Landgericht München I:
Urteil vom 16. Juni 2011
Aktenzeichen: 5 HK O 20632/10, 5 HK O 20632/10

(LG München I: Urteil v. 16.06.2011, Az.: 5 HK O 20632/10, 5 HK O 20632/10)

Tenor

I. Die Klagen werden abgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen

- der Kläger zu 1):40,0 %- der Kläger zu 2): 4,0 %- der Kläger zu 3): 1,2 %- die Kläger zu 4) und zu 5): 1,6 %- der Kläger zu 6): 1,2 %- die Klägerin zu 7):25,1 %- der Kläger zu 8):16,4 %- die Klägerinnen zu 9) und 10): 5,7 %- der Kläger zu 11): 4,0 %- der Kläger zu 12): 0,8 %III. Das Urteil ist in Richtung auf den Kläger zu 1), die Klägerin zu 7) sowie den Kläger zu 8) vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 105 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Das Urteil ist in Richtung auf die übrigen Kläger vorläufig vollstreckbar. Diese können die Vollstreckung abwenden jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 105 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung jeweils Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Der Streitwert wird auf € 1.133.616,66 festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Rückzahlungsansprüche aus Genussrechten.

I.

Die XXX AG (im Folgenden: XXX AG) begab im August 1988 aufgrund von ihrer Hauptversammlung am 18.3.1994 erteilten Ermächtigung Genussscheine gemäß § 10 Abs. 5 KWG im Gesamtnennbetrag von DM 75.000.000,-- mit einer Laufzeit bis zum 31.12.2009. Die Genussscheine (Anlage K 4) enthielten unter anderem folgende Bedingungen:

"§ 2

Ausschüttung auf die Genußscheine

1. Die Genußscheine gewähren einen dem Gewinnanteil der Aktionäre vorgehenden jährlichen Ausschüttungsanspruch in Höhe des nachfolgend zu ermittelnden Zinssatzes bezogen auf den Nennbetrag. Der Zinssatz entspricht dem jeweiligen DM-6-Monats-Libor zuzüglich 90 Basis-Punkten.

§ 6

Verlustteilnahme

Wird ein Bilanzverlust ausgewiesen oder das Grundkapital der XXX AG zur Deckung von Verlusten herabgesetzt, so vermindert sich der Rückzahlungsanspruch jedes Genußscheininhabers. Bei einem Bilanzverlust vermindert sich der Rückzahlungsanspruch jedes Genußscheininhabers in demselben Verhältnis, in dem das in der Bilanz ausgewiesene Eigenkapital (ohne nachrangige Verbindlichkeiten) durch Tilgung des Bilanzverlustes gemindert wird.

§ 7

Wiederauffüllung der Rückzahlungsansprüche

Während der Laufzeit der Genußscheine ist nach einer Teilnahme der Genußscheininhaber am Bilanzverlust gemäß § 6 in den Folgejahren vorrangig vor der Ausschüttung gemäß § 2 sowie der Dotierung von Rücklagen und vor der Ausschüttung auf das Aktienkapital zunächst das um die Abschreibung verringerte Genussrechtskapital wieder auf den Nennbetrag aufzufüllen.

€"

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten der Genussscheinbedingungen wird in vollem Umfang auf Anlage K 4 Bezug genommen.

Im Jahre 2003 erfolgte die Verschmelzung der XXX AG auf die damals noch als XXX Bank AG firmierende Beklagte, wodurch den Genussrechtsinhabern der XXX AG gleichwertige Rechte an der XXX Bank AG gewährt wurden. Im Zuge weiterer Verschmelzungen änderte die Beklagte ihre Firma in die nunmehrige Bezeichnung XXX AG.

Das in der Bilanz zum 31.12.2008 ausgewiesene Eigenkapital der Beklagten belief sich auf € 1.051.454.000,-- und errechnete sich aus gezeichnetem Kapital von € 380.376.000,--, Kapitalrücklagen über € 2.987.729.000,--, Gewinnrücklagen in Höhe von € 260.989.000,-- und einem Bilanzverlust von € 2.577.640.000,--. Das maßgebliche Eigenkapital vor Verlustzuweisung betrug € 3.981.818.000,--, nachdem neben dem gezeichneten Kapital, den Kapitalrücklagen und den Gewinnrücklagen weiterhin das Genussrechtskapital vor Entnahmen in Höhe von € 352.574.000,-- und der Gewinnvortrag aus dem Vorjahr über € 150.000.000,-- zu berücksichtigen waren, woraus sich die Verminderung des Rückzahlungsanspruches auf ca. 29,09 % des Nennwertes ergab. Im Geschäftsjahr 2009 erlitt die Beklagte einen im Jahresabschluss mit € 3.792.315.000,-- ausgewiesenen Bilanzverlust, der sich aus dem Jahresfehlbetrag in Höhe von € 1.660.120.000,--, dem Verlustvortrag des Vorjahres, Entnahmen aus dem Genussrechtskapital über € 48.369.000,-- sowie Entnahmen aus stillen Beteiligungen über € 397.079.000,-- zusammensetzte. Vor Entnahme aus der stillen Beteiligung und dem Genussrechtskapital ergab sich ein Bilanzverlust in Höhe von € 4.235.692.000,--, während sich das Eigenkapital der Beklagten auf € 4.183.613.000,-- belief.

II.

Zur Begründung ihrer Klagen machen die Kläger im Wesentlichen geltend, als Genussscheininhabern stehe ihnen ein Anspruch auf Rückzahlung in Höhe von jeweils 17,5386 % des Nennwertes der Genussscheine zu. Bereits aus dem Wortlaut der Klausel in § 6 der Genussscheinbedingungen ergebe sich, dass keinesfalls der komplette Bilanzverlust, sondern nur der um den Verlustvortrag bereinigte Bilanzverlust Berücksichtigung finden dürfe, weil im maßgeblichen Zeitraum auch nur in dessen Höhe eine Minderung des Eigenkapitals stattgefunden habe. Der vorgetragene Bilanzverlust des Geschäftsjahres 2008 mindere das Eigenkapital im Geschäftsjahr 2009 weder unmittelbar noch mittelbar. Zudem greife die Unklarheitenregelung aus § 305 c Abs. 2 BGB ein; von der rechtlichen Unvertretbarkeit eines anderen Auslegungsergebnisses könne nicht gesprochen werden. Ebenso liege ein Verstoß gegen das anwendbare Transparenzverbot vor, zu dessen Ausprägungen auch das hier verletzte Täuschungsverbot gehöre. Dies zeige sich schon am Kurseinbruch nach der Benachrichtigung über die Herabschreibung auf Null im März 2010 an der umsatzstärksten Börse für Genussrechte in Stuttgart. Die Unwirksamkeit der Klausel ergebe sich zudem aus ihrer Ungewöhnlichkeit. Da die fragliche Klausel zudem das Hauptleistungsversprechen einschränke, ausgestalte oder modifiziere, führe die Inhaltskontrolle zu einer Unwirksamkeit der Klausel, weil der Inhalt eine unangemessene Benachteiligung darstelle.

Die Kläger beantragen daher:

Die Beklagte wird verurteilt,

a) an den Kläger zu 1) € 452.650,-- nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.7.2010 zu zahlen.

b) an den Kläger zu 2) € 45.265,-- nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.7.2010 zu zahlen.

c) an den Kläger zu 3) € 13.579,50 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.7.2010 zu zahlen.

d) an den Kläger zu 4) und die Klägerin zu 5) als Mitgläubiger € 18.106,-- nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1.7.2010 zu zahlen.

e) an den Kläger zu 6) € 13.679,50 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1.7.2010 zu zahlen.

f) an den Kläger zu 7) € 286.527,45 nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1.7.2010 zu zahlen.

g) an den Kläger zu 8) € 185.586,50 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1.7.2010 zu zahlen.

h) an den Klägerin zu 9) und die Klägerin zu 10) als Mitgläubiger € 64.007,71 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1.7.2010 zu zahlen.

i) an den Kläger zu 11) € 45.265,-- nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1.7.2010 zu zahlen.

j) an den Kläger zu 12) € 9.053,-- nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 1.7.2010 zu zahlen.

III.

Die Beklagte beantragt dem gegenüber:

Klageabweisung.

Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen darauf, angesichts der Reduktion des Genussscheinkapitals auf Null könne kein Auszahlungsanspruch mehr bestehen. Mit Blick auf die Regelung in § 158 Abs 1 AktG stelle sich der Verlustvortrag als zwingender Bestandteil des Bilanzverlustes dar; diese aktien- und handelsrechtliche Prägung des Begriffs müsse der Auslegung der Genussscheinbedingungen zu Grunde gelegt werden. Daher komme eine Herausrechnung der Verlustvorträge nach dem eindeutigen Wortlaut der Genussscheinbedingungen nicht in Betracht. Die Regelungen über das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen seien ohnehin unanwendbar, weil es bei Abreden über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistung zu keiner gesetzlichen Inhaltskontrolle komme; die Regelungen über die Modalitäten einer Anlage seien eine derartige kontrollfreie Leistungsbeschreibung. Jedenfalls fehle es aber an einer Intransparenz wegen der Eindeutigkeit des verwandten Begriffs "Bilanzverlust". Auch zwinge das Transparenzgebot nicht dazu, jede Klausel gleichsam mit einem Kommentar zu versehen. Die Regelung in § 10 Abs. 5 KWG beinhalte keine Vorgabe zur konkreten Verlustteilnahme von Genussscheinkapital. Der Kursverlauf der Genussscheine insgesamt belege nicht den Ausdruck einer Markterwartung sondern, dass es um Spekulationen gegen sei.

IV.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die zwischen gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.04.2011 (Bl. 116/119 d.A.).

Gründe

I.

Die im Wege zulässiger Klagehäufung geltend gemachten Klagen sind zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Kläger, an deren Aktionärseigenschaft aufgrund der vorgelegten Bankbescheinigungen kein vernünftiger Zweifel bestehen wird, können keine Rückzahlung des Genussscheinkapitals gemäß § 4 Satz 2 der Genussscheinbedingungen verlangen, weil das Genussscheinkapital durch die in den Geschäftsjahren 2008 und 2009 aufgezählten Bilanzverluste aufgebraucht wurde.

1. a.Wird ein Bilanzverlust ausgewiesen, so vermindert sich der Rückzahlungsanspruch jedes Genussscheininhabers aufgrund von § 6 deren Genussscheinbedingungen in dem selben Verhältnis, in dem das in der Bilanz ausgewiesene Eigenkapital ohne nachrangige Verbindlichkeiten durch Tilgung des Bilanzverlustes gemindert wird.

(1) Diese Regelung in § 6 der Genussscheinbedingungen wurde Vertragsinhalt. Etwas anderes lässt sich auch nicht aus § 305 c Abs. 1 BGB ableiten, wonach Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen brauchte, nicht Vertragsbestandteil werden. Auch wenn die Genussscheinbedingungen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts stammen, finden die Vorschriften der §§ 305 ff. BGB und damit auch § 305 c Abs. 1 BGB aufgrund der Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB Anwendung. Bei derartigen Genussscheinbedingungen handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen (vgl. BGHZ 119, 305, 312 = NJW 1993, 57, 58 = AG 1993, 125, 126 - Klöckner; Schmidt in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 5. Aufl., Rdn. 18 zu § 310 Abs. 4 BGB).

34Vorliegend kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass es sich nach den Gesamtumständen um eine objektiv ungewöhnliche Klausel handelt, der auch kein Überraschungs- oder Übertölpelungsmoment inne wohnt (vgl. BGHZ 100, 82, 85; 121, 107, 114; Palandt-Grüneberg, BGB, 70. Aufl., Rdn. 3 und 4 zu § 305 c). Maßgebend für die Beurteilung des Vorliegens eines derartigen Überraschungsmoments ist die Erkenntnismöglichkeit des typischerweise zu erwartenden Durchschnittskunden. Unter Beachtung dieser Ausgangsüberlegungen kann die Regelung in § 6 der Genussscheinbedingungen nicht als überraschende Klausel bewertet werden. Der Verwender der Klausel orientiert sich nämlich an einem Begriff, der durch die Rechtsordnung vorgegeben ist € an §§ 268 Abs. 1 Satz 2 HGB, wonach ein vorhandener Gewinn- oder Verlustvortrag in den Posten "Bilanzgewinn/Bilanzverlust" einzubeziehen und in der Bilanz oder im Anhang gesondert anzugeben ist, sowie an § 158 Abs. 1 AktG. Bei einem Kreditinstitut wie der WestHyp beziehungsweise der Beklagten sind die Modifikationen der Rechnungslegung in der Verordnung über die Rechnungslegung der Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute (RechKredV) zu berücksichtigen. Wenn sich ein Verwender an derartigen Vorgaben ausrichtet, kann gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung ein Anwendungsfall von § 305 c Abs. 1 BGB nicht bejaht werden.

35(2) Die Auslegung des Begriffs "Bilanzverlust" führt dazu, dass im Geschäftsjahr 2009 nicht nur der Jahresfehlbetrag, sondern auch der Verlustvortrag aus dem Geschäftsjahr 2008 zu berücksichtigen ist. Der Bilanzverlust ist dabei gerade nicht mit dem jeweiligen Jahresfehlbetrag gleichzusetzen. Dies ergibt eine Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB, wobei Genussscheinbedingungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen objektiv auszulegen sind. Auszugehen ist dabei vom Verständnishorizont eines an Geschäften dieser Art € mithin der Ausgabe von Genussrechten € beteiligten durchschnittlichen Anlegers ohne Rücksicht auf besonders (un-)ausgeprägte Kenntnisse oder Erfahrungen im Einzelfall, mithin vom verständigen Genussrechtsinhaber (vgl. BGHZ 119, 305, 312 f. = NJW 1993, 57, 58 = AG 1993, 125 126 - Klöckner; Schmidt in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, a.a.O., Rdn. 18 zu § 319 Abs. 4 BGB; Mülbert in: Festschrift für Hüffer, 2009, S. 679, 683).

Die Genussrechtsbedingungen der XXX AG als Rechtsvorgängerin der Beklagten enthalten keine Definition des Begriffs des Bilanzverlustes. Sie sind aber in dem engen Sinn zu verstehen, den ihm die aktien- und handelsrechtlichen Vorschriften einschließlich der Sondervorschriften für Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute namentlich in § 268 Abs. 1 Satz 2 HGB und § 158 AktG beigemessen haben, was namentlich auch in der steuerrechtlichen Rechtsprechung einen gewissen Niederschlag gefunden hat (vgl. FG München DStRE 2002, 1010; BFH DStR 2003, 499). Anhaltspunkte dafür, dass die Beteiligung trotz der Verwendung eines handelsrechtlich determinierten Begriffs eine vom Handelsrecht beziehungsweise dem Recht der Rechnungslegung abweichende Bedeutung beimessen wollte, sind nach dem Vortrag der Parteien nicht erkennbar (vgl. LG Frankfurt am Main, Urteil vom 5.2.2011, Az: 3-5 O 100/10). Kreditinstitute müssen bei ihrer Rechnungslegung die auf die Besonderheiten der Kreditwirtschaft zugeschnittenen Konkretisierungen und Modifizierungen in Form der Verordnung über die Rechnungslegung der Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsinstitute (RechKredV) beachten. Mit der Verwendung des Begriffs des "Bilanzverlustes" werden somit neben den allgemeinen Regelungen insbesondere in § 158 Abs. 1 AktG und 268 Abs. 1 HGB die entsprechenden Positionen in der RechKredV in Bezug genommen. Der "Bilanzverlust" ergibt sich folglich ausgehend vom Jahresüberschuss bzw. Jahresfehlbetrag folgendermaßen, wie auch der Anlage zu dieser Verordnung zu entnehmen ist:

Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag

+/- Gewinnvortrag/Verlustvortrag

+ Entnahmen aus der Kapitalrücklage

+ Entnahmen aus Gewinnrücklagen

+ Entnahmen aus Genussrechtskapital

- Einstellung in Gewinnrücklagen

- Wiederauffüllung des Genussrechtskapitals

Bilanzgewinn/Bilanzverlust

Demzufolge ist der Begriff des Bilanzverlustes im Sinne des "Bilanzverlustes vor Entnahmen aus Genussrechtskapital" zu verstehen. Dann aber nimmt das Genussrechtskapital wegen der Anknüpfung an den Bilanzverlust in diesem Sinne auch an Bilanzverlusten aus Verlustvorträgen teil. Wäre etwas anderes gewollt, so müsste dies ausdrücklich in den Genussscheinbedingungen genannt sein (so ausdrücklich Mülbert in: Festschrift für Hüffer, a.a.O., S. 679, 683 ff). Soweit zum Teil in der Literatur (vgl. Habersack AG 2009, 801, 805) eine gegenteilige Auffassung vertreten wird, vermag dem die Kammer nicht zu folgen. Namentlich der Hinweis auf den Hybrid-Charakter von Genussrechten überzeugt nicht, weil es andernfalls zu einer nicht gerechtfertigten Privilegierung des Genussscheininhabers gegenüber dem Aktionär käme, der gleichfalls am Verlustvortrag teilnimmt.

Eine andere Beurteilung lässt sich auch nicht über den Kurseinbruch nach der Bekanntgabe des vollständigen Aufzehrens des Genussrechtskapitals rechtfertigen. Börsenkurse sind immer auch spekulativ; aus ihnen kann nicht zwingend darauf geschlossen werden, dass der Markt von einer Auslegung des Begriffs "Bilanzverlust" dergestalt ausgegangen ist, nur der Jahresfehlbetrag sei zu berücksichtigen. Zudem muss die bereits angesprochene objektive Auslegung berücksichtigt werden, weshalb spekulative Überlegungen von Anlegern außer Betracht zu bleiben haben.

Ebenso wenig ergibt sich ein anderes Auslegungsergebnis aus der Verwendung des Begriffs der "Tilgung des Bilanzverlustes". Dabei kann erkennbar nicht eine Tilgung im Sinne des § 362 Abs. 1 BGB unter diesem Begriff verstanden werden. Ein Verlustvortrag ist nur durch das Eigenkapital gedeckt und wird in diesem Sinne vom Eigenkapital getilgt.

48b. Die Klausel in § 6 der Genussscheinbedingungen verstößt nicht gegen die Vorgaben in §§ 307 ff. BGB zur Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbindungen, die vorliegend allerdings stattfinden muss.

(1) Die Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB für Verträge auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts ist nicht einschlägig. Verträge über die Gewährung von Genussrechten werden von § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht umfasst, weil es sich bei ihnen nicht um gesellschaftsrechtlich geprägte Mitgliedschaftsrechte handelt; vielmehr erschöpfen sie sich in einem bestimmten geldwerten Anspruch, worin ihr Charakter als schuldrechtliches Gläubigerrecht zum Ausdruck kommt (vgl. BGHZ 119, 305, 312 = NJW 1993, 57, 58 = AG 1993, 125, 126 - Klöckner).

(2) Ein Verstoß gegen das in § 307 Abs. 2 Satz 2 BGB verankerte Transparenzgebot kann nicht bejaht werden. Nach dieser Vorschrift kann sich die unangemessene Benachteiligung auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Zwar verpflichtet das Transparenzgebot den Verwender, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen möglichst klar, einfach und präzise darzustellen (vgl. BGH NJW 2007, 3632, 3635; 2008, 1438; NJW-RR 2010, 99, 101). Andererseits dürfen die Anforderungen an das Transparenzgebot nicht überspannt werden; die Verpflichtung, den Klauselinhalt klar und verständlich zu formulieren, besteht nur im Rahmen des Möglichen. Aus ihr ergibt sich namentlich keine Verpflichtung, sich aus dem Gesetz oder auch der Rechtsnatur des Vertrages ergebende Rechte und Pflichten ausdrücklich zu regeln oder den Vertragspartner darüber zu informieren (vgl. BGH NJW 1996, 2092, 2093; Palandt-Grüneberg, BGB, a.a.O., Rdn. 22 zu § 307; Rellermeyer WM 1994, 1053, 1056 f.) Da die Auslegung hier zu einem klaren Ergebnis führt, das sich an vom Gesetzgeber vorgegebenen Begriffen orientiert, lässt sich eine Verletzung des Transparenzgebotes nicht bejahen.

(3) Eine unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB durch die Einbeziehung der Verlustvorträge kann nicht angenommen werden. Die Bestimmung über die Einbeziehung von Verlustvorträgen schränkt wesentliche Rechte und Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, nicht so stark ein, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist, auch wenn es letztlich zu einer Doppelbeteiligung des Genussrechtskapitals an ein und dem Verlust kommt.

(a) Die entsprechende Klausel in § 6 der Genussscheinbedingungen ist allerdings entgegen der Auffassung der Beklagten einer Inhaltskontrolle nicht von vornherein nach § 306 Abs. 3 BGB entzogen. Es handelt sich dabei nämlich nicht um eine Klausel, die eine Abrede unmittelbar über den Vertragsgegenstand erhält. Die Art und Weise, wie das Genussrechtskapital herabgesetzt wird, also wie der Umfang der Herabsetzung ermittelt wird, gehört nicht mehr zu der einen Inhaltskontrolle entzogenen Hauptleistungsinhalt (vgl. BGHZ 119, 305, 312 = NJW 1993, 57, 59 = AG 1993, 125, 127 - Klöckner).

(b) Eine unangemessene Benachteiligung muss verneint werden, weil anerkennenswerte Interessen der Emittentin vorliegen, die dazu führen, dass die Regelung gerechtfertigt ist. Genussrechtskapital im Sinne des § 10 Abs. 5 KWG kommt bankaufsichtsrechtlich die Funktion von haftendem Eigenkapital zu. Deshalb ist es aufsichtsrechtlich angezeigt, beim Jahresabschluss mit Blick auf die Möglichkeit künftiger Verluste gestaltend zu berücksichtigen, dass Genussrechtskapital während der Laufzeit möglichst umfangreich zur Verlusttragung herangezogen werden kann, falls in der Zukunft Bilanzverluste auftreten sollten. Zudem muss bei der Überprüfung des Vertragsinhalts am Maßstab von § 307 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 1 Satz 1 BGB die Klausel in Ziffer 7 der Genussscheinbedingungen entscheidend beachtet werden, wonach es zu einer Wiederauffüllung eines in Folge der Verlustbeteiligung herabgesetzten Genussrechtskapitals kommt. Damit greift die Wiederauffüllklausel auch dann ein, wenn der vom Genussrechtskapital zu tragende Verlust aus einem Verlustvortrag stammt. Angesichts der durch die Wiederauffüllklausel geregelten asymmetrischen Beteiligung des herabgesetzten Genussrechtskapitals an den Gewinnen in späteren Geschäftsjahren bildet diese Regelung das exakte Gegenstück zur Doppelbelastung des Genussrechtskapitals bei der Heranziehung auch für Bilanzverluste aus Verlustvorträgen. Allein der Umstand, dass die Kläger des vorliegenden Verfahrens von einer denkbaren Wiederauffüllung angesichts des zeitlichen Zusammentreffens der Berücksichtigung des Verlustvortrages des Geschäftsjahres 2008 für das Geschäftsjahr 2009 mit dem Ende der Laufzeit der Genussscheine zum 31.12.2009 nicht profitieren können, rechtfertigt keine andere Beurteilung, weil es bei der Prüfung der unangemessenen Benachteiligung um die allgemeine Auslegung der Klausel geht, die nach objektiven Kriterien erfolgen muss, nicht jedoch um die Beurteilung des konkreten Einzelfalles, in dem sich die Klausel auswirkt (vgl. Mülbert in: Festschrift Hüffer, a.a.O., S. 679, 692 f).

2. Da der Verlustvortrag des Geschäftsjahres 2008 mit einzubeziehen war, wurde das Genussrechtskapital zum Ende des Geschäftsjahres 2009 entsprechend der insoweit nicht bestrittenen und zutreffenden Berechnung der Beklagten vollständig aufgebraucht, weshalb den Klägern kein Rückzahlungsanspruch mehr zustehen kann.

Angesichts dessen waren die Klagen abzuweisen.

II.

1. Die Entscheidung über die Kosten hat ihre Grundlage in § 100 Abs. 1 und 2 ZPO. Wegen der sehr unterschiedlichen Beteiligungen der einzelnen Kläger erachtet es die Kammer nicht als angemessen, die Kosten gleichmäßig nach Köpfen zu verteilen; vielmehr war von der Möglichkeit des § 100 Abs. 2 ZPO Gebrauch zu machen. Die Kosten wurden daher entsprechend der prozentualen Beteiligung der einzelnen Kläger aufgeteilt.

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich in Bezug auf die Kläger zu 1), zu 7) und zu 8) aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO, im Übrigen aus §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.

3. Der Streitwert ergibt sich aus der Summe der einzeln von den Klägern geltend gemachten bezifferten Anträge.






LG München I:
Urteil v. 16.06.2011
Az: 5 HK O 20632/10, 5 HK O 20632/10


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/d6c0e9f84461/LG-Muenchen-I_Urteil_vom_16-Juni-2011_Az_5-HK-O-20632-10-5-HK-O-20632-10




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share