Landgericht Braunschweig:
Urteil vom 5. August 2016
Aktenzeichen: 9 O 2539/15, 9 OH 109/15

(LG Braunschweig: Urteil v. 05.08.2016, Az.: 9 O 2539/15, 9 OH 109/15)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten beider Verfahren trägt die Klägerin.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

5. Der Streitwert wird wie folgt festgesetzt:

für das selbständige Beweisverfahren: 1.000.000,00 €

für den Antrag auf Duldung der Besichtigung: 100.000,00 €.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen einer angeblichen Patentverletzung auf Besichtigung im Wege der Duldung gemäß § 140c PatG in Anspruch und beantragt die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gemäß der §§ 485 ff. ZPO.

Die Klägerin vermarktet unter anderem Zusatzstoffe für die Verwendung in der Tierernährung. Dazu gehört auch das Produkt €#€, welches als Wirkbestandteil Phytase enthält. Das sind Enzyme, die in den Pflanzen vorkommende Phytinsäure spalten. Dadurch soll es nicht wiederkäuenden Nutztieren wie Schweinen oder Geflügel ermöglicht werden, das in der pflanzlichen Nahrung enthaltene Phosphat aufzunehmen. Es soll so die kostspielige und umweltschädliche Zugabe von anorganischen Phosphaten zur Tiernahrung entbehrlich gemacht werden.

Die Klägerin ist ausweislich der Registereintragung (Anlage K28) ausschließliche Lizenznehmerin des Europäischen Patents# (Anlage K 4), deren Inhaberin die #, Inc.,#, ist. Das Patent wurde am 23.06.1999 angemeldet. Die Erteilung des ursprünglichen Patents wurde am 15.02.2006 veröffentlicht. Das im Einspruchsverfahren geänderte Patent wurde am 01.05.2013 veröffentlicht. Der deutsche Teil des Patents trägt das Aktenzeichen: #.

Das Europäische Patent#, aus welchem die Klägerin als ausschließliche Lizenznehmerin vorgeht, bezieht sich auf ein Verfahren, um Phytase in Hefe zu erzeugen, umfassend ein von bakteriellen Zellen isoliertes appA-Gen, wobei das appA-Gen ein Protein mit Phytaseaktivität kodiert, die Expression dieses appA-Gens in einem Hefestamm und die Isolierung des expremierten Proteins oder Polypeptids (Abs. 9 des Patents). Wegen der Einzelheiten wird auf die Europäische Patentschrift (Anlage K5) Bezug genommen.

Die Ansprüche 1 sowie 10 bis 12 lauten wie folgt:

[1] Ein Verfahren zur Erzeugung einer Phytase in Hefen, umfassend:

Hervorbringen eines von bakteriellen Zellen isolierten appA Genes, ein appA Gen, das ein Protein oder Polypeptid mit Phytase-Aktivität kodiert

Expression dieses appA Gens in einem Hefestamm und

Isolierung des exprimierten Proteins oder Polypeptids.

[10] Das Verfahren nach einem der vorhergehenden Ansprüche, bei dem das appA Gen von Escherichia coli aus isoliert wird,

[11] Das Verfahren nach Anspruch 1, wobei der Hefestamm ein Stamm der methylotrophen Hefe ist.

[12] Das Verfahren nach Anspruch 11, wobei der Stamm der methylotrophen Hefe Pichia pastoris ist.

Die Beklagte stellt ebenfalls Tiernahrung her. Sie wurde im Jahr 2014 gegründet (Anlage K 14). Laut Handelsregisterauszug ist der Unternehmensgegenstand die Entwicklung, die Herstellung und der Vertrieb von Produkten und Erzeugnissen im Bereich der Tierernährung und Tiergesundheit, insbesondere von Futterzusatzstoffen, Einzelfuttermitteln und Mischfuttermitteln sowie alle damit im Zusammenhang stehenden Tätigkeiten. Die Beklagte ist hervorgegangen aus einem Management-Buy-Out, bei dem das erwerbende Unternehmen Eigentumsanteile erwirbt.

Im Jahr 2012 wurde zunächst durch die # ein Zulassungsverfahren für die Produkte €#€ und €#€. betrieben. Im Rahmen des Zulassungsverfahrens hat die EFSA (European Food Safety Authority) ein Gutachten erstellt (Anlage K 15 a). Nunmehr ist die Beklagte Inhaberin der am 6. März 2016 von der Europäischen Kommission erteilten Zulassung für €#€ und €#€. €#€ ist ein Präparat aus von einem gentechnisch veränderten Stamm von Komagataella pastoris erzeugter 6-Phytase und wird als zootechnischer Zusatzstoff in Futter für Vogel- und Schweinearten verwendet.

Nachdem die Klägerin von dem Gutachten der EFSA Kenntnis erlangte, richtete sie mit Schreiben vom 23.07.2015 eine Berechtigungsanfrage an die Beklagte.

Die in dem Zusatzstoff enthaltene Phytase wird von einem gentechnisch veränderten Stamm von Komagataella pastoris erzeugt und ist als Probe unter der Eingangsnummer DSM # bei der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ) hinterlegt. Mit Zustimmung der Beklagten ist zwischenzeitlich eine Probe des Klons €DSN#€ an die Klägerin ausgehändigt worden und durch die Klägerin analysiert worden. Die Untersuchungsergebnisse sind als Anlagen K26 und K27 vorgelegt.

Die Klägerin geht aufgrund der Ergebnisse des Gutachtens der EFSA und der Analyse des hinterlegten Klons davon aus, dass eine Patentverletzung wahrscheinlich sei. Anhand der Analysen des Klons sei es auch möglich, die Leader-Sequenz zu untersuchen. Das sei bisher noch nicht erfolgt.

Zum Nachweis der Patentverletzung sei jedoch die begehrte Besichtigung erforderlich. Zum einen ergebe sich aus den im Antrag bezeichneten Unterlagen die genaue Verfahrensweise und zum anderen könnte mittels der Besichtigung ermittelt werden, welche Handlungen von der Beklagten begangen worden seien. Die Klägerin habe bisher keine Kenntnisse von den einzelnen Benutzungshandlungen durch die Beklagte.

Die Klägerin beantragt:

I. Auf Antrag der Klägerin wird die Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens gem. §§ 485 ff. ZPO angeordnet, weil ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist und die Klägerin ein rechtliches Interesse daran hat, dass der Zustand einer Sache (Benutzung von Erzeugnissen eines patentgeschützten Verfahrens) festgestellt wird.

II.1. Durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens soll Beweis darüber erhoben werden, ob in der Betriebsstätte der Beklagten, #, und/oder Nebenräumen befindliche Phytase durch folgendes Verfahren hergestellt wurde:

a) Verfahren zur Erzeugung einer Phytase in Hefen, umfassend:

b) Hervorbringen eines von bakteriellen Zellen isolierten appA Genes, ein appA Gen, das ein Protein oder Polypeptid mit Phytase-Aktivität kodiert,

c) Expression dieses appA Gens in einem Hefestamm und

d) Isolierung des exprimierten Proteins oder Polypeptids

(EP #, Anspruch 1),

wobei das appA Gen von Escherichia coli aus isoliert wird (EP #, Anspruch 10),

wobei der Hefestamm ein Stamm der methylotrophen Hefe ist, nämlich der Hefe Pichia pastoris (EP #, Ansprüche 11, 12).

2. Es soll ferner Beweis darüber erhoben werden, welche Benutzungshandlungen die Beklagte in Deutschland mit durch das Verfahren gemäß II.1. im In- oder Ausland hergestellter Phytase oder einem solche Phytase enthaltenden Erzeugnis vorgenommen hat, insbesondere

€ Benutzen für Untersuchungen im Rahmen der Qualitätskontrolle,

€ Benutzen für Versuche zum Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit eines Erzeugnisses,

€ Anbieten durch Werbeaktivitäten oder durch Kontaktaufnahme aus Deutschland heraus zu möglichen Kunden im In- oder Ausland,

€ Inverkehrbringen durch Übergabe an Behörden, Zwischenhändler, Tierhalter oder Landwirte.

3. Zum Sachverständigen wird bestellt:

Patentanwalt Dr. rer. nat. #

Tel.:#

Fax: #

E-Mail:#.de

Herrn Dr. # wird gestattet, sich vertreten und unterstützen zu lassen durch

Patentanwalt#

Adressdaten im Übrigen wie vorstehend.

4. Im Interesse der Wahrung etwaiger Betriebsgeheimnisse der Beklagten, die bei der Begutachtung zutage treten können, wird den Sachverständigen aufgegeben, jeden unmittelbaren Kontakt mit der Klägerin zu vermeiden und notwendige Korrespondenz entweder über das Gericht oder mit den nachfolgend unter III.1. bezeichneten anwaltlichen Vertretern der Klägerin zu führen. Die Sachverständigen haben darüber hinaus auch gegenüber Dritten Verschwiegenheit zu wahren.

III. Die Beklagte wird verurteilt,

1. neben dem oder den vom Gericht zu benennenden Sachverständigen folgenden anwaltlichen Vertretern der Klägerin die Anwesenheit während aller Schritte der Begutachtung zu gestatten:

€ Rechtsanwalt Dr. #;

€ European Patent Attorney Dr.#;

2. dem oder den Sachverständigen auf deren Verlangen zum Zwecke der Besichtigung mitzuteilen, wo in ihrer Betriebsstätte und/oder Nebenräumen sich die zu begutachtende Phytase und/oder Phytase enthaltenden Erzeugnisse befinden;

3. es zu dulden, dass der oder die Sachverständigen die zu begutachtende Phytase und/oder Phytase enthaltende Erzeugnisse in Augenschein nehmen und, sofern der oder die Sachverständigen dies für geboten halten, Proben für die Erstellung des Gutachtens an sich nehmen und ggf. anschließend durch ein geeignetes, von den Parteien unabhängiges Labor untersuchen lassen; die Beklagte hat es ferner zu dulden, dass der oder die Sachverständigen zu Dokumentationszwecken Foto- und/oder Filmaufnahmen anfertigen und für Notizen Diktiergeräte verwenden;

4. alle folgenden, für die in II.1., II.2. bezeichneten Beweisfragen relevanten Unterlagen an den oder die Sachverständigen herauszugeben:

€ Anträge auf Zulassung eines Zusatzstoffes zur Verwendung in der Tierernährung einschließlich des €Technical dossier€ und im Februar 2014, März 2015 und Juni 2015 nachgereichter Anlagen,

€ Aufzeichnungen aus dem Produktentwicklungsprozess, die die einzelnen Stufen der Entwicklung beschreiben, angefangen von der Produktidentifikation, der Produktauswahl bis zu den letzten Entwicklungsschritten für den Erhalt der Marktzulassung und die spätere Vermarktung,

€ Versuchsanweisungen,

€ Prüf- und Versuchsprotokolle sowie Versuchsergebnisse,

€ Herstellungsanweisungen, auch für die Herstellung und Formulierung eines Phytase gemäß II.1. enthaltenden Erzeugnisses, einschließlich Reinigungsvorgang oder Extrahierung,

€ Produktbeschreibungen,

€ Korrespondenz mit Landwirten und/oder Forschungseinrichtungen wie Universitäten zwecks Erprobung eines Zusatzstoffes zur Verwendung in der Tierernährung;

die Beklagte hat zu dulden, dass der oder die Sachverständigen in der Betriebsstätte der Beklagten Kopien dieser Unterlagen fertigen und die Kopien für die Erstellung des Gutachtens an sich nehmen; soweit die vorgenannten Unterlagen nur in elektronischer Form vorliegen, hat die Beklagte den Sachverständigen eine Inaugenscheinnahme zu ermöglichen und Ausdrucke sowie Kopien auf elektronische Medien zu gestatten;

5. der Klägerin Kopien der folgenden Handelsunterlagen bzw. Urkunden zur Verfügung zu stellen, die sich auf durch das Verfahren gemäß II.1. II.1. hergestellte Phytase oder ein solche Phytase enthaltendes Erzeugnis beziehen:

€ jeglicher Schriftverkehr € insbesondere mit Zwischenhändlern oder Tierhaltern € zur Übersendung von Angeboten oder Werbematerial,

€ jegliche Rechnungen oder Lieferscheine,

€ jegliche Einfuhr- und/oder Ausfuhrgenehmigungen und entsprechende Anträge der Beklagten oder Dritter.

IV. Dr. # und Dr.# werden verpflichtet, Informationen, die im Zuge der Besichtigung zu ihrer Kenntnis gelangen und den Geschäftsbetrieb der Beklagten betreffen, geheim zu halten, und zwar auch gegenüber der Klägerin und deren Mitarbeitern, bis die Kammer die Erlaubnis für die Weitergabe der Informationen erteilt hat.

V. Nach Vorlage des schriftlichen Gutachtens des oder der Sachverständigen wird die Beklagte Gelegenheit erhalten, zu etwaigen Geheimhaltungsinteressen Stellung zu nehmen, die auf ihrer Seite bestehen. Die Kammer wird erst danach darüber entscheiden, ob der Klägerin das Gutachten zur Kenntnis gebracht wird.

Hilfsweise zu III. 5. die Beklagte zu verurteilen, die genannten Unterlagen bzw. Urkunden an den oder die Sachverständigen herauszugeben.

Hilfsweise zu II. 3., III. 1., IV. ein Besichtigungsverfahren ohne Beteiligung von Herrn Dr. # bzw. Herrn Dr.# anzuordnen.

Die Beklagte beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Hilfsweise beantragt die Beklagte,

die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung über die Nichtigkeitsklage.

Sie ist der Auffassung, dass keine Patentverletzung vorliege, da im Rahmen des Zulassungsverfahrens keine appA-Gene verwendet worden seien, sondern appA-m-Gene. Das in der Patentschrift beschriebene appA-Gen sei ein Genkonstrukt, identisch oder sehr ähnlich mit den in Abs. 21 genannten E. coli periplasmic phosphoanhydride phosphohydrolase Gene mit 1298 Nukleotiden und der GeneBank Nr. M58708.

Das angegriffene appA-m-Gen sei hingegen ein synthetisch hergestelltes Gen. Der Begriff isoliertes appA-Gen impliziere, dass das Gen aus einer natürlichen bakteriellen Zelle gewonnen werde und nicht synthetisch sei. Die Struktur der Gene ergebe sich aus den Ausführungen in den EFSA-Gutachten.

Eine äquivalente Patentverletzung läge nicht vor, da es an der Auffindbarkeit fehle, denn ein synthetisch artifizielles Gen sei vom Lösungsweg so weit weg, dass der Fachmann es nicht in Betracht ziehen würde. Zum Prioritätszeitpunkt (1999) sei ein synthetisch artifizielles Gen keine Routine gewesen.

Zwischen dem im Zulassungsverfahren verwendeten Gen und dem klagepatentgemäßen Gen gebe es nur eine Übereinstimmung von 51 %.

Eine Besichtigung sei nicht erforderlich, da die Phytase in dem EFSA-Gutachten genau bezeichnet sei und die Probe des Klons DSM # untersucht worden sei und somit die Zusammensetzung bekannt sei. Die Unterstützung des Sachverständigen durch Herrn Dr.# und Dr. # sei nicht gerechtfertigt. Das Herausgabeverlangen bezüglich der Unterlagen sei viel zu weitgehend. Schließlich betreffe es auch Aufzeichnungen aus dem Produktentwicklungsprozess.

Im Übrigen sei das Klagepatent nicht rechtsbeständig, da mit Schriftsatz vom 03.06.2016 beim Bundespatentgericht Nichtigkeitsklage eingereicht worden sei wegen mangelnder Neuheit.

Weiter seien die im Zuge des Zulassungsverfahrens durchgeführten Versuche gemäß § 11 Zif. 2 PatG privilegiert. Alle Versuche hätten sich auf den Gegenstand der patentierten Erfindung bezogen.

Die Klägerin erwidert dazu, dass ein appA-Gen im Sinne des Klagepatents irgendein bakterielles Gen sein könnte; es käme nur auf die Funktion an, nicht auf die Art und Weise der Herstellung. Jedenfalls läge eine äquivalente Patentverletzung vor.

Eine Privilegierung gem. § 11 Zif.2 PatG scheide aus, da die Versuche nicht auf den patentierten Gegenstand gerichtet waren, sondern auf die besonderen Produkteigenschaften von €#€.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.06.2016 ( Bl.151-156) Bezug genommen.

Gründe

I.

Die Klage auf Besichtigung und Vorlage von Unterlagen ist zulässig aber unbegründet.

1. Das angerufene Gericht ist als die für Niedersachsen zuständige Patentstreitkammer gemäß §§ 5, 7 ZustVO i. V. m. § 143 PatG zuständig, da die Beklagte ihren Sitz in Niedersachsen hat und dort Verletzungshandlungen drohen. Ein Gerichtsstand für den Besichtigungsantrag ist mithin überall dort gegeben, wo eine Patentverletzungsklage erhoben werden könnte (Thomas Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 7.Aufl. Rdnr.431). Aufgrund des Sitzes und der Betriebsstätte der Beklagten, die sich in Niedersachsen befinden, wäre die Kammer für eine Patentverletzungsklage zuständig. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts erstreckt sich auch auf das selbständige Beweisverfahren gemäß § 486 Abs. 1 Satz 2 ZPO.

Es ist anerkannt, dass der Besichtigungs- und Vorlageanspruch im Hauptsacheverfahren durchgesetzt werden kann (Benkard, PatG, 11. Aufl., § 140 c Rdnr. 20; Mes, PatG, 4.Aufl.,§ 140 c, Rdnr.36). Da der Besichtigungs- und Vorlageantrag mit dem Antrag auf Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens verknüpft ist, werden beide Verfahren zusammengeführt.

2. Gemäß § 140c PatG kann der Rechtsinhaber oder ein anderer Berechtigter bei hinreichender Wahrscheinlichkeit einer Patentverletzung derjenige, der die Sache in seiner Verfügungsgewalt hat, in Anspruch genommen werden auf Vorlage von Urkunden oder Besichtigung einer Sache, wenn dies zur Begründung der patentrechtlichen Ansprüche erforderlich ist.

Im vorliegenden Fall ist der Anspruch nicht gegeben, da es jedenfalls an der Erforderlichkeit der Maßnahme fehlt.

Zu den Voraussetzungen im Einzelnen:

a) Die Klägerin ist als ausschließliche Lizenznehmerin des streitbefangenen Patents aktivlegitimiert zur Geltendmachung dieser Ansprüche. Aktivlegitimiert ist der Patentinhaber oder der sonstige Berechtigte, insbesondere der ausschließlich Lizenznehmer, sowie deren Rechtsnachfolger (Benkard, PatG, 11. Aufl., § 140c Rn. 5). Nachdem die Klägerin die Registereintragung (Anlage K28) bezüglich des Antrags der Patentinhaberin auf Eintragung der Klägerin als ausschließliche Lizenznehmerin im Patentregister vorgelegt hat, hat die Beklagte die Aktivlegitimation in der mündlichen Verhandlung vom 22.06.2016 unstreitig gestellt.

b) Die Beklagte ist als Inhaberin der Zulassung des Produktes €#€ (Anlage K24) passivlegitimiert. Die Zulassungsinhaberschaft ergibt sich aus dem Bescheid der Europäischen Kommission (Anlage K24), in dem die Beklagte als Zulassungsinhaberin genannt ist. Das ist von der Beklagten auch nicht in Abrede gestellt worden.

c) Wahrscheinliche Benutzung des Patents

Die Anspruchsvoraussetzungen, die nicht von der Besichtigung abhängen sind von der Klägerin darzulegen und zu beweisen. Im Übrigen verlangt das Gesetz eine €hinreichende Wahrscheinlichkeit€.

Im Hinblick darauf, dass die Gesetzesbegründung auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs €Faxkarte€ (GRUR 2002, 1046) verweist, die das Bestehen eines Besichtigungsanspruchs an das Vorliegen einer gewissen Wahrscheinlichkeit der Verletzung knüpft, ist die Schwelle niedrig anzusetzen; ein erheblicher Grad an Wahrscheinlichkeit kann daher regelmäßig nicht verlangt werden (OLG Düsseldorf, I -2 W 13/15, BeckRS 2016, 01094; BGH GRUR 2002, 1046, 1048-Faxkarte).

Auch wenn die Kammer diese Frage im vorliegenden Fall nicht abschließend zu beantworten hat, wäre von diesem Maßstab ausgehend die gewisse Wahrscheinlichkeit einer Patentverletzung wohl anzunehmen.

Die von Beklagtenseite nunmehr erhobene Nichtigkeitsklage ändert nichts an einer gewissen Wahrscheinlichkeit einer Patentverletzung. Schließlich hat das streitgegenständliche Patent ein Einspruchsverfahren erfolgreich durchlaufen. Aufgrund dessen steht der Rechtsbestand des Schutzrechts für das Verletzungsgericht zur Zeit nicht ernsthaft in Frage.

Es ist unstreitig, dass die Beklagte in# eine Betriebsstätte betreibt und somit Verfügungsgewalt besitzt.

Es ergibt sich auf dem Gutachten der EFSA (Anlage K15a), dass es sich bei dem Produkt der Beklagten €# um ein Präparat handelt aus einem von einem gentechnisch veränderten Stamm von Komagataella pastoris erzeugter 6-Phytase und dies als zootechnischer Zusatzstoff in Vogel- und Schweinearten verwendet wird. Ob es sich dabei um ein Verfahren zur Erzeugung einer Phytase in Hefen gemäß dem streitbefangenen Patent handeln kann, ist an dieser Stelle nicht abschließend zu beantworten, weil es an der Erforderlichkeit der Besichtigung und Vorlagen von Unterlagen fehlt.

Zwischen den Parteien ist laut ihrem Vortrag einzig und allein die Auslegung der Merkmales appA Gen im Sinne des Patentanspruchs streitig. Diese unterschiedliche Auslegung allein, wäre jedoch nicht geeignet, die wahrscheinliche Benutzung des Patents zu verneinen.

Denn bei der zwischen den Parteien streitige Frage, ob die streitgegenständlichen Patentansprüche 1 und 10 bis 12 voraussetzen, dass es sich bei dem verwendeten Begriff appA Gen um ein Gen handelt, welches aus einer bakteriellen Zelle gewonnen wird und nicht synthetisch hergestellt wird, handelt es sich im Ergebnis um eine Rechtsfrage.

Es geht dabei um die Auslegung des Patentanspruchs insbesondere der dort verwendeten Formulierung €Hervorbringen eines von bakterielle Zellen isolierten appA-Gens, ein appA Gen, das ein Protein oder Polypeptid mit Phytase-Aktivität kodiert€. Die Auslegung des Patentanspruchs ist eine Rechtsfrage, die vom Gericht € ggf. mit sachverständiger Hilfe - zu beantworten ist.

Es ist anerkannt, dass bei zweifelhaften Rechtsfragen eine Besichtigung nicht ausgeschlossen ist (OLG Düsseldorf InstGE 11, 298-Weißmacher; Benkard, PatG, 11. Aufl., § 140c Rn. 10). Nur wenn eine Patentverletzung aus Rechtsgründen von Vornherein (sicher) ausscheidet, gibt es keinen Besichtigungsanspruch. Das ist hier aber nicht der Fall.

d) Erforderlichkeit

Die beantragte Besichtigung und Vorlage von Unterlagen ist nicht erforderlich.

Ausgangspunkt der nunmehr in § 140c PatG getroffenen Regelung ist Art. 6 und 7 der Richtlinie 2004 /48/EG des Europäischen Parlamentes und des Rats vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (sogenannte Enforcement-Richtlinie), wonach die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zugunsten des Schutzrechtsinhabers die Vorlage und Sicherung von Beweismitteln effektiv auszugestalten haben. Mit § 140c PatG soll dem Schutzrechtsinhaber eine effiziente, insbesondere auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes durchsetzbare Möglichkeit eröffnet werden, sich Gewissheit über das Vorliegen einer Patentverletzung zu schaffen (Benkard, PatG, 11. Aufl., § 140c Rn. 4).

Das bedeutet, dass der Anspruch nur dann eingreift, wenn der Verletzte die hierdurch gewonnene Kenntnis zur Durchsetzung seiner Ansprüche benötigt. Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn es darum geht, eine bestrittene anspruchsbegründende Tatsache nachzuweisen oder überhaupt erst Kenntnis von dieser Tatsache zu erlangen (Bundestagsdrucksache 16/5048, S. 40). Das Kriterium der Erforderlichkeit soll gewährleisten, dass der Anspruch nicht zur allgemeinen Ausforschung missbraucht wird (Bundestagdrucksache a.a.O).

Bei Rechtsstreitigkeiten über technische Schutzrechte kann eine Vorlegung von Urkunden oder sonstigen Unterlagen demnach jedenfalls angeordnet werden, wenn dieses zur Aufklärung des Sachverhalts geeignet und erforderlich, weiter verhältnismäßig und angemessen, d. h. dem zur Vorlage Verpflichteten bei Berücksichtigung seiner rechtlich geschützten Interessen nach Abwägung der kollidierenden Interessen zumutbar ist (BGH GRUR 2006, 962 Rn. 43-Restschadstoffentfernung).

Die Erforderlichkeit fehlt, wenn dem Berechtigten im Entscheidungszeitpunkt einfachere, gleichermaßen geeignete und zumutbare Möglichkeiten der Sachaufklärung oder Beweissicherung zu Gebote stehen (Benkard, PatG, 11. Aufl., § 140c Rn. 14).

Dabei obliegt es der Klägerin als Berechtigte, zu der Erforderlichkeit vorzutragen, insbesondere zu den vergeblichen Bemühungen (Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 7.Aufl. Rdnr. 381).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die beantragte Besichtigung und Vorlage von Unterlagen ist nicht erforderlich.

Dazu im Einzelnen:

Es ist unstreitig, dass die Klägerin € neben dem Gutachten der EFSA - mit Einverständnis der Beklagten eine Probe des Klons DSM# zwecks Analyse zur Verfügung gestellt bekommen hat. Unstreitig hat die Klägerin auch Analysen durchgeführt und die Ergebnisse als Anlagen K26 und K27 vorgelegt. Anhand der zur Verfügung gestellten Probe ist die Klägerin in der Lage, sowohl die kodierende Sequenz des Gens als auch die sogenannte Leader-Sequenz zu analysieren. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung ist unstreitig gestellt worden, dass beide Analysemöglichkeiten anhand der Probe vorgenommen werden können und infolgedessen festgestellt werden kann, ob synthetische Veränderungen des kodierenden Teils bzw. der Leader-Sequenz vorgenommen worden sind. Es stehen damit unabhängig davon, ob die Auslegung des Patents durch die Klägerin oder die Beklagte zutreffend ist, die erforderlichen Tatsachen zur Verfügung um eine Patentverletzung beurteilen zu können.

Soweit die Klägerin in der mündlichen Anhörung darauf verwiesen hat, dass ein gerichtlicher Sachverständiger die Frage der synthetischen Veränderung des kodierenden Teils klären könnte, reicht dieses nicht aus, um die Erforderlichkeit zu bejahen.

Schließlich geht die Kammer - mangels gegenteiliger Anhaltspunkte - davon aus, dass die Untersuchung des Klons eine gleichermaßen geeignete und zumutbare Möglichkeit darstellt, die Frage der Patentverletzung zu klären. Die Klägerin hat nicht nachvollziehbar dargelegt, welche Vorteile im Sinne besserer und sicherer Erkenntnisse die Klärung der Frage der synthetischen Herstellung durch einen gerichtlichen Sachverständigen hat, gegenüber der Analyse der Probe durch einen von der Klägerin beauftragten Sachverständigen.

Soweit die Klägerin die Erforderlichkeit der Besichtigung und Vorlage damit begründet, dass ihr bisher nicht sicher bekannt ist, welche Benutzungshandlungen die Beklagte im Einzelnen vorgenommen hat und dieses Begehren in Zif. II., 2. konkretisiert hat, ist zunächst nicht nachvollziehbar, weshalb sie diese Angaben benötigt um einen Verletzungsprozess zu führen. Schließlich ist die Beklagte Inhaberin der Zulassung und alleinige Inhaberin der Betriebsstätte, so dass es keine Probleme gibt bei der Zuordnung etwaiger Verletzungshandlungen. Das wäre unter Umständen anders zu beurteilen, wenn es um ein mehrstufiges Verfahren geht mit mehreren potentiellen Verletzern und daher eine eindeutige Zuordnungen von Handlungen und Verantwortlichkeit nicht möglich wäre. Davon zu trennen ist die Frage, ob die frühere Betreiberin des Zulassungsverfahrens, die #, eine Patentverletzung begangen haben könnte. Das ist aber nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Zum anderen ist fraglich, ob die Ungewissheit, ob weitere Verletzungshandlungen vorliegen, überhaupt die Erforderlichkeit begründen könnte.

Im Ergebnis ist die Kammer der Auffassung, dass die Frage, welche Benutzungshandlungen im Einzelnen von der Beklagten möglicherweise begangen worden sind, nicht von dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 140c PatG erfasst ist.

Sinn und Zweck des Besichtigungsanspruchs ist es, den Nachweis einer bestrittenen Tatsache zu führen oder Kenntnis einer anspruchsbegründenden Tatsache zu erlangen (Bundestagsdrucksache 16/5048, S.40).

Vor dem Hintergrund der ursprünglich zugrundeliegenden Vorschrift des § 809 BGB ist damit gemeint die Besichtigung einer Sache oder eines Verfahrens, was aber nicht die bloße Inaugenscheinseinnahme beinhaltet, sondern auch Untersuchungen der Sache oder eines Verfahrens bspw. durch Analyse einer chemischen Substanz oder vorübergehenden Zerlegung einer Maschine (Benkard, PatG, 11.Aufl., § 140 c, Rdnr.16).

Dabei geht es darum, die Merkmale des Patentanspruchs, soweit sie sich nicht durch Veranschaulichung oder andere Materialien ergeben, zu ermitteln, gegebenenfalls auch durch Besichtigung des Herstellungsverfahrens (vgl. dazu Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 7.Aufl. Rdnr. 381).

Zwar ist die Frage, ob eine Verletzungshandlung im Sinne des § 9 PatG vorliegt, auch eine für einen Verletzungsprozess anspruchsbegründende Tatsache und könnte daher davon erfasst sein.

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin jedoch -auch ohne Besichtigung der Betriebsstätte- bereits Kenntnis davon, dass die Beklagte infolge der Zulassung für das Produkts €#€ in Besitz eines nach Auffassung der Klägerin patentverletzenden Verfahrens ist. Durch den unstreitigen Besitz ist die (mögliche) Verletzungshandlung unproblematisch und bedarf keiner weiteren Aufklärung. Der Verletzungsprozess könnte daher von der Klägerin geführt werden und im Wege des Auskunftsantrags kann gegebenenfalls über weitere Verletzungshandlungen, wie beispielsweise die Herstellung oder das Anbieten Auskunft verlangt werden. Damit ist den klägerischen Interessen, gegen eine Patentverletzung vorzugehen, Genüge getan.

Bei der Frage evtl. weiterer Benutzungshandlungen geht es nicht um einen Beweisnotstand, wie er eigentlich erforderlich ist gem. § 140 c PatG, sondern um Ausforschung. Diese ist gerade nicht beabsichtigt mit der Vorschrift des § 140 c PatG.

Ein anderes Verständnis würde auch zu einem erheblichen Wertungswiderspruch führen. Bei einer nachgewiesenen Verletzung ist der Verletzte auf einen Auskunftsanspruch angewiesen. Die Durchsetzung erfolgt durch Zwangsgeld oder ggf. Versicherung an Eides statt. Es gibt aber keine Möglichkeit sich die gewünschten Informationen selbst mittels einer €Durchsuchung€ zu beschaffen. Dies darf dann erst recht nicht bei einer bloß wahrscheinlichen Patentverletzung zulässig sein.

§ 140d PatG verlangt für den Anspruch auf Vorlage von Bank,- Finanz und Handelsunterlagen daher auch die positive Feststellung einer Patentverletzung (Benkard, PatG, 11. A, § 140d Rn. 2).

e) Verhältnismäßigkeit

Da bereits die Erforderlichkeit nicht gegeben ist, kann die Frage, ob die Besichtigung und Vorlage von Unterlagen verhältnismäßig und angemessen ist, dahingestellt bleiben.

Soweit eine Patentverletzung ohne Besichtigung nachgewiesen werden kann, rechtfertigt eine möglicher zusätzlicher Erkenntnisgewinn nicht den erheblichen Eingriff, der mit einer Besichtigung verbunden ist.

f) Privilegierung gem. § 11 Nr.2 PatG

Die Frage, ob die von der Beklagten bzw. der ### (vormals) durchgeführten Versuche von der Privilegierung gemäß § 11 Nr. 2 PatG erfasst sind, und demzufolge eine Freistellung vorliegt, kann dahingestellt sein. Es fehlt schließlich an der Erforderlichkeit der Besichtigung und Vorlage von Unterlagen, da die Klägerin aufgrund der bereits vorliegenden Erkenntnisse aus dem EFSA-Gutachten und den Analysen des Klons und weiteren möglichen Analysen in der Lage ist, eine Patentverletzungsklage zu erheben.

II.

Da es bereits an den Voraussetzungen für die Besichtigungs- und Vorlageanordnung fehlt, ist für einen Beweisbeschluss gem. § 485 ZPO kein Raum, da das beantragte Sachverständigengutachten nur auf der Grundlage einer Besichtigungsanordnung erstattet werden könnte (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 04.05.2012, 6 W 36/11, abgedr. in BeckRS 2012, 10149)

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

Der Streitwert des selbstständigen Beweisverfahrens ist mit dem Hauptsachewert anzusetzen, auf den sich die Beweiserhebung bezieht (BGH NJW 2004, 3488,3498f; Benkard, PatG, 11. Aufl. § 140 c Rdnr.31). Die Kammer ist dabei -mangels anderweitiger Anhaltspunkte- von der klägerischen Angabe, die indiziellen Charakter hat und von der Beklagten nicht in Abrede gestellt worden ist, ausgegangen.

Der Streitwert für die Anordnung der Duldung der Besichtigung und Vorlage ist mit einem Bruchteil der Hauptsache anzusetzen (Benkard a.a.O.). Die Kammer hält den klägerischen Ansatz von 1/10 für angemessen.






LG Braunschweig:
Urteil v. 05.08.2016
Az: 9 O 2539/15, 9 OH 109/15


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