Einzelzwangsvollstreckung eröffnet (Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, GmbHG, 18. Aufl. 2006 § 64 RndNr. 82; BGH NJW 2001, 304).

Der Senat kann diese Frage jedoch letztlich offenlassen.

2. Denn soweit davon ausgegangen wird, dass der streitgegenständliche Anspruch nicht unter Art. 1 Abs. 2 b EuGVVO fällt, diese Verordnung damit also grundsätzlich Anwendung findet, ist der Senat in Übereinstimmung mit dem Landgericht der Auffassung, dass sich die internationale und örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Freiburg aus Art. 5 Abs. 3 EuGVVO ergibt.

Wie bereits das Landgericht ausführt, hat der Europäische Gerichtshof wiederholt festgestellt, dass die Begriffe Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag und eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, i. S. v. Art. 5 Nr. 1 und 3 EuGVÜ autonom auszulegen seien, um die volle Wirksamkeit und die einheitliche Anwendung des EuGVÜ in allen Vertragsstaaten zu gewährleisten, wobei in erster Linie die Systematik und die Zielsetzungen des EuGVÜ berücksichtigt werden müssten (EuGH, Urteil vom 01.10.2002, NJW 2002, 3617). Die am 01.03.2002 in den Mitgliedsstaaten in Kraft getretene EuGVVO ersetzt in ihrem Anwendungsbereich das EuGVÜ, so dass für die gleichlautenden Begriffe in deren Artikel 5 Abs. 1 und 3 nichts anderes gilt.

Dabei wird die Abgrenzung danach vorgenommen, dass sich der Begriff der unerlaubten Handlung oder einer Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, auf Klagen bezieht, mit denen eine Schadenshaftung des Beklagten geltend gemacht wird und die nicht an einen Vertrag i. S. v. Art. 5 Nr. 1 der zitierten Verordnungen anknüpfen (EuGH a.a.O.). Die ratio legis besteht in dem Grundsatz wo Unrecht getan wurde, darf Abhilfe begehrt werden. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO will - als Pendant zu Art. 5 Nr. 1 - den Gerichtsstand insgesamt für außervertragliche Rechtsverletzungen schaffen, und sein Anwendungsbereich ist nicht auf schuldhafte Verstöße beschränkt. Hierunter fallen auch sog. Quasidelikte unter Einschluss der Gefährdungshaftung und des unlauteren Wettbewerbs, nicht allerdings Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung (Zöller/Geimer a.a.O. Anh. I Art. 5 EuGVVO RndNr. 21 und 22 m.w.N.).

Allerdings wird der Anspruch gegen den Geschäftsführer nach § 64 Abs. 2 GmbHG a. F. bzw. nach § 64 Satz 1 und 2 GmbHG n. F., der mit dem Gesetz zur Modernisierung des GmbH - Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008 an die Stelle der alten Regelung getreten ist, nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht als Schadensersatzanspruch sondern als Ersatzanspruch eigener Art angesehen (BGH ZIP 2001, 325; GmbHR 2008, 702).

Dies folgt offensichtlich daraus, dass im Hinblick auf den auf der Differenzhypothese aufbauenden innerstaatlichen deutschen Schadensbegriff die systematische Einordnung der Erstattungspflicht nach § 64 GmbHG nicht eindeutig ist. So spricht das Gesetz von Ersatz der Zahlungen in § 64 GmbHG, jedoch vom Ersatz des daraus entstehenden Schadens in § 130 a Abs. 2 HGB (der die dem § 64 GmbHG entsprechende Haftung der Geschäftsführer der OHG regelt). In der Gesetzesbegründung zu dieser Vorschrift heißt es: Die in Abs. 1 und 2 vorgesehene Schadensersatzpflicht entspricht §§ 93 Abs. 2, 3 Nr. 6 AktG, 64 Abs. 2 GmbHG.

Soweit in § 130 a Abs. 3 Satz 1 HGB sowie in § 93 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Nr. 6 AktG (anders als in § 64 Abs. 2 GmbHG) von einem durch die Zahlungen entstehenden Schaden die Rede ist, handelt es sich - wenn überhaupt - um einen speziellen und nicht um den üblichen Schadensbegriff i. S. d. Differenzhypothese, bei dessen Anwendung die genannten Vorschriften leerliefen, weil den geleisteten Zahlungen regelmäßig das Erlöschen einer dadurch getilgten Gesellschaftsverbindlichkeit gegenübersteht. Vielmehr liegt der Schaden hier schon in dem Abfluss von Mitteln aus der - im Stadium der Insolvenzreife der Gesellschaft zugunsten der Gesamtheit ihrer Gläubiger zu erhaltenden - Vermögensmasse (siehe zu Vorstehendem: Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 17. Aufl. § 64 RndNrn. 2 bis 4; BGH, Urteil vom 26.03.2007, ZIP 2007, 1006 = NJW-RR 2007, 984).

Aus diesen Darlegungen ergibt sich, dass es bei der hier in Frage stehenden Norm jedenfalls um eine Haftung des - rechtlichen oder auch nur faktischen - Geschäftsführers (BGH, Urteil vom 11.02.2008 GmbHR 2008, 702) aus verbotswidrigen Handlungen geht, hinsichtlich derer der Bundesgerichtshof in einer früheren Entscheidung vom 18.12.1995 (BGHZ 131, 325, 326) auch - wohl untechnisch gemeint - formuliert hat: Der auf Schadensersatz nach § 64 Abs. 2 GmbHG in Anspruch genommene Geschäftsführer&.

Es handelt sich hier jedenfalls um keine Vertragshaftung i.S.d. Art. 5 Nr.1 EuGVVO, sondern angeknüpft wird an eine von der Rechtsordnung missbilligte Handlung, die zu einem Nachteil für die Gläubigergesamtheit und damit jedenfalls zu einem Schaden im (nach der nicht maßgeblichen innerdeutschen Definition) untechnischen Sinne führt. Deshalb fällt er nach Ansicht des Senats nach der oben dargestellten ratio legis unter die Vorschrift des Art. 5 Nr.3 EuGVVO, so dass hiernach die internationale und die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Freiburg begründet ist.

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Senat sieht keinen Grund, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO), da die wesentlichen Argumente für die Entscheidung grundsätzlich aus der zitierten Rechtsprechung abzuleiten sind.






OLG Karlsruhe:
Urteil v. 22.12.2009
Az: 13 U 102/09


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