Landesarbeitsgericht Niedersachsen:
Beschluss vom 18. April 2012
Aktenzeichen: 16 TaBV 39/11

(LAG Niedersachsen: Beschluss v. 18.04.2012, Az.: 16 TaBV 39/11)

Das Einblicksrecht des Betriebsrats in die Bruttolohn- und -gehaltslisten verstößt weder gegen deutsches noch gegen Unionsdatenschutzrecht, auch wenn ein Teil der Arbeitnehmer der Einsicht in ihre Unterlagen widersprochen hat.

Tenor

Die Beschwerde des Arbeitgebers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hannover vom 08.02.2011 - 13 BV 6/10 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass dem Arbeitgeber aufgegeben wird, einem vom Betriebsrat benannten Mitglied die Einsichtnahme in die Bruttolohn- und -gehaltslisten der Arbeitnehmer, mit Ausnahme der leitenden Angestellten, inklusive sämtlicher Lohnbestandteile des Monats April 2010 zu gewähren.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über das Recht des Betriebsrats, in die Lohn- und Gehaltslisten Einblick zu nehmen, im vorliegenden Verfahren hinsichtlich des Monats April 2010, in einem weiteren, noch in erster Instanz anhängigen Verfahren hinsichtlich weiterer Entgeltzahlungszeiträume.

Der Arbeitgeber betreibt eine Neurochirurgische Klinik. Er hat Haustarifverträge mit der Gewerkschaft DHV, neuerdings mit der Gewerkschaft medsonet abgeschlossen. Er beschäftigt ca. 120 Arbeitnehmer, von denen ein Teil außertariflich vergütet wird, teilweise unter Beteiligung am ärztlichen Liquidationserlös.

Der Betriebsrat hat nach seiner Neuwahl vom 04.05.2010 in seiner Sitzung am 02.08.2010 einstimmig erneut beschlossen, seine Verfahrensbevollmächtigten mit der Einleitung eines Beschlussverfahrens zu beauftragen mit dem Ziel, den Arbeitgeber zu verpflichten, ihm Einblick in die Lohn- und Gehaltslisten zu gewähren (Ladung vom 30.07.2010, Bl. 62 d. A., Protokoll der Betriebsratssitzung vom 02.08.2010, Bl. 64 d. A., Anwesenheitsliste, Bl. 65 d. A.).

Im vorliegenden Verfahren hat der Betriebsrat bezogen auf die nicht leitenden Arbeitnehmer beantragt,

dem Arbeitgeber aufzugeben, einem vom Betriebsrat benannten Mitglied Einsichtnahme in die Bruttolohn- und -gehaltslisten der Arbeitnehmer inklusive sämtlicher Lohnbestandteile des Monats April 2010 zu gewähren.

Der Arbeitgeber hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Der Arbeitgeber hat darauf verwiesen, dass - unstreitig - fast die Hälfte der Arbeitnehmer der Einsichtnahme in ihre Lohnunterlagen widersprochen habe. Gerade bei hoch- und höchstqualifizierten Mitarbeitern komme es zu freien Gehaltsfindungen, sodass für das Einsichtsrecht des Betriebsrats keine Veranlassung bestehe. Im Übrigen verstoße das Einblicksrecht gegen deutsches- und Unionsdatenschutzrecht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf

die Gründe I. des Beschlusses vom 08.02.2011 Bezug genommen, mit dem das Arbeitsgericht dem Antrag des Betriebsrats stattgegeben hat. Wegen der Begründung seiner Entscheidung wird auf die Gründe II. des Beschlusses Bezug genommen, der dem Arbeitgeber am 07.03.2011 zugestellt worden ist und gegen den er am 06.04.2011 Beschwerde eingelegt hat, die er am 07.06.2011 begründet hat, nachdem auf seinen Antrag mit Beschluss vom 06.05.2011 die Beschwerdebegründungsfrist bis zu diesem Tag verlängert worden war.

Der Arbeitgeber greift den Beschluss aus den in seiner Beschwerdebegründung vom 07.06.2011 wiedergegebenen Gründen an. Auf die Beschwerdebegründungsschrift wird Bezug genommen.

Der Arbeitgeber beantragt,

in Abänderung des angefochtenen Beschlusses den Antrag zurückzuweisen.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde dahingehend zurückzuweisen, dass dem Arbeitgeber aufgegeben wird, einem vom Betriebsrat benannten Mitglied Einsicht in die Bruttolohn- und -gehaltslisten der Arbeitnehmer mit Ausnahme der leitenden Angestellten hinsichtlich sämtlicher Lohnbestandteile des Monats April 2010 zu gewähren.

Der Betriebsrat verteidigt den angegriffenen Beschluss nach Maßgabe seiner Beschwerdeerwiderung vom 30.06.2011, auf die gleichfalls Bezug genommen wird.

II.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 87 Abs. 1 und 2, 89 Abs. 1 und 2 ArbGG, §§ 64 Abs. 6 Satz 1, 66 Abs. 1 Satz 1, 2 und 5 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO) ist zulässig aber unbegründet.

A.

Der Antrag ist zulässig.

1. Der Betriebsrat hat die Einleitung des Verfahrens und die Bevollmächtigung seiner Verfahrensbevollmächtigten zumindest am 02.08.2010 wirksam beschlossen.

Nachdem der Arbeitgeber erstinstanzlich zunächst die ordnungsgemäße Beschlussfassung über die Einleitung des Verfahrens und die Bevollmächtigung der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrates mit Nichtwissen bestritten hatte, hat der Betriebsrat zur Ladung und zur Beschlussfassung im Einzelnen vorgetragen. Dem ist der Arbeitgeber nicht mehr entgegengetreten, so dass sein Bestreiten unerheblich ist. Das Arbeitsgericht hat zudem mit zutreffender Begründung die Wirksamkeit des Beschlusses vom 02.08.2010 angenommen (Gründe II. 1.). Auf diese wird Bezug genommen, zumal sie vom Arbeitgeber in der Beschwerde auch nicht angegriffen wird.

2. Der Antrag ist ausschließlich auf das Einsichtsrecht in die vorhandenen Lohn- und Gehaltsunterlagen gerichtet, wie der Betriebsrat in der Beschwerdeanhörung ausdrücklich klargestellt hat. Der Antrag war zudem von Anfang an nur für die nicht leitenden Arbeitnehmer gestellt, wie der Betriebsrat bereits vor dem Arbeitsgericht zu dem Protokoll vom 05.11.2010 erklärt hatte, ohne dass das zunächst in der Antragsfassung klarstellend seinen Niederschlag gefunden hätte, was jedoch in der mündlichen Anhörung vor dem Beschwerdegericht nachgeholt worden ist.

3. Der Antrag ist hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

4. Auch besitzt der Betriebsrat die gemäß § 81 Abs. 1 ArbGG erforderliche Antragsbefugnis, da er für sich das Einblicksrecht reklamiert, auch wenn er es nur für ein von ihm beauftragtes Mitglied begehrt (BAG, Beschluss vom 30.09.2008 - 1 ABR 54/07 - Rn. 19 - 22, AP Nr. 71 zu § 80 BetrVG 1972 = EzA § 80 BetrVG 2001 Nr. 10).

B.

Der Antrag ist gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz. 2 BetrVG begründet.

1. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BetrVG sind dem Betriebsrat auf Verlangen jederzeit die zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Unter den gleichen Voraussetzungen ist gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BetrVG der Betriebsausschuss oder ein nach § 28 BetrVG gebildeter Ausschuss berechtigt, in die Listen über die Bruttolöhne und -gehälter Einblick zu nehmen. In den Betrieben, in denen kein Betriebssausschuss zu bilden ist, steht dieses Recht dem Betriebsratsvorsitzenden oder einem anderen vom Betriebsrat zu benennenden Mitglied des Betriebsrats zu (BAG, Beschluss vom 10.02.1987 - 1 ABR 43/84 - Rn. 14, AP Nr. 27 zu § 80 BetrVG 1972 = EzA § 80 BetrVG 1972, Nr. 28).

2. Das Einblicksrecht wird allerdings nur insoweit gewährt, wie es zur Durchführung der Aufgaben des Betriebsrates erforderlich ist. Diese Erfordernis ist vorliegend gegeben.

a) Das Erfordernis ergibt sich zum einen daraus, dass der Betriebsrat gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG darüber zu wachen hat, dass die Tarifverträge und der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz eingehalten werden.

b) Das Erfordernis ergibt sich zudem aus dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats hinsichtlich der betrieblichen Lohngestaltung (§ 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 BetrVG).

aa) Das gilt auch hinsichtlich der über- und außertariflichen Lohnbestandteile, auch wenn diese individuell ausgehandelt sind. Nur wenn der Betriebsrat diese kennt, kann er einschätzen, ob er im Rahmen des § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 BetrVG initiativ werden soll.

bb) Das gilt auch hinsichtlich einer Beteiligung an den Liquidationserlösen. Auch insoweit können sich Fragen der Verteilungsgerechtigkeit stellen.

cc) Dem steht der vom Arbeitgeber angezogene Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 25.11.2008 - PL 15 S 2634/07 nicht entgegen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in jener Entscheidung ein Einblicksrecht des Personalrats in die individuell ausgehandelten Gagen der Solisten und Bühnentechniker wegen des Schutzes der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) abgelehnt. Die Beteiligung der Ärzte an den Liquidationserlösen genießt diesen Schutz jedoch nicht.

dd) Soweit der Arbeitgeber rügt, bei einem Einblicksrecht in die Beteiligung an den Liquidationserlösen käme es zu einer Ungleichbehandlung der Ärzte, weil die Anteile an den Liquidationserlösen der Ärzte, die leitende Angestellte seien, nicht zu offenbaren seien, während die Beteiligung der anderen Ärzte an den Liquidationserlösen offenbart werden müssten, ist diese Ungleichbehandlung durch § 5 Abs.3 BetrVG gerechtfertigt. Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der leitenden ärztlichen Angestellten zu den nicht leitenden ärztlichen Angestellten ändert daran nichts.

3. Dem geltend gemachten Einblicksrecht steht weiter nicht entgegen, dass ihm fast die Hälfte der Arbeitnehmer widersprochen hat. Das Einblicksrecht besteht unabhängig vom Einverständnis der Arbeitnehmer, andernfalls der Betriebsrat seine Aufgaben nicht wahrnehmen kann.

a) Dem Einblicksrecht des Betriebsrats stehen die Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) nicht entgegen.

Das ergibt sich bereits aus seiner Subsidiarität (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BDSG) gegenüber § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BetrVG (vgl. Subsidiarität des BDSG gegenüber dem BetrVG: BAG, Beschluss vom 12.08.2009 - 7 ABR 15/ 08 - Rn. 26, AP Nr. 2 zu § 34 BetrVG 1972 = EzA § 34 BetrVG 2001 Nr. 1).

Aber auch datenschutzrechtlich stellt die Einblicksgewährung kein Geheimnisverrat im Sinne des § 5 BDSG dar, denn im Rahmen seiner Befugnisse gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BetrVG ist der Betriebsrat kein Dritter im Sinne des § 3 Abs. 8 Satz 2 BDSG sondern Teil der verarbeitenden Stelle im Sinne des § 3 Abs. 7 BDSG, also des Arbeitgebers, der zu der Verarbeitung der Daten gemäß § 28 Abs. 1 BDSG befugt ist, wobei der Betriebsrat seinerseits als Teil der verarbeitenden Stelle an die Geheimhaltungsvorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes gebunden ist (BAG, Beschluss vom 12.08.2009, a.a.O., Rn. 27; FESTL BetrVG, 26. Aufl., § 80, Rn. 58; Richardi/Thüsing BetrVG, 13. Aufl. § 80, Rn. 57; Kort, Schranken des Anspruchs des Betriebsrats auf Information gemäß § 80 BetrVG über Personaldaten der Arbeitnehmer, NZA 2010, 1267 ff.).

b) Aus den gleichen Erwägungen verstößt das Einblicksrecht des Betriebsrats nicht gegen die Richtlinie 95/46/EG (RL).

Der Betriebsrat ist im Rahmen seiner gesetzlichen Befugnisse nicht Dritter im Sinne des Art. 2 f RL, sondern Teil des für die Verarbeitung Verantwortlichen im Sinne des Art. 2 d RL, nämlich des Arbeitgebers, der zur Verarbeitung der personenbezogenen Daten im Sinne des Art. 2 b RL gemäß Art. 7 b RL befugt ist. Ihm gegenüber haben die Arbeitnehmer gegebenenfalls auch im Hinblick auf die Differenzierungsklausel in § 11 Abs. 2 des Haustarifvertrages (Bl. 125 d. A.) ihre Gewerkschaftszugehörigkeit zur Lohndatenverarbeitung offenbart (§ 8 Abs. 2 a RL), so dass im Rahmen der Überprüfungspflicht des Betriebsrats (§ 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 BetrVG) auch kein Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 RL gegeben ist.

C.

Wegen der Rüge des Verstoßes gegen Unionsrecht ist die Rechtsbeschwerde gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen worden.






LAG Niedersachsen:
Beschluss v. 18.04.2012
Az: 16 TaBV 39/11


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